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Schlagwortarchiv für: konkrete Gefahr

Marie-Lou Merhi

Ein Lied macht Schlagzeilen:  „L’amour toujours“

Aktuelles, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Verschiedenes

Kann das Abspielen des Liedes „L’amour toujours“ verboten werden? Dieser Frage, die sich besonders für die mündliche Prüfung und das schriftliche Examen eignet, geht die Gastautorin Marie-Lou Merhi in diesem Beitrag nach. Marie-Lou studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist dort studentische Hilfskraft am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit.

Fast jeder hat es mitbekommen: Das Lied „L’amour toujours“des italienischen DJs und Musikproduzenten Gigi D’Agostino ist wieder in aller Munde. Doch nicht etwa, weil es mit über 440 Millionen Streams auf Spotify zu den bekannteren Liedern des Musikproduzenten gehört, sondern vielmehr, weil der Refrain des Songs mit der ausländerfeindlichen Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“versehen und öffentlichkeitswirksam gegrölt wurde. So zuletzt geschehen am Pfingstwochenende auf der deutschen Insel Sylt. Inzwischen ist das Video, das die dortigen Vorgänge festhält, in den sozialen Netzwerken und Medien viral gegangen und hat unter anderem eine Diskussion über ein Verbot des Liedes angefacht, um präventiv das Singen der ausländerfeindlichen Parole zu verhindern. Zu den Verfechtern eines solchen Verbots zählen beispielsweise die Veranstalter des Münchener Oktoberfestes (vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/wiesn-oktoberfest-l-amour-toujours-100.html, letzter Abruf am 4.6.2024). Anderer Ansicht hingegen ist Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die sich gegen ein solches Verbot auf Volksfesten wendet. Unter anderem führt sie an, es könne weder der Song noch dessen Produzent Gigi D’Agostino etwas dafür, dass das Lied für das Singen fremdenfeindlicher Parolen missbraucht werde. (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/sylt-skandal-claudia-roth-gegen-verbot-von-l-amour-toujours-19751607.html, letzter Abruf am 4.6.2024).

Es stellt sich die Frage, ob die für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden bereits das Abspielen des Liedes untersagen können, um dessen Missbrauch für ausländerfeindliche Parolen zu unterbinden. Diese Frage bietet sich als Klausurgegenstand gerade zu an. Ihre Antwort knüpft an einen Klassiker des Polizeirechts an: Das Institut des sogenannten Zweckveranlassers. Zweckveranlasser ist, wer eine Gefahr nur mittelbar verursacht hat, das heißt zurechenbar eine Ursache dafür gesetzt hat, dass andere unmittelbar die Gefahrenschwelle überschreiten (Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, § 3 Rn. 80; BeckOK PolG NRW, OBG § 17 Rn. 10). Seinen Ursprung hat das Rechtsinstitut des Zweckveranlassers in einem Fall, in dem eine ähnliche belanglose Schnulze die zentrale Rolle spielt: Dem Borkumlied-Fall (Preußisches OVG, 14.5.1925 – III. A. 68/24, ProVGE 80, 176-195).

Im Jahr 1925 untersagte die Ordnungsbehörde der Kurkapelle im Nordseebad Borkum das Abspielen der traditionellen Melodie eines Marsches, um präventiv das Singen des antisemitischen „Borkumlieds“ zu unterbinden. Das preußische OVG entschied, dass die Polizei nicht gegen die Kapelle vorgehen dürfe, denn sie sei für die Störung durch das Singen des antisemitischen Liedes nicht verantwortlich. Bis heute entfachen in der Literatur Diskussionen darüber, ob die damalige Entscheidung richtig war (siehe dazu Eberl, Jus 1985, 257; Doerfert, JA 2003,  385, 389).

Auch 100 Jahre später ist die Erläuterung dieses Falls immer noch in fast jedem Lehrbuch zum Polizeirecht zu finden (bspw. Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, § 3 Rn. 8; Schenke, Polizeirecht, § 4 Rn. 318; Möstl/Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen) und gilt als einer der Klassiker des Rechtsgebiets. Die aktuelle Debatte wird die juristische Relevanz des Falls wohl weiter steigern und bietet insbesondere für Examenskandidaten Anlass, die damit verbundene Rechtsfigur des Zweckveranlassers zu wiederholen.

Vor diesem Hintergrund soll dieser Beitrag erörtern, unter welchen Voraussetzungen ein Verbot des Abspielens des Liedes „L’amour toujours“ durch die Ordnungsbehörden materiell rechtmäßig wäre. Die Darstellung erfolgt anhand der geltenden Rechtsgrundlagen des Landes Nordrhein-Westfalens.

I. Taugliche Ermächtigungsgrundlage

Als Teil der Eingriffsverwaltung unterliegt das Polizei- und Ordnungsrecht dem strikten Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 III GG), sodass ein entsprechendes Verbot einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Soweit keine Spezialbefugnisse und keine Standardbefugnisse einschlägig sind, ist auf die ordnungsbehördliche Generalklausel nach § 14 I OBG NRW abzustellen. Gleichwohl kann je nach Fallgestaltung auch auf die polizeiliche Generalklausel nach § 8 I PolG NRW abzustellen sein.

II. Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung

Es müsste eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegen. Als unbestimmte Rechtsbegriffe sind die Begriffe der Gefahr, der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung auslegungsbedürftig und voll auslegungsfähig. Eine Gefahr liegt bei einem Lebenssachverhalt vor, der bei ungehindertem Ablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den polizei- bzw. ordnungsrechtlichen Schutzgütern führen wird. (Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, § 3 Rn. 61). Das Singen der Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ müsste somit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die öffentliche Sicherheit oder Ordnung schädigen.

1. Die öffentliche Sicherheit

Die öffentliche Sicherheit umfasst den „Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen.“ (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, BVerfGE 69, 315, 352).

a. Verstoß gegen § 130 I StGB

Die Kundgabe der Parole könnte eine Verletzung der objektiven Rechtsordnung darstellen. Von dieser sind alle materiellen Gesetze erfasst (Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, § 3 Rn. 53).

Konkret in Betracht kommt ein Verstoß gegen § 130 I StGB, der die Volksverhetzung unter Strafe stellt.

aa. Auswirkung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 GG auf die Prüfung

Entscheidende Bedeutung hat bei der Frage der Strafbarkeit, ob derartige Parolen unter den Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 GG fallen. Eine Meinung ist jedes Werturteil, gleichgültig, auf welchen Gegenstand es sich bezieht und welchen Inhalt es hat. Unerheblich ist ob sie öffentlich oder private Angelegenheiten betrifft, vernünftig oder unvernünftig, wertvoll oder wertlos ist (Kingreen/Poscher, § 13 Rn. 650). Die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ ist als wertende Stellungnahme und damit als Meinung zu qualifizieren. Die Meinungsfreiheit findet gem. Art. 5 II GG ihre Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch § 130 I StGB zu zählen ist. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsfreiheit sind die allgemeinen Gesetze in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung ihrerseits wiederum einschränkend auszulegen (sog. Wechselwirkungslehre). Im Falle der Mehrdeutigkeit einer Äußerung ist bei der Gesetzesanwendung die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrunde zu legen (BVerfG, Beschl. v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08, BeckRS 2008, 40863 Rn. 21 zum Motto „gegen einseitige Vergangenheitsbewältigung! Gedenkt der deutschen Opfer!“; BVerfG, Beschl. v. 4.2.2010 – 1 BvR 369, 370, 371/04, BeckRS 2010, 47951 zu „Aktion Ausländerrückführung – Für ein lebenswertes deutsches Augsburg“ ; BVerwG, Urt. v. 25.6.2008 – 6 C 21/07, NJW 2009, 98 „Gedenken an Rudolf Hess“).

bb. Verstoß gegen § 130 I Nr. 1 StGB

Die Parole könnte den Straftatbestand des § 130 I Nr. 1 StGB erfüllen. Dafür müsste ein Aufstacheln zum Hass gegen Teile der Bevölkerung gegeben sein oder ein Auffordern zur Gewalt- oder Willkürmaßnahmen. Ein Aufstacheln zum Hass ist gegeben, wenn eine verstärkte, auf die Gefühle des Aufgestachelten gerichtete, über eine bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende Form des Anreizens zu einer emotional gesteigerten feindseligen Haltung vorliegt(OLG Brandenburg, Urt. v. 28.11.2001, NJW 2002, 1440, 1441; OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.9.2002 – 4 B 228/02, LKV 2003, 102, 103). Ein Auffordern zu Gewalt und Willkürmaßnahmen liegt demgegenüber vor, wenn der Erklärende auf die Empfänger mit dem Ziel einzuwirken versucht, in ihnen den Entschluss hervorzurufen, derartige Maßnahmen gegen einen Teil der Bevölkerung zu ergreifen (BGH, 14.3.1984 – 3 StR 36/84, BGHSt 32, 310; Schönke/Schröder, § 130, Rn. 5b).

Durch die Aussage „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ kommt eine ausländerfeindliche Grundrichtung zum Ausdruck, die der für die freiheitliche demokratische Grundordnung grundlegenden Erwartung einer Toleranz der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern widerspricht (so auch das BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001 – 1 BvQ 17/01, NJW 2001, 2072, 2073, zu dem Motto der Kundgebung „Herren im eigenen Land statt Knechte der Fremde“). Allerdings sind ausländerfeindliche Äußerungen im StGB nicht schon als solche strafbewehrt (BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001 – 1 BvQ 17/01, NJW 2001, 2072, 2073). Im Hinblick darauf, dass die Äußerung dem Grundsatz nach unter die Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 GG fällt, ist die für den Äußernden günstigste Deutung zugrunde zu legen (dazu siehe oben Gliederungspunkt II.1.a.aa.).

Der Aufruf richtet sich pauschal an alle in Deutschland wohnhaften Ausländer und verlangt, dass sie ohne Ausnahme das Land verlassen, wobei Anknüpfungspunkt der Forderung allein die fremde Nationalität ist. Die Aussage kann somit so verstanden werden, dass Ausländern das Leben in der Gemeinschaft innerhalb Deutschlands abgesprochen werden soll (OLG Hamm, Urt. v. 2.11.1995 – 4 Ss 491/94, NStZ 1995, 136, 137 zu der Parole „Ausländer raus“).

In Abhängigkeit des streitgegenständlichen Kontextes, kann sie aber auch so verstanden werden, dass sie auf politische Ablehnung der bisherigen Migrationspolitik gerichtet ist und sich insoweit „nur“ auf die gegenwärtige Politik gegenüber Ausländern bezieht (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 18.5.2010 – 14 K 5459/08, BeckRS 2010, 49994 zu der Parole „Deutschland den Deutschen“). Weiterhin ist eine Deutung in dem Sinne möglich, dass die Interessen des deutschen Staatsvolks denen der Ausländer vorangestellt werden sollen oder das lediglich Ängste und Vorbehalte der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht werden. (AG Rathenow, Beschl. v. 13.4.2006 – 2 Ds 496 Js 37539/05 (301/05), NStZ-RR 2007, 341, 342 zu der Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“). Es ist somit nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, ob die Parole bereits ein strafbewehrtes Aufstacheln gegen Teile der Bevölkerung oder gar eine Aufforderung zu Gewalt und Willkürmaßnahmen darstellt, oder als politische Meinungskundgabe anzusehen ist (siehe dazu OLG Brandenburg, Urt. v. 28.11.2001, NJW 2002, 1440, 1441: Das Gericht bejaht eine Strafbarkeit der Parole „Ausländer raus“ nach § 130 I Nr. 1 StGB unter anderen unter Berücksichtigung der Umstände, dass es in dem Ort bereits zu allgemein bekannten gewalttätigen Ausschreitungen gegen Ausländer gekommen war und zusätzlich die Parole „Sieg Heil“ gerufen wurde und ein Auftreten in Bomberjacken und Springerstiefeln erfolgte). Entscheidend ist, dass unter den gegebenen Umständen aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsbeobachters die Aussage nur dahin gedeutet werden kann, dass gegen Ausländer nicht nur Vorbehalte oder Ablehnung, sondern eine aggressive Missachtung und Feindschaft erzeugt oder gesteigert werden sollte. (OLG Brandenburg, Urt. v. 28.11.2001 – 1 Ss 52/01).

cc. Verstoß gegen § 130 I Nr. 2 StGB

Ähnliches gilt auch für die Verwirklichung des Tatbestands nach § 130 I Nr. 2 StGB. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde macht erforderlich, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird. Der Angriff muss sich gegen den die menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit, nicht lediglich gegen Persönlichkeitsrechte richten (BVerfG, Beschl. v. 4.2.2010 – 1 BvR 369/04, JuS 2011, 88, 89; BVerfG, Beschl. 6.9.2000 – 1 BvR 1056/95, NJW 2001, 61, 63).

Auch insoweit muss die Mehrdeutigkeit einer Parole Beachtung finden, um zu einer über den reinen Wortlaut hinausgehenden Deutung zu gelangen, die im Kontext mit den konkreten Begleitumständen auf einen Menschenwürdeverstoß schließen lässt (BVerfG, Beschl. v. 4.2.2010 – 1 BvR 369/04, NJW 2010, 2193 zu einem Plakat mit der Aufschrift: „Ausländerrückführung – Für ein lebenswertes deutsches Augsburg“).

Ausgehend davon, dass für die Annahme eines Verstoßes gegen die Menschenwürde eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich ist, darf aus „der Pauschalität einer verbalen Attacke nicht ohne Weiteres auf ein Verächtlichmachen geschlossen werden, dass den Betreffenden ihre Anerkennung als Person abspricht.“ (BVerfG, Beschl. v. 4.2.2010 – 1 BvR 369/04, NJW 2010, 2193).  Ohne das Hinzutreten konkreter Begleitumstände ist somit unter Zugrundelegung der für den Äußernden günstigere Deutung die Aussage „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ nicht als Verstoß gegen die Menschenwürde, der in Deutschland wohnhaften Ausländer zu sehen (dazu ausführlich AG Rathenlow, Beschl. v. 13.4.2006 – 2 Ds 496 Js 37539/05 (301/05), NStZ-RR 2007, 341, 342).

b. Zwischenergebnis

Ob ein Verstoß gegen § 130 I StGB vorliegt kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern hängt von den konkreten Einzelfallumständen ab. Für das gefahrenabwehrrechtliche Einschreiten ist ein Verstoß auch nicht erforderlich, es muss lediglich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen § 130 I StGB (und damit gegen die öffentliche Sicherheit) bevorstehen. Entscheidend ist somit, ob nach allen zu erwartenden Begleitumständen aus Sicht eines objektiven Durchschnittsbeobachters eine Verwirklichung des § 130 I StGB naheliegt (siehe auch OVG Münster, Beschl. v. 22.6.1994 – 5 B 193/94, NJW 1994, 2909, 2910).

2. Öffentliche Ordnung

Fraglich ist, ob  die Parole für den Fall, dass die Schwelle der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Strafbarkeit noch nicht erreicht ist, gegen die öffentliche Ordnung verstößt. Diese umfasst die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, BVerfGE 69, 315, 352). Gemeint sind Sozialnormen, die außerhalb eines Gesetzestatbestands liegen (Fencher, Jus 2003, 734; Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, § 3 Rn. 55). Auch bei Prüfung der öffentlichen Ordnung ist die besondere Gewährleistung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 GG zu berücksichtigen und damit eine restriktive Auslegung geboten. Ist eine geäußerte Meinung nicht strafbar, ist nur unter besonderen äußeren Umständen (beispielsweise aggressives oder einschüchterndes Verhalten) eine konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung anzunehmen. Durch die enge Fassung der Straftatbestände hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, im Übrigen grundsätzlich keinen Vorrang des Rechtsgüterschutzes gegenüber Meinungsäußerungen anzuerkennen (vgl. BVerfG, 7.4.2001 – 1 BvQ 17/01, BeckRS 2001, 30173985; BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001 – 1 BvQ 13/01, NJW 2001, 2069) zu dem Begriff der „öffentlichen Ordnung“ bei § 15 VersG; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 18.5.2010 – 14 K 5459/08, BeckRS 2010, 49994). Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ist somit regelmäßig bei Verneinung der Strafbarkeit der Äußerung abzulehnen.

3. Zwischenergebnis

Bei der Frage, ob der Straftatbestand des § 130 I StGB verwirklicht ist, kommt es somit in einer Klausursituation auf den konkreten Sachverhalt an. Dieser ist vollumfänglich auszuschöpfen – entscheidend ist dann einen überzeugende Argumentation, die auf alle angeführten Begleitumstände eingeht! Insbesondere sollte der Klausurbearbeiter im Hinterkopf behalten, dass das BVerfG die Meinungsfreiheit als für die freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes schlechthin konstituierend ansieht (BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257, 258) und nicht vorschnell einen Verstoß gegen § 130 I  StGB annehmen: Bei mehrdeutigen Äußerungen ist bei der Anwendung des Gesetzes, die dem sich Äußernden günstigste Deutung zugrunde zu legen!

III. Ordnungsgemäßer Adressat

Der Abspielende des Liedes müsste tauglicher Adressat des ordnungsbehördlichen Verbot sein. Das richtet sich nach §§ 17 bis 19 OBG NRW. Für das Verhalten von Personen regelt § 17 I OBG NRW die Verantwortlichkeit; demnach ist der richtige Adressat der ordnungsbehördlichen Maßnahme, derjenige der eine Gefahr verursacht.

1. Begriff  des „Verursachens“

Es kommt somit entscheidend darauf an, wie „verursachen“ im Sinne des § 17 I OBG zu verstehen ist. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln.

a. Ausgangspunkt: Conditio-sine-qua-non-Formel als notwendige aber nicht hinreichende Bedingung

Im Sinne einer systematischen Auslegung erscheint es naheliegend auf die im Zivil- und Strafrecht bekannte conditio-sine-qua-non-Formel abzustellen. Demnach ist ein Verhalten dann ursächlich, wenn es nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg (hier: die Gefahr) entfiele (Dölling/Duttge/Rössner/Heinrich, Gesamtes Strafrecht, § 13 Rn. 19). Allerdings würde durch diese Formel der Adressatenkreis für ordnungsbehördliche bzw. polizeiliche Maßnahmen zu weit gefasst; es könnte gegen jede Person die in irgendeiner Weise kausal für die Gefahr wäre, eine ordnungsbehördliche bzw. polizeiliche Maßnahme und damit zumindest ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG erfolgen. Zudem wäre bei lebensnaher Betrachtung, die durch diese Theorie unüberschaubare Adressatenkette kaum zu ermitteln, was zu Rechtsunsicherheit führen könnte und wohl auch würde. Somit ist die Kausalität zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Adressatenstellung (Gusy/Eichenhofer, Polzei- und Ordnungsrecht, § 5 Rn. 334; Schenke, Polizeirecht, § 4 Rn. 313; Pietsch/Sommerfeld, JA 2022, 840, 842). Es bedarf weitere Einschränkungen, um dem Handelnden die Gefahr zurechnen zu können.

b. Einschränkung durch die Rechtswidrigkeitslehre

Als Einschränkung der Kausalität wird teilweise angeführt, ein „Verursachen“ könne nur dann vorliegen, wenn eine Person rechtliche Handlungs- oder Unterlassungspflichten verletze, das heißt rechtswidrig handele (Möstl/Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht NRW, § 4 Rn. 6). Handele die Person dagegen im Einklang mit der Rechtsordnung könne gegen sie keine Maßnahme gerichtet werden (sog. Rechtswidrigkeitslehre).

Die Abspielenden des Liedes handeln im Einklang mit der geltenden Rechtsordnung. Lediglich die Reaktion des Publikums führt gegebenenfalls zu einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Nach dieser Auffassung wären die Abspielenden des Liedes somit keine tauglichen Adressaten.

Diese Lehre lässt allerdings außer Acht, dass auch eine Person, die sich rechtmäßig verhält durch ihr Verhalten faktisch eine Gefahr verursachen kann. Eine effektive Gefahrenabwehr gebietet es, auch gegen rechtmäßiges Verhalten einschreiten zu können, welches eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung herbeiführt (Pietsch/Sommerfeld, JA 2022, 840, 845). Die Rechtswidrigkeitslehre ist somit abzulehnen.

c. Lehre der unmittelbaren Verursachung

Nach ganz herrschender Meinung hat derjenige eine Gefahr verursacht, der durch sein Verhalten selbst die konkrete Gefahr unmittelbar herbeigeführt und damit in eigener Person die Gefahrenschwelle überschritten hat (sog. Lehre der unmittelbaren Verursachung s. Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, § 3 Rn. 79; BVerwG, Beschl. v. 12.4.2006 – 7 B 30.06, BeckRS 2006, 23702 Rn. 4). Derjenige, der das Lied abspielt,  verursacht dadurch nicht unmittelbar eine Gefahr. Eine solche kommt unter Umständen nur mittelbar aufgrund der Reaktion des Publikums durch das Singen ausländerfeindlicher Parolen in Betracht. Demnach würde ein ordnungsbehördliches Verbot des Abspielens des Liedes ausscheiden.

d. Modifikation der Unmittelbarkeitslehre durch die Rechtsfigur des Zweckveranlassers

Allerdings ist die Unmittelbarkeitslehre durch die Rechtsfigur des Zweckveranlassers modifiziert worden (Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577, 577). Demnach ist nach der gebotenen wertenden Betrachtung und, um die Effektivität der Gefahrenabwehr zu gewährleisten, auch derjenige Veranlasser,  der eine Gefahr nur mittelbar verursacht, sofern eine natürliche Einheit zwischen dem Handeln und der Gefahr besteht (BVerwG, Beschl. v. 12.4.2006 – 7  B 30.06, BeckRS 2006, 23072 Rn. 4).

e. Haftungsbegründung des Zweckveranlassers

Die besondere Verantwortungsnähe des Zweckveranlassers wird unterschiedlich begründet. Nach der subjektiven Theorie ist nur derjenige Zweckveranlasser, der beabsichtigt oder zumindest in Kauf nimmt, eine Sachlage hervorzurufen, die mit einer Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung einhergeht (Schenke, Polizeirecht, § 4 Rn. 316; BeckOK/Barczak, Polizei- und Ordnungsrecht NRW, OBG § 17 Rn. 12). Demnach käme es für ein Verbot des Abspielens des Liedes „L’amour toujours“ auf die Intention des Abspielenden an. Dieser müsste durch sein Verhalten das Singen fremdenfeindlicher Parolen verursachen wollen oder diese zumindest billigend in Kauf nehmen.

Demgegenüber stellt die objektive Theorie darauf ab, ob das Verhalten der Person bei objektiver Betrachtung typischerweise eine Gefahr zur Folge hat (Schenke, Polizeirecht, § 4 Rn. 316). Entscheidend wäre somit, ob das Abspielen des Songs „L’amour toujours“ typischerweise zu dem Singen strafbarer ausländerfeindlicher Parolen führt. Dies kann zumindest nicht pauschal angenommen werden. Zwar mögen sich die Fälle häufen, bei denen es zu derartigen Vorfällen kommt (siehe https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/lamour-toujours-sylt-lka-niedersachsen-faelle-100.html). Doch erscheint es fernliegend, dass das Abspielen des Liedes generell typischerweise zu ebendieser Folge führt. Entscheidend sind somit erneut die konkreten Umstände des Einzelfalls, unter anderem die Art der Veranstaltung und das zu erwartende Publikum. Sind bei bestimmten Veranstaltungen bereits in der Vergangenheit ausländerfeindliche Parolen geäußert worden oder handelt es sich um nationalistische oder rechtsextreme Zusammenkünfte liegt eine entsprechende Prognose zumindest nahe.

Merkposten: Sollten die beiden Theorien zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, ist an dieser Stelle ein Streitentscheid erforderlich! Gegen die subjektive Theorie spricht, dass es einer aufwendigen Motiverforschung des Handelnden bedürfte, die ein schnelles Handeln verhindern würde. Zudem ist das Polizei- und Ordnungsrecht auf die Beseitigung objektiv gegebener Störungs- und Gefahrenlagen ausgerichtet, wohingegen die Sanktion einer inneren Einstellung Aufgabe des Strafrechts ist (Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577, 578; Pietsch/Sommerfeld, JA 2022, 840, 844; Ebert, JuS 1985, 257, 262). Vorzugswürdig erscheint es somit, im Polizei- und Ordnungsrecht, das auch allgemein nicht vom Verschuldensprinzip ausgeht, der objektiven Theorie zu folgen.

2. Zwischenergebnis

Ob der Abspielende des Liedes als Zweckveranlasser Adressat eines ordnungsbehördlichen Verbots sein kann hängt somit vom konkreten Einzelfall ab. Der Klausurbearbeiter muss gegebenenfalls nach Ablehnung der subjektiven Theorie eingehend dazu Stellung nehmen, ob das Abspielen des Liedes nach objektiver Betrachtung typischerweise zu dem Singen ausländischer Parolen führt. Je nach dem zu welchem Ergebnis man kommt wäre das ordnungsbehördliche Verbot materiell rechtmäßig oder nicht.

III. Ergebnis

Insgesamt zeigt sich, dass an ein ordnungsbehördliches Verbot des Abspielens des Liedes „L’amour toujours“ hohe Hürden gestellt sind und die materielle Rechtmäßigkeit eines solchen Verbots vom konkreten Einzelfall abhängt. Bejaht man die materielle Rechtmäßigkeit des ordnungsbehördlichen Verbots, ist zudem zu beachten, dass § 14 I OBG NRW den Ordnungsbehörden auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen einräumt. Die Behörde müsste die Grenzen des Ermessens einhalten. Ermessensgrenze könnte vorliegend die Kunstfreiheit nach Art. 5 III 1 Var. 1 GG des Abspielenden sein. Dieser bringt mit dem Abspielen des Liedes dieses dem Publikum gegenüber zur Geltung und verbreitet es, sodass er eine unentbehrliche Mittelfunktion zwischen Künstler und Publikum wahrnimmt und sich damit auf die Kunstfreiheit berufen kann (dazu: BVerfG, Beschl. v. 3.11.2000 – 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596 in Bezug auf das Abspielen des Liedes „Deutschland muss sterben“). Der Schwerpunkt der Klausur könnte folglich auch im Verfassungsrecht liegen und lediglich die Einkleidung des Falls im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht!

07.06.2024/15 Kommentare/von Marie-Lou Merhi
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Marie-Lou Merhi https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Marie-Lou Merhi2024-06-07 08:00:002024-06-08 11:02:45Ein Lied macht Schlagzeilen:  „L’amour toujours“
Lukas Knappe

VG Gelsenkirchen: Verbot von Rockerkutten auf Volksfest

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Rockerclubs wie die Hells Angels oder die Bandidos bestimmen zurzeit immer wieder die Schlagzeilen der Tagespresse in Deutschland. So werden die verstärkte Präsenz derartiger Clubs, deren Verbindung zu Gewalttaten oder organisierter Kriminalität oder die drohende Eskalation von Konflikten verfeindeter Rockerclubs thematisiert. Eine besondere Bedeutung erhält dabei die sogenannte Rockerkutte, mit der als besonders wichtigem Statussymbol die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub ausgedrückt werden soll, da diese eine zunehmende Präsenz im Bewusstsein der Öffentlichkeit erfährt. Besonders bekannt sind dabei die Embleme der Hells Angels (Totenschädel mit Flügeln), sowie der Bandidos („Fat Mexican“), doch zunehmend tauchen auch verstärkt die Symbole anderer Rockervereinigungen auf. Diese Rockerkutten sind jedoch auch mittlerweile Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden: So verwarf das BVerfG in einem Beschluss vom 14.03.2012 (Az. 2 BvR 2405/11 – vgl. dazu auch unseren Artikel hierzu) eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein Kuttenverbot während einer Gerichtsverhandlung richtete. Andere Urteile (OVG Schleswig, Urteil vim 18.01.2012 – 4 KN 1/11; OVG Bremen, Beschluss vom 21.10.2011 – 1 B 162/11) haben das Verbot von Rockerkutten auf Volksfesten oder der Bahnhofsvorstadt zum Gegenstand. Das VG Gelsenkirchen hatte sich nun mit Beschluss vom 07.08.2014 (Az. 16 L 1180/14) ebenfalls mit derartigen Rockerkutten zu befassen und bestätigte im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ein ordnungsbehördlich verhängtes Kuttenverbot auf der Cranger Kirmes.

Zum Sachverhalt

Die Stadt Herne verbot durch eine ordnungsbehördliche Allgemeinverfügung vom 16. Juli 2014 das öffentliche Tragen von Bekleidungsstücken und Rockerkutten mit Abzeichen und Schriftzügen von bestimmten Motorradgruppierungen im Bereich der Cranger Kirmes. Dabei verwies die Ordnungsbehörde darauf, dass das Tragen derartiger Rockerkutten und Symbole einerseits als Ausdruck einer gemeinsamen Gesinnung und andererseits auch als Erkennungsmerkmal dienen würde. Die verwendeten Abzeichen, Embleme und Schriftzüge würden insbesondere anderen Rockern eine prompte und sichere Zuordnung zur jeweiligen Gruppierung ermöglichen. In einem längeren Teil der Begründung zur Allgemeinverfügung wurden dann zahlreiche polizeilich festgehaltene Ereignisse aufgezählt, die im Zusammenhang mit Rockerclubs stehen. Nach Ansicht der Stadt Herne ließen gerade diese festgehaltenen Ereignisse in Verbindung mit einer allgemeinen polizeilichen Gefährdungsbewertung von Rockerclubs in NRW und für die Stadt Herne erkennen, dass die Mitgliedschaft in verschiedenen, gegebenenfalls verfeindeten Motorradclubs zu Auseinandersetzungen führen könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit bei der Cranger Kirmes und anderen Volksfesten mehrfach Anhänger von Rockerclubs gemeinsam Präsenz gezeigt hätten („Schaulaufen“), um konkurrierenden Motorradclubs die eigene Stärke zu demonstrieren. Gerade dieses öffentliche Zurschautragen der Mitgliedschaft könne auf der Gegenseite schwerwiegende Reaktionen bis hin zu Gewaltanwendungen provozieren, so dass davon auszugehen sei, dass das Fehlen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen und Emblemen der Motorradclubs die Identifizierung eines Kirmesbesuchers als Rocker deutlich erschwere und die Gefahr von Auseinandersetzungen dadurch eingeschränkt werde.

Ein Mitglied eines Rockerclubs wandte sich jedoch im Rahmen eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutzes gegen diese Verbotsverfügung und machte dabei geltend, dass ihn das Kuttenverbot in seinen Freiheitsrechten verletze.

I. Rechtliche Würdigung

Das VG Gelsenkirchen lehnte den Eilantrag des Antragsstellers gegen die ordnungsbehördliche Verbotsverfügung ab, da diese jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig sei.

 1. Prozessuale Einkleidung

Bei dem vom Antragssteller eingelegte Rechtsbehelf handelt es sich bei der Frage nach der Statthaftigkeit des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes um einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S.1 VwGO.

Im Rahmen der nach § 123 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abgrenzung des § 123 I VwGO von den Fällen der §§ 80, 80a VwGO, regeln diese ein Aussetzungsverfahren, mit dem Ziel, die aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Anfechtungsklage anzuordnen bzw. wiederherzustellen. Entscheidend für die Anwendbarkeit des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ist mithin, dass ein belastender VA vorliegt, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage zulässig wäre(vgl. zur Abgrenzung der Verfahren Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 500f.).

Die Stadt Herne hat das Kuttenverbot explizit als Allgemeinverfügung erlassen, bei der es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S.1 VwVfG handelt, wobei jedoch die Besonderheit besteht, dass das Merkmal des Einzelfalls durch § 35 S.2 VwVfG modifiziert wird, so dass bei einem generellen Adressatenkreis nur unter diesen Voraussetzungen eine Einzelfallregelung vorliegt. Infolge dessen, dass sich das Verbot des Tragens und Zurschaustellens vom Symbolen und Emblemen von Rockervereinigungen auf der Cranger Kirmes an einen im Wesentlichen bestimmbaren Personenkreis richtet, der nicht völlig offen ist, sind hier die Voraussetzungen einer personenbezogenen Allgemeinverfügung nach § 35 S.2 Fall 1 VwVfG erfüllt. Der bestimmbare Personenkreis ergibt sich gerade dadurch, dass das Verbot auf Cranger Kirmes bezogen, also eine konkrete, räumlich und zeitlich fixierte Veranstaltung zum Gegenstand hat. Gegen die Verfügung wäre in einem Hauptsacheverfahren mithin eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt.1 VwGO zu erheben.

Darüber hinaus hat die Stadt Herne vor dem Hintergrund der bereits am 01.08.2014 beginnenden Kirmes auch nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung angeordnet, so dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage statthaft ist.

Im Rahmen der Begründetheit des Antrags ist zu berücksichtigen, dass im Fall des § 80 Abs. 2 S.1 Nr. 4 VwGO zunächst die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu prüfen ist (vgl. dazu Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 32 Rn.14f.). Bei der materiellen Begründetheitsprüfung nehmen die Gerichte dann eine eigene Interessensabwägung vor, wobei geprüft wird, ob das Aussetzungsinteresse das Interesse an der sofortigen Vollziehung des VA überwiegt. Bei dieser Abwägungsentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren eine wichtige Rolle. Angesichts der Tatsache, dass es sich um ein Begehren nach gerichtlichem Eilrechtsschutz handelt, erfolgt dabei durch die Gerichte jedoch lediglich eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten (Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn.532f.).

II. Materielle Probleme

Als Ermächtigungsgrundlage für das durch die Stadt Herne erteilte Kuttenverbot auf der Cranger Kirmes kommt § 14 OBG NRW in Betracht, der die Ordnungsbehörde zur Durchführung der notwendigen Maßnahmen ermächtigt, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren

1. Betroffenheit eines Schutzgutes

Zunächst müsste ein Schutzgut der ordnungsbehördlichen Generalklausel betroffen sein. In Betracht kommt hier die öffentliche Sicherheit. Darunter ist nach allgemeiner Ansicht die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestands der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und der sonstigen Träger von Hoheitsgewalt zu verstehen (vgl. Wolffgang/Hendricks/Merz, Polizei-und Ordnungsrecht in NRW, Rn.54). Das Tragen der Bekleidungsstücke durch Rockerclubs in der Öffentlichkeit hat in der Vergangenheit unter Berücksichtigung der polizeilich festgehaltenen Ereignisse zu Provokationen und zur Anwendung massiver Gewalt zwischen den verfeindeten Vereinigungen geführt. Zudem legt die Ordnungsbehörde in der Begründung auch unter anderem Folgendes dar:

Aufgrund der zunehmenden Ansiedlung von Motorradclubs in Herne und Umgebung, kommt es durch die Mitglieder der vorgenannten Vereinigungen immer wieder zu Auftritten, die eine massiv einschüchternde Wirkung auf die allgemeine Bevölkerung haben.

Angesichts der verübten und zu befürchtenden Gewalttaten ist somit eine Betroffenheit des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit zu bejahen.

2. Vorliegen einer konkreten Gefahr

Die Frage nach der Rechtmäßigkeit des ordnungsbehördlichen Verbots hängt jedoch insbesondere vom Vorliegen einer konkreten Gefahr ab. Diese ist dann anzunehmen, wenn der Sachverhalt bei ungehindertem Verlauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den geschützten Gütern führen wird (vgl. Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in NRW, § 3 Rn.61; Schoch, Jura 2003, 472).

a) Beurteilung durch das VG Gelsenkirchen

Das VG Gelsenkirchen hat in der veröffentlichen Pressemitteilung erklärt, dass

die Kammer (es) vom Grundsatz her nachzuvollziehen (vermag), dass das Tragen solcher Bekleidungsstücke in der Öffentlichkeit im Bereich der (Kirmes) zu massiven Gewaltausbrüchen führen könnte. Dass auch Abzeichen der Gruppierung, der der Antragsteller angehört, von der Allgemeinverfügung erfasst sind, erscheint ebenfalls nicht offensichtlich verfehlt. Immerhin hat die Antragsgegnerin in der Begründung der Allgemeinverfügung explizit auch zwei Vorfälle aus der jüngeren Vergangenheit aufgeführt, die als Gewaltandrohung aufgefasst werden konnten bzw. bei denen tatsächlich Gewalt ausgeübt wurde und in die offenbar Mitglieder des (Rockerclubs) involviert waren.

 Jedoch bleibt zu berücksichtigen, dass das VG im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes aufgrund der lediglich summarischen Prüfung auch nicht die offensichtliche Rechtmäßigkeit feststellen konnte. Vielmehr hat es im Rahmen der Abwägungsentscheidung darauf abgestellt, dass es sich lediglich um ein Kuttenverbot für eine kurze Dauer handelt und der Zugang zur Kirmes als solcher nicht beschränkt wird, und dann angesichts der seiner Ansicht nach geringen Beeinträchtigung die Interessensabwägung zugunsten der Ordnungsbehörde vorgenommen. In einer Klausur müsste man sich hier jedoch intensiv mit der Frage nach dem Vorliegen einer konkreten Gefahr beschäftigen. Im Folgenden sollen dazu instruktiv einige Anregungen gegeben werden:

 b) Allgemeine Erwägungen zum Gefahrenbegriff

Bei der Beurteilung einer konkreten Gefahr geht es im Kern um eine Gefahrenprognose, bei der die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und das zu erwartende Schadensausmaß zueinander in Bezug gesetzt werden müssen (vgl. Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 61). Dabei gilt als Faustregel, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit desto geringer sind, je größer das Ausmaß des drohenden Schadens ist, und umgekehrt strengere Anforderungen an die Schadenswahrscheinlichkeit gestellt werden müssen, wenn es sich lediglich um geringere Schäden handelt (Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei-und Ordnungsrecht, § 4 Rn.2; Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 61).

Zu berücksichtigen ist dabei, dass eine gefahrenabwehrrechtliche Allgemeinverfügung nur zur Bekämpfung einer konkreten Gefahr erlassen werden darf. Sollen abstrakte Gefahren bekämpft werden, ist dies nicht durch eine Allgemeinverfügung, sondern lediglich durch eine ordnungsbehördliche Gefahrenabwehrverordnung möglich, die auf § 27 Abs.1 OBG NRW zu stützen ist (vgl. dazu auch OVG Bremen, 1 B 162/11).

Abzugrenzen ist die konkrete Gefahr im Sinne der ordnungsbehördlichen Generalklausel somit von der abstrakten Gefahr. Bei dieser handelt es sich um einen nach allgemeiner Erfahrung möglichen Sachverhalt, der bei ungehindertem Verlauf generell dazu geeignet ist, eine Gefahr zu verwirklichen (Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn, 73). Die abstrakte Gefahr ist mithin durch eine typisierende Betrachtungsweise geprägt, ist also nicht auf einen konkreten Sachverhalt bezogen.

 Im Rahmen der Definition des Gefahrenbegriffs ist als besondere Gefahrenlage jedoch auch noch unter anderem der Gefahrenverdacht auszumachen. Ein solcher liegt nach der allgemeinen Definition dann vor, wenn die Gefahrenabwehrbehörde über Anhaltspunkte verfügt, die auf das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr hindeuten, sich aber bewusst ist, dass ihre Erkenntnisse unvollständig sind und eine Gefahr möglicherweise doch nicht vorliegt (siehe dazu Wolffgang/Hendricks/Merz, Rn. 247). Beim Gefahrenverdacht wird das Vorliegen einer Gefahr somit lediglich für möglich, jedoch angesichts der bestehenden Unwägbarkeiten nicht für wahrscheinlich gehalten.

 c) Gründe für eine konkrete Gefahr

Die Stadt Herne ist in ihrer Begründung bezüglich der erlassenen Ordnungsverfügung vom Vorliegen einer konkreten Gefahr ausgegangen. Dies hat sie zum einen damit begründet, dass es in der Vergangenheit immer wieder zu Auftritten von Rockerclubs gekommen sei, die eine massiv einschüchternde Wirkung gehabt hätten oder sogar mit Gewalttaten verbunden gewesen seien. Als Beleg für diese Behauptung werden dann mehrere polizeilich festgestellte Ereignisse im Zusammenhang mit den Rockerclubs aufgezählt. Darüber hinaus verweist die Ordnungsbehörde auch auf eine allgemeine polizeiliche Gefährdungsbewertung, nach der die Rockerlage in NRW von Expansionsbestrebungen geprägt sei und sich vor allem durch Konfliktlagen um Einflussbereiche und Gebietsansprüche kennzeichne. Auch nach einer Lage- und Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamtes NRW Düsseldorf stellten die aufgeführten aktuellen Geschehensabläufe im Bereich Oberhausen, Herne und Essen eine andauerndes Konfliktpotential dar. Die Behörde führt insbesondere aus:

Nach plausibler polizeilicher Lageeinschätzung ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit von aggressiven Auseinandersetzungen verfeindeter Gruppierungen auf der Cranger Kirmes auszugehen, sofern diese auf dem Veranstaltungsgelände aufeinandertreffen sollten und dabei die genannten Bekleidungsgegenstände tragen. Diese Auseinandersetzungen können zu massiven Rechtsgut- und Gesetzesverletzungen führen….

Das Zurschaustellen des Namens, des Symbols oder sonstiger Kennzeichnungen einer Zugehörigkeit oder der Unterstützung einer solchen Gruppierung auf der Cranger Kirmes gewinnt damit eine Gefahrenqualität, die es zuverlässig abzuwehren gilt.

 d) Gegenargumente

Trotz der genannten örtlichen Besonderheiten in Herne können auch Argumente in der Diskussion angeführt werden, die eher für das Vorliegen eines Gefahrenverdachts (so das OVG Schleswig, 4 KN 1/11) oder einer abstrakten Gefahr (dazu tendiert das OVG Bremen, 1 B 162/11) sprechen:

So könnte man zunächst das Vorliegen einer hinreichend abgesicherten Prognose für das Verüben von Gewalttaten auf der Kirmes durch die Rocker anzweifeln. Die Annahme einer konkreten Gefahr setzt voraus, dass sich ein Sachverhalt aktuell in der Realität nachweisen lässt, während die abstrakte Gefahr lediglich eine „hypothetische“ Gefahr darstellt (Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 73). Zwar stützt sich die Behörde hier nicht nur auf eine allgemeine polizeiliche Gefahrenbewertung und die Bewertung des Landeskriminalamtes, sondern auch auf konkrete polizeilich bekannte Ereignisse im Zusammenhang mit Rockerclubs in Herne, jedoch ist es in der Vergangenheit gerade bei Volksfesten wie der Cranger Kirmes oder dem Festival Bochum Total lediglich zu „Schaulaufen“ bzw. Machtdemonstrationen einiger bestimmter Rockervereinigungen und nicht zu Gewalttaten gekommen. Diese Taten wurden vielmehr in anderen Zusammenhängen verübt. Darüber hinaus erscheint die Gesamtsituation auch weniger zugespitzt als im Fall des OVG Bremen, der dadurch geprägt war, dass es innerhalb weniger Tage mehrfach zu gewaltsamen Übergriffen rivalisierender Rockerclubs gekommen war. Eine mit der Situation in Bremen vergleichbare Gewalteskalation lässt sich der Begründung der Stadt Herne nicht ohne Weiteres entnehmen.

Ein weiteres Argument gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr, welches gerade auf die Gefahrenprognose bezogen ist, kann aus dem Urteil des OVG Schleswig zum allgemeinen Kuttenverbot auf der Kieler Woche abgeleitet werden. So sieht das OVG eine allgemeine polizeilich Gefahreneinschätzung hinsichtlich der mit Rockerclubs in Kiel verbunden Gefahren und Risiken nicht als ausreichende Beurteilungsgrundlage der tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer abstrakten Gefahr an. Vielmehr bedürfe es einer konkreten Prognose und Darlegung der gefahrbegründenden Umstände für jeden vom Kuttenverbot betroffenen Rockerclub. Es müsse im Einzelfall konkret tatsächliche Anhaltspunkte dafür geben, dass die Mitglieder des betroffenen Clubs das betreffende Volksfest als „Laufsteg“ nutzen und es dabei zu Gewalttaten kommen werde.

Zweifelhaft erscheint auch die Begründung des Kuttenverbots mit der durch das Zurschaustellen der Kutten verbundenen Provokations- und Einschüchterungswirkung. So könnte angeführt werden, dass das bloße Mitführen der Kutte selbst keine Gefahr darstellt, sondern vielmehr noch ein weiterer Willensakt für die Verübung von späteren Gewalttaten notwendig ist. Mit einer vergleichbaren Argumentation wurde beispielsweise versucht, bei der rechtlichen Beurteilung des Glasverbotes mittels Allgemeinverfügung im Kölner Straßenkarneval (dazu hier) lediglich eine abstrakte Gefahr anzunehmen, wobei das OVG Münster angesichts der besonderen Verhältnisse des Karnevals in der Kölner Altstadt dem nicht gefolgt ist. Besonders interessant vor diesem Hintergrund ist auch eine Passage des Beschlusses des OVG Bremen, das nun hinsichtlich des Kuttenverbotes ähnliche Erwägungen anstellte:

Soweit die Allgemeinverfügung darüber hinaus damit begründet worden ist, die von dem Verbot erfassten Embleme und Abzeichen verliehen der Kleidung einen uniformähnlichen Charakter, was mit einem Einschüchterungseffekt für die Bevölkerung des Stadtteils verbunden sei, vermag das die Allgemeinverfügung nicht zu rechtfertigen. Sofern diese Gefahrenprognose der Antragsgegnerin zutreffen sollte, was an dieser Stelle ausdrücklich offen gelassen wird, handelte es sich hierbei nicht um eine konkrete, sondern um eine abstrakte Gefahr.

Gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr spricht somit auch der Umstand, dass die Situation durch die Vielgestaltigkeit der Sachverhalte und Kausalzusammenhänge geprägt ist, so dass wohl das Tragen der Rockerkutte selbst nur schwer als gefahrbegründendes Verhalten eingeordnet werden kann.

Unter Berücksichtigung der allgemeinen Erwägungen zum polizei- und ordnungsrechtlichen Gefahrenbegriff erscheint es somit auch vertretbar, die Situation eher als Gefahrenverdacht, oder unter Umständen nur als abstrakte Gefahr einzuordnen.

III. Schlussbewertung

Angesichts der gerade in der jüngeren Vergangenheit bereits stattgefunden vorangegangenen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppierungen und der Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamtes für den Bereich Herne, die von einer andauernden Konfliktbereitschaft vor dem Hintergrund von Gebietsansprüchen und Einflussbereichen ausgeht, könnte das Zurschaustellen von Rockersymbolen durch die damit verbundene Provokationswirkung für andere Gruppierungen bereits eine Gefahrenqualität erreichen. Andererseits lassen sich auch Argumente gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr finden, da es wohl noch nicht zur einer mit dem Bremer Fall vergleichbaren Gewalteskalation gekommen ist und die Behörde auch nicht konkret dargelegt hat, inwieweit von den jeweiligen vom Verbot betroffenen Gruppierungen ein konkret gefahrbegründendes Verhalten zu erwarten ist. Die Einordnung des Kuttenverbots erweist sich somit als juristisch äußerst schwierig, da es entscheidend auf die Umstände im konkreten Einzelfall ankommt, die der Pressemitteilung nur schwer zu entnehmen sind. Vielmehr sollen die dargestellten Argumente daher ein erstes Gespür für eine argumentative Auseinandersetzung vermitteln.

Im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme muss somit besonders intensiv das Problem des Gefahrenbegriffs beleuchtet werden. Der Fall eignet sich somit zu einer Wiederholung der polizeilichen Gefahrenlagen, deren Vorliegen im Einzelfall nicht immer ganz unproblematisch abgegrenzt werden kann, da auch die verschiedenen Gerichte immer wieder zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die hier aufgeworfene Thematik unter dem Blickwinkel des Öffentlichen Rechts interessante Rechtsfragen beinhaltet, die Gegenstand von Klausuren sein können.

 
 
 
 

21.08.2014/2 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2014-08-21 08:34:172014-08-21 08:34:17VG Gelsenkirchen: Verbot von Rockerkutten auf Volksfest
Zaid Mansour

OVG Schleswig-Holstein: Alkoholverbot in Regionalzügen

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Das OVG des Landes Schleswig-Holstein hatte am 26.1o.2012 einen im polizeirechtlichen Kontext durchaus examensträchtigen Sachverhalt zu beurteilen (Az. 4 MB 71/12). In der Sache ging es um die Rechtmäßigkeit eines per sog. Allgemeinverfügung erlassenen Verbots des Beisichführens bzw. Konsumierens von alkoholischen Getränken, Glasflaschen und pyrotechnischen Gegenständen in Regionalzügen zu einem Fußballspiel.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Die Bundespolizei sah sich aufgrund des Regionalligaspiels zwischen den Mannschaften von  Borussia Dortmund II und Hansa Rostock veranlasst die eingangs erwähnte Allgemeinverfügung zu erlassen. Das Verbot erfasst alle Fahrgäste auf der Regionalzugverbindung von Rostock über Hamburg, Bremen, Wunstorf und Minden nach Dortmund. Die Bundespolizei  stützt sich bei der Begründung des Verbots auf ihre jüngsten Erfahrungen mit sog. Problemfans des F.C. Hansa Rostock, die bei der An- und Abreise zu anderen Spielen regelmäßig an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt waren, bei denen gegnerische Fans, Polizeibeamte und Unbeteiligte mit Flaschen und pyrotechnischen Gegenständen beworfen worden seien. Die Alkoholisierung von Fans habe dabei zur Eskalation beigetragen.
Das erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht hatte den Eilantrag des Fußballfans abgelehnt. Allein der Besitz von Alkohol sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichts für polizeiliche Maßnahmen (z.B. am Vatertag) zwar grundsätzlich noch nicht ausreichend. Allerdings liege hier aber wegen der besonderen örtlichen Situation in Zügen und der Erfahrungen mit den Problemfans des F.C. Hansa Rostock wohlmöglich eine Ausnahme vor. Nach summarischer Prüfung gelangte das entscheidende Gericht daher zu dem Ergebnis, dass das Interesse am Vollzug des Alkoholverbots bzw. Verbots der aufgeführten Gegenstände, welches der Abwehr von Gefahren von menschlichem Leib und Leben dient,  Vorrang vor den Interessen des Antragsstellers hat.
Das OVG Schleswig hat die Beschwerde gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung zurückgewiesen, da die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts zutreffend erfolgt sei. Unter Berücksichtigung der mit alkoholisierten und randalierenden Fahrgästen in Zügen verbundenen Gefahrenlage spreche nach Auffassung des OVG im Übrigen viel dafür, dass das hier verfügte Alkoholverbot rechtmäßig sei.
Rechtliche Würdigung
Die entscheidenden Gerichte hatten sich vorliegend, soweit bislang ersichtlich, lediglich mit der Rechtmäßigkeit des Alkoholverbots auseinanderzusetzen, da die übrigen Regelungsgegenstände vom Antragssteller nicht angegriffen wurden. Im Rahmen einer gutachterlichen Prüfung wird man als Rechtskandidat allerdings in der Regel alle Regelungsgegenstände auf ihre Rechtmäßigkeit zu untersuchen haben.
Bevor man mit der gutachterlichen Prüfung des Falles beginnt, sollte man sich zunächst vergegenwärtigen, dass die Allgemeinverfügung von der Bundespolizei erlassen wurde. Eine taugliche Ermächtigungsgrundlage hat man daher im Bundespolizeigesetz (BPolG) zu suchen, wobei man im Rahmen der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit ebenfalls stets die bundesgesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschriften zitieren muss.
Auch wenn vorliegend ausdrücklich die Bezeichnung „Allgemeinverfügung“ seitens der Polizeibehörde verwendet wurde, sollte man bei der Prüfung der statthaften Klage- bzw. Antragsart dennoch einige Worte zur Rechtsqualität der in Frage stehenden polizeilichen Maßnahme verlieren. Zur Beantwortung der Frage, ob es sich vorliegend um einen VA handelt, kann § 35 VwVfG Bund herangezogen werden. Fraglich ist hier einzig, ob es sich um eine Einzelfallregelung handelt, da sich das Verbot an eine Vielzahl von Personen richtet. Es könnte sich folglich bei der Verfügung um eine adressatenbezogene, konkret-generelle Maßnahme i.S.v. § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG Bund handeln, die sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Der Einzelfallbezug der Maßnahme ließe sich vorliegend aus dem Umstand herleiten, dass sich das Alkoholverbot auf den bestimmbaren Kreis derjenigen Personen bezieht, die sich innerhalb des Geltungszeitraums im räumlichen Wirkungsbereich der Verbotsverfügung aufhalten. Angesichts der relativ kurzen Geltungsdauer und dem hinreichend abgrenzbaren räumlichen Geltungsbereich ist der geregelte Sachverhalt konkret genug, um von einer Einzelfallregelung auszugehen. Wäre dies nicht der Fall, hätte die Regelung abstrakt-generellen Charakter und müsste daher als Gefahrenabwehrverordnung qualifiziert werden, zu deren Erlass die Polizeibehörden des Bundes mangels tauglicher Ermächtigungsgrundlage allerdings nicht befugt sind.
Als Ermächtigungsgrundlage kommt vorliegend § 14 Abs. 1 BPolG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BPolG in Betracht.

§ 14 Allgemeine Befugnisse
1) Die Bundespolizei kann zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach den §§ 1 bis 7 die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit nicht dieses Gesetz die Befugnisse der Bundespolizei besonders regelt.
(2) Gefahr im Sinne dieses Abschnitts ist eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Bereich der Aufgaben, die der Bundespolizei nach den §§ 1 bis 7 obliegen. Eine erhebliche Gefahr im Sinne dieses Abschnitts ist eine Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut, wie Bestand des Staates, Leben, Gesundheit, Freiheit, wesentliche Vermögenswerte oder andere strafrechtlich geschützte Güter von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit.
[…]
§ 3 Bahnpolizei
(1) Die Bundespolizei hat die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die
1. den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder
2. beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen.
[…]

Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit  umfasst neben Rechten und Rechtsgütern des Einzelnen die Veranstaltungen und Einrichtungen des Staates und anderer Hoheitsträger sowie die Gesamtheit der objektiven Rechtsordnung. Durch die zu befürchtenden alkoholbedingten Ausschreitungen drohen Verletzungen von Personen, sodass zunächst Rechtsgüter des Einzelnen betroffen sind, namentlich Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG). Die objektive Rechtsordnung ist wegen der drohenden Verwirklichung der §§ 229, 223 Abs. 1 ff., 303 StGB tangiert. Stellt man ferner in Rechnung, dass auch Polizeibeamte möglicherweise zum Angriffsziel der Randalierer werden, so droht dem Polizeieinsatz und damit einer staatlichen Veranstaltung ebenfalls eine Gefahr.
Die von der Bundespolizei gewählte Handlungsform des VA darf nur zur Anwendung kommen, wenn eine konkrete Gefahr für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit vorliegt. Im Gegensatz zu Gefahrenabwehrverordnungen, die lediglich das Vorliegen einer abstrakten Gefahr voraussetzen (siehe dazu hier), bedarf es für den vorliegenden Einzelfall einer hinreichenden Schadenswahrscheinlichkeit für eines der genannten polizeilichen Schutzgüter.
Eine konkrete Gefahr liegt vor bei einem Lebenssachverhalt, der bei ungehindertem Ablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an polizeirechtlich geschützten Gütern führt. Der Gefahrenbegriff setzt eine Prognose im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts voraus, wobei das zu erwartende Schadensausmaß Berücksichtigung finden muss. Dabei gilt: Je größer das Ausmaß des Schadens, umso geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit und die zeitliche Nähe des Schadenseintritts zu stellen. Maßgeblich ist dabei die ex-ante Perspektive eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Beamten. Anknüpfungspunkt der Prognoseentscheidung kann auch das polizeiliche Erfahrungswissen sein. Danach müsste man das Vorliegen einer konkreten Gefahr bejahen, wenn statistische Beobachtungen der Vorjahre belegen, dass gewaltsame Ausschreitungen zwischen den Fangruppierungen maßgeblich durch den massiven Konsum von alkoholischen Getränken begünstigt worden sind. In ähnlich gelagerten Konstellationen haben einige Verwaltungsgerichte auf § 19 GastG gestützte Alkoholausschankverbote aufrechterhalten (so etwa VG Düsseldorf, Beschluss v. 22.10.2009, Az. 12 L1623/09).
Fazit
Vorliegend lässt sich das Vorliegen einer konkreten Gefahr durch das bloße Mitführen bzw. Konsumieren alkoholischer Getränke allerdings mit guten Gründen verneinen, da zwischen dem Verzehr alkoholischer Getränke und etwaigen gewaltsamen Ausschreitungen regelmäßig noch ein freier Willensentschluss liegt. In derartigen Konstellationen einer mittelbaren Gefahrenursache darf ein Verhalten nur dann Anknüpfungspunkt polizeilicher Verfügungen sein, wenn es automatisch zu einem Schadenseintritt für polizeiliche Schutzgüter führt. Hier wird allerdings ein Verhalten verboten, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit typischerweise in eine konkrete Gefahr mündet, also die „Gefahr einer Gefahr“ begründet. Ein solcher Zustand ist jedoch gerade kennzeichnend für eine sog. abstrakte Gefahr, der nur im Wege einer Polizeiverordnung begegnet werden darf. Vor dem Hintergrund der Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes (Stichwort: keine Vorwegnahme der Hauptsache; Interessenabwägung; s. dazu umfassend hier)  ist das Ergebnis des OVG Schleswig-Holstein indes durchaus vertretbar. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren bleibt insoweit abzuwarten.

09.11.2012/2 Kommentare/von Zaid Mansour
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