Homosexuelle und das Bundesverfassungsgericht – Eine wechselhafte Geschichte
Vom Saulus zum Paulus…
Das BVerfG ist im Laufe der letzten Jahre zu einem Garant für mehr Diskriminierungsschutz geworden und hat ein ums andere Mal die Rechte von Homosexuellen in Deutschland gestärkt. Das war nicht immer so. In einer frühen Entscheidung urteilte das BVerfG noch (Beschluss vom 10. Mai 1957 – 1 BvR 550/52, BVerfGE 6, 389): „Die §§ 175 f. StGB verstoßen auch nicht gegen das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), da homosexuelle Betätigung gegen das Sittengesetz verstößt und nicht eindeutig festgestellt werden kann, daß jedes öffentliche Interesse an ihrer Bestrafung fehlt.“ Die Strafbarkeit der Homosexualität (übrigens: nur für Schwule, nicht für Lesben) wurde also vom BVerfG auf Grundlage des nahezu identischen Grundrechtsteils des GG abgesegnet! Aus der heutigen Perspektive kann man über dieses Urteil eigentlich nur noch schmunzeln; erhellend sind dort insbesondere die Ausführungen des BVerfG und psychologischer Sachverständiger über die Unterschiede zwischen Mann und Frau im Allgemeinen (z.B. Rn. 92: „Die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weise dabei dem Mann und der Frau verschiedene Funktionen zu: Dem Manne eine mehr bedrängende und fordernde, der Frau eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite Funktion.“). Heute aber steht Karlsruhe für eine Stärkung der Homosexuellen-Rechte.
Aktuelle Entscheidung zur Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes
In diesen Kontext passt auch eine aktuelle Entscheidung des BVerfG zum Bereich der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes (Beschluss vom 7. Juli 2009 1 BvR 1164/07 ). Nach der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) gibt es im Rahmen der sog. Zusatzversorgung der VBL keine Hinterbliebenenrente für eingetragene Lebenspartner, sondern nur für Hetero-Ehen. Der Erste Senat des BVerfG hat nun entschieden, dass dies die betroffenen Homosexuellen in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Art. 3 Abs. 1 GG verbiete nicht nur eine positive Diskriminierung in, sondern auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird, sei unzulässig. Da die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes hier nur für die Hinterbliebenen eines Ehegattens und nicht für den verwitweten Partner einer Lebenspartnerschaft eine Versorgung vorsieht, nahm das BVerfG eine relevante Ungleichbehandlung iSv Art. 3 Abs. 1 GG an.
Keine hinreichende Rechtfertigung ersichtlich
Eine solche Ungleichbehandlung könne auch nicht gerechtfertigt werden. Hierfür müsse ein „hinreichend gewichtiger Differenzierungsgrund“ vorliegen. Ein besonderer Rechtfertigungsbedarf folge daraus, dass die Ungleichbehandlung von Ehepartnern und eingetragenen Lebenspartnern das personenbezogene Merkmal der sexuellen Orientierung betreffe. Zur Begründung der Ungleichbehandlung reiche die bloße Verweisung auf die Ehe und ihren Schutz (Art. 6 GG) nicht aus. Es sei verfassungsrechtlich nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen sind.
Auch sonst sei kein Differenzierungsgrund ersichtlich. Das BVerfG betont, dass die Unterhaltspflichten innerhalb von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften weitgehend identisch geregelt seien, so dass der Unterhaltsbedarf eines Unterhaltsberechtigten und die bei Versterben eines Unterhaltspflichtigen entstehende Unterhaltslücke nach gleichen Maßstäben zu bemessen seien. In vielen Ehen würde es heute ebenso keine Kinder geben und daher könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass bei einer Ehe häufiger eine „Lücke in der Erwerbsbiographie“ eines Ehegattens vorliege, was einen erhöhten Unterhaltsbedarf rechtfertigen würde.
Ein kurzer Satz mit viel politischem Sprengstoff
Damit hat das BVerfG in einem weiteren Bereich die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe rechtlich gleichgestellt. Besonders bemerkenswert ist dabei ein zentraler Begründungsansatz des BVerfG: „Nicht in jeder Ehe gibt es Kinder.“ Damit stehen meines Erachtens auch Regelungen wie das Ehegattensplitting auf dem Prüfstand, denn auch dies soll ja angeblich der Familienförderung dienen. Dann kann man aber auch ein „Familiensplitting“ einführen, sodass nicht weiterhin kinderlose Doppelverdiener-Ehen privilegiert werden.
Debatte: Reform von Art. 3 GG
Im Kontext „sexuelle Orientierung und ihr Schutz durch das Grundgesetz“ passt auch eine aktuelle Debatte, die jetzt wieder von der FDP angestoßen wurde: Immer wieder wird vorgeschlagen, die speziellen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG um das Merkmal der sexuellen Orientierung zu erweitern.
Es ist also damit zu rechnen, dass sich im Diskriminierungsrecht weiterhin viel bewegen wird – Europarecht, Verfassungsrecht, Arbeits- und Zivilrecht greifen hier ineinander.
Ah, Stephan scheint ein Experte bzgl. Homosexualität zu sein 🙂
Genau, Hans! Das solltest du doch am besten wissen… kleiner Schnuckel!
„Aus der heutigen Perspektive kann man über dieses Urteil eigentlich nur noch schmunzeln“
Aha, darüber kann man also „schmunzeln“, dass bis 1969 homosexuelle Männer nach Nazi-Unrecht kriminalisiert und verurteilt und bis zum heutigen Tage dafür nicht entschädigt worden sind. Und das, nachdem Tausende schwuler Männer in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet worden waren.
Eine äußerst sonderbare und entwürdigende Art von „Humor“. Aber mit homosexuellen Menschen kann man sich das offenbar weiterhin erlauben.
Hallo Menschenrechtler,
nein, über den von dir benannten Sachverhalt kann man sicher nicht schmunzeln, aber das tut der Verfasser ja auch nicht.
Hier geht es eher um die sehr technischen und etwas unbeholfenen Ausführungen des BVerfG zu den primären Geschlechtsorganen und den Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden.
Diskriminierende und entwürdigende Äußerungen kann ich nicht entdecken.
Gruß
Simon
Also ehrlich, Menschenrechtler,
so war das nicht gemeint und das sollte eigentlich auch aus dem Gesamtzusammenhang völlig eindeutig erkennbar sein.
Lies das alte Urteil mal, ich wette, du musst auch schmunzeln, wenn du dir die Gutachten der psychologischen Sachverständigen durchliest. Die sind außerdem primär chauvinistisch angehaucht, nicht aber homophob.
Ansonsten hab ich doch klar zum Ausdruck gebracht, dass die uralte Entscheidung schon damals rechtlich nicht vertretbar war. Gleichwohl ist es rechtlich äußerst interessant, dass diese auf Grundlage desselben Grundgesetzes (abgesehen von einigen Reformen) erging. Da kann mal also mal wieder sehen, wie wenig oder wie viel man in Verfassungstexte hineinlesen kann. dies war meines Erachtens einen kleinen Exkurs wert…
Gruß
Stephan
Hey Menschenrechtler,
hier ist noch eine andere Passage aus dem alten BVerfG-Urteil, über die selbst du wahrscheinlich schmunzeln musst:
„Der männliche Homosexuelle neige zur Verführung Jugendlicher. Die Erfahrung zeige, daß die Mehrheit der Homosexuellen auf diesem Wege zu ihren Neigungen gekommen sei. Bei Mädchen, die zu homosexueller Betätigung verführt werden, werde dieser Trieb seltener fixiert wie beim männlichen Homosexuellen; der Umschlag zum anderen Geschlecht sei leichter möglich.
Eine homosexuelle Prostitution von Frauen gebe es nur in geringem Umfang.
Kriminalrat Wenzky ist auf Grund seiner kriminalistischen Erfahrung und den bei seiner Dienststelle erstellten Aufzeichnungen der Auffassung, daß die männliche Homosexualität in stärkerem Ausmaße eine soziale Gefährdung darstelle als die weibliche Homosexualität. Die jugendliche Lesbierin fehle. Die polizeiliche Praxis kenne keine Fälle von Verführung weiblicher Jugendlicher durch Lesbierinnen. Demgegenüber trete der männliche Homosexuelle, insbesondere der Jugendliche, in zunehmendem Maße in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Gradmesser hierfür seien die Sammelbecken des homosexuellen „Freundschaftsanschlusses“ die Bahnhöfe mit ihren Wartesälen, Bahnhofsvorplätze, Bedürfnisanstalten, Lokale mit ausgesprochen homosexuellem Milieu, homosexuelle Tanzzirkel usw. Der gemeinschaftsbeeinträchtigende Charakter der männlichen Homosexualität komme durch Knüpfen von Verbindungen wirtschaftlicher und dienstlicher Art zum Ausdruck.
Das Strichjungenwesen sei eine spezifische Erscheinungsform der männlichen Homosexualität. Die Strichjungen hätten eine besondere Neigung zu verbrecherischem oder gemeinschaftsgefährdendem Verhalten (Herumtreiben, Verwahrlosen, Stehlen, Gewaltdelikte). Nur eine geringe Zahl von Strichjungen hätten eine echte homosexuelle Neigung; die weitaus meisten seien an sich auf das andere Geschlecht ausgerichtet.
Nach den kriminalpolizeilichen Erfahrungen sei die Lesbierin nicht im selben Maße wie der Homosexuelle ausschließlich gleichgeschlechtlich eingestellt. Die als Lesbierin in Erscheinung getretenen Frauen hätten auch geschlechtlichen Umgang mit Männern. Ehe und familiäre Bindungen würden von ihnen nicht abgelehnt.
Aus verschiedenen Einzelfällen ergebe sich, daß der männliche Homosexuelle häufig eine masochistische oder sadistische Aktivität aufweise und von einer außerordentlichen Hemmungslosigkeit sei,…
Das Strichjungenwesen sei eine Teilerscheinung der männlichen Prostitution. Lesbische Prostitution gebe es nur in ganz vereinzelten Fällen. Von ca. 350-380 weiblichen Prostituierten in Köln würden etwa 4 auch mit Lesbierinnen verkehren; demgegenüber gebe es 230-240 Strichjungen.“
Bleibt die Frage: Woher kommen die genauen Statistiken über Strichjungen im Raum Köln???
Und jetzt ein echter Psychologieprofessor hinterher:
„Aus der vorbereitenden Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. Kroh ist hervorzuheben:
Die konstitutionellen Unterschiede, die zwischen Mann und Frau im Gebiete der Geschlechtsausstattung bestehen, deuteten eine Ergänzungsbedürftigkeit der beiden Geschlechter an: beide seien zum Vollzug regulären Sexuallebens aufeinander angewiesen. Die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weise dabei dem Mann und der Frau verschiedene Funktionen zu: Dem Manne eine mehr bedrängende und fordernde, der Frau eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite Funktion. Diese Unterschiede der physiologischen Funktion ließen sich aus dem ganzheitlichen Zusammenhang des geschlechtlich differenzierten menschlichen Seins nicht ausgliedern. Sie seien mitkonstituierend für Mann und Frau. Von Natur aus sei dem Manne das Fordernde und Drängende, der Frau das Ausweichende und Hingebende eigen.“
Schön ist auch dieser Satz aus dem Urteil:
„Es liege im Wesen des Mannes, daß seine Versuche einer Verführung zum gleichgeschlechtlichen Verkehr durch sein mehr ausgreifend gerichtetes Triebleben gekennzeichnet seien, was nicht ausschließe, daß männlich strukturierte Frauen ebenso wie feminine Homosexuelle zahlreiche Ausnahmefälle bildeten.“
Noch ein Klassiker:
„Die Beweisaufnahme hat dies zur vollen Überzeugung des Gerichts geklärt. Sie hat zunächst ergeben, daß die Verbreitung der weiblichen Homosexualität hinter der der männlichen erheblich zurückbleibt.“