Wir freuen uns, heute einen weiteren Gastbeitrag von Lars Stegemann veröffentlichen zu können. Der Autor fasst die in diesem Jahr zum Kaufrecht ergangenen examensrelevanten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zusammen und weist auf die jeweilige Prüfungsrelevanz hin.
Der erste Teil des Beitrages kann hier eingesehen werden.
Verschuldensunabhängige Ersatzfähigkeit der Kosten privater Sachverständiger bei Minderungsansprüchen
BGH, Urteil vom 30.4.2014, VIII ZR 275/13, NJW 2014, 2351
Leitsätze:
- 439 II BGB erfasst verschuldenunsabhängig auch Sachverständigenkosten, die einem Käufer entstehen, um die Ursache der Mangelerscheinungen des Kaufgegenstandes aufzufinden und auf diese Weise zur Vorbereitung eines die Nacherfüllung einschließenden Gewährleistungsanspruchs die Verantwortlichkeit für den Mangel zu klären.
- Stehen der Mangel und die Mangelverantwortlichkeit des Verkäufers fest, besteht der Erstattungsanspruch für die „zum Zwecke der Nacherfüllung“ aufgewandten Sachverständigungskosten auch dann fort, wenn der Käufer später zur Minderung übergeht.
Entscheidungsinhalt:
Das Revisionsurteil behandelt alleine einen möglichen Ersatzanspruch aus § 439 II BGB,[1] andere Anspruchsgrundlagen sprach der Senat nicht an.[2] Zunächst zeichnet der BGH seine Rechtsprechung zu § 439 II BGB nach: Es handele sich um eine Anspruchsgrundlage, die die Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung für den Käufer im Sinne der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sicherstellen soll. Zum Tatbestand dieser Anspruchsgrundlage gehöre, dass „der Vollzug des Kaufvertrages bei Entstehung der Aufwendungen im Stadium der Nacherfüllung gem. § 439 I BGB“ sei und tatsächlich ein Mangel vorliegen müsse.[3] Beides war in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt der Fall.
Problematisch war jedoch, ob die Aufwendungen zum Zwecke der Nacherfüllung im Sinne des § 439 I BGB getätigt wurden, und dies in zweifacher Hinsicht: Einerseits handelt es sich letztlich nur um Kosten zur Durchsetzung des Nacherfüllungsanspruches, andererseits ist der Käufer später auf das Gewährleistungsrecht der Minderung gem. §§ 437 Nr. 2 Alt. 2, 441 BGB umgeschwenkt. Dennoch geht der Senat davon aus, dass auch diese Tatbestandsvoraussetzung erfüllt ist.[4]
Bezüglich der erstgenannten Bedenken sei eine solch weite Auslegung, die auch Aufwendungen zum Zwecke der Durchsetzung erfasse, noch vom Wortlaut gedeckt und entspreche der Absicht des Gesetzgebers, durch diese Regelung § 476a S. 1 BGB a. F.[5] zu ersetzen, unter den die Rechtsprechung auch solche Gutachterkosten subsumierte. Auch die Richtlinie stehe dem angesichts der in Art. 8 II der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie festgelegten Mindestharmonisierung zumindest nicht entgegen.[6]
Auch stehe dem Anspruch nicht entgegen, dass es letztlich nicht zu einer Nacherfüllung kam, sondern der Käufer das Gestaltungsrecht der Minderung ausgeübt hat. Denn die Kosten seien „jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer für den Ersatzanspruch maßgeblichen Entstehung […] zumindest auch zum Zwecke der Nacherfüllung als dem anderen Gewährleistungsrechten vorgeschalteten Gewährleistungsrecht aufgewandt worden“.[7] Sie waren zur Aufklärung erforderlich und zudem habe der Verkäufer weiterhin die Erfüllung des Nacherfüllungsanspruches verweigert.[8]
Prüfungsrelevanz:
Durch die Anerkennung des Anspruchscharakters des § 439 II BGB durch den BGH wurde eine auch für die Prüfung in vielen Konstellationen relevante verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlage geschaffen. Neben dem hier entschiedenen Fall ist sie insbesondere auch bei den examensrelevanten Problemen der Ein- und Ausbaukosten und der Selbstvornahme im Kaufrecht in Erwägung zu ziehen. Durch die hier vorgenommene extensive Auslegung der Vorschrift wird deren Anwendungsbereich noch vergrößert. Nun können verschuldensunabhängig auch Kosten zur Durchsetzung des Nacherfüllungsanspruches und auch bei späterer Minderung statt Nacherfüllung verlangt werden.[9] Insgesamt ist die Entscheidung trotz der Zurückdrängung des Verschuldensprinzips zu begrüßen, wäre der Käufer doch sonst davon abgehalten, die für seine Gewährleistungsrechte notwendigen Feststellungen zu treffen und damit diese Rechte auch zu realisieren.[10] Wie bereits in den genannten examensrelevanten Konstellationen ist genau auf die Beachtung des Tatbestandsmerkmals der Erforderlichkeit zu achten, das insbesondere dazu dienen muss, dem Verkäufer sein Recht zur zweiten Andienung auch bei dieser Anspruchsgrundlage zu erhalten und demnach einer restriktiven Auslegung bedarf.[11]
Zur Zurechnung des Herstellerverschuldens im Rahmen von Kauf- und Werklieferungsvertrag
BGH, Urteil vom 2.4.2014, VIII ZR 46/13, NJW 2014, 2183
Leitsätze:
- Zur Abgrenzung von Kaufvertrag und Werklieferungsvertrag (hier: Lieferung von Aluminium-Profilleisten in einem bestimmten Farbton durch einen Fachgroßhändler für Baubedarf).
- Beim Kaufvertrag ist der vom Verkäufer eingeschaltete Hersteller nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers; gleiches gilt gem. § 651 Satz 1 BGB beim Werklieferungsvertrag, wenn der Lieferant einen Dritten mit der Bearbeitung der Sache betraut (Bestätigung von BGHZ 48, 121).
Entscheidungsinhalt:
Der Sachverhalt dieser Entscheidung bietet zahlreiche examensrelevante Probleme, von denen sich der Senat nur mit einem kleinen Ausschnitt befasst. Kurz zusammengefasst: Der Kläger, eine Schreinerei, baute auf Grundlage eines Werkvertrages Holzfenster in das Haus eines Bauherren ein.[12] Die dazu notwendigen Aluminiumleisten bezog er bei der Beklagten, einem Fachgroßhandel. Dieser wiederum beauftragte die Nebenintervenientin mit der gewünschten Beschichtung dieser von der Beklagten als Standardware zur Verfügung gestellten Leisten. Dieser nicht ordnungsgemäß durchgeführte Beschichtungsvorgang führte zur Mangelhaftigkeit der Leisten und damit auch der später eingebauten Fenster. Der Kläger verlangt nun von der Beklagten Ersatz für die ihm im Zusammenhang mit dem von ihm vorgenommenen Austausch entstandenen Kosten.[13]
Zunächst geht der BGH davon aus, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vertrag nicht um einen Werklieferungsvertrag im Sinne des § 651 S. 1 BGB, sondern um einen Kaufvertrag gem. § 433 BGB handele. Es habe sich um Listenware gehandelt, die Beklagte trat ersichtlich als Zwischenhändlerin und nicht als Herstellerin auf. Zu ihrem Pflichtenprogramm gehörte demnach nur die Lieferung mangelfreier Profilleisten, nicht aber die Herstellung und somit auch nicht die Beschichtung.[14] Weil es sich um einen Kaufvertrag zwischen zwei Unternehmern handelte, war der Ein- und Ausbau der schadhaften Leisten im Rahmen der Ersatzlieferung auch nicht Gegenstand des Anspruches auf Nacherfüllung in Form der Ersatzlieferung gem. § 439 I Var. 2 BGB, diese Kosten konnten somit nur Gegenstand eines einfachen Schadensersatzes gem. § 437 Nr. 3, 280 I BGB sein.[15]
Voraussetzung hierfür ist eine schuldhafte Verletzung der Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache aus § 433 I 2 BGB. Damit kam der Senat letztlich zum Schwerpunkt der vorliegenden Entscheidung, der Frage nach der Zurechnung des Herstellerverschuldens gem. § 278 BGB. Der BGH hält hier an seiner ständigen Rechtsprechung vor der Schuldrechtsmodernisierung fest, dass der Hersteller nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers ist, eine Zurechnung somit ausscheidet.[16] Dies war nach der Reform seitens der Literatur angesichts einer Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache bezweifelt worden.[17] Der BGH stellt insofern auf den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ab, dass die Herstellung auch weiterhin trotz § 433 I 2 BGB nicht zum Pflichtenprogramm des Verkäufers gehört, der Verkäufer insofern sich also nicht des Herstellers zur Erfüllung seiner Pflichten im Sinne des § 278 BGB bediene.[18] Dies gelte selbst dann, wenn es sich um einen Werklieferungsvertrag handele, weil § 651 S. 1 BGB vollumfänglich auf das Kaufrecht verweise. Dies stützt der Senat mit dem Verweis darauf, dass auch ein Werkunternehmer nicht für das Verschulden seiner Lieferanten einzustehen habe, dies dann auch für den Werklieferungsvertrag gelten müsse.[19]
Prüfungsrelevanz:
Die Entscheidung bestätigt letztlich, wenn auch mit Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte und weniger dogmatisch begründet, die alte Merkformel für die Klausur, dass der Verkäufer nicht die Herstellung der Kaufsache schuldet, der Hersteller somit auch nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers gem. § 278 BGB ist.[20] Angesichts des klaren Willens des Gesetzgebers führt hieran wohl auch kein Weg vorbei.[21] Im Rahmen von gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzansprüchen ist insofern, soweit es um die Pflicht zur mangelfreien Lieferung gem. § 433 I 2 BGB geht, § 278 BGB anzusprechen, mit der genannten pauschalen Begründung aber abzulehnen. Zweifelhafter erscheint dies für den Werklieferungsvertrag.[22] Dennoch wird man sich jetzt auch für die Klausur an dieser Rechtsprechung orientieren müssen. Gleiches gilt dafür, dass der Lieferant auch beim Werkvertrag nicht Erfüllungsgehilfe des Werkunternehmers ist.[23]
[1] Zum umstrittenen Anspruchscharakter dieser Norm bereits BGH, NJW 2011, 2278 Rn. 37 m.w.N.; kritisch zum Anspruchscharakter der Norm Faust, JuS 2011, 748 (751) sowie Lorenz, NJW 2014, 2319 (2321).
[2] Zu schadensersatzrechtlichen Anspruchsgrundlagen Lorenz, NJW 2014, 2319 (2320 f.): §§ 437 Nr. 3, 280 I, 437 Nr. 3, 280 I, II, 286.
[3] BGH, NJW 2014, 2351 Rn. 11.
[4] Kritisch hierzu Lorenz, NJW 2014, 2319 (2321 f.); zustimmend auf Grund des europarechtlichen Hintergrundes letztlich Looschelders, JA 2014, 707 (709); Faust, in: BeckOK BGB, Stand 01.08.2014, § 439 Rn. 22.
[5] § 476a S. 1 a. F.: „Ist an Stelle des Rechts des Käufers auf Wandelung oder Minderung ein Recht auf Nachbesserung vereinbart, so hat der zur Nachbesserung verpflichtete Verkäufer auch die zum Zwecke der Nachbesserung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten, zu tragen.“ Kritisch zu dieser historischen Auslegung wegen des vor der Schuldrechtsmodernisierung gänzlich anderen Gewährleistungssystems Lorenz, NJW 2014, 2319 (2322).
[6] BGH, NJW 2011, 2351 Rn. 15 ff.
[7] BGH, NJW 2014, 2351 Rn. 18.
[8] BGH, NJW 2014, 2351 Rn. 18.
[9] Kritisch zu dieser sich weit vom Wortlaut entfernenden Auslegung Lorenz, NJW 2014, 2319 ff.
[10] So letztlich auch Looschelders, JA 2014, 707 ff.; Faust, in: BeckOK BGB, § 439 Rn. 22; für eine Lösung über das Schadensersatz- und Verbrauchsgüterkaufrecht Lorenz, NJW 2014, 2319 ff.
[11] Dazu ausführlich im examensrelevanten Kontext Huber/Bach, SchuldR BT I, 4. Auflage 2013, Rn. 87a, 123, 303 f.
[12] Schon wegen dieses Werkvertragscharakters scheidet ein Anspruch aus § 478 II BGB aus, BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 38; hierzu auch die wichtige, hier nicht weiter besprochene Entscheidung zur analogen Anwendung des § 478 II BGB, für einen solchen Fall vgl. BGH, BeckRS 2013, 15325 Rn. 9 f.
[13] Bei einem Werkvertrag erfasst die Nacherfüllung unabhängig von der Beteiligung von Verbrauchern und Unternehmern stets den Ein- und Ausbau, sofern wie hier die Herstellung geschuldet ist: Keiser, JuS 2014, 961 (962 f.) auch zur Abgrenzung von Werkvertrag und Kaufvertrag.
[14] BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 16 ff.
[15] BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 23 ff.
[16] Ausführlich zur Verschuldensfrage im Zusammenhang mit der mangelfreien Lieferung Faust, in: BeckOK BGB, § 437 Rn. 82 ff. m.w.N., auch zu den unterschiedlichen Pflichten eines Herstellers und eines Händlers.
[17] Kritisch zur Entscheidung Witt, NJW 2014, 2156 (2157 f.) m.w.N.
[18] BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 31 f.; zustimmend insofern auch Lorenz, NJW 2013, 207, der aber angesichts des § 434 I 2 BGB eine Fehlleistung des Gesetzgebers sieht und als letztes Mittel eine teleologische Reduktion vorschlägt.
[19] BGH, NJW 2014, 2183 Rn. 33 ff. unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung vor der Schuldrechtsreform und die darauf abstellende Gesetzesbegründung.
[20] So auch Keiser, JuS 2014,962 (966).
[21] So auch trotz Zweifeln letztlich Lorenz, LMK 2014, 359378.
[22] Kritisch hierzu auch Keiser, JuS 2014, 961 (966) angesichts der Herstellungspflicht; eine solche Herstellungspflicht ist aber nicht unumstritten, Voit, in: BeckOK BGB, Stand 01.02.2013, § 651 Rn. 13 f.
[23] Zur Begründung Voit, in: BeckOK BGB, § 636 Rn. 50.