Das Bundesverfassungsgericht hat am heutigen 6.6.2013 die vor allem rechtspolitisch hoch umstrittene Frage entschieden, ob eine Ausdehnung des Ehegattensplitting auch auf die Lebenspartner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft geboten ist (2 BvR 909/06; 2 BvR 1981/06; 2 BvR 288/07). Das Bundesverfassungsgericht stellte nun fest: „Die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften und Ehen beim Ehegattensplitting ist verfassungswidrig.“
I. Sachverhalt
Für homosexuelle Partnerschaften besteht in Deutschland nicht die Möglichkeit eine Ehe einzugehen. Stattdessen wurde für sie aber 2001 die der Ehe angenäherte Form der eingetragenen Lebenspartnerschaft geschaffen, die im Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) geregelt ist. Die Ehe steht damit weiterhin nur gemischt-geschlechtlichen Paaren zu.
An die Ehe sind aber diverse Privilegierungen geknüpft, die den eingetragenen Lebanspartnern nicht zustehen. Hier relevant war das sog. Ehegattensplitting, das seine Grundlagen im Einkommenssteuergesetz hat. Regelungen hierzu finden sich in §§ §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG. Grob zusammengefasst bedeuten die Regelungen, dass nicht jeder Ehepartner sein Einkommen separat versteuert, sondern eine gemeinsame Veranlagung zu erfolgen hat. Das Gesamteinkommen der Ehepartner wird also halbiert und die Steuern werden dann jeweils anhand dieses Einkommens berechnet. Steuerersparnisse sind insbesondere dann möglich, wenn die Einkommensdifferenz zwischen den einzelnen Ehepartnern sehr hoch ist.
Die Beschwerdeführer haben im konkreten Fall gerügt, dass diese Privilegierung nur die Ehen, nicht aber die eingetragenen Lebenspartnerschaften betrifft und damit ohne sachlichen Grund differenziert wird.
II. Entscheidung des BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass diese Privilegierung der Ehe gegenüber der eingetragenen Lebenspartnerschaft unzulässig sei.
1. Verletzung von Art. 3 GG
Maßstab der Prüfung muss hier der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG sein. Das Bundesverfassungsgericht stellt in diesem Zusammenhang aber auch fest, dass die vorliegende Ungleichbehandlung den Vorgaben des Art. 3 Abs. 3 GG nahekommt und deshalb besonders rechtsfertigungsbedürftig sei. Die Unterscheidung zwischen zwei Partnerschaftsformen ist hier auch eine Unterscheidung hinsichtlich der sexuellen Orientierung.
Im Fall der Ungleichbehandlung von Personengruppen besteht regelmäßig eine strenge Bindung des Gesetzgebers an die Erfordernisse des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Anforderungen an die Rechtfertigung sind umso strenger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale an die des Art. 3 Abs. 3 GG annähern, das heißt je größer die Gefahr ist, dass die Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt. Dies ist bei Differenzierungen nach der sexuellen Orientierung der Fall.
2. Rechtfertigung allein aus Art. 6 Abs. 1 GG
Eine Möglichkeit der Rechtfertigung könnte sich aber aus dem Gebot der Privilegierung der Ehe aus Art. 6 GG ergeben. Unter Ehe in diesem Sinne ist weiterhin allein die Ehe zwischen Mann und Frau, nicht aber die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft zu verstehen. Fraglich ist also, ob die Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG als sachliche Rechtfertigung ausreicht. Dies verneint das BVerfG sehr knapp indem es darlegt:
Allein der besondere Schutz der Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG vermag die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft nicht zu rechtfertigen. Die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG bildet einen sachlichen Differenzierungsgrund, der in erster Linie dazu geeignet ist, die Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften besser zu stellen, die durch ein geringeres Maß an wechselseitiger Pflichtbindung geprägt sind. Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer, in vergleichbarer Weise rechtlich verbindlich verfasster Lebensformen einher, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung indes nicht.
Die Privilegierung soll folglich nicht absolut greifen, sondern nur gegenüber anderen weniger starken partnerschaftlichen Verbindungen. Mit dieser Darlegung nähert das Bundesverfassungsgericht folglich die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe stark an, indem es klarstellt, dass eine besondere Privilegierung nicht geboten ist.
3. Rechtfertigung aus weiteren Sachgründen
Das Bundesverfassungsgericht prüft aber dann, ob nicht weitere Sachgründe eine Privilegierung der Ehe begründen können. Der Status der Ehe reicht folglich nicht als Rechtfertigung, sodass geprüft wird, ob mit dem Status der Ehe im Zusammenhang stehende Umstände eine Privilegierung begründen können.
Der Zweck des Ehegattensplittings steht einer solchen Gleichbehandlung nicht entgegen.
Zweck des 1958 eingeführten Splittingverfahrens ist es, Ehen unabhängig von der Verteilung des Einkommens zwischen den Ehegatten bei gleichem Gesamteinkommen gleich zu besteuern. Das Splittingverfahren nimmt hierbei den zivilrechtlichen Grundgedanken der Ehe als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs auf. Auch die eingetragene Lebenspartnerschaft ist als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs ausgestaltet.
Auch familienpolitische Erwägungen – nicht Ehen an sich, sondern Kinder sollen gefördert werden – können die Differenzierung nicht begründen.
Nach dem Einkommensteuergesetz hängt die Gewährung des Splittingvorteils allein von der Existenz einer Ehe ab, in der die Partner nicht dauernd getrennt leben. Unbeachtlich ist demgegenüber das Vorhandensein von Kindern sowie die Möglichkeit, dass während der Ehe gemeinsame Kinder der Ehepartner geboren werden.
Die Typisierung des Gesetzgebers war damit unzulässig. Zwar darf er – gerade im Steuerrecht – Unterscheidungen zwischen einzelnen Gruppen vornehmen, dabei darf er aber keine sachfremden Kriterien anwenden, sondern ist auch an das Gleichbehandlungsgebot gebunden.
Der gesetzgeberische Spielraum für Typisierungen ist umso enger, je dichter die verfassungsrechtlichen Vorgaben außerhalb des Art. 3 Abs. 1 GG sind. Er endet dort, wo die speziellen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG betroffen sind.
Damit ist eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nicht möglich.
4. Rechtsfolge: Rückwirkende Unwirksamkeit ab 1. August 2001
Interessant ist, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil direkt formulierte, wie mit entsprechenden Fällen nun umzugehen sei. Es knüpft dabei an den Zeitpunkt des Erlasses des LPartG an; von diesem Zeitpunkt an sei eine Differenzierung unzulässig.
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung des Instituts der Lebenspartnerschaft am 1. August 2001 zu beseitigen.
5. Sondervotum
Eine andere Ansicht vertraten die Verfassungsrichter Landau und Kessal-Wulf, die für die Unzulässigkeit erst an das Jahr 2005 anknüpfen wollen, da bis zu diesem Zeitpunkt der Gesetzgeber die Lebenspartnerschaft nicht als der Ehe vergleichbar ansehen wollte. Zudem legen sie in ihrem Sondervotum dar, dass ihrer Ansicht nach die Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei.
Die Erstreckung des Splittingverfahrens auf eingetragene Lebenspartner für die Veranlagungsjahre vor 2005 läuft auf die Gewährung der einkommensteuerrechtlichen Vorteile einer Gemeinschaft von Erwerb und Verbrauch hinaus, ohne dass die hieraus spiegelbildlich erwachsenden Verpflichtungen zwischen den Lebenspartnern in auch nur annähernd vergleichbarem Umfang bestanden hätten. Auch blendet die Begründung des Senats aus, dass der Gesetzgeber bewusst von einer vollständigen Gleichstellung abgesehen und gerade die ökonomische Selbstständigkeit beider Partner als gesetzliches Leitbild herausgestellt hat. Somit setzt der Senat seine Einschätzung an die Stelle des hierzu alleine berufenen Gesetzgebers.
III. Folgen
Die Privilegierung der Ehe durch das Ehegattensplitting muss damit entfallen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber bspw. die Möglichkeit ein sog. Familiensplitting einzuführen – die steuerliche Begünstigung wird dann an das Vorhandensein von Kindern (unabhängig von Ehe oder Lebenspartnerschaft) geknüpft. Die hiermit verfolgten familienpolitischen Ziele würden als Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ausreichen.
IV. Examensrelevanz
Der Fall erscheint nicht sonderlich schwer und befasst sich nicht mit völlig unbekannten Normen, sodass er sehr gut im Examen laufen könnte. Auch für die mündliche Prüfung muss er auf jeden Fall beherrscht werden. Hier kann sowohl die standardisierte Prüfung des Art. 3 GG und die Rechtfertigungsmöglichkeit abgefragt werden. Es ist aber auch sehr gut denkbar, dass der Prüfer die unbekanntere Frage der Rechtsfolgen problematisieren würde. Hier ist dann eine gute Argumentation nötig, wie man gerade auch an den Sondervoten erkennt.