Strafbarkeit des Kapitäns der Costa Concordia
Das tragische Schiffsunglück vor der Costa Concordia vor der Küste Italiens beschäftigt in den letzten Tagen die Medien. In den Fokus rückte am Wochenende insbesondere das Verhalten des Kapitäns. Gegen diesen ermittelt die italienische Staatsanwaltschaft wegen diverser Vergehen – insbesondere auch wegen „Verlassen des Schiffes“. Der nachfolgende Beitrag soll einige Aspekte der Strafbarkeit aufzeigen, die in den nächsten Tagen auch sehr gut als Einstieg in eine mündliche Prüfung genutzt werden könnten. Betrachten will der Beitrag das Geschehen aus Sicht des deutschen Rechts.
I. Anwendbarkeit deutschen Rechts
Im konkreten Fall handelte es sich um ein unter italienischer Flagge fahrendes Schiff; auch der Unfall passierte in italienischen Gewässern; fraglich ist aber, ob das deutsche Strafrecht auf ein unter deutscher Flagge fahrendes Schiff Anwendung finden könnte. Hierfür sorgt § 4 StGB, der die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts – abweichend vom sonst nach § 3 StGB geltenden Territorialitätsprinzip – für diesen Fall regelt. Auch ohne diese Norm könnte sich die Strafbarkeit aber zumindest aus § 7 StGB ergeben. Die Einzelheiten der Norm müssen hierzu nicht bekannt sein. Vielmehr ist eine saubere Subsumtion erforderlich.
Die Anwendung des deutschen Strafrechts ist auch davon unabhängig, dass die mögliche Tat hier in italienischen Hoheitsgewässern (Zwölf-Meilen-Zone) begangen wurde. Selbst die ergänzende Geltung des italienischen Strafrechts würde die Geltung des deutschen Strafrechts nicht ausschließen.
II. Strafbarkeit auf Grund des Unfalls nach §§ 229, 222, 315 ff. StGB
Relativ unproblematisch ist die Strafbarkeit des Kapitäns wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger Tötung nach § 229 StGB und § 222 StGB. Prüfungsrelevant ist hier vor allem die objektive Sorgfaltspflichtverletzung. Hier wäre dann zu prüfen, inwiefern der Kapitän tatsächlich eine gefährliche Route genommen hat, die Geräte nicht ordnungsgemäß überwacht hat etc. Alle weiteren Prüfungspunkte (Erfolg, Handlung, Kausalität, objektive Vorhersehbarkeit, Pflichtwidrigkeitszusammenhang und Schutzzweck der Norm) können hingegen unproblematisch bejaht werden.
Zudem kommt auch eine Strafbarkeit wegen Gefährdung des Bahn- Schiffs- und Luftverkehrs gemäß § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB in Betracht.
III. Strafbarkeit wegen frühzeitigem Verlassen des Schiffs
Hauptproblem ist aber, ob sich der Kapitän durch das vorzeitige Verlassen des Schiffes selbst strafbar gemacht hat.
Eine explizite Strafbarkeitsnorm hierfür enthält das StGB nicht. Auch sonderstrafrechtliche Norm regeln diesen Fall nicht. Weder aus § 28 SeemG noch aus § 517 HGB [Anm.: Nicht im Schönfelder abgedruckt] kann sich eine Pflicht zur Anwesenheit auf dem Schiff, bis dies alle Besatzungsmitglieder und Passagiere verlassen haben, ergeben . § 28 SeemG gilt nur für Besatzungsmitglieder, während § 517 Abs. 3 HGB zwar die Anwesenheit des Kapitäns regelt, geht diese aber nicht so weit, als dass eine Anwesenheit des Kapitäns als letzter erforderlich ist. Die Norm soll davor schützen, dass sich aus der Abwesenheit des Kapitäns eine Gefahr für das Schiff ergibt. Ist diese Gefahr aber bereits gegeben und kann die Anwesenheit des Kapitäns diese auch nicht mehr mindern oder abwenden, so ist diese Regelung nicht mehr anwendbar. Ohnehin knüpfen aber an eine etwaige Pflichtverletzung keine strafrechtlichen Rechtsfolgen an; zwar enthält das SeemG in den § 114 ff SeemG umfangreiche Vorschriften zu Strafbarkeiten und Ordnungswidrigkeiten, das vorzeitige Verlassen des Schiffes ist damit nicht aufgeführt. Ergänzung: Damit kann zwar eine zivilrechtliche Verantwortung des Kapitäns und damit ein Schadensersatzanspruch bestehen, strafrechtlich relevant ist das dagegen nicht.
Auch in internationalen Seerechtsnormen ist keine entsprechende Strafbarkeitsnorm aufgeführt.
Der Grundsatz, dass der Kapitän als letzter das Schiff verlasse, mag damit zwar gewohnheitsrechtlich bestehen, eine gesetzliche Entsprechung gibt es hierzu nicht. Ein Verstoß hiergegen würde zwar einen Verstoß gegen die „Seemannsehre“ darstellen, strafbar ist dieser aber zumindest nach deutschem Recht nicht – gilt hier doch der Grundsatz „nulla poena sine lege“.
Fraglich ist aber, ob der Kapitän sich durch das Verlassen des Schiffes nicht anderweitig strafbar gemacht hat. Hieran wäre zumindest dann zu denken, wenn dadurch das Sinken des Schiffes beschleunigt wurde, bzw. die Möglichkeit der Rettung der Passagiere und der Besetzung eingeschränkt wurde. Denkbar ist hierbei eine Körperverletzung bzw. sogar eine Tötung durch Unterlassen (§§ 223, 13 StGB; 212, 13 StGB).
Dazu müsste der Kapitän eine Garantenstellung innehaben. Zu unterscheiden ist hier zwischen einem Beschützergaranten und einem Überwachergaranten. Hier obliegt dem Kapitän die gesetzliche Verpflichtung für die Sicherheit der Passagiere und der Besetzung zu sorgen. Dies ergibt sich bereits aus seiner Stellung als Kapitän. Er ist damit als Beschützergarant anzusehen.
Auch aus der Herbeiführung des Unfalls kann sich nach den Grundsätzen der Ingerenz eine Betrachtung als Garant – diesmal als Überwachergarant – ergeben. Eine Garantenstellung des Kapitäns liegt damit auf jeden Fall vor.
Die weiteren Voraussetzungen wären auch erfüllt. Dies wären:
- Eintritt des Erfolgs (+)
- Nichtvornahme der erforderlichen Handlung (+) erforderlich wäre das Verbleiben auf dem Schiff und die Unterstützung der Rettungsaktionen
- Kausalität – hier wäre zu prüfen, ob bei Vornahme der Handlung der Erfolg ausgeblieben wäre. Dies wäre dann zu bejahen, wenn die Rettung erleichtert worden wäre oder das Schiff später gesunken wäre. Das kann sich bspw. daraus ergeben, dass nur der Kapitän dafür geeignet ist, die Rettungsmaßnahmen zu koordinieren oder das Schiff in stabiler Lage zu halten.
- Die Garantenstellung ist wie gezeigt zu bejahen.
- Auch eine objektive Zurechenbarkeit wäre gegeben.
Demnach wäre eine Strafbarkeit wegen Unterlassen gegeben.
Anm.: Auf die Prüfung des Vorsatzes, des Verschuldens und der Rechtswidrigkeit wurde hier verzichtet. Anzunehmen ist aber zumindest ein dolus eventualis des Kapitäns.
Ebenso zu bejahen wäre eine Strafbarkeit des Kapitäns wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB zu bejahen. Hier ist der Kapitän aus den gleichen Gründen zur Hilfeleistung verpflichtet.
Zudem kommt eine Strafbarkeit wegen Aussetzung nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie bei dem Tod nach § 221 Abs. 3 StGB in Betracht.
IV. Fazit
Damit ergibt sich ein differenziertes Bild hinsichtlich der Strafbarkeit des Kapitäns nach deutschem Recht: Sowohl durch das Herbeiführen der Kollision als auch durch das Verlassen des Schiffes hat er sich nach mehreren Normen strafbar gemacht. Eine unmittelbare Strafbarkeit resultiert aus dem vorzeitigen Verlassen des Schiffes dagegen nicht; dies ist nur ein Ehrenkodex, an dessen Verstoß keine unmittelbaren strafrechtlichen Folgen knüpfen. Das Verlassen des Schiffes ist damit nur ein – wichtiger – Prüfungspunkt bei der Ermittlung der Strafbarkeit wegen Unterlassens.
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