Wir freuen uns sehr, heute einen Gastbeitrag von Tobias Kromm veröffentlichen zu können. Der Autor hat an den Universitäten Bonn und Salamanca Rechtswissenschaften studiert und arbeitet derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Küttner Rechtsanwälte.
I. Ein Klausurklassiker in neuem Gewand
Drei-Personen-Verhältnisse sind beständig dazu geeignet, Examenskandidaten ins Schwitzen oder zumindest ins Grübeln zu bringen – besonders dann, wenn es um Fälle der Untervermietung geht. Der nachfolgende Sachverhalt wurde am 18. April 2018 vom BGH (XII ZR 76/17 – NZM 2018, 601) entschieden und setzt sich inhaltlich mit der Frage auseinander, ob der Abschluss eines Mietaufhebungsvertrages zwischen Vermieter und Mieter trotz bestehenden Untermietverhältnisses wirksam möglich ist oder ob ein solcher Vertrag an der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB scheitert. Diese Konstellation aus Vermieter, Hauptmieter und Untermieter betrifft das examensrelevante Mietrecht, insbesondere den atypischen, schuldrechtlichen Räumungsanspruch aus § 546 Abs. 2 BGB. Dieser sichert dem Vermieter einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Untermieter zu, obwohl beide in keinerlei vertraglicher Beziehung zueinanderstehen. Der BGH setzte sich in dieser aktuellen Entscheidung schwerpunktmäßig mit der Sittenwidrigkeit auseinander, insbesondere wird die Verleitung zum Vertragsbruch erörtert. Gerade in diesem Bereich lässt sich mit einer gut durchdachten, eigenen Argumentation in der Klausur punkten.
II. Sachverhalt (vereinfacht und gekürzt)
Der Vermieter (V) vermietete ein Gelände zur Durchführung von Rennveranstaltungen an den Mieter (M) mit befristetem Mietvertrag bis zum 31.08.2024. Zwecks Durchführung der Rennveranstaltungen wurde das Gelände von M an den Untermieter (U) weitervermietet. Der zugrundeliegende Mietvertrag sah eine Untervermietung zwecks Durchführung der Rennen ausdrücklich vor. In der Untermietvereinbarung zwischen M und U war eine Laufzeit bis zum 31.08.2024 vorgesehen. Nach einer wirtschaftlich kaum profitablen Zeit, welche mit Verlusten des U und Ausgleichszahlungen des M an V verbunden war, beabsichtigte der V die Vermietung des Geländes an einen anderen Mieter. Zu diesem Zweck schlossen V und M am 05.08.2014 einen Aufhebungsvertrag. Im Zuge des Vertragsschlusses erhielt M eine größere Summe als Entschädigung und Ausgleich für die im Rahmen des Rennbetriebs übernommenen Investitionen. M kündigte daraufhin U gegenüber den Untermietvertrag und forderte die Herausgabe des Geländes. Der U ist der Ansicht, dass der Aufhebungsvertrag sittenwidrig und daher nichtig sei, insbesondere sieht U in dem Verhalten von M und V ein kollusives Zusammenwirken zu seinem Nachteil. Der V begehrt nun seinerseits die Räumung und Herausgabe des Mietobjekts von U.
III. Entscheidung des BGH
Der V macht einen Anspruch auf Rückgabe der Mietsache aus § 546 Abs. 2 BGB gegen den U geltend. Tatbestandliche Voraussetzung dafür ist die Beendigung des zugrundeliegenden Mietverhältnisses zwischen V und M. Das Mietverhältnis war nicht durch Zeitablauf beendet. Gerade in Bezug auf befristete Mietverhältnisse ist zu beachten, dass diese grundsätzlich erst mit Zeitablauf enden. Es besteht dann lediglich die Möglichkeit in den gesetzlich bestimmten Fällen im Wege einer außerordentlichen Kündigung eine Beendigung herbeizuführen.
Auch wenn es im vorliegenden Fall aufgrund der Gewerberaummiete nicht von Bedeutung war, sei als Exkurs angemerkt, dass bei Wohnraummiete aus Mieterschutzaspekten für befristete Mietverträge die strengen Voraussetzungen der §§ 575 f. BGB erfüllt sein müssen. In der Praxis wird die Norm häufig durch vertraglichen Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts für eine bestimmte Zeit umgangen. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 13.10.2010 – VIII ZR 98/10, NJW 2011, 59 Rdnr. 25; Urt. v. 10.07.2013 – VIII ZR 388/12 , NJW 2013, 2820 Rdnr. 17) in Form eines beidseitigen Kündigungsausschlusses für bis zu 4 Jahre möglich. Die in der vorliegenden Konstellation zugrundeliegende Gewerberaummiete ist von dieser Einschränkung mangels Verweises in § 578 Abs. 1 BGB nicht umfasst.
Das Mietverhältnis könnte aber durch den zwischen V und M abgeschlossenen Aufhebungsvertrag gemäß § 311 Abs. 1 BGB beendet worden sein. Dies ist nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit möglich – auch bei Nutzungsüberlassung durch den Mieter an Dritte. Der U hält dem Räumungsverlangen des V entgegen, dass der Aufhebungsvertrag gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sei. Er, der U, sei durch das kollusive Zusammenwirken von V und M in sittenwidriger Art und Weise geschädigt worden. Der BGH formulierte zur Sittenwidrigkeit in der oben genannten Entscheidung folgendes:
„Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann.“
Zunächst prüfte der BGH, ob der grundlose Entzug der Nutzungsmöglichkeit des Untermieters eine Sittenwidrigkeit begründet. Dies sei dann der Fall, wenn V und M keine vernünftigen Gründe für die Beendigung des Mietverhältnisses hatten. Eine subjektive gemeinsame Schädigungsabsicht sei für die Annahme der Sittenwidrigkeit nicht ausreichend. Vielmehr müsse die Rechtsstellung des Dritten tatsächlich verschlechtert werden. Das Rechtsgeschäft müsste somit in objektiver Hinsicht nachteilig für den Dritten sein. Daher sei der Abschluss eines Mietaufhebungsvertrages zumindest dann nicht sittenwidrig, wenn dem Hauptmieter (M) gegenüber dem Dritten (U) ein ordentliches Kündigungsrecht zustehe.
Der U betrieb die Rennveranstaltungen seit Jahren wirtschaftlich defizitär. V habe als Eigentümer grundsätzlich das Recht, das Grundstück für die Zukunft einer wirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Dies sei als vernünftiger Grund für die vorzeitige Beendigung des Mietvertrages zu qualifizieren und als Entscheidung des Eigentümers von den Gerichten nicht weiter zu überprüfen, so der BGH. Auch für den M bestünden vorliegend vernünftige Gründe den Mietvertrag vorzeitig aufzuheben. Der M habe gegenüber V weitreichende finanzielle Verpflichtungen aus dem Mietvertrag, insbesondere sei der M dem V gegenüber zum Ausgleich für Schäden und ausstehende Zahlungen des U verpflichtet. Diesen aufgrund des unrentablen Betriebs durch U teilweise immensen Forderungen könne der M nicht nachkommen. Auch diese betriebswirtschaftlichen Erwägungen des M stellen sich, so der BGH, als vernünftige Gründe für den Aufhebungsvertrag dar. Damit sei der Mietaufhebungsvertrag keinesfalls ohne vernünftigen Grund geschlossen worden.
Zudem ergebe die Auslegung der Untermietvereinbarung, dass dem M ein ordentliches Kündigungsrecht gegenüber U zustand. Der M sei berechtigt halbjährlich zu kündigen, die aufgeführte Vertragsdauer bis zum 31. August 2024 sei als Höchstlaufzeit zu qualifizieren.
Auch Begleitumstände seien grundsätzlich geeignet, eine Sittenwidrigkeit zu begründen. Im konkreten Fall seien insbesondere Zahlungen an den M im Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrages genauer in den Blick zu nehmen. Da diese jedoch auch als Ausgleich für zuvor getätigte Ausgaben zur Aufrechterhaltung des Rennsportbetriebs gezahlt wurden, sei auch dieser Begleitumstand nicht geeignet, eine Sittenwidrigkeit des Mietaufhebungsvertrages zu begründen. Es sei hier nicht in sittlich zu missbilligender Art und Weise eine Schädigung des U durch die zusätzlichen Zahlungen von V an M erkauft worden – eine Wertung, die zumindest diskussionswürdig ist und im Rahmen einer Klausur Raum für Argumentation bietet. Im Ergebnis ist aber richtigerweise festzuhalten, dass ein Ausgleichsanspruch des M gegenüber V in der exakten Höhe der geleisteten Zahlung nicht bestehen muss. Es reicht vielmehr, dass die Zahlung nicht den Zweck verfolgte, eine Schädigung des U zu entlohnen, sondern einen Ausgleich für die über die Jahre des Rennsportbetriebs hinweg erbrachten finanziellen Leistungen darstellen sollte.
Damit bleibt festzuhalten: Der Mietaufhebungsvertrag zwischen V und M ist nicht sittenwidrig. Das Mietverhältnis zwischen V und M ist wirksam beendet. Damit steht dem V gegen M ein Räumungsanspruch aus § 546 Abs. 2 BGB zu. Zudem kommt dem V ein Räumungsanspruch aus § 985 BGB zu, da der U kein abgeleitetes Besitzrecht aus § 986 BGB (mehr) geltend machen kann.
IV. Fazit
Diese interessante Entscheidung des BGH illustriert zum einen den für Studenten häufig schwer fassbaren Begriff der Sittenwidrigkeit und behandelt zum anderen eine typische Drei-Personen-Konstellation des BGB. Zudem ist der schuldrechtliche Räumungsanspruch zwischen Personen, die gerade keine vertragliche Beziehung zueinander haben, als atypische Besonderheit im Hinterkopf zu behalten. In der Klausur kann der Examenskandidat besonders im Rahmen der Begründung der Sittenwidrigkeit von vertraglichen Vereinbarungen mit einer versierten Argumentation an der richtigen Stelle wichtige Punkte sammeln.
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