Nach längerer Pause setzen wir nunmehr unsere Serie „Simulation mündliche Prüfung“ fort und begeben uns hierfür in das Verfassungsrecht. Mit seinem Beschluss vom 18.07.2019 – 1 BvL 1/18, 1 BvR 1595/18, 1 BvL 4/18 hat sich das BVerfG zur Verfassungskonformität der Mietpreisregelung für Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten gem. § 556d BGB (sog „Mietpreisbremse“) positioniert. Im Zentrum der Entscheidung steht die Vereinbarkeit der Norm mit der Eigentumsgarantie gem. Art. 14 Abs. 1 GG, der Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie dem allgemeinen Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG. Naturgemäß bieten verfassungsrechtliche Fragestellungen weitläufigen Argumentationsspielraum, sodass sie für die mündliche Prüfung im Öffentlichen Recht besonders beliebt sind:
Sehr geehrte Damen und Herren, bitte stellen Sie sich folgenden Sachverhalt vor, der einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Juli 2019 im Wesentlichen zugrunde lag:
Mit der Regulierung der Miethöhe bei Mietbeginn durch das Mietrechtsnovellierungsgesetz will der Gesetzgeber den in prosperierenden Städten stark ansteigenden, teilweise in erheblichem Maß über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegenden Mieten bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen begegnen. Durch die Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten soll u.a. der direkten oder indirekten Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Wohnquartieren entgegengewirkt werden. Betroffen sind nicht nur einkommensschwache Haushalte, sondern auch Durchschnittsverdiener, insbesondere Familien mit Kindern. Die Begrenzung der Miethöhe bei Wiedervermietung solle ihnen in größerem Umfang einen Umzug innerhalb ihres angestammten Quartiers ermöglichen, Wohnraum bezahlbar erhalten und Anreize für Verdrängungsmaßnahmen verringern.
Zu diesem Zweck ergänzt das Mietrechtsnovellierungsgesetz die Bestimmungen über die Wohnraummiete im Bürgerlichen Gesetzbuch. Zentrale Neuregelung ist § 556d BGB, der wie folgt lautet:
„(1) Wird ein Mietvertrag über Wohnraum abgeschlossen, der in einem durch Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt liegt, so darf die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Absatz 2 BGB) höchstens um 10 Prozent übersteigen.
(2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten durch Rechtsverordnung für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu bestimmen. Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten liegen vor, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen in einer Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn […]“
Für unsere Belange unterstellen wir zunächst die Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsermächtigung aus § 556d Abs. 2 BGB. Kandidat A, gegen welches Grundrecht könnte das Gesetz verstoßen?
Mit Blick auf die Freiheitsgrundrechte könnte die Regelung aus § 556d BGB gegen die in Art. 14 Abs. 1 GG verankerte Garantie des Eigentums verstoßen.
In der Tat. Welche Rechtspositionen würden Sie denn unter den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fassen?
Vom Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst ist unter anderem das zivilrechtliche Sacheigentum, dessen Besitz und die Möglichkeit, es zu nutzen. Dazu gehört es, aus der vertraglichen Überlassung des Eigentumsgegenstands zur Nutzung durch andere den Ertrag zu ziehen, der zur finanziellen Grundlage für die eigene Lebensgestaltung beiträgt.
Sehr richtig. Ich frage trotzdem einmal etwas überspitzt: Gewährleistet die Verfassung eine grenzenlose Verfügungsfreiheit?
Nein, aus der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ergibt sich, dass der Gebrauch des Eigentums auch dem Gemeinwohl zu Gute kommen, ihm jedenfalls aber nicht zuwiderlaufen soll. Zwar ist das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentum durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet. Es soll als Grundlage privater Initiative und in eigenverantwortlichem privatem Interesse von Nutzen sein. Zugleich soll aber der Gebrauch des Eigentums dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Dies ist zu beachten, wenn es um die Verfügung über Eigentum geht, das gleichzeitig den Lebensmittelpunkt und den privaten Rückzugsort Dritter bildet. Der Gesetzgeber muss die Freiheitssphäre des Einzelnen mit dem Wohl der Allgemeinheit in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Orientierungspunkt, sondern auch Grenze für die Beschränkung des Eigentums. Zugleich muss das zulässige Ausmaß einer Sozialbindung auch vom Eigentum selbst her bestimmt werden.
Gut, widmen wir uns nun der Frage des Eingriffs. Kandidatin B, wie ordnen Sie § 556d Abs. 1 BGB ein?
Art. 14 Abs. 1 GG kennt zwei Formen der Beschränkung. Genau genommen gibt es keinen Eingriff nach dem klassischen Verständnis, vielmehr handelt es sich stets um eigentumsrelevante Maßnahmen. Zu unterscheiden ist zwischen der Inhalts- und Schrankenbestimmung und der Enteignung.
Sehr interessant, wie würden Sie denn diesbezüglich abgrenzen?
Die Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG verkürzt eine bereits bestehende Eigentumsposition durch abstrakt-generelle Festlegung von Rechten und Pflichten des Eigentümers. Die Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG hingegen ist jede finale, konkret-individuelle Entziehung eigentumsrechtlicher Positionen für öffentliche Zwecke. Dies geht regelmäßig mit einem Güterbeschaffungsvorgang der öffentlichen Hand einher. Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung werden rein formal abgegrenzt, sodass eine besonders schwerwiegende Inhalts- und Schrankenbestimmung in keinem Fall in eine entschädigungspflichtige Enteignung umschlägt.
Das lässt sich hören! Kandidat C, subsumieren Sie doch bitte für die in Rede stehende Norm.
556d Abs. 1 BGB regelt für sämtliche Wohnraummietverträge, die in einem angespannten Wohnungsmarkt liegen, welche Höhe der Mietzins maximal im Vergleich zur ortsüblichen Miete betragen darf. Die Norm regelt in abstrakt-genereller Weise die äußerste Grenze des zivilvertraglich zulässigen Mietzinses. Es handelt sich deshalb um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung.
Kandidatin D, bitte knüpfen Sie hieran an. Ist die Miethöhenregulierung aus § 556d Abs. 1 BGB auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt?
Hierfür müsste Sie insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip muss der Eingriff zur Erreichung eines legitimen Eingriffsziels geeignet sein und darf nicht weiter gehen, als es die Gemeinwohlbelange erfordern; ferner müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen.
Genau so ist es. Gibt es denn ein legitimes Ziel für solch eine Regelung?
Mit der Miethöhenregulierung in § 556d Abs. 1 BGB verfolgt der Gesetzgeber den Zweck, durch die Begrenzung der Miethöhe bei Wiedervermietung der direkten oder indirekten Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Wohnquartieren entgegenzuwirken, was auch im öffentlichen Interesse liegt. Das Gesetz verfolgt mithin ein legitimes Ziel.
Und halten Sie die Regelung auch für geeignet?
Geeignet ist eine Regelung, wenn Sie zur Erreichung des verfolgten Zwecks zumindest dienlich ist. Verfassungsrechtlich genügt für die Eignung, dass der erstrebte Erfolg gefördert werden kann, dass also die Möglichkeit der Zweckerreichung besteht. Zwar kann eine regulierte Miete die Nachfrage von Wohnungssuchenden in den betroffenen Regionen weiter ansteigen lassen, weil neben einkommensstarken Wohnungssuchenden auch solche mit geringeren Einkommen als Mieter infrage kommen. Es liegt auch nahe, dass Vermieter mit Blick auf die Bonität in der Regel die einkommensstärksten Bewerber auswählen werden, mit der Folge, dass sich die Chancen auf eine bezahlbare Wohnung für einkommensschwächere Wohnungssuchende bei gleichbleibendem Angebot an Mietwohnungen nicht erhöhen. Trotzdem schneidet die Miethöhenregulierung Preisspitzen auf angespannten Wohnungsmärkten ab und kann damit zumindest die Voraussetzungen für einen Marktzugang einkommensschwächerer Mieter schaffen. Dabei hat sie auch bremsende Wirkung auf die Entwicklung der ortsüblichen Vergleichsmieten, in deren Berechnung die regulierten Wiedervermietungsmieten zeitlich verzögert einfließen. Nicht auszuschließen ist zudem, dass die Miethöhenregulierung Wohnungssuchenden aus einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten, die bei einem Wohnungswechsel aufgrund gestiegener Mieten in ihrem bisherigen Stadtteil ohne Miethöhenregulierung keine für sie bezahlbare Wohnung hätten finden können, das Anmieten einer Wohnung in ihrer angestammten Umgebung ermöglicht.
Das ist sehr gut vertretbar. Kandidat A, wie sieht es mit der Erforderlichkeit aus?
Die Erforderlichkeit ist erst dann zu verneinen, wenn ein sachlich gleichwertiges, zweifelsfrei gleich wirksames, die Grundrechte weniger beeinträchtigendes Mittel zur Verfügung steht, um den mit dem Gesetz verfolgten Zweck zu erreichen. Zwar kommt die regulierte Miete nicht allein einkommensschwächeren, sondern unterschiedslos allen Wohnungssuchenden auf angespannten Wohnungsmärkten zugute. Auch kommen weitere staatliche Maßnahmen zur Linderung oder Behebung der Wohnungsnot in Betracht, etwa die Förderung des Wohnungsbaus oder die Verbesserung der finanziellen Lage der Wohnungssuchenden durch erweiterte Gewährung von Wohngeld. Ungeachtet der mit diesen Maßnahmen verbundenen Kosten ist aber nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber diese im Rahmen seines Prognose- und Beurteilungsspielraums als gegenüber der Miethöhenregulierung mildere und zweifelsfrei – auch kurzfristig – vergleichbar wirksame Mittel hätte heranziehen müssen. Die Regelung ist deshalb auch erforderlich.
So würde ich es auch sehen! Man merkt, Sie kennen sich mit der Materie aus. Kandidatin B, äußern Sie sich bitte kurz zur Angemessenheit.
Die Regelung ist angemessen, wenn sie die Grenze der Zumutbarkeit wahrt. Dazu ist zwischen der Schwere des Eingriffs einerseits und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe andererseits abzuwägen. Sie darf die betroffenen Eigentümer nicht übermäßig belasten. Auch bei Schaffung privatrechtlicher Vorschriften muss der Gesetzgeber den betroffenen Interessen der Beteiligten so weit wie möglich Geltung verschaffen.
Kandidat C, wie würden Sie vor diesem Hintergrund nun für § 556d Abs. 1 BGB argumentieren?
Im Rahmen der Abwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Eigentumsgarantie dem Grundrechtsträger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich erhalten und dem Einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen soll. Geschützt ist auch die Freiheit, aus der vertraglichen Überlassung des Eigentums zur Nutzung durch andere den Ertrag zu ziehen, der zur finanziellen Grundlage für die eigene Lebensgestaltung beiträgt. Soweit das Eigentum die persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich sichert, genießt es einen besonders ausgeprägten Schutz. Die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung geht auf der anderen Seite umso weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht. Das trifft auf die Miethöhenregulierung in besonderem Maße zu. Eine Wohnung hat für den Einzelnen und dessen Familie eine hohe Bedeutung. Bei der Abwägung der betroffenen Belange, insbesondere des Eigentums als Sicherung der Freiheit des Einzelnen im persönlichen Bereich einerseits und des Eigentums in seinem sozialen Bezug sowie seiner sozialen Funktion andererseits, verfügt der Gesetzgeber, angesichts des Umstands, dass sich grundrechtlich geschützte Positionen gegenüberstehen, über einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieser wird durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt. Insbesondere kann der Gesetzgeber die jeweiligen Verhältnisse und Umstände auf dem Wohnungsmarkt berücksichtigen und dabei den unterschiedlich zu gewichtenden Interessen bei einer Miethöhenregulierung im Bereich von Bestandsmieten einerseits und Wiedervermietungsmieten andererseits Rechnung tragen. Die Grenzen dieses Gestaltungsspielraums überschreitet die in § 556d Abs. 1 BGB gefundene Regelung vor diesem Hintergrund nicht.
Ganz wunderbar, das sollte uns mit Blick auf Art. 14 GG genügen. Kandidatin D, welches Freiheitsgrundrecht könnte von der Regelung noch betroffen sein?
Denkbar wäre eine Verletzung der Vertragsfreiheit, die ihren Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG genießt. Die Freiheit der Vertragsparteien, im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung die Gegenleistung nach ihren Vorstellungen auszuhandeln, erfasst zwar auch Vermieter von Wohnraum, die zivilrechtlich nicht Eigentümer der Mietwohnungen sind und deswegen nicht bereits durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt werden. Darüber hinaus schützt sie Wohnungssuchende, die sich durch ihre Bereitschaft, eine hohe Miete zu zahlen, Vorteile auf dem Wohnungsmarkt verschaffen wollen. § 556d Abs. 1 BGB hält sich aber innerhalb der Schranken der verfassungsmäßigen Rechtsordnung und wahrt insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insoweit gilt nichts anderes als im Rahmen des Art. 14 GG.
Da sind wir wohl alle einer Meinung. Kandidat A, welches Grundrecht ist auch noch in Betracht zu ziehen?
556d Abs. 1 BGB könnte gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Dafür bedarf es zunächst einer Ungleichbehandlung. Die Regelung stellt für die Bestimmung der zulässigen Miethöhe auf regional abweichende ortsübliche Vergleichsmieten ab. Damit geht eine Ungleichbehandlung zwangsläufig einher.
Welchen Maßstab legen Sie für die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung an, Kandidatin B?
Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Die regional abweichende ortsübliche Vergleichsmiete und die daraus folgenden Unterschiede bei der zulässigen Miethöhe wirken sich jedenfalls auf die Ausübung der grundrechtlich geschützten Eigentumsgarantie vor allem der Vermieter aus. Betroffen ist darüber hinaus die Freiheit beider Mietvertragsparteien, die Miethöhe im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung nach eigenen Vorstellungen auszuhandeln. Nach diesem Maßstab ist die Ungleichbehandlung hier über das Willkürverbot hinaus an strengeren Verhältnismäßigkeitserfordernissen zu messen.
Sie orientieren sich richtigerweise also an der „neuen Formel“ des Verfassungsgerichts. Lassen sie uns sofort auf die Angemessenheit zu sprechen kommen. Wie sieht es diesbezüglich aus, Kandidat C?
Dass Vermieter die Lage der zu vermietenden Wohnung nicht beeinflussen können, gebietet im Ausgangspunkt nicht, ihnen die Vermietung bis zu einer bundesweit einheitlichen Miethöhe zu ermöglichen. Denn die Wirtschaftlichkeit der Vermietung hängt ebenfalls von den auf den regionalen Mietmärkten vorherrschenden Bedingungen ab. Eine bundesweit einheitliche Mietobergrenze bleibt dazu aber ohne hinreichenden sachlichen Bezug. Zugleich fehlt es ihr an einer hinreichenden Anknüpfung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betroffenen Mieter, so dass eine solche Regelung der beabsichtigten Verdrängung einkommensschwächerer Mieter aus deren angestammten Wohnvierteln nicht effektiv entgegenwirken kann. Dem steht nicht entgegen, dass mit einer an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientierten Mietobergrenze im Einzelfall aufgrund regionaler Unterschiede wirtschaftliche Nachteile für Vermieterinnen und Vermieter einhergehen können. Eine regional niedrige ortsübliche Vergleichsmiete beruht darauf, dass im vierjährigen Ermittlungszeitraum nach § 558 Abs. 2 BGB für vergleichbare Wohnungen entsprechend niedrigere Mietabschlüsse zu verzeichnen gewesen sind. Eine die ortsübliche Vergleichsmiete übersteigende Miete würde daher zu einem Mietenanstieg in einem Umfang führen, den die Miethöhenregulierung im Interesse von Wohnungssuchenden und Bestandsmietern gerade verhindern möchte. Das Abstellen auf die örtliche Vergleichsmiete ist im Ergebnis deshalb auch verhältnismäßig.
À la bonne heure! Das soll uns genügen. Wie Sie also sehen, handelt es sich bei der sog. Mietpreisbremse einerseits um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Beachten Sie immer die Sozialbindung von Eigentum, die insbesondere bei Wohnräumen von höchster Bedeutung ist. Hinsichtlich Art. 3 Abs. 1 GG ist es auch zulässig, die ortsübliche Miete als Referenzpunkt auszuwählen. Damit wird die Marktbezogenheit der regulierten Miete und auch die Wirtschaftlichkeit der Vermietung sichergestellt. Darüber hinaus sind regionale Wohnungsmärkte je nach den Lebensumständen von vornherein unterschiedlich, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt die Differenzierung sachgerecht ist.
Vielen Dank, das war die Prüfung im Öffentlichen Recht.
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Schlagwortarchiv für: Wohnraum
Wir freuen uns sehr, heute einen Gastbeitrag von Jonas Lange, derzeit Rechtsreferendar am Landgericht Köln, veröffentlichen zu können. Der Beitrag befasst sich mit aktueller Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine Wohnraumkündigung.
I. Einleitung
Im 1. Staatsexamen an Bedeutung gewinnend, hat es im zweiten längst seinen festen Platz als Standardprüfungsstoff inne. Zudem ist es ein Teil des besonderen Schuldrechts, mit dem Studierende und Rechtsreferendare gleichermaßen auch abseits von Vorlesungen und Klausuren typischerweise in Berührung kommen (können) – das Mietrecht, speziell: das Kündigungsrecht über Wohnraum.
Gründe genug also, die zu dieser Thematik kürzlich ergangenen Entscheidungen des BGH zum Anlass zu nehmen, um das ordentliche Wohnraumkündigungsrecht des Vermieters zu beleuchten. Innerhalb einer Klausur wird die Frage der wirksamen Kündigung insbesondere bei der Prüfung eines möglichen Anspruchs des Vermieters gegen den Mieter auf Herausgabe des Mietobjekts gem. § 546 Abs.1 BGB zu diskutieren sein.
II. Rechtliche Grundlagen
Die Kündigung von Wohnraum bemisst sich nach den §§ 542, 543 BGB i.V.m. §§ 568 ff. BGB. Nach § 542 Abs.1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis nach den gesetzlichen Vorschriften kündigen, sofern es nicht auf bestimme Zeit geschlossen worden ist. Mietverhältnisse auf unbestimmte Zeit können mithin von beiden Parteien durch wirksame ordentliche oder wirksame außerordentliche Kündigung beendet werden. Sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung ist wirksam, wenn sie auf einem geeigneten Kündigungsrund beruht, formal ordnungsgemäß erklärt worden und nicht aufgrund besondere Umstände des Einzelfalles ausgeschlossen ist.
Die Formalien der ordentlichen Kündigung (Form – Frist – Inhalt) sind in den § 568 BGB, § 573c BGB geregelt. Als Gestaltungsrecht ist die Kündigung grundsätzlich bedingungsfeindlich. Ihre Erklärung wird mit Zugang wirksam.
Der Vermieter kann ferner nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, § 573 Abs.1 S.1 BGB (Ausn.: § 573a Abs.1 BGB). Ein berechtigtes Interesse zur ordentlichen Kündigung kann insb. aufgrund:
- nicht unerheblicher, schuldhafter Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Mieter,
- Eigenbedarfs des Vermieters oder
- der Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung des Grundstücks
gegeben sein, § 573 Abs.2 Nr.1-3.
Die Prüfung unbilliger Härte erfolgt auf Widerspruch des Vermieters gegen die Kündigung im Rahmen des § 574 BGB. Unbillige Härte liegt grundsätzlich vor, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts einen Nachteil (wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art) mit sich bringt, der die üblichen mit einem Umzug verbundenen Beschwernisse deutlich übersteigt und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nicht zumutbar ist.
III. Aktuelle Rechtsprechung des BGH
Der BGH hat sich im März diesen Jahres in gleich mehreren Entscheidungen zu den Voraussetzungen eines ordentlichen Kündigungsgrundes bzw. der unbilliger Härte einer Kündigung verhalten.
1. Urteil vom 29. März 2017 – Berufs- oder Geschäftsbedarf als anzuerkennendes Eigeninteresse (§ 573 Abs. 1 S. 1 BGB)?
Mit Urteil vom 29. März 2017 – VIII ZR 45/16 hat der BGH Leitlinien zum Umgang mit Wohnraumkündigungen wegen sog. Berufs- oder Geschäftsbedarfs gem. § 573 Abs.1 S.1 BGB formuliert und entschieden, dass es – entgegen verbreiteter Praxis – nicht zulässig ist, den Berufs- oder Geschäftsbedarf als ungeschriebene weitere Kategorie eines typischerweise anzuerkennenden Vermieterinteresses an der Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses zu behandeln. Vielmehr haben die Gerichte im Einzelfall festzustellen, ob ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses besteht.
Denn nur mit den typisierten Regeltatbeständen des § 573 Abs.2 BGB hat der Gesetzgeber für die praktisch bedeutsamsten Fallgruppen selbst geregelt, unter welchen Umständen der Erlangungswunsch des Vermieters Vorrang vor dem Bestandsinteresse des Mieters hat. Die Kündigung wegen Berufs- oder Geschäftsbedarfs unterfällt aber weder dem Kündigungstatbestand des Eigenbedarfs, § 573 Abs. 2 Nr.2 BGB, noch dem der wirtschaftlichen Verwertung i.S. des § 573 Abs.2 Nr.3 BGB. Bei der mithin Anwendung findenden Generalklausel des § 573 Abs.1 S.1 BGB verlangt das Gesetz aber stets eine einzelfallbezogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietvertragsparteien. Für die Bestimmung des berechtigten Interesses haben die Gerichte zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützt sind. Allgemein verbindliche Betrachtungen verbieten sich dabei. Für das Interesse des Vermieters, seine Wohnung zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken selbst zu nutzen, lassen sich allerdings anhand bestimmter Fallgruppen grobe Leitlinien bilden:
- So weist der Entschluss eines Vermieters, die Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, sondern dort zugleich überwiegend einer geschäftlichen Tätigkeit nachzugehen (sog. Mischnutzung), eine größere Nähe zum Eigenbedarf nach § 573 Abs.2 Nr.2 BGB auf, da er in solchen Konstellationen in der Wohnung auch einen persönlichen Lebensmittelpunkt begründen will. In diesen Fällen wird es regelmäßig ausreichen, dass dem Vermieter bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter Nachteil entstünde, was bei einer vernünftigen Abwägung der Lebens- und Berufsplanung des Vermieters häufig der Fall sein dürfte. Entsprechendes gilt, wenn die Mischnutzung durch den Ehegatten oder Lebenspartner des Vermieters erfolgen soll.
- Dagegen weisen Fälle, in denen der Vermieter oder sein Ehegatte/Lebenspartner die Wohnung ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken nutzen möchte, eine größere Nähe zur Verwertungskündigung nach § 573 Abs.2 Nr.3 BGB auf. Angesichts des Umstands, dass der Mieter allein aus geschäftlich motivierten Gründen von seinem räumlichen Lebensmittelpunkt verdrängt werden soll, muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, was etwa dann anzunehmen sein kann, wenn die geschäftliche Tätigkeit andernfalls nicht rentabel durchgeführt werden könnte oder die konkrete Lebensgestaltung die Nutzung der Mietwohnung erfordert (z.B. gesundheitliche Einschränkungen, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen).
2. Urteil vom 15. März 2017 – Umfang der Prüfpflicht der Gerichte mit den vom Mieter vorgetragenen Härtegründen (§ 574 Abs. 1 BGB)?
Mit Urteil vom 15. März 2017 – VIII ZR 270/15 hat der BGH zu der Frage Stellung bezogen, in welchem Umfang sich Gerichte mit den von Mietern vorgetragenen Härtegründen im Rahmen des § 574 Abs.1 BGB auseinanderzusetzen haben. Danach hat sich das angerufene Gericht in der gebotenen Weise, d.h. stets eigenständig (u.U. mittels eines Sachverständigen), eingehend und umfassend mit dem Inhalt der vorgetragenen Härten auseinanderzusetzen, die einen Verbleib in der Wohnung rechtfertigen könnten. Dieser Prüfpflicht kommt das Gericht insbesondere dann nicht nach, wenn es den Parteivortrag zu den Härtegründen lediglich formal als wahr unterstellt.
Gerade bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr seien die Gerichte verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen sowie den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Mache ein Mieter schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsels geltend, müssten sich die Gerichte bei Fehlen eigener Sachkunde mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen für den Mieter mit einem Umzug verbunden seien, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen erreichen könnten und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese eintreten könnten. Erst dies versetze die Gerichte in einem solchen Fall in die Lage, die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden seien, im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB notwendigen Abwägung sachgerecht zu gewichten.
III. Fazit
Losgelöst von den behandelten Fällen sollte sich der Leser im Prüfungsfall stets vergegenwärtigen, dass sowohl § 573 BGB als auch § 574 BGB Ausfluss des sozialen Mietrechts sind.
Ursprünglich als Ausgleich der unterschiedlichen Marktstellungen von Vermieter und Mieter in Regionen mit besonderem Wohnungsbedarf gedacht, dient § 573 BGB mittlerweile dem allgemeinen Schutz des vertragstreuen Mieters vor dem Verlust seiner Wohnung als Mittelpunkt seiner Lebensführung. Die damit verbundene Einschränkung der Vermieterrechte findet in der Sozialpflichtigkeit des Eigentums aus Art 14 Abs.2 GG seine Rechtfertigung und Grenzen gleichermaßen. Ziel des § 574 BGB ist es, soziale Notstände des Einzelfalls, die sich aus persönlichen Umständen, oder im Zusammenhang mit der alten oder einer neuen Wohnung stehenden, ergeben können, abzuwenden. Wer dies berücksichtigt, wird auch andersgelagerte Fallkonstellationen sachgerecht lösen können.
Mietrecht ist – vor allem im 2. Staatsexamen – ein echter Klausur-Dauerbrenner. Dies liegt vor allem an der hohen Fallzahl; die Praxis liefert immer wieder „Material“ für die Examensprüfungen. Überwiegend geht es dabei um rechtliche Konflikte bei Wohnraummietverhältnissen.
Eine aktuelle und recht skurrile Entscheidung des BGH (Urteil vom 4.6.2014 – VIII ZR 289/13) soll zum Anlass genommen werden, grundlegendes Wissen zur Kündigung von Wohnraummietverhältnissen zu wiederholen. Dem Fall lag der folgende Sachverhalt zugrunde (nach BGH-Pressemitteilung Nr. 90/2014):
Sachverhalt
Der Beklagte ist seit Juli 2006 Mieter eines Hauses der Klägerin. Am 16. August 2012 suchte die Klägerin den Beklagten vereinbarungsgemäß auf, um zwischenzeitlich installierte Rauchmelder in Augenschein zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit versuchte die Klägerin, das gesamte Haus zu inspizieren und gegen den Willen des Beklagten auch Zimmer zu betreten, die nicht mit Rauchmeldern versehen waren. Sie öffnete dabei ein Fenster und nahm Gegenstände von der Fensterbank. Der Aufforderung des Beklagten, das Haus zu verlassen, kam die Klägerin nicht nach. Daraufhin umfasste der Beklagte die Klägerin mit den Armen und trug sie aus dem Haus. Wegen dieses Vorfalls erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 29. August 2012 die fristlose und hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses.
Ist die Kündigung wirksam?
Systematik des Mietrechts
Eine fristlose Kündigung ist gem. § 543 Abs. 1 BGB nur möglich, wenn ein „wichtiger Grund“ für die Auflösung des Mietverhältnisses vorliegt. Dies ist keine Besonderheit, sondern bei der außerordentlichen Kündigung von Dauerschuldverhältnisses vielmehr die Regel. Die Vorschriften zur Kündigung im Mietverhältnis gehen insofern als spezielle Regeln der allgemeinen Vorschrift des § 314 BGB vor. Bei Wohnraummietverhältnissen sind neben § 543 BGB auch noch die Vorgaben der §§ 568 ff. BGB zu beachten. Diese auf den ersten Blick verwirrende Systematik macht das Wohnraummietrecht als Prüfungsstoff im Examen so beliebt, denn hier kann der Prüfer Systemverständnis zeigen. Die AT/BT-Regelungstechnik wird im Wohnraummietrecht in einer dreifachen Schachtelung verwendet. Neben den allgemeinen Mietrechtsvorschriften in §§ 535 – 548 BGB gibt es einen AT für Mietverhältnisse über Wohnraum (§§ 549 – 555 BGB) und dann nochmal einen AT für die Beendigung von Wohnraummietverhältnissen (§§ 568 – 576b BGB).
Auch für eine ordentliche Kündigung sind gleich mehrere Vorschriften relevant, jedoch muss hier „nur“ auf zwei Ebenen der AT/BT-Systematik zurückgegriffen werden. Ausgangspunkt ist § 573 Abs. 1 BGB, wonach die Kündigung durch den Vermieter (!) nur bei einem „berechtigten Interesse“ zulässig ist. Im allgemeinen Mietrecht (§§ 535 ff. BGB) ist eine ordentliche Kündigung hingegen gerade ohne Grund möglich.
Lösung des BGH
Der für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass die von der Klägerin erklärte Kündigung weder als fristlose Kündigung (§ 543 Abs. 1 BGB) noch als ordentliche Kündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB) wirksam ist. Nach beiden Vorschriften muss – wenn auch in unterschiedlich starker Form – ein Kündigungsgrund gegeben sein. Insofern kam vorliegend nur eine (Neben-) Pflichtverletzung durch den Mieter durch das Heraustragen (Beeinträchtigung von Freiheit und ggf. körperlicher Integrität der Vermieterin) in Betracht. Dies lehnte der BGH zu Recht ab.
Die Parteien hatten verabredet, dass die Klägerin (lediglich) die Räume mit den angebrachten Rauchmeldern in Augenschein nehmen sollte. Zu einer weiteren eigenmächtigen Besichtigung sei die Klägerin daher nicht berechtigt gewesen. Dem ist zuzustimmen: Hausrechtsinhaber ist in erster Linie der Mieter. Er ist auch gegenüber dem Vermieter nach Art. 13 GG geschützt. Indem hier die Vermieterin gegen den Willen des Beklagten versuchte, die Zimmer des Hauses zu kontrollieren, und seiner Aufforderung, das Haus zu verlassen, nicht nachkam, hat sie also das Hausrecht des Beklagten verletzt. Nach Ansicht des BGH trage sie deshalb zumindest eine Mitschuld an dem nachfolgenden Geschehen. Angesichts der Gesamtumstände, insbesondere des vorangegangenen pflichtwidrigen Verhaltens der Klägerin, stelle das mit der Kündigung beanstandete Verhalten des Beklagten – selbst wenn er damit die Grenzen erlaubter Notwehr (geringfügig) überschritten haben sollte – jedenfalls keine derart gravierende Pflichtverletzung dar, dass der Klägerin deshalb die weitere Fortsetzung des Mietverhältnis nicht zugemutet werden könne (§ 543 Abs. 1 Satz 2 BGB). Auch von einer Vertragsverletzung von einem Gewicht, das ein „berechtigtes Interesse“ der Klägerin an der Beendigung des Mietvertrags rechtfertigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB), könne unter diesen Umständen nicht ausgegangen werden.
Schema: Fristlose Kündigung von Wohnraummietverhältnissen
Gedanklich sollte bei einer fristlosen Kündigung zumindest das nachfolgende Schema durchgegangen werden. Je nach Kündigungsgrund (insb. bei Zahlungsverzug des Mieters) treten weitere Voraussetzungen hinzu.
1. Mietvertrag (§ 535 BGB)
2. Form: schriftlich gem. § 568 Abs. 1 BGB unter Angabe
a) des Kündigungsgrundes gem. § 569 Abs. 4 BGB und
b) Hinweis auf Widerspruchsmöglichkeit gem. §§ 568 Abs. 2, 574 ff. BGB
3. Wichtiger Grund i.S.v. § 543 Abs. 1 BGB
a) allgemeine Definition in § 543 Abs. 1 S. 2 BGB
b) konkretisierende Beispiele in § 543 Abs. 2 BGB
c) bei Wohnraum zusätzlich § 569 BGB
4. Bei Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag idR erst Abmahnung, § 543 Abs. 3 BGB
5. Bei Kündigung durch Mieter: Kein Ausschluss nach § 543 Abs. 4 BGB
6. Bei Kündigung des Vermieters: Kein Widerspruch des Mieters gem. § 574 ff. BGB
In einem aktuellen Urteil (BGH vom 10.7.2013 – VIII ZR 388/12; vgl. hierzu die Pressemitteilung Nr. 11/13) entschied der BGH, dass bei einer unwirksamen Befristung in einem Mietvertrag im Wege ergänzender Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) von einem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit für den Befristungszeitraum auszugehen sei. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Sachverhalt
Der Beklagte mietete von der Klägerin ab dem 1. November 2004 eine Wohnung. Der Vertrag enthält folgende Bestimmung:
„Das Mietverhältnis ist auf Verlangen des Mieters auf bestimmte Zeit abgeschlossen. Es beginnt am 1. November 2004 und endet am 31. Oktober 2011, wenn es nicht verlängert wird mit 2 x 3-jähriger Verlängerungsoption.“
Mit Schreiben vom 28. Februar 2011 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 31. August 2011. Mit Schreiben vom 2. Oktober 2012 kündigte sie fristlos. Der Beklagte zog jedoch nicht aus. Die Klägerin verlangte daraufhin die Räumung der Wohnung.
Unwirksamkeit der Befristung
Die Befristungsabrede ist unwirksam. Vorliegend ist zu beachten, dass bei einem Mietverhältnis über Wohnraum neben den allgemeinen Mietrechtsvorschriften auch die Sonderregeln des Untertitels 2 (§§ 549 ff. BGB) eingreifen. Eine Befristung ist bei Wohnraummietverhältnissen nur nach § 575 BGB möglich:
(1) Ein Mietverhältnis kann auf bestimmte Zeit eingegangen werden, wenn der Vermieter nach Ablauf der Mietzeit
1. die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts nutzen will,
2. in zulässiger Weise die Räume beseitigen oder so wesentlich verändern oder instand setzen will, dass die Maßnahmen durch eine Fortsetzung des Mietverhältnisses erheblich erschwert würden, oder
3. die Räume an einen zur Dienstleistung Verpflichteten vermieten will
und er dem Mieter den Grund der Befristung bei Vertragsschluss schriftlich mitteilt. Anderenfalls gilt das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.
(2) …
(4) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift waren im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Befristung ist somit unwirksam, das Mietverhältnis gilt gem. § 575 Abs. 1 S. 2 BGB als auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Aber: Ordentliche Kündigung ausgeschlossen
Die Wirkung einer Befristungsabrede ist, dass die ordentliche Kündigung für den Befristungszeitraum ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich – trotz der speziellen Regelung in § 575 BGB – aus der allgemeinen Vorschrift des § 542 Abs. 2 Nr. 1 BGB (s. nur MüKO-BGB/Häublein, 6. Aufl. 2012, § 575 Rn. 4). Der „Clou“ der hier besprochenen Entscheidung ist nun, dass der BGH im Wege ergänzender Vertragsauslegung trotz der Unwirksamkeit der Befristungsabrede letztlich dieselbe Rechtsfolge herstellt.
Exkurs: Dogmatische Grundlage des Rechtsinstituts der ergänzenden Vertragsauslegung sind nach hM §§ 133, 157 BGB (ausführlich MüKO-BGB/Busche, 6. Aufl. 2012, § 157 Rn. 26 ff.). Voraussetzung ist zunächst eine Lücke in der vertraglichen Regelung. Diese ist gegeben, „wenn der Vertrag innerhalb des durch ihn gesteckten Rahmens oder innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen ergänzungsbedürftig ist“ (BGHZ 77, 301, 304). Diese Lücke ist durch eine ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen. Dabei ist darauf abzustellen, „was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall bedacht hätten” (BGHZ 169, 215, 219). Dabei darf die Auslegung des Vertrages nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen und muss in dem Vertrag auch eine Stütze finden (BGHZ 9, 273; BGHZ 40, 91, 103).
Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies: Aufgrund der Unwirksamkeit nach § 575 BGB ist im Vertrag eine Lücke entstanden. Diese ist nach dem BGH durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Da das von beiden Parteien verfolgte Ziel einer langfristigen Bindung an den Mietvertrag durch einen beiderseitigen Kündigungsverzicht erreicht werden könne, sei ein solcher Ausschluss der ordentlichen Kündigung für die Dauer der Befristung anzunehmen.
Typische Klausur im (Wohnraum-) Mietrecht
Der Fall ist typisch für eine Klausur im Mietrecht. Hier zeichnet sich eine gute Arbeit vor allem durch ein systematisches Verständnis des Mietrechts aus. Das Ineinadergreifen der AT- und BT-Vorschriften ist gerade bei Wohnraummietverhältnissen bei bloßem Durchblättern des Gesetzes nicht immer einfach zu verstehen – hier hilft ein schneller Blick in das Inhaltsverzeichnis. Danach wird deutlich: Es gibt neben dem „allgemeinen AT“ des Mietrechts (§§ 535 ff. BGB) noch einen „besonderen AT“ nur für Wohnraummietverhältnisse (§§ 549-555 BGB) und dann noch die besonderen Vorschriften für Wohnraummietverhältnisse (§§ 556 ff. BGB).
Neben diesen systematischen Schwierigkeiten eignet sich das Mietrecht auch deshalb gut für Examensklausuren, weil es sich ideal mit Problemen aus dem BGB AT (Zugang einer Kündigung, Stellvertretung etc.) und des allgemeinen Schuldrechts (vor allem AGB-Recht, aber zB auch Vertrag mit SchuWi) kombinieren lässt.