Im Folgenden eine Übersicht über im Januar veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 StR 537/14
Der 3. Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach alle mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte an einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden. Vielmehr unterbleibt diese Verknüpfung jedenfalls mit solchen Handlungen, die auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und der Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen. Diese stehen zwar gemäß § 52 Abs. 1 Alt. 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten, mitgliedschaftlichen Beteiligung gemäß § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB, stehen jedoch, soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt, sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Beschluss vom 5. November 2015 – 2 StR 96/15
Die Einräumung der allgemeinen Nutzungsmöglichkeit eines Pkw an den Partner, mit welchem dieser u.a. Fahrten zu einer Cannabisplantage unternimmt, ist – als neutrale Handlung – regelmäßig nur dann Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 27 StGB, § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG), wenn der Helfende – entsprechend der Grundsätze zu berufstypisch neutralen Handlungen – hiervon sicher weiß. Hält er es demgegenüber nur für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so reicht dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht aus, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ (vgl. BGHSt 46, 107, 112).
III. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 3 StR 438/15
Der Versuch der Beteiligung an einem Verbrechen im Sinne von § 30 Abs. 2 StGB (hier: Verabredung der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion gemäß § 308 Abs. 1 StGB) steht mit einer unter Strafe gestellten Vorbereitung dieses Verbrechens (hier: Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB) jedenfalls dann in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB), wenn die sich aus § 30 Abs. 1 und 2 StGB ergebende Strafandrohung diejenige für die Vorbereitungshandlung übersteigt (Leitsatz des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
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Wir freuen uns, heute einen weiteren Gastbeitrag von Lars Stegemann veröffentlichen zu können. Der Autor fasst die in diesem Jahr zum Kaufrecht ergangenen examensrelevanten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zusammen und weist auf die jeweilige Prüfungsrelevanz hin.
Der erste Teil des Beitrages kann hier eingesehen werden.
Verschuldensunabhängige Ersatzfähigkeit der Kosten privater Sachverständiger bei Minderungsansprüchen
BGH, Urteil vom 30.4.2014, VIII ZR 275/13, NJW 2014, 2351
Leitsätze:
- 439 II BGB erfasst verschuldenunsabhängig auch Sachverständigenkosten, die einem Käufer entstehen, um die Ursache der Mangelerscheinungen des Kaufgegenstandes aufzufinden und auf diese Weise zur Vorbereitung eines die Nacherfüllung einschließenden Gewährleistungsanspruchs die Verantwortlichkeit für den Mangel zu klären.
- Stehen der Mangel und die Mangelverantwortlichkeit des Verkäufers fest, besteht der Erstattungsanspruch für die „zum Zwecke der Nacherfüllung“ aufgewandten Sachverständigungskosten auch dann fort, wenn der Käufer später zur Minderung übergeht.
Entscheidungsinhalt:
Das Revisionsurteil behandelt alleine einen möglichen Ersatzanspruch aus § 439 II BGB,[1] andere Anspruchsgrundlagen sprach der Senat nicht an.[2] Zunächst zeichnet der BGH seine Rechtsprechung zu § 439 II BGB nach: Es handele sich um eine Anspruchsgrundlage, die die Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung für den Käufer im Sinne der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sicherstellen soll. Zum Tatbestand dieser Anspruchsgrundlage gehöre, dass „der Vollzug des Kaufvertrages bei Entstehung der Aufwendungen im Stadium der Nacherfüllung gem. § 439 I BGB“ sei und tatsächlich ein Mangel vorliegen müsse.[3] Beides war in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt der Fall.
Problematisch war jedoch, ob die Aufwendungen zum Zwecke der Nacherfüllung im Sinne des § 439 I BGB getätigt wurden, und dies in zweifacher Hinsicht: Einerseits handelt es sich letztlich nur um Kosten zur Durchsetzung des Nacherfüllungsanspruches, andererseits ist der Käufer später auf das Gewährleistungsrecht der Minderung gem. §§ 437 Nr. 2 Alt. 2, 441 BGB umgeschwenkt. Dennoch geht der Senat davon aus, dass auch diese Tatbestandsvoraussetzung erfüllt ist.[4]
Bezüglich der erstgenannten Bedenken sei eine solch weite Auslegung, die auch Aufwendungen zum Zwecke der Durchsetzung erfasse, noch vom Wortlaut gedeckt und entspreche der Absicht des Gesetzgebers, durch diese Regelung § 476a S. 1 BGB a. F.[5] zu ersetzen, unter den die Rechtsprechung auch solche Gutachterkosten subsumierte. Auch die Richtlinie stehe dem angesichts der in Art. 8 II der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie festgelegten Mindestharmonisierung zumindest nicht entgegen.[6]
Auch stehe dem Anspruch nicht entgegen, dass es letztlich nicht zu einer Nacherfüllung kam, sondern der Käufer das Gestaltungsrecht der Minderung ausgeübt hat. Denn die Kosten seien „jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer für den Ersatzanspruch maßgeblichen Entstehung […] zumindest auch zum Zwecke der Nacherfüllung als dem anderen Gewährleistungsrechten vorgeschalteten Gewährleistungsrecht aufgewandt worden“.[7] Sie waren zur Aufklärung erforderlich und zudem habe der Verkäufer weiterhin die Erfüllung des Nacherfüllungsanspruches verweigert.[8]
Prüfungsrelevanz:
Durch die Anerkennung des Anspruchscharakters des § 439 II BGB durch den BGH wurde eine auch für die Prüfung in vielen Konstellationen relevante verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlage geschaffen. Neben dem hier entschiedenen Fall ist sie insbesondere auch bei den examensrelevanten Problemen der Ein- und Ausbaukosten und der Selbstvornahme im Kaufrecht in Erwägung zu ziehen. Durch die hier vorgenommene extensive Auslegung der Vorschrift wird deren Anwendungsbereich noch vergrößert. Nun können verschuldensunabhängig auch Kosten zur Durchsetzung des Nacherfüllungsanspruches und auch bei späterer Minderung statt Nacherfüllung verlangt werden.[9] Insgesamt ist die Entscheidung trotz der Zurückdrängung des Verschuldensprinzips zu begrüßen, wäre der Käufer doch sonst davon abgehalten, die für seine Gewährleistungsrechte notwendigen Feststellungen zu treffen und damit diese Rechte auch zu realisieren.[10] Wie bereits in den genannten examensrelevanten Konstellationen ist genau auf die Beachtung des Tatbestandsmerkmals der Erforderlichkeit zu achten, das insbesondere dazu dienen muss, dem Verkäufer sein Recht zur zweiten Andienung auch bei dieser Anspruchsgrundlage zu erhalten und demnach einer restriktiven Auslegung bedarf.[11]
Zur Zurechnung des Herstellerverschuldens im Rahmen von Kauf- und Werklieferungsvertrag
BGH, Urteil vom 2.4.2014, VIII ZR 46/13, NJW 2014, 2183
Leitsätze:
- Zur Abgrenzung von Kaufvertrag und Werklieferungsvertrag (hier: Lieferung von Aluminium-Profilleisten in einem bestimmten Farbton durch einen Fachgroßhändler für Baubedarf).
- Beim Kaufvertrag ist der vom Verkäufer eingeschaltete Hersteller nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers; gleiches gilt gem. § 651 Satz 1 BGB beim Werklieferungsvertrag, wenn der Lieferant einen Dritten mit der Bearbeitung der Sache betraut (Bestätigung von BGHZ 48, 121).
Entscheidungsinhalt:
Der Sachverhalt dieser Entscheidung bietet zahlreiche examensrelevante Probleme, von denen sich der Senat nur mit einem kleinen Ausschnitt befasst. Kurz zusammengefasst: Der Kläger, eine Schreinerei, baute auf Grundlage eines Werkvertrages Holzfenster in das Haus eines Bauherren ein.[12] Die dazu notwendigen Aluminiumleisten bezog er bei der Beklagten, einem Fachgroßhandel. Dieser wiederum beauftragte die Nebenintervenientin mit der gewünschten Beschichtung dieser von der Beklagten als Standardware zur Verfügung gestellten Leisten. Dieser nicht ordnungsgemäß durchgeführte Beschichtungsvorgang führte zur Mangelhaftigkeit der Leisten und damit auch der später eingebauten Fenster. Der Kläger verlangt nun von der Beklagten Ersatz für die ihm im Zusammenhang mit dem von ihm vorgenommenen Austausch entstandenen Kosten.[13]
Zunächst geht der BGH davon aus, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vertrag nicht um einen Werklieferungsvertrag im Sinne des § 651 S. 1 BGB, sondern um einen Kaufvertrag gem. § 433 BGB handele. Es habe sich um Listenware gehandelt, die Beklagte trat ersichtlich als Zwischenhändlerin und nicht als Herstellerin auf. Zu ihrem Pflichtenprogramm gehörte demnach nur die Lieferung mangelfreier Profilleisten, nicht aber die Herstellung und somit auch nicht die Beschichtung.[14] Weil es sich um einen Kaufvertrag zwischen zwei Unternehmern handelte, war der Ein- und Ausbau der schadhaften Leisten im Rahmen der Ersatzlieferung auch nicht Gegenstand des Anspruches auf Nacherfüllung in Form der Ersatzlieferung gem. § 439 I Var. 2 BGB, diese Kosten konnten somit nur Gegenstand eines einfachen Schadensersatzes gem. § 437 Nr. 3, 280 I BGB sein.[15]
Voraussetzung hierfür ist eine schuldhafte Verletzung der Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache aus § 433 I 2 BGB. Damit kam der Senat letztlich zum Schwerpunkt der vorliegenden Entscheidung, der Frage nach der Zurechnung des Herstellerverschuldens gem. § 278 BGB. Der BGH hält hier an seiner ständigen Rechtsprechung vor der Schuldrechtsmodernisierung fest, dass der Hersteller nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers ist, eine Zurechnung somit ausscheidet.[16] Dies war nach der Reform seitens der Literatur angesichts einer Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache bezweifelt worden.[17] Der BGH stellt insofern auf den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ab, dass die Herstellung auch weiterhin trotz § 433 I 2 BGB nicht zum Pflichtenprogramm des Verkäufers gehört, der Verkäufer insofern sich also nicht des Herstellers zur Erfüllung seiner Pflichten im Sinne des § 278 BGB bediene.[18] Dies gelte selbst dann, wenn es sich um einen Werklieferungsvertrag handele, weil § 651 S. 1 BGB vollumfänglich auf das Kaufrecht verweise. Dies stützt der Senat mit dem Verweis darauf, dass auch ein Werkunternehmer nicht für das Verschulden seiner Lieferanten einzustehen habe, dies dann auch für den Werklieferungsvertrag gelten müsse.[19]
Prüfungsrelevanz:
Die Entscheidung bestätigt letztlich, wenn auch mit Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte und weniger dogmatisch begründet, die alte Merkformel für die Klausur, dass der Verkäufer nicht die Herstellung der Kaufsache schuldet, der Hersteller somit auch nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers gem. § 278 BGB ist.[20] Angesichts des klaren Willens des Gesetzgebers führt hieran wohl auch kein Weg vorbei.[21] Im Rahmen von gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzansprüchen ist insofern, soweit es um die Pflicht zur mangelfreien Lieferung gem. § 433 I 2 BGB geht, § 278 BGB anzusprechen, mit der genannten pauschalen Begründung aber abzulehnen. Zweifelhafter erscheint dies für den Werklieferungsvertrag.[22] Dennoch wird man sich jetzt auch für die Klausur an dieser Rechtsprechung orientieren müssen. Gleiches gilt dafür, dass der Lieferant auch beim Werkvertrag nicht Erfüllungsgehilfe des Werkunternehmers ist.[23]
[1] Zum umstrittenen Anspruchscharakter dieser Norm bereits BGH, NJW 2011, 2278 Rn. 37 m.w.N.; kritisch zum Anspruchscharakter der Norm Faust, JuS 2011, 748 (751) sowie Lorenz, NJW 2014, 2319 (2321).
[2] Zu schadensersatzrechtlichen Anspruchsgrundlagen Lorenz, NJW 2014, 2319 (2320 f.): §§ 437 Nr. 3, 280 I, 437 Nr. 3, 280 I, II, 286.
[3] BGH, NJW 2014, 2351 Rn. 11.
[4] Kritisch hierzu Lorenz, NJW 2014, 2319 (2321 f.); zustimmend auf Grund des europarechtlichen Hintergrundes letztlich Looschelders, JA 2014, 707 (709); Faust, in: BeckOK BGB, Stand 01.08.2014, § 439 Rn. 22.
[5] § 476a S. 1 a. F.: „Ist an Stelle des Rechts des Käufers auf Wandelung oder Minderung ein Recht auf Nachbesserung vereinbart, so hat der zur Nachbesserung verpflichtete Verkäufer auch die zum Zwecke der Nachbesserung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten, zu tragen.“ Kritisch zu dieser historischen Auslegung wegen des vor der Schuldrechtsmodernisierung gänzlich anderen Gewährleistungssystems Lorenz, NJW 2014, 2319 (2322).
[6] BGH, NJW 2011, 2351 Rn. 15 ff.
[7] BGH, NJW 2014, 2351 Rn. 18.
[8] BGH, NJW 2014, 2351 Rn. 18.
[9] Kritisch zu dieser sich weit vom Wortlaut entfernenden Auslegung Lorenz, NJW 2014, 2319 ff.
[10] So letztlich auch Looschelders, JA 2014, 707 ff.; Faust, in: BeckOK BGB, § 439 Rn. 22; für eine Lösung über das Schadensersatz- und Verbrauchsgüterkaufrecht Lorenz, NJW 2014, 2319 ff.
[11] Dazu ausführlich im examensrelevanten Kontext Huber/Bach, SchuldR BT I, 4. Auflage 2013, Rn. 87a, 123, 303 f.
[12] Schon wegen dieses Werkvertragscharakters scheidet ein Anspruch aus § 478 II BGB aus, BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 38; hierzu auch die wichtige, hier nicht weiter besprochene Entscheidung zur analogen Anwendung des § 478 II BGB, für einen solchen Fall vgl. BGH, BeckRS 2013, 15325 Rn. 9 f.
[13] Bei einem Werkvertrag erfasst die Nacherfüllung unabhängig von der Beteiligung von Verbrauchern und Unternehmern stets den Ein- und Ausbau, sofern wie hier die Herstellung geschuldet ist: Keiser, JuS 2014, 961 (962 f.) auch zur Abgrenzung von Werkvertrag und Kaufvertrag.
[14] BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 16 ff.
[15] BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 23 ff.
[16] Ausführlich zur Verschuldensfrage im Zusammenhang mit der mangelfreien Lieferung Faust, in: BeckOK BGB, § 437 Rn. 82 ff. m.w.N., auch zu den unterschiedlichen Pflichten eines Herstellers und eines Händlers.
[17] Kritisch zur Entscheidung Witt, NJW 2014, 2156 (2157 f.) m.w.N.
[18] BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 31 f.; zustimmend insofern auch Lorenz, NJW 2013, 207, der aber angesichts des § 434 I 2 BGB eine Fehlleistung des Gesetzgebers sieht und als letztes Mittel eine teleologische Reduktion vorschlägt.
[19] BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 33 ff. unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung vor der Schuldrechtsreform und die darauf abstellende Gesetzesbegründung.
[20] So auch Keiser, JuS 2014,962 (966).
[21] So auch trotz Zweifeln letztlich Lorenz, LMK 2014, 359378.
[22] Kritisch hierzu auch Keiser, JuS 2014, 961 (966) angesichts der Herstellungspflicht; eine solche Herstellungspflicht ist aber nicht unumstritten, Voit, in: BeckOK BGB, Stand 01.02.2013, § 651 Rn. 13 f.
[23] Zur Begründung Voit, in: BeckOK BGB, § 636 Rn. 50.
Im Folgenden eine Übersicht über im Mai veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 – 3 StR 178/13
Veranlasst der Täter durch gefälschte Überweisungsträger Zahlungen einer Bank vom Konto einer Person auf das Konto einer anderen, um anschließend vom letzteren Konto den überwiesenen Geldbetrag mittels erschlichener EC-Karte und PIN über einen Bankomaten abzubuchen, so stehen die im ersten Schritt verwirklichten Delikte der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) in Tateinheit mit Betrug/Computerbetrug (§ 263 StGB / § 263a StGB) zu dem späteren Computerbetrug (§ 263a StGB) wegen Abhebens des Geldes am Bankomaten in Tatmehrheit zueinander. Das tatmehrheitliche zweite Delikt des Computerbetrugs ist nicht als mitbestrafte Nachtat anzusehen, da durch das Abheben des Geldes (erstmalig bzw. vertiefend) einen Schaden bei der Bank eintritt, während bereits die Überweisung vom ersten auf das zweite Konto aufgrund der erstgenannten Tat zu einem Schaden beim betroffenen Kontoinhaber führt, da er zwar gegenüber der Bank einen Anspruch auf Rückbuchung hat, aber das Risiko trägt, die fehlerhafte Überweisung überhaupt zu bemerken.
II. BGH, Urteil vom 20. März 2014 – 3 StR 424/13
Zum Vorliegen eines unmittelbaren Ansetzens (§ 22 StGB) zu einem grausamen Mord, bei dem der Täter das Opfer zunächst in seine Gewalt gebracht und gequält hat, jedoch vor Vornahme tatbestandlicher Handlungen infolge Weingenusses zunächst einschläft und sich das Opfer sodann befreien kann.
III. BGH, Beschluss vom 26. März 2014 – 2 StR 505/13
Ein Mord aus niedrigen Beweggründen kann bei einem Mittäter nicht damit begründet werden, dass er „aus Solidarität“ mit einem anderen Mittäter, dem seinerseits niedrige Beweggründe vorzuwerfen sind, gehandelt habe. Denn niedrige Beweggründe sind einer mittäterschaftlichen Zurechnung versperrt (§ 28 StGB), so dass es darauf ankommt, ob der sich solidarisierende Mittäter davon unabhängig eigene niedrige Beweggründe verwirklicht hat.
IV. BGH, Beschluss vom 27. März 2014 – 4 StR 341/13
Hat ein Teilnehmer nur zu konkurrenzrechtlich unselbstständigen Teilakten einer mehraktigen Haupttat Beihilfe geleistet, kommt es für die Beurteilung seiner Schuld grundsätzlich nur auf die rechtliche Bewertung dieser Einzelhandlungen an (hier: Beihilfe lediglich zur versuchten, nicht vollendeten Hehlerei in einer Konstellation, in welcher der Haupttäter zwar wegen vollendeter Hehlerei verurteilt wurde, der Gehilfe aber nur Unterstützung bei unselbständigen Teilakten geleistet hat, die für sich betrachtet nur den untauglichen Versuch einer Hehlerei darstellen würden).
V. BGH, Urteil vom 2. April 2014 – 2 StR 349/13
Eine vollendete schwere räuberische Erpressung (§§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB) in einem Gastronomie-Betrieb liegt auch dann vor, wenn der die Geldmittel übergebende Restaurantleiter nur vortäuscht, genötigt zu werden, in Wahrheit aber ein Komplize der Täter ist, sofern jedenfalls andere anwesende Personen durch die Drohung der Täter mit Scheinwaffen an einem Einschreiten gehindert werden.
VI. BGH, Beschluss vom 8. April 2014 – 1 StR 126/14
Kündigt der Täter im Rahmen eines gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens den ermittelnden Polizeibeamten an, sie und alle anderen an dem Verfahren beteiligten Personen umzubringen, um die Beamten zumindest zeitweise von weiteren Ermittlungen abzuhalten, liegt darin nicht nur eine Bedrohung (§ 241 StGB), sondern auch der Versuch einer Nötigung (§§ 22, 23, 240 Abs. 1-3 StGB), hinter dem die Bedrohung zurücktritt.
VII. BGH, Beschluss vom 25. April 2014 – 1 StR 13/13
Mit der Einreichung eines Subventionsantrags gibt der Antragsteller zugleich die Erklärung ab, dass die geltend gemachten Kosten tatsächlich entstanden sind und keine verdeckten Zahlungsrückflüsse oder sonstige nicht näher angegebene Provisionen enthalten, so dass hiermit die Tathandlung einer konkludenten Täuschung i.S.d. Betrugstatbestandes (§ 263 StGB) verwirklicht wird (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
Im Folgenden eine Übersicht über im letzten Monat veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 06.08.2013 – 3 StR 175/13
Die Fesselung des Opfers nach erfolgter räuberischer Erpressung an das Bett, um zu verhindern, dass dieses nach der Flucht des Täters aus dessen Wohnung die Polizei rufen kann, stellt keine Geiselnahme nach § 239b StGB dar, da zum Zeitpunkt des weiteren Nötigungserfolgs (Unterlassen der Benachrichtigung der Polizei) keine Bemächtigungslage mehr besteht, so dass es an dem erforderlichen zeitlichen und funktionalen Zusammenhang zwischen Bemächtigungssituation und erstrebten Nötigungserfolg fehlt. (s. dazu auch IV.)
II. BGH, Beschluss vom 31.08.2013 – 1 StR 449/13
Zur Frage eines Erlaubnistatbestandirrtums im Rahmen einer abgeurteilten Körperverletzung mit Todesfolge, bei der ein Angriff des späteren Opfers durch den Täter zunächst in Notwehr abgewehrt wurde, er das Opfer aber auch noch zu einem Zeitpunkt, als es sich nicht mehr wehrte – da er ein bloßes Vortäuschen der Aufgabe fürchtete – weiterhin im „Schwitzkasten“ hielt, so dass es letztendlich erstickte.
III. BGH, Urteil vom 19.09.2013 – 3 StR 119/13
Befindet sich ein Opfer bereits in der Gewalt von Dritten, die dieses entführt oder sich in sonstiger Weise bemächtigt haben, so kann sich ein erst danach an der Tat beteiligender Täter wegen erpresserischen Menschenraubs nach § 239a Abs. 1 Alt. 2 StGB jedenfalls dann strafbar machen, wenn er im Nachgang noch eigenständige Gewalt über das Opfer erlangt, indem er durch sein Eingreifen die Situation qualitativ ändert und über das Fortbestehen der Bemächtigungslage nunmehr maßgeblich selbst bestimmt.
IV. BGH, Beschluss vom 22.09.2013 – 2 StR 236/13
Die Entführung eines Opfers, um dieses durch Drohung dadurch zu bewegen, bei der Polizei die erstattete Anzeige zurückzunehmen, erfüllt nicht den Tatbestand der Geiselnahme (§ 239b StGB), da der Nötigungserfolg (Rücknahme der Anzeige vor der Polizei) erst nach Aufhebung der Bemächtigungssituation eintreten soll.
V. BGH, Beschluss vom 26.09.2013 – 2 StR 324/13
Zum Vorliegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung und eines versuchten Totschlags bei einem Täter, der Polizisten in Suizidabsicht aus geringer Entfernung mit einem Druckluftnagler („Nagelpistole“) beschießt, um sie zum Schußwaffengebrauch gegen sich und damit zur Verursachung seiner letztendlichen Tötung zu bewegen.
VI. BGH, Beschluss vom 01.10.2013 – 3 StR 299/13
Die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (schwerer Raub) nach Vollendung der Tat setzt voraus, dass der Täter den Tatgegenstand zu einer weiteren (versuchten) Zueignungsabsicht oder jedenfalls in der Absicht der Beutesicherung einsetzt (verneint im konkreten Fall für den Überfall auf einen Taxifahrer, dem ein Mittäter nach Wegnahme der Einnahmen noch einen Schlag auf den Kopf versetzte).
VII. BGH, Urteil vom 09.10.2013 – 5 StR 214/13
Zur Abgrenzung einer Körperverletzung mit (fahrlässiger) Todesfolge von einem Totschlag im Fall einer einverständlichen sexuellen Praktik, in welcher der dominante Partner seinem Gefährten trotz Kenntnis der Todesgefahr die Luftzufuhr sperrte, wodurch dieser verstarb. (Anm.: Nicht behandelt in der Entscheidung, aber hochgradig examensrelevant ist hier auch die Frage, inwiefern die Einwilligung in die Körperverletzung bzw. Todesgefahr strafausschließend wirkt [§ 228 StGB]).
VIII. BGH, Urteil vom 17.10.2013 – 3 StR 263/13
Ein Raub, bei dem der Täter, nachdem er das Opfer niedergeschlagen hat, dessen Wohnung nach Wertgegenständen durchsucht und dabei u.a. einen Messerblock mit fünf Messern an sich nimmt, um diese zu verwerten oder zu behalten, stellt einen schweren Raub mit gefährlichen Werkzeugen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB dar.
IX. BGH, Beschluss vom 23.10.2013 – 4 StR 401/13
Die konkrete Gefahr des Todes eines Menschen im Sinne des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB (besonders schwere Brandstiftung) ist nicht bereits allein durch den Umstand, dass sich ein Mensch in enger räumlicher Nähe zu der Gefahrenquelle befindet, belegt (hier: Inbrandsetzen eines Wohnmobils, welches durch die zunächst schlafenden Insassen mit Hilfe einer Decke und 1,5 Liter Wasser innerhalb von fünf Minuten gelöscht werden konnte).
Zum Schluss noch eine lehrreiche Entscheidung des BGH, die sich mit den Folgen einer fehlerhaften Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO auseinandersetzt (namentlich für Referendare interessant):
X. BGH, Beschluss vom 08.10.2013 – 4 StR 339/13
Die Einstellung einer Bedrohung nach § 241 StGB gemäß § 154 Abs. 2 StPO (und nicht, richtigerweise, nach § 154a Abs. 2 StPO) hat zur Folge, dass eine mit dieser örtlich und zeitlich zusammenhängende Anstiftung zur schweren räuberischen Erpressung, da die gleiche „Tat“ i.S.d. § 264 StPO betreffend, ebenfalls nicht mehr verfolgt werden kann. Notwendig ist insoweit ein Wiederaufnahmebeschluss nach § 154 Abs. 5 StPO.
Das Jahr 2012 neigt sich dem Ende zu. Wie zu erwarten war, erging – wie jedes Jahr – eine ganze Reihe von gerichtlichen Entscheidungen, die den juristischen Examensstoff, wie er aus den Lehrbüchern und Repetitorienunterlagen bekannt ist, noch um einige Facetten erweitern. Einige dieser Entscheidungen iterieren für die Examenskandidaten ohnehin nahe liegende Sachverhalte. Andere wiederum erschaffen gänzlich neue Topoi, ungeschriebene Tatbestandsmerkmale oder argumentieren entgegen der klassischen Muster.
Bedeutsamkeit der aktuellen Rechtsprechung
So oder so… angesichts der Tatsache, dass derartige Entscheidungen äußerst häufig – meist sogar mit unveränderten Sachverhalten – den Eingang in Examensklausuren finden (siehe dazu nur die Originalklausuren für das erste Staatsexamen sowie das zweite Staatsexamen), kommt der ambitionierte Examenskandidat von heute nicht daran vorbei, obschon der Masse an Entscheidungen, zumindest zu versuchen, sich mit der bedeutsamsten Rechtsprechung des letzten Jahres vertraut zu machen.
Ein Ansatzpunkt, um sich in dieser Hinsicht zu informieren, besteht darin, den aktuellen Jahrgang einer der juristischen Ausbildungszeitschriften durchzuarbeiten (siehe zu den verschiedenen Zeitschriften und deren Vor- sowie Nachteile hier). Darüber hinaus bietet juraexamen.info kostenfreie Übersichten mit den diesjährigen examensrelevanten Entscheidungen. Unsere Übersicht erhebt (genauso wie die der Fachzeitschriften) keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sofern aber gewisse Entscheidungen bei uns sowie auch bei einer der Fachzeitschriften gelistet werden, kann mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dieser Entscheidung eine besonders erhöhte Examensrelevanz zukommt.
Strafrecht
Unsere Rechtsprechungsübersicht im Strafrecht findet Ihr hier. Die Auflistung der Entscheidungen zeigt, dass in diesem Rechtsgebiet die wenigsten (zumindest für die Examenskandidaten) wirklich relevanten Entscheidungen gefällt wurden. Einen guten Überblick über die Rechtsprechung in diesem Gebiet sollte sich der Kandidat somit in relativ kurzer Zeit verschaffen können. Anderes gilt für die Kandidaten im zweiten Staatsexamen zumindest für die Bundesländer, in denen auch eine strafrechtliche Revision zum Prüfungsstoff gehört. Um für diese Art der Prüfungsform im Hinblick auf die Rechtsprechung gerüstet zu sein, empfiehlt es sich, den aktuellen Jahrgang der NStZ durchzugehen, wobei ein besonderes Augenmerk auf verfahrensrechtliche Probleme gerichtet sein sollte.
Zivilrecht
Unsere Rechtsprechungsübersicht im Zivilrecht findet Ihr hier. In diesem Gebiet gab es in materiellrechtlicher Hinsicht einiges mehr an examensrelevanten Entscheidungen als im Strafrecht. Insbesondere im Schuldrecht, aber auch in anderen examensrelevanten Gebieten, gab es einige wichtige Entscheidungen. Das vertiefte Studium der zivilrechtlichen Entscheidungen des letzten Jahres sei also jedem Kandidaten ans Herz gelegt. Bei komplizierteren Konstellationen kann es ratsam sein, nicht bloß unsere Anmerkung zu lesen, sondern darüber hinaus auch den Volltext der Entscheidung. Zu den Volltextveröffentlichungen gelangt Ihr schnell, unkompliziert und kostenfrei, wenn Ihr bei unseren Artikeln auf das Aktenzeichen der jeweils besprochenen Entscheidung klickt.
Öffentliches Recht
Unsere Rechtsprechungsübersicht im öffentlichen Recht findet Ihr hier. Im öffentlichen Recht gab es die meisten Entscheidungen, die potentiellen Stoff für Examensklausuren bieten. Von der Masse der examensrelevanten Entscheidungen darf man sich in diesem Gebiet jedoch nicht abschrecken lassen. Bei den wenigsten der judizierten Sachverhalte bringt die Kenntnis der zugrunde liegenden Entscheidung einen enormen Wissensvorsprung im Rahmen einer Klausur. Im öffentlichen Recht kommt es meist auf Argumentation, penible Normenlektüre sowie einen nachvollziehbaren Aufbau an. Die Kenntnis des „richtigen“ Ergebnisses und bestimmter Argumentationsstränge stellt dabei zwar einen Vorteil dar; dies heißt aber nicht, dass ein Kandidat, der die examensrelevante Entscheidung nicht kennt, nicht ebenso eine gut vertretbare Lösung produzieren kann. Aus diesem Grunde ist es bei der Recherche im Hinblick auf examensträchtige öffentlich-rechtliche Entscheidungen wichtig, den Wald vor lauter Bäumen im Blick zu behalten. Das bedeutet konkret, dass nur wenige (der ohnehin schon von uns sowie den Ausbildungszeitschriften selektierten) Entscheidungen einer vertieften Nachbereitung unterliegen. Für das Gros der Entscheidungen genügt in diesem Rechtsgebiet meist also das einmalige Überfliegen der Entscheidungsanmerkung.