OLG München zu Flugstornierung für Israeli: Diskriminierungsschutz, Unmöglichkeit und IPR
Wir freuen uns, einen Beitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) veröffentlichen zu können. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn
Das Problem war lange bekannt, aber eine gerichtliche Entscheidung fehlte bislang: Das OLG München (Az. 20 U 6415/19) hat nun entschieden, dass ein Reiseportal den Flug eines israelischen Staatsbürgers gegen den Willen des Kunden stornieren darf, weil dieser wegen seiner Nationalität bei einem Zwischenstopp in Kuwait nicht einreisen darf.
Der Streit drehte sich um die Beförderung eines israelischen Fluggastes. Ein in Deutschland lebender Israeli hatte einen Flug gebucht mit einem Transitaufenthalt in Kuwait-Stadt. Das Online-Reiseportal bestätigte zunächst die Buchung, stornierte die aber am nächsten Tag. Das OLG entschied nun in Übereinstimmung mit der Vorinstanz: Der Beförderungsanspruch des Klägers sei zwar nicht wegen rechtlicher Unmöglichkeit ausgeschlossen, auch wenn das kuwaitische „Gesetz Nr. 21 des Jahres 1964 – Einheitsgesetz zum Israel-Boykott“ u.a. juristischen Personen bei Strafe untersagt, selber oder über Dritte Vereinbarungen mit Personen abzuschließen, die die israelische Staatsangehörigkeit besitzen. Dieses Gesetz sei aber für deutsche Gerichte nicht beachtlich, weil es fundamentalen Grundwerten der deutschen Rechtsordnung widerspreche.
Die Beförderungsleistung sei aber wegen tatsächlicher Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen:
„(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.“
Das Gericht wertete als entscheidend, dass der Kläger als Inhaber eines israelischen Reisepasses schlicht tatsächlich nicht nach Kuwait reisen dürfe, auch dann nicht, wenn er sich lediglich zwecks Durchreise und Umstieg im Transitbereich aufhalten will (OLG München v. 25.6.2020 – 20 U 6415/19).
Der Kläger will die Revision. Aber hat sie Erfolg? Das Ergebnis mag intuitiv erzürnen, denn das Gesetz Kuweits verstößt sicherlich gegen den deutschen ordre public, und darf daher nicht angewandt werden durch deutsche Gerichte, Art. 6 EGBGB:
„Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“
Aber die Norm ist hier ja nicht angewendet worden, sondern es wurden nur ihre Auswirkungen dem Sachverhalt zugrunde gelegt, der dann nach § 275 BGB beurteilt wurde. Dass aber von tatsächlicher Unmöglichkeit auszugehen ist, stand nach der Beweisaufnahme fest. Und impossibilium nulla est obligatio. Diese tatsächliche Unmöglichkeit hat – das war das Besondere – ihre Grundlage allein in dem anstößigen Gesetz. Kann man dann schlicht das rechtsbedingte Faktum als hinreichend zur Befreiung von der Leistungspflicht werten? Ist die Unmöglichkeit nicht offen für rechtliche Wertungen, woher sie resultiert? Nun gibt es bei der Unmöglichkeit immer schon anerkannt auch die rechtliche Unmöglichkeit – aber die wurde nicht anerkannt, sondern man ging von tatsächlicher Unmöglichkeit aus (sonst hätte es keine Beweisaufnahme gebraucht). Wertungen und Abwägung sind in der Vergangenheit aber immer nur bei der Unzumutbarkeit nach § 275 Abs. 3 BGB, nicht der Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB fruchtbar gemacht worden:
„(3) Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.“
Eine eng verwandte Frage taucht auch im Diskriminierungsrecht selbst auf (s. § 8 AGG). Darf ich einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion zurückweisen, weil er seinen Beruf aufgrund diskriminierender ausländischer Gesetzgebung dort nicht ausüben kann? § 8 Abs. 1 AGG setzt hier die Maßstäbe:
„(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.“
Hier gibt es durchaus Rechtsprechung – freilich in den USA. Eine Fluggesellschaft kann verlangen, dass ihre Piloten für einen Flug nach Mekka Muslime sind, weil das saudi-arabische Recht nur Muslimen den Zutritt zu der Heiligen Stadt erlaubt. Hier sind es die Vorbehalte eines ganzen Landes, nicht der Kunden, die das Religionskriterium bedingen. Und das ist zulässigerweise zu berücksichtigen, zumindest nach Meinung der US-Gerichte, s. z.B. Kern v. Dynalectron Corp., 577 F.Supp. 1196 (N.D.Tex. 1983) Die Begründung ist hier mitunter drastisch:
„Non-Moslems flying into Mecca are, if caught, beheaded … The essence of Dynalectron’s business it to provide helicopter pilots … thus, the essence of Dynalectron’s business would be undermined by the beheading of all the non-Moslem pilots based at Jeddah”.
Auch das deutsche Arbeitsrecht und Zivilrecht hätte hier also in der Tat wohl nicht anders gewertet. Ansonsten zur Berücksichtigung von customer preferences s. MüKo-Thüsing, § 8 AGG Rn. 11 – 18.
Es kann eine Schutzpflicht in Betracht kommen, nicht in das Land zu befördern, wo ein Einreiseverbot besteht.
Eine entsprechende Schutzpflicht kann eventuell rechtliche Unmöglichkeit begründen?