BGH: Zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses, wenn der Mieter die Vermieterin aus dem Haus trägt
Mietrecht ist – vor allem im 2. Staatsexamen – ein echter Klausur-Dauerbrenner. Dies liegt vor allem an der hohen Fallzahl; die Praxis liefert immer wieder „Material“ für die Examensprüfungen. Überwiegend geht es dabei um rechtliche Konflikte bei Wohnraummietverhältnissen.
Eine aktuelle und recht skurrile Entscheidung des BGH (Urteil vom 4.6.2014 – VIII ZR 289/13) soll zum Anlass genommen werden, grundlegendes Wissen zur Kündigung von Wohnraummietverhältnissen zu wiederholen. Dem Fall lag der folgende Sachverhalt zugrunde (nach BGH-Pressemitteilung Nr. 90/2014):
Sachverhalt
Der Beklagte ist seit Juli 2006 Mieter eines Hauses der Klägerin. Am 16. August 2012 suchte die Klägerin den Beklagten vereinbarungsgemäß auf, um zwischenzeitlich installierte Rauchmelder in Augenschein zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit versuchte die Klägerin, das gesamte Haus zu inspizieren und gegen den Willen des Beklagten auch Zimmer zu betreten, die nicht mit Rauchmeldern versehen waren. Sie öffnete dabei ein Fenster und nahm Gegenstände von der Fensterbank. Der Aufforderung des Beklagten, das Haus zu verlassen, kam die Klägerin nicht nach. Daraufhin umfasste der Beklagte die Klägerin mit den Armen und trug sie aus dem Haus. Wegen dieses Vorfalls erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 29. August 2012 die fristlose und hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses.
Ist die Kündigung wirksam?
Systematik des Mietrechts
Eine fristlose Kündigung ist gem. § 543 Abs. 1 BGB nur möglich, wenn ein „wichtiger Grund“ für die Auflösung des Mietverhältnisses vorliegt. Dies ist keine Besonderheit, sondern bei der außerordentlichen Kündigung von Dauerschuldverhältnisses vielmehr die Regel. Die Vorschriften zur Kündigung im Mietverhältnis gehen insofern als spezielle Regeln der allgemeinen Vorschrift des § 314 BGB vor. Bei Wohnraummietverhältnissen sind neben § 543 BGB auch noch die Vorgaben der §§ 568 ff. BGB zu beachten. Diese auf den ersten Blick verwirrende Systematik macht das Wohnraummietrecht als Prüfungsstoff im Examen so beliebt, denn hier kann der Prüfer Systemverständnis zeigen. Die AT/BT-Regelungstechnik wird im Wohnraummietrecht in einer dreifachen Schachtelung verwendet. Neben den allgemeinen Mietrechtsvorschriften in §§ 535 – 548 BGB gibt es einen AT für Mietverhältnisse über Wohnraum (§§ 549 – 555 BGB) und dann nochmal einen AT für die Beendigung von Wohnraummietverhältnissen (§§ 568 – 576b BGB).
Auch für eine ordentliche Kündigung sind gleich mehrere Vorschriften relevant, jedoch muss hier „nur“ auf zwei Ebenen der AT/BT-Systematik zurückgegriffen werden. Ausgangspunkt ist § 573 Abs. 1 BGB, wonach die Kündigung durch den Vermieter (!) nur bei einem „berechtigten Interesse“ zulässig ist. Im allgemeinen Mietrecht (§§ 535 ff. BGB) ist eine ordentliche Kündigung hingegen gerade ohne Grund möglich.
Lösung des BGH
Der für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass die von der Klägerin erklärte Kündigung weder als fristlose Kündigung (§ 543 Abs. 1 BGB) noch als ordentliche Kündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB) wirksam ist. Nach beiden Vorschriften muss – wenn auch in unterschiedlich starker Form – ein Kündigungsgrund gegeben sein. Insofern kam vorliegend nur eine (Neben-) Pflichtverletzung durch den Mieter durch das Heraustragen (Beeinträchtigung von Freiheit und ggf. körperlicher Integrität der Vermieterin) in Betracht. Dies lehnte der BGH zu Recht ab.
Die Parteien hatten verabredet, dass die Klägerin (lediglich) die Räume mit den angebrachten Rauchmeldern in Augenschein nehmen sollte. Zu einer weiteren eigenmächtigen Besichtigung sei die Klägerin daher nicht berechtigt gewesen. Dem ist zuzustimmen: Hausrechtsinhaber ist in erster Linie der Mieter. Er ist auch gegenüber dem Vermieter nach Art. 13 GG geschützt. Indem hier die Vermieterin gegen den Willen des Beklagten versuchte, die Zimmer des Hauses zu kontrollieren, und seiner Aufforderung, das Haus zu verlassen, nicht nachkam, hat sie also das Hausrecht des Beklagten verletzt. Nach Ansicht des BGH trage sie deshalb zumindest eine Mitschuld an dem nachfolgenden Geschehen. Angesichts der Gesamtumstände, insbesondere des vorangegangenen pflichtwidrigen Verhaltens der Klägerin, stelle das mit der Kündigung beanstandete Verhalten des Beklagten – selbst wenn er damit die Grenzen erlaubter Notwehr (geringfügig) überschritten haben sollte – jedenfalls keine derart gravierende Pflichtverletzung dar, dass der Klägerin deshalb die weitere Fortsetzung des Mietverhältnis nicht zugemutet werden könne (§ 543 Abs. 1 Satz 2 BGB). Auch von einer Vertragsverletzung von einem Gewicht, das ein „berechtigtes Interesse“ der Klägerin an der Beendigung des Mietvertrags rechtfertigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB), könne unter diesen Umständen nicht ausgegangen werden.
Schema: Fristlose Kündigung von Wohnraummietverhältnissen
Gedanklich sollte bei einer fristlosen Kündigung zumindest das nachfolgende Schema durchgegangen werden. Je nach Kündigungsgrund (insb. bei Zahlungsverzug des Mieters) treten weitere Voraussetzungen hinzu.
1. Mietvertrag (§ 535 BGB)
2. Form: schriftlich gem. § 568 Abs. 1 BGB unter Angabe
a) des Kündigungsgrundes gem. § 569 Abs. 4 BGB und
b) Hinweis auf Widerspruchsmöglichkeit gem. §§ 568 Abs. 2, 574 ff. BGB
3. Wichtiger Grund i.S.v. § 543 Abs. 1 BGB
a) allgemeine Definition in § 543 Abs. 1 S. 2 BGB
b) konkretisierende Beispiele in § 543 Abs. 2 BGB
c) bei Wohnraum zusätzlich § 569 BGB
4. Bei Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag idR erst Abmahnung, § 543 Abs. 3 BGB
5. Bei Kündigung durch Mieter: Kein Ausschluss nach § 543 Abs. 4 BGB
6. Bei Kündigung des Vermieters: Kein Widerspruch des Mieters gem. § 574 ff. BGB
Steht dem Punkt „6. Bei Kündigung des Vermieters: Kein Widerspruch des Mieters gem. § 574 ff. BGB“ i.R.d. Schemas für die fristlose Kündigung nicht der § 574 I 2 BGB entgegen, wonach dies (d.h. der Widerspruch) ja gerade nicht bei Vorliegen eines Grundes gelten soll, der zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt?
Ja, das ist grundsätzlich richtig, das Schema ist an der Stelle etwas ungenau (sollte aber auch nur eine kurze Gedankenstütze sein). Wegen § 574 Abs. 1 S. 2 BGB gilt das Widerspruchsrecht grundsätzlich nicht bei einer außerordentlichen Kündigung. Aber: Bei einer außerordentlichen Kündigung mit gesetzlicher Frist gemäß § 573d gilt die Widerspruchsbefugnis ebenfalls sowie weiterhin nach ausdrücklicher Regelung in § 575a Abs2 bei der außerordentlichen Kündigung mit gesetzlicher Frist von Mietverhältnissen auf bestimmte Zeit (Hannappel, in: BeckOK BGB, § 574 Rn. 7).