• Lerntipps
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Karteikarten
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > Strafbarkeit

Schlagwortarchiv für: Strafbarkeit

Yannick Peisker

Schwarzfahren und das Erschleichen von Leistungen – Ein Grundlagenbeitrag

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Tagesgeschehen

A. Allgemeine Einführung
Gegenstand des heutigen Grundlagenbeitrags ist der Straftatbestand „Erschleichen von Leistungen“ gemäß § 265a StGB. Die Studierenden zwar im zweiten Semester bereits begegnete, wahrscheinlich aber in Vergessenheit geratene Norm, soll – auch angesichts aktueller Diskussionen – klausurtypisch aufbereitet werden.
In der Praxis erfolgt jedoch in regelmäßigen Abständen die durchaus lebhafte Diskussion, inwiefern das tatbestandlich erfasst Verhalten, insbesondere in Bezug auf das „Schwarzfahren“, einer Entkriminalisierung bedarf.
So hatte die Fraktion DIE LINKE im Jahr 2016 im Deutschen Bundestag beantragt,

„den Tatbestand der Leistungserschleichung aus § 265a StGB so abzuändern, dass die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein auch im Wiederholungsfall nicht als Straftat geahndet wird. Auch eine Ahndung als Betrug gemäß § 263 StGB ist auszuschließen.“[1]

Selbst Jan Böhmermann nahm sich zuletzt in seiner Satire-Fernsehshow „ZDF Magazin Royale“ vom 3. Dezember 2021 der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein an.[2]
Gegenstand der Diskussionen ist dabei häufig die Frage, ob es an der Erforderlichkeit einer Strafe fehle. Die betroffenen Leistungserbringer hätten bereits ausreichende Möglichkeiten, zivilrechtlich gegen Leistungserschleicher vorzugehen, ebenso bestehe die Möglichkeit, durch technisch präventive Einrichtungen wie Zugangssperren o.ä. – so aus einigen Städten bekannt – die unbefugte Nutzung der Beförderungsmittel zu verhindern.[3]
Geschütztes Rechtsgut des § 265a StGB ist das Vermögen des Leistungserbringers.[4] Es handelt sich um ein Erfolgsdelikt, tatbestandlicher Erfolg ist das Erschleichen der vermögenswerten Leistung selbst, sowie um ein Dauerdelikt, welches mit Beginn der Leistungserbringung vollendet und mit der vollständigen Erbringung beendet ist.[5]
Die Norm fungiert als Auffangtatbestand insbesondere gegenüber § 263 StGB, denn in den heute typischen Fällen der Leistungserschleichung – so auch beim „Schwarzfahren“ – fehlt es aufgrund des reduzierten Personaleinsatzes an zu täuschenden natürlichen Personen.[6] Eine betrugsnahe Auslegung ist daher naheliegend.[7]
 
B. Prüfungsschema:
Die Prüfung des § 265a StGB gestaltet sich wie folgt:

I. Objektiver Tatbestand

1. Taugliches Tatobjekt: Entgeltliche Leistung

a) Eines Automaten

b) Eines öffentlichen Zwecken dienenden Kommunikationsnetzwerks

c) Beförderung durch ein Verkehrsmittel

d) Zutritt zu einer Veranstaltung oder Einrichtung

e) Entgeltlichkeit

2. Tathandlung: Erschleichen

II. Subjektiver Tatbestand

III. Rechtswidrigkeit und Schuld

IV. Strafantrag, § 265a StGB

 
C. Objektiver Tatbestand
Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes erfordert die Erschleichung einer entgeltlichen Leistung, wobei diese Leistung in vier verschiedenen tatbestandlichen Varianten durch den Leistenden erbracht werden kann. Erfasst wird die Leistung eines Automaten (Var. 1), die eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes (Var. 2), die Beförderung durch ein Verkehrsmittel (Var. 3) sowie den Zutritt zu Veranstaltungen oder Einrichtungen (Var. 4).
Statistisch am häufigsten erfolgt dabei die Beförderungserschleichung in Form des klassischen „Schwarzfahrens“. Im Jahr 2020 wurden deutschlandweit 179.267 Fälle wegen Verstoßes gegen § 265a StGB erfasst, davon waren 177.037 Fälle Beförderungserschleichungen.[8]
I. Leistung eines Automaten
Ein Automat ist grundsätzlich ein Gerät, welches nach menschlicher Bedienung selbsttätig aufgrund eines (mechanischen oder elektronischen) Steuerungssystems Funktionen erfüllt.[9]
Notwendig ist, dass der Automat die Leistung selbst(tätig) erbringt – nicht erfasst werden daher Automaten, die lediglich zur Unterstützung von menschlichem Personal genutzt werden, oder bei denen die Leistungserbringung erst später erfolgt.[10] Als aus diesem Grund nicht erfasste Beispiele zu nennen sind Fahrkartenautomaten, Pfandautomaten, Parkscheinautomaten. Die Leistung für welche das Entgelt erhoben wird (Beförderung, Anspruch auf Pfandgeld, Parkmöglichkeit) werden nicht durch den Automaten gewährt, sondern nur vermittelt.[11]
Problematisch ist, welche Automatenarten erfasst werden. Differenziert wird zwischen sog. Leistungsautomaten und sog. Warenautomaten.
Leistungsautomaten sind Automaten, bei welchen das Entgelt für die selbsttätig erbrachte Leistung gezahlt wird (Bsp.: Musikbox, Spielautomat, Münztelefon, Münzfernglas), dagegen wird bei sog. Warenautomaten das Entgelt für eine Ware bezahlt, die der Automat wiederum freigibt (Bsp.: Getränkeautomat, Zigarettenautomat, Fahrscheinautomat).[12]
Nach überwiegender Auffassung werden nur die zuvor beschriebenen Leistungsautomaten, nicht jedoch Warenautomaten vom Tatbestand erfasst.[13] Hierfür wird angeführt, dass die Entnahme der Waren regelmäßig von §§ 242, 246 StGB tatbestandlich erfasst werde, sodass es der Auffangfunktion der Norm nicht bedürfe.[14] Ebenso würden auch die anderen Varianten nur unkörperliche Leistungen erfassen.[15] Dem kann entgegengehalten werden, dass der Wortlaut der Norm durchaus offen ist und der Erfassung von Warenautomaten nicht entgegensteht. Ferner bestehe bereits mit der gesetzlichen Subsidiaritätsklausel in § 265a Abs. 1 2. Hs. StGB ein Instrument, um dem Auffangcharakter des § 265a StGB gerecht zu werden, eine Einschränkung bereits auf Tatbestandsebene sei nicht erforderlich.[16] Auch lasse sich nicht trennscharf zwischen Leistungs- und Warenautomaten abgrenzen. Ein Wechselautomat gebe zwar Geld heraus, zivilrechtlich handele es sich jedoch um einen Tauschvertrag, sodass der Leistungscharakter im Vordergrund steht.[17] So gebe auch eine Waschanlage, um den Leistungsvorgang „Waschen“ zu erbringen, Wasser und Seife als Gegenstände ab.[18]
Klausurtaktisch ist es einerlei, welcher Ansicht gefolgt wird, auf der Ebene der Konkurrenzen wird § 265a StGB bei Warenautomaten regelmäßig von konkurrierenden Delikten wie § 242 StGB und § 246 StGB verdrängt.
II. Leistung eines öffentlichen Zwecken dienendes Telekommunikationsnetzwerk
Telekommunikationsnetze sind alle Datenübertragungssysteme im Fernmeldebereich (Breitbandnetz, Kabelnetz, also insbesondere Internet und Telefon).[19]
Der Öffentlichkeit dient dieses, wenn es für die Allgemeinheit errichtet wurde.[20] Irrelevant ist, ob der konkrete Netzzugang nur gegen Entgelt nutzbar ist (Pay-TV-Abo, auch dieses wird über das Internet betrieben, welches allen offensteht).[21] Nicht erfasst werden aber interne Netze, die selbst ohne Entgeltleistung nicht der Nutzung zugänglich sind (Betriebsinterne Netze).[22]
III. Beförderung durch ein Verkehrsmittel
Der Begriff des Verkehrsmittels erfasst nicht nur den öffentlichen Nahverkehr als Massenverkehr, sondern auch Individualverkehr wie z.B. Taxen, wobei im Bereich des Individualverkehrs regelmäßig eine Betrugsstrafbarkeit gemäß § 263 StGB vorliegen wird.[23]
Beförderung meint jede Form des Transports.[24]
IV. Zutritt zu Veranstaltungen oder Einrichtungen
Veranstaltungen werden definiert als ein einmaliges oder zeitlich begrenztes Geschehen, dass sich räumlich gegenständlich von seiner Umwelt abgrenzt (Konzerte, Theater, Sportereignisse).[25] Einrichtungen dagegen sind auf eine gewisse Dauer angelegte, einem bestimmten Zweck dienende Personen- oder Sachgesamtheiten (Museen, Bibliotheken, Zoos, Parkhäuser).[26]
V. Entgeltlichkeit
Erforderlich ist weiterhin, dass die jeweilige Leistung entgeltlich ist. Auch, wenn sich dieses objektive Tatbestandsmerkmal nicht explizit im Wortlaut finden lässt, ist dieses aus dem bezweckten Schutz fremder Vermögensinteressen sowie dem subjektiven Absichtserfordernis des Täters, das Entgelt nicht zu entrichten, abzuleiten.[27]
Der Begriff des Entgelts wird in § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB definiert. Entgelt ist danach jede in einem Vermögenswert bestehende Gegenleistung. Erforderlich ist also, dass die Leistung, die der jeweilige Automat freigibt, entgeltlich ist, also nur gegen einen vermögenswerten Vorteil erworben werden kann.
Damit fallen bereits Geldwechselautomaten aus dem Tatbestand heraus, die das Geld lediglich wechseln, sofern sie hierfür keine Gebühr nehmen.[28] Selbiges gilt für Schließfächer, die nach Benutzung das eingeworfene Münzstück ausspucken.[29]
Nicht notwendig ist, dass das Entgelt direkt am Tatobjekt (Automaten, Telekommunikationsnetz, Verkehrsmittel, Einrichtung, Veranstaltung) entrichtet wird. Ausreichend ist, wenn dieses gegenüber einer anderen Person oder in einer anderen Einrichtung gezahlt wird.[30] Erforderlich und geradezu entscheidend ist jedoch, dass das Entgelt als Gegenleistung für die erbrachte Leistung entrichtet wird.
So stellt der Rundfunkbeitrag keine Gegenleistung für die Möglichkeit des Fernsehens oder Radio Hörens dar, sodass das „Schwarzsehen“ und „Schwarzhören“ tatbestandlich mangels entgeltlicher Leistung nicht erfasst werden.[31]
Unproblematisch bejaht werden kann dieses Merkmal dagegen bei der Beförderungserschleichung, denn nahezu jedes öffentliche Verkehrsmittel darf nur gegen (vorherige) Entrichtung des Ticketpreises genutzt werden.
Selbiges gilt für den Zutritt zu einer Einrichtung oder Veranstaltung. Interessante Konstellation ist hier jedoch der Zutritt zu einem Parkhaus. Da der Zutritt selbst hier nicht entgeltpflichtig ist, sondern erst das Verlassen des Parkhauses, kann sich der Zutritt zum Parkhaus mangels eines zu zahlenden Entgelts nicht tatbestandlich erschlichen werden.[32] Auch das spätere Umgehen der Schranke zur Ausfahrt ist tatbestandlich nicht erfasst, da das Entgelt nicht für das Hochfahren der Schranke, sondern für die Parkmöglichkeit geleistet wird.[33]
Hier gilt daher für die Klausur: Eine präzise Differenzierung und eine Betrachtung unter Berücksichtigung einer Anschauung des täglichen Lebens vermag zu einer deutlich überdurchschnittlichen Note zu führen.
VI. Tathandlung: Erschleichen
Nachdem die tauglichen Tatobjekte bereits ausführlich erläutert wurden, muss sich nun zwingend der Tathandlung Erschleichen zugewendet werden.
Ein Erschleichen setzt jedenfalls ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten voraus. Mithin hat ein Einverständnis keine rechtfertigende, sondern bereits tatbestandsausschließende Wirkung.[34] Zudem erfordert der Wortsinn, dass nicht gewalttätig vorgegangen wird.[35]
Allgemein wird unter einem Erschleichen das Erlangen der Leistung unter Überwindung oder Umgehung einer den entgegenstehenden Willen des Leistenden sichernden Vorkehrung verstanden.[36] Aufgrund der inhaltlichen Nähe zum Betrugstatbestand muss die Überwindung oder Umgehung täuschungsähnlich erfolgen.[37]
Tatbestandlich erfasst sind damit:

– Einwerfen von Falschgeld in einen Automaten[38]

– Verwendung von nicht autorisierten Karten zur Entschlüsselung von Pay-TV[39]

– Nutzung gefälschter Handy-Chip-Karten[40]

Bei der Zutrittserschleichung finden sich regelmäßig zumindest automatisierte Kontrollen, sodass auch hier insbesondere das Übersteigen einer Absperrung oder die Benutzung eines Notausgangs oder anderen unbenutzten Eingangs tatbestandlich erfasst sind.[41]
Tatbestandlich nicht erfasst ist:

– Das bloße Ausnutzen eines Gerätedefekts[42]

– Die unberechtigte Inanspruchnahme bei ordnungsgemäßer Bedienung, wie z.B. das Bedienen eines Glücksspielautomaten in Kenntnis des Programms[43]

– Störanrufe mangels Umgehung einer Sicherheitsvorkehrung[44]

Problematisch – und zentraler Problempunkt des § 265a StGB – ist, ob von diesem Verständnis im Rahmen der Beförderungserschleichung abgewichen werden soll.
Nach einer vorwiegend in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung soll es bereits ausreichen, wenn der Täter die Leistung in Anspruch nimmt und sich dabei mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt – unerheblich ist die Überwindung oder Umgehung eines Hindernisses.[45]
Nach Auffassung des BGH sprechen die folgenden Argumente für ein solch weites Verständnis:

„Der Wortlaut der Norm setzt weder das Umgehen noch das Ausschalten vorhandener Sicherungsvorkehrungen oder regelmäßiger Kontrollen voraus. Nach seinem allgemeinen Wortsinn beinhaltet der Begriff der „Erschleichung” lediglich die Herbeiführung eines Erfolges auf unrechtmäßigem, unlauterem oder unmoralischem Wege [..]. Er enthält allenfalls ein „täuschungsähnliches” Moment dergestalt, dass die erstrebte Leistung durch unauffälliges Vorgehen erlangt wird; nicht erforderlich ist, dass der Täter etwa eine konkrete Schutzvorrichtung überwinden oder eine Kontrolle umgehen muss.
[…] Da das Tatbestandsmerkmal schon im Hinblick auf seine Funktion der Lückenausfüllung eine weitere Auslegung zulässt, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, unter dem Erschleichen einer Beförderung jedes der Ordnung widersprechende Verhalten zu verstehen, durch das sich der Täter in den Genuss der Leistung bringt und bei welchem er sich mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt […].
Die Vorschrift des § 265a StGB geht, soweit sie das „Schwarzfahren” unter Strafe stellt, auf Art. 8 der Strafgesetznovelle vom 28. 6. 1935 zurück (RGBl. I, 839, 842). Sie sollte vor allem die Lücke schließen, die sich bei der Erschleichung von Massenleistungen bezüglich der Anwendung des § 263 StGB ergaben […].
Die im Jahre 1935 eingeführte Vorschrift des § 265a StGB entsprach fast wörtlich dem § 347 StGB (Erschleichen freien Zutritts) des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1927, in dessen Begründung es u.a. heißt: „Erschleichen ist nicht gleichbedeutend mit Einschleichen. Auch wer offen durch die Sperre geht, sich dabei aber so benimmt, als habe er das Eintrittsgeld entrichtet, erschleicht den Eintritt. Auch ein bloß passives Verhalten kann den Tatbestand des Erschleichens erfüllen; so fällt auch der Fahrgast einer Straßenbahn unter die Strafdrohung, der sich entgegen einer bestehenden Verpflichtung nicht um die Erlangung eines Fahrscheins kümmert” (Materialien zur Strafrechtsreform, 4. Bd., Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1927 mit Begr. und 2 Anlagen [Reichstagsvorlage], 1954 [Nachdruck], S. 178, 179; Die Strafrechtsnovellen v. 28. 6. 1935 und die amtl. Begründungen, Amtl. Sonderveröffentlichungen der Deutschen Justiz Nr. 10, S. 41).
Die Vorschrift sollte also gerade diejenigen Fälle erfassen, in denen es unklar bleibt, ob der Täter durch täuschungsähnliches oder manipulatives Verhalten Kontrollen umgeht. Der gesetzgeberische Wille ist nicht etwa deswegen unbeachtlich, weil sich die bei Schaffung des Gesetzes bestehenden Verhältnisse insoweit geändert haben, als heute, auch zu Gunsten einer kostengünstigeren Tarifgestaltung, auf Fahrscheinkontrollen weitgehend verzichtet wird […].“.[46]

Der Rechtsprechung entgegengehalten wird insbesondere, dass ein solcher Wortsinn nicht zwingend sei, vielmehr setze ein Erschleichen ein Ergaunern, Heimlichkeit oder List voraus, wovon bei der bloßen Inanspruchnahme der Leistung nicht ausgegangen werden könne.[47] Ferner könne es keinen Anschein der Ordnungsmäßigkeit geben, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass jeder Fahrgast einen Fahrschein mit sich führe. Insofern fehle es bereits an einer Verkehrsanschauung, wie sich ein ordnungsgemäßer Fahrgast verhalte.[48] Im Übrigen werde die Nähe zum Betrug so überdehnt, denn § 263 StGB schütze nicht bereits vor der unberechtigten Inanspruchnahme der Leistung, sondern vor Angriffen gegen die Entscheidungsfreiheit.[49]
Weiterhin bleibt unklar, wann und in welcher Form der Anschein der Ordnungsmäßigkeit durchbrochen werden kann. So reiche nach Auffassung des OLG Hamm selbst das vorherige Senden eines Briefes mit der Ankündigung der Schwarzfahrt an den Verkehrsbetrieb nicht aus, vielmehr sei der Anschein der Ordnungsmäßigkeit gegenüber den eingesetzten Kontrolleuren selbst maßgeblich.[50] Dies erscheint mit Blick auf die Tatsache, dass der Schutz des Vermögens der Leistungserbringer – also der Verkehrsbetriebe – geschützt werden soll, nicht konsistent.
Allerdings soll auch das Anbringen eines Aufnähers oder Kärtchens mit dem Text „Ich fahre umsonst“ an der Kleidung nicht ausreichen, um den Anschein der Ordnungsmäßigkeit zu durchbrechen.[51] Hierdurch würde der Täter nicht in offener und unmissverständlicher Art und Weise zum Ausdruck bringen, den Fahrpreis nicht zu entrichten.[52] Ein solcher Hinweis könne auch als bloße Provokation oder als ein Eintreten für freies Fahren in Bus und Bahn in Form einer politischen Stellungnahme verstanden werden.[53]
Zuletzt wird in systematischer Hinsicht gegen die Auffassung der Rechtsprechung angeführt, dass in allen anderen Varianten ein Erschleichen abgelehnt wird, wenn keine Zugangsbarriere besteht.[54] Dagegen hält der BGH, dass die übrigen Leistungen im Gegensatz zur Beförderung nur auf spezielle Anforderung hin erbracht werden, die Beförderungsleistung aber auch ohne ein konkretes Anfordern bereits vorhanden ist.[55]
Damit fordern weite Teile der Literatur auch innerhalb der Beförderungserschleichung ein Überwinden oder Umgehen präventiver Kontrollen oder sonstiger Vorrichtungen tatbestandlich zu prüfen.[56]
Der zuvor dargestellte Streit kann in der Klausur beliebig entschieden werden. Allerdings sollte, sofern der Sachverhalt Anhaltspunkte dafür liefert, dass der Klausurersteller eine Subsumtion zur Problematik des „offenen und unmissverständlichen zum Ausdruck bringen“ bezwecket, sich zwar argumentativ mit beiden Positionen auseinandergesetzt werden, im Ergebnis jedoch der Rechtsprechung gefolgt werden. Dies gilt erst Recht im Zweiten Staatsexamen.
D. Subjektiver Tatbestand
In subjektiver Hinsicht muss der gesamte objektive Tatbestand zunächst vom Vorsatz umfasst sein, hierfür genügt dolus eventualis.[57] Glaubt der Täter, er habe eine Fahrkarte dabei, handelt er nicht vorsätzlich.[58]
Weiterhin muss der Täter ausweislich des Wortlautes mit der Absicht handeln, dass Entgelt nicht zu entrichten. Hierfür bedarf es eines zielgerichteten Willens des Täters.[59] Entscheidend ist in Klausuren oftmals, dass der Vorsatz gerade zum Zeitpunkt der Tathandlung vorliegen muss (sog. Koinzidenzprinzip). Wer bereits ausreichend zur Bejahung der Absicht ist es jedoch, wenn die Entgeltvermeidung nicht das alleinige Ziel des Täters ist, sondern lediglich notwendiges Zwischenziel, um das eigentliche Ziel zu erreichen.[60]
E. Weiteres
Mit Erbringen der tatbestandlichen Leistung ist die Erschleichung vollendet, hierfür genügt der Beginn der Leistungserbringung.[61] Beendet ist die Tat mit dem Ende der Leistungserbringung.[62] Nicht erforderlich ist, dass der Täter die Leistung selbst entgegennimmt oder beansprucht, auch die Leistungserschleichung für Dritte ist ohne Weiteres erfasst.[63]
Die Strafbarkeit des Versuches ist – aufgrund der Eigenschaft des Deliktes als Vergehen – ausdrücklich in § 265a Abs. 2 StGB normiert.
265a Abs. 1 StGB enthält eine Subsidiaritätsklausel, sodass das Erschleichen von Leistungen formell subsidiär gegenüber ebenfalls verwirklichten Delikten ist, sofern die Tat dort mit schwererer Strafe bedroht ist. Die Subsidiaritätsklausel ist wörtlich zwar nicht beschränkt, nach teilweise vertretener Ansicht ist die Vorschrift jedoch nur gegenüber Delikten mit derselben Angriffsrichtung subsidiär, so etwa zu Vermögens- und Eigentumsdelikten wie z.B. §§ 263, 242, 263a StGB, nicht aber zu §§ 123, 146, 147, 267 StGB, denn Sinn und Zweck ist die Schließung von Strafbarkeitslücken insbesondere in Bezug auf § 263 StGB.[64] Zu anderen Delikten mit abweichender Angriffsrichtung soll daher Tateinheit möglich sein.[65] Andere vertreten, dass die Vorschrift gegenüber sämtlichen schwereren Delikten subsidiär ist.[66]
F. Summa
Der vorangegangene Grundlagenbeitrag zeigt, Diskussionen rund um die Strafwürdigkeit des tatbestandlich erfassten Verhaltens, insbesondere rund um die Beförderungserschleichung, sind durchaus begründet. Durch die weitreichende Position der Rechtsprechung – die sich jedoch aufgrund der vorgebrachten Argumente durchaus auch in der aktuellen Diskussion sehr gut vertreten lässt – wird nahezu jede Inanspruchnahme eines Beförderungsmittels ohne Fahrschein pönalisiert.
Allerdings darf nicht vergessen werden, auch abseits der Beförderungserschleichung besitzt die Norm einen – wenn auch praktisch nur geringen – Anwendungsbereich, der in der Klausur durchaus höher ausfallen kann.
Insgesamt betrachtet hält sich die Examensrelevanz des § 265a StGB in Grenzen, entscheidet das zuvor vermittelte Wissen regelmäßig nur über das Bestehen. Wird über den Klausurschwerpunkt hinaus jedoch auch der § 265a StGB sauber geprüft, sind gute Noten garantiert.
[1] BT-Drs. 18/7374, S. 1.
[2] ZDF Magazin Royal, abrufbar unter: https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-3-dezember-2021-100.html; ab Minute 11:20, letzter Abruf v. 23.12.2021.
[3] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 11 ff.; Hefendehl, JA 2011, 401, 406; Stolle, StudZR 2006, 27, 38.
[4] BayObLG, Urt. v. 18.7.1985 – RReg. 5 St 112/85, NJW 1986, 1504.
[5] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 4.
[6] Mitsch, NZV 2019, 70.
[7] Mitsch, NZV 2019, 70.
[8] Polizeiliche Kriminalstatistik 2020 Bund; abrufbar unter https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2020/PKSTabellen/BundFalltabellen/bundfalltabellen.html?nn=145506, letzter Abruf v. 23.12.2021.
[9] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 3.
[10] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 4.
[11] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 26.
[12] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Hellmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 18.
[13] U.a. BGH, Urt. v. 22.4.1952 – 2 StR 101/52, MDR 1952, 563; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.7.1999 – 5 Ss 291/98 – 71/98 I, NJW 2000, 158.
[14] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 19.
[15] Kudlich, JuS 2001, 20, 21.
[16] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 33.
[17] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 37; Kudlich, JuS 2001, 20, 22.
[18] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 6.
[19] Lackner/Kühl/ Heger, 29. Auflage 2018, § 265a StGB Rn. 3.
[20] RG, Urt. v. 10.12.1896 – 3777/96, RGSt 29, 244 f.
[21] BeckOK StGB/Valerius, Stand 1.11.2021, § 265a StGB Rn. 13.
[22] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 7.
[23] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 59.
[24] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 6.
[25] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 9.
[26] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 7; Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 9.
[27] BeckOK StGB/Valerius, Stand 1.11.2021, § 265a StGB Rn. 10.
[28] OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.7.1999 – 5 Ss 291/98 – 71/98 II, NJW 2000, 158.
[29] Hichrichs, ZJS 2013, 407, 416.
[30] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 23, 89.
[31] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 30.
[32] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 92.
[33] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 7; MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 92.
[34] Etter, CR 1988, 1021, 2022.
[35] BVerfG, Beschl. v. 9.2.1998 – 2 BvR 1907/97, NJW 1998, 1135, 1136.
[36] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 10.
[37] Lackner/Kühl/Heger, 29. Auflage 2018, § 265a StGB Rn. 6a.
[38] BGH, Beschl. v. 23.4.1985 – 1 StR 164/85, BeckRS 1985, 05500.
[39] MüKo StGB/ Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 146.
[40] MüKo StGB/ Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 146.
[41] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn. 19.
[42] MüKo StGB/ Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 138; Fischer, NJW 1988, 1828, 1829.
[43] LG Freiburg, Beschl. v. 17.4.1990 – IV Qs 33/90, NStZ 1990, 343.
[44] Schönke/Schröder/Perron, 10. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 10.
[45] BGH, Beschl. v. 8.1.2009 – 4 StR 117/08, NStZ 2009, 211; OLG Hamburg, Urt. v. 18.12.1990 – 2a Ss 119/90, NStZ 1991, 587; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.10.1991 – 130/91 I, NStZ 1992, 84; OLG Stuttgart, Urt. v. 10.03.1989 – 1 Ss 635/88, NJW 1990, 924; letztlich bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 9.2.1998 – 2 BvR 1907-97, NJW 1998, 1135.
[46] BGH, Beschl. v. 8.1.2009 – 4 StR 117/08, NStZ 2009, 211, Rn. 12 ff.
[47] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 162.
[48] Exner, JuS 2009, 990, 992 f.; MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 165.
[49] Exner, JuS 2009, 990, 993.
[50] OLG Hamm, Beschl. v. 10.3.2011 – 5 RVs 1/11, NStZ 3022, 206, 207.
[51] OLG Frankfurt, Urt. v. 23.12.2016 – 1 Ss 253/16, BeckRS 2016, 112425.
[52] OLG Frankfurt, Urt. v. 23.12.2016 – 1 Ss 253/16, BeckRS 2016, 112425 Rn. 9.
[53] KG, Beschl. v. 2.3.2011 – (4) 1 Ss 32/11 (19/11), NJW 2011, 2600.
[54] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 172.
[55] BGH, Beschl. v. 8.1.2009 – 4 StR 117/08, NStZ 2009, 211, Rn. 21.
[56] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 177; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 37; Lackner/Kühl/Heger, 29. Auflage 2018, § 265a StGB Rn. 6a; Albrecht, NStZ 1988, 222, 224.
[57] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 45.
[58] OLG Koblenz, Beschl. v. 11.10.1999 – 2 Ss 250/99, NJW 2000, 86, 87.
[59] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Heilmann, 5. Auflage 2017, § 265a StGB Rn. 46.
[60] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 192.
[61] BayObLG, Beschl. v. 4.7.2001 – 5 St RR 169/01, BeckRS 2001, 30190872.
[62] MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 205.
[63] MüKo StGB/Hefendehl,3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 200.
[64] Schönke/Schröder/Perron, 30. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 14.
[65] Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 11. Auflage 2020, § 33 Rn 21.
[66] Lackner/Kühl/Heger, 29. Auflage 2018, § 265a StGB Rn. 8; MüKo StGB/Hefendehl, 3. Auflage 2019, § 265a StGB Rn. 213.

06.01.2022/1 Kommentar/von Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Yannick Peisker2022-01-06 09:00:332022-01-06 09:00:33Schwarzfahren und das Erschleichen von Leistungen – Ein Grundlagenbeitrag
Yannick Peisker

Strafbarkeit des Vorlegens gefälschter Impfausweise in der Apotheke

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht

Am 26. Oktober 2021 hat das LG Osnabrück (v. 26.10.2021 – 3 Qs 38/21) die Beschwerde gegen die Beschlagnahme eines mutmaßlich gefälschten Impfausweises mit der Begründung abgewiesen, die Vorlage eines gefälschten Impfausweises gegenüber einer Apotheke sei nicht strafbar.
Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, einen gefälschten Impfausweis in einer Apotheke in der Stadt Nordhorn zur Erlangung eines digitalen Impfausweises vorgelegt zu haben. Eine gerichtliche Bestätigung der Beschlagnahme lehnte das Amtsgericht Osnabrück  mit Beschluss v. 12.10.2021  ab, da das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten nicht strafbar sei.
Diese Rechtsauffassung bestätigte nunmehr auch das LG Osnabrück.

Auch wenn die strafprozessuale Einkleidung der Entscheidung den ein oder anderen Examenskandidaten abschrecken mag, dürfte diese dennoch insbesondere für die mündliche Prüfung eine enorme Relevanz aufweisen, da an ihr an und für sich Grundlagen der Urkundendelikte und allgemeines Systemverständnis abgeprüft werden können. Auch für anstehende schriftliche Prüfungen ist die Examensrelevanz dieser Fallkonstellation – womöglich in abgewandelter Form – nicht in Gänze zu verneinen. Ein Blick in die jeweiligen rechtlichen Grundlagen der Examensprüfung vermag überraschen, denn so ist unter anderem im Bundesland NRW der Pflichtstoff der Urkundendelikte keineswegs auf die §§ 267-271 StGB beschränkt. Vielmehr ist dort der gesamte 23. Abschnitt des StGB (§§ 267-282 StGB) Gegenstand der staatlichen Prüfung und mithin prüfungsrelevant. Daher kann es sich durchaus lohnen, einmal den Blick vom Bekannten abzuwenden und die Entscheidung zum Anlass zu nehmen, sich der ungeliebten Probleme der Urkundendelikte (erneut) anzunehmen.

 
A. Der Impfpass als Urkunde iSd. § 267 Abs. 1 StGB
Zentraler Begriff der §§ 267 ff. StGB ist der Begriff der Urkunde. Unter einer solchen wird eine dauerhaft verkörperte menschliche Gedankenerklärung (Perpetuierungsfunktion) verstanden, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist (Beweisfunktion) und ihren Aussteller erkennen lässt (Garantiefunktion; so u.a. BGHSt 3, 84, 85; 4, 284, 285).
Ein Impfpass enthält die Erklärung, dass die bezeichnete Person die dort aufgeführten Schutzimpfungen erhalten hat. Diese Erklärung ist als Aufkleber mit dem Impfpass als Gegenstand fest verbunden, sodass auch eine dauerhafte Verkörperung der Erklärung zu bejahen ist. Im Übrigen ist der Impfausweis auch in der Lage, die Impfung als rechtserhebliche Tatsache zu beweisen. Hierzu ist er ebenfalls bestimmt, es handelt sich um eine sog. Absichtsurkunde. Darüber hinaus lässt sie auch ihren Aussteller erkennen, denn bereits gesetzlich ist gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 5 IfSG vorgeschrieben, dass der Impfausweis die für die Durchführung der Schutzimpfung verantwortliche Person bestätigen muss, sodass diese als Aussteller auch erkennbar ist (ebenso Lorenz, medstra 2021, 210, 212).
 
B. Darstellung der §§ 277 ff. StGB
Weiterhin sollen zunächst in Kurzfassung die Grundlagen der in diesem Zusammenhang ebenfalls relevanten §§ 277-279 StGB in ihrer Fassung vom 01.01.2000 dargestellt werden.
Es handelt sich hierbei um Sondertatbestände, die verschiedene Varianten einer Urkundenfälschung und verwandter Konstellationen in Bezug auf Gesundheitszeugnisse unter Strafe stellen. Gegenüber § 267 Abs. 1 StGB wird damit der Kreis der tauglichen Tatobjekte eingeschränkt. Nicht jede Urkunde ist taugliches Tatobjekt, sondern nur ein Gesundheitszeugnis, wobei unter Gesundheitszeugnissen Urkunden oder Datenurkunden verstanden werden, in denen der gegenwärtige oder vergangene Gesundheitszustand eines Menschen beschrieben wird (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Auflage 2019, § 277 Rn. 2; MüKo StGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 2). Ein Impfausweis erfüllt dabei die Tatbestandsmerkmale eines solchen Gesundheitszeugnisses. Er gibt Auskunft über die durchgeführten Schutzimpfungen und damit über den gesundheitlichen Umstand der Immunisierung gegen eine bestimmte Krankheit (zu einem Impfschein bereits RGSt 24, 284, 286; BeckOK StGB/Weidemann, 50. Edition Stand 01.05.2021, § 277 Rn. 4.1; Kritik äußert Lorenz, medstra 2021, 210, 212).
 
I. § 277 StGB – Fälschung von Gesundheitszeugnissen
Wirft man einen Blick auf den Strafrahmen des § 277 StGB (ein Jahr), wird erkennbar, dass die Norm die Urkundenfälschung eines Gesundheitszeugnisses gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft privilegiert. Inwiefern die Privilegierung heutzutage noch gerechtfertigt ist, wird zu Recht bestritten (instruktiv MüKo StGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 1), dies soll jedoch nicht Gegenstand dieses Aufsatzes sein.
Anders als bei § 267 StGB handelt es sich bei der Norm um ein zweiaktiges Delikt. Erforderlich ist zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes ausweislich des Wortlautes nicht nur das Ausstellen eines unechten oder Verfälschen eines echten Gesundheitszeugnisses, sondern darüber hinaus muss von diesem gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft Gebrauch gemacht werden. Zudem reicht die bloße Unechtheit der Urkunde nicht aus, vielmehr muss die Urkunde den Anschein erwecken, dass ein Arzt oder eine andere approbierte Medizinalperson der Aussteller der Urkunde ist (MüKo StGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 3 f.).
Die Norm beinhaltet drei verschiedene Varianten, die jeweils eine tatbestandliche Verwirklichung des ersten Aktes der Norm begründen. Zum einen kann der Täter unter dem richtigen Namen des Ausstellers, jedoch unter der unzutreffenden Bezeichnung eines Arztes oder einer anderen approbierten Person auftreten (Bsp.: Der Täter tritt unter seinem wahren Namen auf, bezeichnet sich selbst unzutreffend als Arzt). Hierbei handelt es sich nicht um eine Identitätstäuschung, sondern um eine schriftliche Lüge in Gestalt einer Täuschung über die Qualifikation der Person, sodass es sich, anders als bei Var. 2 und 3, um ein über den Grundtatbestand des § 267 StGB hinausgehendes strafbares Verhalten handelt (Fischer, StGB, 68. Auflage § 277 Rn. 1).
Ebenso verwirklicht den ersten Akt des Tatbestandes, wer unter Verwendung eines Namens eines Arztes oder einer anderen approbierten Medizinalperson ein Gesundheitszeugnis ausstellt (Bsp.: Der Täter verwendet nicht seinen eigenen Namen, sondern den eines Arztes). Weiterhin handelt tatbestandsmäßig, wer ein echtes Gesundheitszeugnis nachträglich verändert, sodass der Anschein entsteht, der Aussteller habe die Erklärung ursprünglich mit diesem Inhalt abgegeben.
Als zweiter Akt hinzutreten muss weiterhin das Gebrauchen des Zeugnisses gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft. Hierfür muss das Zeugnis der zu täuschenden Behörde oder Versicherungsgesellschaft zugänglich gemacht werden, wobei die Täuschung gerade in Bezug auf den Gesundheitszustand erfolgen muss (Vgl. MüKo StGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 7).
Zur Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes ist – wie auch in Bezug auf § 267 Abs. 1 StGB – zumindest dolus eventualis sowie Täuschungsabsicht, allerdings mit dem speziellen Adressatenkreis einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft, erforderlich (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Auflage 2019, § 277 Rn. 11; MüKo StGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 10).
 
II. § 278 StGB – Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse
Der § 278 stellt im Gegensatz zu § 267 StGB die schriftliche Lüge unter Strafe, denn tatbestandsmäßig ist bereits das Anfertigen eines inhaltlich unrichtigen schriftlichen Gesundheitszeugnisses. Dieses ist bereits dann unrichtig, wenn das Zeugnis inhaltliche Fehler aufweist, wobei sich die inhaltlichen Fehler auch auf bloße Einzelheiten erstrecken können (BGHSt 10, 157). Tauglicher Täter kann hier nur ein Arzt oder eine andere approbierte Medizinalperson sein, es handelt sich mithin um ein Sonderdelikt. Ferner muss das Zeugnis zum Zwecke des Gebrauchs bei einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft ausgestellt sein, worauf sich ebenfalls der Vorsatz (zumindest dolus eventualis) beziehen muss. In Abgrenzung zu § 277 StGB ist die Tat bereits mit der Ausstellung vollendet, ein weiterer Gebrauch ist nicht vonnöten (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Auflage 2019, § 278 Rn. 5).
 
III. § 279 StGB – Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse
§ 279 StGB stellt ausschließlich den Gebrauch (zum Begriff des „Gebrauchs“ bereits oben) eines unrichtigen oder gefälschten Gesundheitszeugnisses unter Strafe. Für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes ist ausreichend, dass das Zeugnis objektiv unrichtig ist, also entweder im Wege des § 277 StGB ausgestellt wurde oder inhaltlich unrichtig im Sinne des § 278 StGB ist. Verlangt wird gerade nicht, dass der Aussteller des Zeugnisses dieses wider besseren Wissens oder für den Gebrauch gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft angefertigt hat (BeckOK StGB/Weidemann, 50. Edition Stand 01.05.2021, § 279 Rn. 3). In subjektiver Hinsicht ist jedoch weiterhin erforderlich, dass der Täter selbst zumindest mit bedingtem Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale – also auch in Bezug auf die Unrichtigkeit – sowie in der Absicht handelt, über den Gesundheitszustand zu täuschen (MüKo StGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 4).
 
C. Strafbarkeit der Vorlage des Impfausweises in der Apotheke
Sofern man dem Beschuldigten (B.) die Ausstellung des Gesundheitszeugnisses selbst nicht nachweisen kann, kommt aus Beweisgründen zunächst nur eine Strafbarkeit nach § 279 StGB in Betracht.
Mit Vorlage des gefälschten Impfausweises gegenüber der Apotheke könnte sich der B. somit gemäß § 279 StGB wegen des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse strafbar gemacht haben. Zwar handelt es sich bei dem Impfausweis um ein Gesundheitszeugnis (s.o.) jedoch müsste die Vorlage in der Apotheke auch zur Täuschung einer Behörde erfolgen (eine Versicherungsgesellschaft scheidet hier offensichtlich aus).
Der Behördenbegriff wird in § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB nicht legaldefiniert, zurückzugreifen ist vielmehr auf den verwaltungsrechtlichen Behördenbegriff (MüKo StGB/Radtke, 4. Auflage 2020, § 11 Rn. 149). Danach sind Behörden ständige, vom Wechsel der in ihr tätigen Personen unabhängige, in das Gefüge der staatlichen Verwaltung eingeordnete Organe, die mit öffentlicher Autorität Aufgaben des öffentlichen Rechts vollziehen (vgl. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Auflage 2018, § 11 Rn. 20).
Zu überlegen ist, ob es sich bei einer Apotheke um einen Beliehenen oder um einen Verwaltungshelfer handelt. Rechtlicher Anknüpfungspunkt und Grundlage ihres Tätigwerdens bildet dabei § 22 Abs. 5 IfSG. Unabhängig von der Einordnung nach öffentlichem Recht soll jedoch das Tätigwerden Privater auch in öffentlicher Funktion nicht die Behördeneigenschaft begründen können (MüKo StGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 8; für den TÜV ausdrücklich entschieden durch OLG Stuttgart, Urt. v. 25.09.2013 – 2 Ss 519/13).
Dieser Auffassung hat sich im Ergebnis wohl auch das LG Osnabrück angeschlossen, wenn es die Strafbarkeit des Verhaltens verneint, eine Veröffentlichung der Urteilsgründe steht jedoch noch aus. Letztlich besteht in der mündlichen Prüfung an dieser Stelle jedoch ein Einfallstor in das Öffentliche Recht, um die Voraussetzungen einer Beleihung zu klären und diese im Einzelfall von einem bloßen Verwaltungshelfer abzugrenzen. Gerade diese Verknüpfung begründet die Attraktivität dieser Konstellation für die mündliche Prüfung.
 
I. Verhältnis der §§ 277 ff. StGB zu § 267 Abs. 1 StGB
Nachdem mangels Gebrauch des Gesundheitszeugnisses gegenüber einer Behörde die Verwirklichung des § 279 StGB (oder auch § 277 StGB) ausscheidet, stellt sich die zentrale Frage, ob ein Rückgriff auf § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB in Gestalt des Gebrauchmachens möglich ist, denn ein Gesundheitszeugnis stellt zugleich eine Urkunde iSd. § 267 Abs. 1 StGB dar.
Klärungsbedürftig ist mithin das Verhältnis zwischen den Vorschriften.
Allgemein gilt, dass bei einer privilegierenden Spezialität der allgemeine Tatbestand nicht anwendbar ist, denn anderenfalls würde die Privilegierung leerlaufen (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 30. Auflage 2019, Vorbem. §§ 52 ff. Rn. 138). Dieses Argument ist jedoch nur im Rahmen des Anwendungsbereiches der Norm belastbar. Jedenfalls bezüglich der Vorlage eines Gesundheitszeugnisses gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft sind die Normen daher abschließend. Problematisch ist indes, inwiefern sich die abschließende Wirkung auf alle Gesundheitszeugnisse erstreckt.
Nach überwiegender Ansicht entfalten die §§ 277 und 279 StGB eine umfassende Sperrwirkung gegenüber § 267 StGB bei Vorliegen eines Gesundheitszeugnisses, selbst wenn die übrigen Voraussetzungen der Norm nicht gegeben sind (u.a. RGSt 6, 1; 31, 298; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Auflage 2019, § 277 Rn. 12). Es sei absurd, den Gebrauch eines Gesundheitszeugnisses gegenüber einer Privatperson unter eine höhere Strafe zu stellen, als dies bei Gebrauch gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft der Fall ist (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Puppe/Schumann, StGB, 5. Auflage 2017, § 277 Rn. 13).
Vertreten lässt sich aber wohl auch die gegenteilige Position, denn ebenso fragwürdig ist es, den Gebrauch eines solchen Gesundheitszeugnisses gegenüber einer Privatperson gar nicht unter Strafe zu stellen (so ebenfalls Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Puppe/Schumann, StGB, 5. Auflage 2017, § 277 Rn. 13; MüKo StGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 9). So lasse sich die Vorschrift auch dahingehend interpretieren, dass sie nur den Einsatz eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses gegenüber einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft privilegieren möchte. Sofern ein Gesundheitszeugnis gegenüber einer privaten Person verwendet wird, wäre § 267 StGB damit weiterhin anwendbar.
In der mündlichen Prüfung besteht hier Raum für Argumentation. Hat der Prüfling es erfolgreich bis hierhin geschafft, wird vieles vertretbar sein. Zu beachten ist, dass es sich nicht um eine verbotene Analogie der Vorschrift zu Lasten des Täters iSd. Art. 103 Abs. 2 GG handeln muss, denn im Wege der Auslegung lassen sich durchaus noch beide Ergebnisse vertreten. Art. 103 Abs. 2 GG greift erst ein, sobald die Schwelle der Auslegung überschritten und der Weg der Rechtsfortbildung beschritten wird (Maunz/Dürig/Remmert, GG-Kommentar, 94. EL Januar 2021, Art. 103 Abs. 2 Rn. 83).
 
Exkurs: Die Spezialität der §§ 277 ff. StGB hat zur Folge, dass eine Versuchsstrafbarkeit mangels ausdrücklicher Anordnung, wie bei § 267 Abs. 2 StGB, ausscheidet. Ebenso besteht keine Möglichkeit eines Rückgriffes auf § 267 Abs. 3 StGB als besonders schwerer Fall und Absatz 4 als Qualifikation [Lorenz, medstra 2021, 210, 213].)
 
Folgt man der überwiegenden Auffassung und dem LG Osnabrück, besteht eine Strafbarkeitslücke, die es mit Blick auf die mit einem gefälschten Impfausweis für die Allgemeinheit verknüpften Gesundheitsgefahren zu schließen gilt. Sofern sich die Generalstaatsanwaltschaft Niedersachsens auf den Standpunkt stellt, die Herstellung und Vorlage gefälschter Impfzertifikate zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats in einer Apotheke sei strafbar, entspricht dies jedenfalls nicht der bisher herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung (die Position der Generalstaatsanwaltschaft ist abrufbar unter: Generalstaatsanwaltschaft Celle, zuletzt abgerufen am 10.11.2021).
 
II. Strafbarkeit des Gebrauchs unrichtiger Impfbescheinigungen nach § 75a Abs. 2 IfSG
Im Zuge der Covid-19 Pandemie wurde im Zweiten Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze v. 28.05.2021 der § 75a IfSG eingeführt, der unter anderem in Absatz 2 Nr. 1 den Gebrauch einer in § 74 Abs. 2 IfSG bezeichneten nicht richtigen Dokumentation (unrichtige Impfdokumentation im Impfausweis) oder gemäß Absatz 2 Nr. 2 Var. 1 den Gebrauch einer in § 75a Abs. 1 IfSG bezeichneten nicht richtigen Bescheinigung (unrichtige Bescheinigung einer Impfung im digitalen Covid-19-Zertifikat) zur Täuschung im Rechtsverkehr unter Strafe stellt.
Augenscheinlich schließt diese Vorschrift die zuvor aufgezeigten Lücken der Urkundendelikte, allerdings setzt der in den Normen in Bezug genommenen § 22 IfSG voraus, dass der Impfausweis von einer zur Schutzimpfung berechtigten Person ausgestellt wurde. Hieraus wird geschlussfolgert, dass auch iRd. § 75a Abs. 2 IfSG nicht solche Impfausweise gemeint sein können, die von Privatpersonen gefälscht wurden (so Solmecke, Gesetzgeber muss Strafbarkeitslücken schließen, v. 02.11.2021, abrufbar unter: WBS-Law, Gefälschte Impfpässe, zuletzt abgerufen am 10.11.2021; die Problematik wird ebenfalls von Gaede/Krüger, NJW 2021, 2159, 2161 ff. aufgeworfen).
 
D. Fazit
Trotz des bestehenden rechtlichen Argumentationsspielraumes zeigt das Urteil des LG Osnabrück bedenkliche Lücken auf, die mit Blick auf die Strafbarkeit rund um die Fälschung von Impfausweisen bestehen. Rechtspolitisch wünschenswert wäre sicherlich gewesen, die Strafbarkeit eines solchen Verhaltens zu bejahen. Nichtsdestotrotz ist die Position des LG Osnabrück rechtlich valide und juristisch wohl gut begründet. Es ist eben Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Gerichte, entsprechende rechtliche Grundlagen für eine Verurteilung zu schaffen.
Eben dieser möchte nunmehr nachbessern. Geplant ist die Streichung der Var. 2 und 3 des § 277 StGB, sodass die Handlungsmodalitäten, die von § 267 Abs. 1 StGB und § 269 StGB erfasst sind, nicht mehr in § 277 StGB privilegiert werden (BT-Drs. 20/15, S. 34). Dies löst das Konkurrenzverhältnis der beiden Vorschriften auf. Ferner soll nunmehr das bloße Handeln zur Täuschung im Rechtsverkehr genügen (BT-Drs. 20/15, S. 34). Die Vorschriften §§ 278 und 279 sollen ebenfalls dahingehend angepasst werden, dass ein Handeln zur Täuschung im Rechtsverkehr genügt (BT-Drs. 20/15, S. 35). Damit würde die Einengung mit Blick auf Täuschungen zu Lasten von Behörden und Versicherungsgesellschaften entfallen. Weiterhin soll § 275 um einen Absatz 1a ergänzt werden, der die Manipulation von Blankett-Impfausweisen als Fälschungsvorbereitungshandlung unter Strafe stellt (BT-Drs. 20/15, S. 33). Geplant ist auch eine Ergänzung des § 281 Abs. 2, sodass auch das Verwenden fremder Gesundheitszeugnisse ein strafbares Verhalten darstellt (BT-Drs. 20/15, S. 34).
Examenskandidaten sollten daher etwaige künftige Änderungen der Vorschriften, aber auch das Urteil des LG Osnabrück im Blick behalten. Für Altfälle vor einer etwaigen Gesetzesänderung gilt weiterhin die bisherige Rechtslage.
 

11.11.2021/1 Kommentar/von Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Yannick Peisker2021-11-11 09:00:492022-05-20 11:12:06Strafbarkeit des Vorlegens gefälschter Impfausweise in der Apotheke
Tobias Vogt

Rechtsprechungsänderung: BGH bejaht Strafbarkeit wegen überhöhter Schlüsseldienstpreise

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT

Handwerker eines Schlüsselnotdienstes machen sich nach einer aktuellen BGH-Entscheidung strafbar, wenn sie mit Preisen, die das Doppelte des ortsüblichen Preises übersteigen, abrechnen – und das auch, wenn sich der Kunde in keiner das reine Ausgesperrtsein übersteigenden Notlage befindet. Diese Entscheidung hat nicht nur für die Juristenausbildung, sondern auch für die Praxis eine erhebliche Bedeutung. Denn in vielen Fällen, wo bisher auf Grundlage der OLG-Rechtsprechung eine Strafbarkeit verneint und Verfahren eigestellt wurden, ist nun eine Strafbarkeit zu bejahen. Für Prüfungen bietet sich diese Konstellation zudem an, da der BGH nicht nur eine Strafbarkeit wegen Wuchers, sondern auch wegen des von den JPAs deutlich öfter abgefragten Betrugs annimmt.
I. Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
A schließt sich aus seiner Wohnung aus, indem er die Tür beim Verlassen der Wohnung zuzieht, ohne seinen Schlüssel bei sich zu führen. Da er keinen anderen Weg sieht, zurück in seine Wohnung gelangen zu können, ruft er beim Schlüsselnotdienst des S an. Dieser entsendet nach einem kurzen Telefonat mit A den Handwerker H. H öffnet wie mit A vereinbart, die Wohnungstür. Ein Preis wurde dem A weder im Telefonat mit S noch durch den H vor Ausführung der Arbeiten genannt. Nach erfolgter Türöffnung füllt der H wie von vorneherein geplant eine Rechnung aus, die einen Preis aufweist, der das Doppelte des ortsüblichen Preises für eine Türöffnung eines Schlüsselnotdienstes übersteigt. A, der davon ausging, es handle sich um einen ortsüblichen Preis, zahlt den Preis sofort an H.
II. Strafbarkeit des H wegen Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB
1) Der H müsste über Tatsachen getäuscht haben.
H könnte darüber getäuscht haben, seine Leistung nach einem ortsüblichen Preis abzurechnen. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BGH mit Rücksicht auf das Prinzip der Vertragsfreiheit grundsätzlich kein Raum für die Annahme konkludenter Erklärungen über die Angemessenheit und Üblichkeit des Preises; es ist vielmehr Sache des Vertragspartners, abzuwägen und zu entscheiden, ob er das geforderte Entgelt aufwenden will. Dies gilt jedoch nur dann, wenn ein Preis auch vor Vertragsschluss vereinbart wird. Anderes als bei vom Verkäufer vorgegebenen oder aber auch ausgehandelten Kaufpreisen gilt indes, wenn die Parteien die Höhe der Gegenleistung für einen Vertragsabschluss mit allen wesentlichen Bestandteilen nicht ausdrücklich vereinbaren müssen, sondern etwa nach § 612 Abs. 2 BGB beim Dienstvertrag, nach § 653 Abs. 2 BGB beim Maklervertrag oder nach § 632 Abs. 2 BGB beim Werkvertrag eine taxmäßige oder übliche Vergütung als vereinbart gilt. Rechnet der Werkunternehmer nach Leistungserbringung ab, erklärt er konkludent, das geforderte Entgelt entspreche der üblichen Vergütung, die nach § 632 Abs. 2 BGB als vereinbart gilt, so der BGH in seiner aktuellen Entscheidung (BGH, Urt. v. 16.1.2020 – 1 StR 113/19).
Die Ortsüblichkeit kann nach der BGH Entscheidung anhand der Preisempfehlungen des Bundesverbandes Metall aus dem Jahr 2011 bestimmt werden (hier).Es müsse jedoch eine gewisse Schwankungsbreite bei der Festlegung des Ortsüblichen berücksichtigt werden, sodass erst eine deutliche Erhöhung betrugsrelevant ist. In der zitierten Entscheidung bejahte der BGH eine solche deutliche Überhöhung bei einer Abrechnung in doppelter Höhe der üblichen Vergütung.
Es fanden bei Vertragsschluss keine Preisabsprachen statt. Somit war der ortsübliche Preis nach § 632 Abs. 2 BGB geschuldet. Indem H dem A im Folgenden einen Betrag in Höhe von mehr als dem Doppelten des ortsüblichen Preises in Rechnung stellte, täuschte er konkludent darüber, dass der von ihm geforderte Preis der nach § 632 Abs. 2 BGB geschuldete ortsübliche Preis sei.
Nach den Ausführungen des BGH kommt es somit für die Betrugsstrafbarkeit entscheidend darauf an, ob der Kunde bei Vertragsschluss über die Preise informiert wird. Einigen sich Kunde und Schlüsseldienst über die exorbitant hohen Preise, so kommt nur eine Strafbarkeit wegen Wuchers in Betracht. Nur wenn die Preise im Vorhinein dem Kunden nicht genannt werden, wird bei Abrechnung konkludent über die Ortsüblichkeit des Preises getäuscht.
2) Er erregte so bei A einen Irrtum über die Ortsüblichkeit des verlangten Preis.
3) Die Zahlung des A stellt eine Vermögensverfügung dar, die der A gerade aufgrund seines Irrtums darüber, dass der Preis ortsangemessen und somit von ihm geschuldet sei, getätigt hat.
4) In Höhe des nicht geschuldeten Betrags entstand dem A ein Vermögensschaden.
5) H handelte auch vorsätzlich und in der Absicht sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Ihm war schließlich bewusst, dass er jedenfalls keinen Anspruch in der in Rechnung gestellten Höhe hatte.
6) Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
H hat sich somit nach § 263 Abs. 1 BGB wegen Betrugs strafbar gemacht.
III. Strafbarkeit des H wegen Wuchers gemäß § 291 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 3 StGB
1) Zwangslage
Eine Zwangslage könnte bereits durch das Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung begründet sein. Darüberhinausgehende Umstände, wie eine Brandgefahr wegen eines nicht ausgestellten Herds, lebensnotwendige Medikamente in der Wohnung oder große finanzielle Schwierigkeiten, die drohen wenn der A nicht alsbald in die Wohnung gelangt sind nicht ersichtlich.
Die bisherige OLG-Rechtsprechung verneinte eine Zwangslage und damit eine Strafbarkeit wegen Wucher in solchen Fällen. Das bloße Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung stelle als solchen ohne weitere Umstände keine Zwangslage dar (OLG Köln, Urt. v. 22.11.2016 – 1 RVs 210/16 Rn 12, OLG Brandenburg, Beschl. v. 7.11.2019 – [2] 53 Ss 119/19 [44/19]).
Dieser Rechtsprechung tritt nun der BGH entgegen und bejaht eine Zwangslage allein aufgrund des Ausgesperrtseins aus der Wohnung. Dies begründet der BGH wie folgt:
Zunächst bedient sich der BGH hier eines auf den Wortlaut bezogenen und zugleich gesetzeshistorischen Arguments in Bezug auf die Änderung des früheren Wuchertatbestands, der noch eine Notlage und nicht eine Zwangslage verlangte:
„Das Eingangstatbestandsmerkmal der „Zwangslage“ setzt – anders als der durch ihn ersetzte Begriff der „Notlage“ (§ 302 a I StGB aF; 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29.7.1976 [BGBl I 1976, S. 2034 ff.]), der sich als „zu eng erwiesen“ habe (BT-Dr. 7/3441, S. 40) – nach dem Willen des Gesetzgebers keine Existenzbedrohung voraus. Der weiter gefasste Wortlaut soll auch Konstellationen erfassen, in denen „nicht eine wirtschaftliche Bedrängnis, sondern Umstände anderer Art ein zwingendes Sach- oder Geldbedürfnis entstehen lassen“, und damit „strafwürdig erscheinende Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind, die Schwächen anderer Personen wirtschaftlich auszubeuten, genügend wirksam … bekämpfen“ (BT-Dr. 7/3441, S. 20, 40). Der Gesetzgeber hat eine effektivere Anwendung des althergebrachten Wuchertatbestandes beabsichtigt, der sich bisher „als wenig praktikabel erwiesen habe“ (BT-Dr. 7/3441, S. 20), und offensichtlich den über § 138 II BGB gewährleisteten zivilrechtlichen Schutz des schwächeren Vertragspartners nicht für ausreichend erachtet.“
Auch die Gesetzessystematik spricht dafür, keine sonstigen Umstände wie eine wirtschaftliche Not des Opfers, für erforderlich zu halten:
„Folgerichtig ist nach der Gesetzessystematik das Erfassen einer existentiellen finanziellen Bedrohung dem Regelbeispiel der „wirtschaftlichen Not“ (§ 291 III 2 Nr. 1 StGB) mit der Indizwirkung für den – im Vergleich zum Ausgangstatbestand deutlich – erhöhten Strafrahmen eines besonders schweren Falles von 6 Monaten bis 10 Jahre Freiheitsstrafe (§ 291 III1 StGB) vorbehalten (BT-Dr. 7/3441, S. 40 f. zu § 302 a II 2 Nr. 1 StGB a. F.).“
Eine solche weite Auslegung verstoße auch nicht gegen das ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts. Einer Ausuferung des Tatbestandes werde ausreichend durch das Merkmal des auffälligen Missverhältnisses entgegengewirkt, sodass nicht jedes Ergreifen einer gewinnträchtigen Geschäftschance bei Erbringen eines handwerklichen Notdienstes pönalisiert werde.
In den Fällen eines Ausgesperrtseins aus der eigenen Wohnung ist nach der aktuellen Entscheidung des BGH nun stets eine Zwangslage i.S.d. § 291 Abs. 1 StGB zu bejahen:
„Der ausgesperrte Wohnungsnutzer befindet sich nahezu stets in einer misslichen Ausnahmesituation, die ihn wegen der Eilbedürftigkeit an der ihm sonst möglichen Auswahl eines Handwerkers hindert und zumeist den „Nächstbesten“ beauftragen lässt. Mit diesem wird er regelmäßig den Werklohn nicht aushandeln können; vielmehr ist er dessen Preisbestimmung „ausgesetzt“. Bereits das Ausgesperrtsein bringt den Wohnungsnutzer in eine Schwächesituation, die der Handwerker „ausbeuten“ kann. Diese Unterlegenheit muss nicht durch weitere – nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende – Gefahrenmomente (wie etwa einen eingeschalteten Herd, einen zurückgelassenen Säugling, Kälte) verschärft werden […]Solches wäre bereits als Not zu werten, die nach der Gesetzesänderung nicht mehr erforderlich ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass das Ausgesperrtsein keine wirtschaftliche Bedrängnis ist.“
2) Ausbeuten
Der BGH definiert Ausbeuten als Ausnutzen oder bewusstes Missbrauchen. Demnach genügt es, wenn das Ausnutzen der Schwächesituation (mit) ursächlich für das Vereinnahmen des überhöhten Werklohns ist; ein darüberhinausgehender funktionaler Zusammenhang zwischen der Zwangslage und der drastischen Überbewertung der Leistung des Wucherers ist nicht erforderlich. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich der Übervorteilte der Unangemessenheit seiner Gegenleistung bewusst ist.
3) Auffälliges Missverhältnis
Ein Auffälliges Missverhältnis zwischen Werkleistung und Gegenleistung liegt laut BGH jedenfalls dann vor, wenn die Gegenleistung das Doppelte der ortsüblichen Vergütung übersteigt. Auch im Rahmen des § 291 StGB stellt der BGH auf die Preisempfehlungen des Bundesverbandes Metall aus dem Jahr 2011 ab. Ein auffälliges Missverhältnis liegt somit vor.
4) H handelte auch vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
H hat sich demnach auch wegen Wucher nach § 291 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht.
IV. Konkurrenzen
Auch wenn die Konkurrenzen von vielen Studenten eher stiefmütterlich behandelt werden, so sollte doch am Ende jedes Gutachtens etwas zu den Konkurrenzen der bejahten Straftatbestände gesagt werden. Der BGH hat sich in seiner Entscheidung sogar etwas ausführlicher zu den Konkurrenzen geäußert und begründet, warum beide Delikte hier in Tateinheit stehen, § 52 StGB:
So liege kein Fall der Subsidiarität eines der durch dieselbe Handlung verwirklichten Delikte vor. Zum Erfassen der gegenüber dem Betrug anderen Angriffsart (der Unrechtsgehalt liegt hier nicht in der Täuschung, sondern in dem Ausnutzen einer Zwangslage) sei die tateinheitliche Verurteilung wegen Wuchers aus Klarstellungsgründen geboten.
Die Tatbestand des Wuchers nach § 291 StGB sei auch kein Privilegierungstatbestand des Betrugs.  Keineswegs geht regelmäßig mit dem Ausnutzen der Zwangslage ein Irrtum einher; der Betrug sei damit auch nicht mitbestrafte Begleittat.
V. Strafbarkeit auch der Hintermänner bei organisiertem Vorgehen des Schlüsselnotdienstes – gewerbsmäßiger Bandenbetrug
In dem vom BGH entschiedenen Fall war nicht den Handwerker, sondern der Gesellschafter sowie der Geschäftsführer einer Schlüsselnotdienstfirma angeklagt. Beide wurden wegen gemeinschaftlichem, gewerbsmäßigen Bandenbetrug nach §§ 263 Abs. 1, 5, 25 Abs. 2 BGB verurteilt.
Die Täterschaft der Angeklagten kann mit Lehre von der funktionellen Tatherrschaft sowie nach der Rspr. aufgrund des sich aus den Gesamtumständen ergebenden Täterwillens begründet werden.
Sie schlossen sich mit einer Reihe von Call-Center Telefonistinnen und Handwerkern zusammen, um sich aus der Abrechnung mit deutlich überteuerten Preisen für Nottüröffnungen zu bereichern. Die Angeklagten schufen die dafür notwendige Organisationsstruktur, indem sie bundesweit in Telefonbüchern nicht existente Schlüsseldienstfirmen mit örtlichen Anschriften und dazu passenden Telefonnummern eintragen zu lassen. Beim Wählen dieser Nummern wurden die Anrufer, die sich ausgesperrt hatten, zum Callcenter der Schlüsseldienstfirma der Angeklagten geschaltet, ohne dies zu bemerken. Bezüglich der Kosten des Schlüsselnotdiensteinsatzes nannten die eingeweihten Mitarbeiter allenfalls die Pauschale für An- und Abfahrt; den endgültigen Preis könne der Monteur erst vor Ort bestimmen. So wollten sie die Kunden gezielt über die Abrechnung zu ortsüblichen Preisen täuschen. Die Monteure verwendeten von der Schlüsselnotdienstfirma zur Verfügung gestellte ʺAuftrags-/Rechnungsformulareʺ, auf denen die Bankverbindung der Firma angegeben war, ohne dass diese Zuordnung für die Kunden erkennbar gewesen wäre.
VI. Fazit
– Wird bei Vertragsschluss kein Preis für die Nottüröffnung vereinbart, so ist nach § 632 Abs. 2 BGB der ortsübliche Preis geschuldet. Bei der Abrechnung erklärt der Handwerker konkludent, der in Rechnung gestellte Betrag sei der geschuldete ortsübliche Preis.
– Eine gewisse Schwankungsbreite bei der Festlegung des Ortsüblichen wird berücksichtigt. Jedenfalls dann, wenn der in Rechnung gestellte das Doppelte des ortsüblichen Preises übersteigt, liegt eine betrugsrelevante Täuschung vor.
– Das Ausgesperrtsein aus der Wohnung stellt für sich genommen eine Zwangslage iSd. § 291 StGB dar. Weitere Umstände, die eine besondere Notlage begründen, sind also nicht erforderlich.
Die Entscheidung des BGH wird erhebliche Folgen für die Praxis haben, da nun auf Grundlage dieser Rechtsprechung in wesentlich mehr Fällen von Nottüröffnungen eine Strafbarkeit zu bejahen sein wird.
 

16.11.2020/2 Kommentare/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2020-11-16 09:00:102020-11-16 09:00:10Rechtsprechungsänderung: BGH bejaht Strafbarkeit wegen überhöhter Schlüsseldienstpreise
Tobias Vogt

Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus

Examensvorbereitung, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Tagesgeschehen

Es gibt wohl kein Thema, dass in den letzten Jahren derart die Schlagzeilen bestimmt hat wie das neuartige Coronavirus. Daher dürfte es auch nicht verwunderlich sein, falls rechtliche Probleme rund um das Coronavirus künftig Gegenstand juristischer Prüfungen sein werden.
In München kam es vergangene Woche bereits zum Eklat: Ein Münchener Rechtsanwalt zeigte einen Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung an, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand. Anwesend waren über 50 Personen. Nach Ansicht des beteiligten Anwalts sei die Verhandlung daher eine Hochrisikoveranstaltung, bei der ein erhöhtes Ansteckungsrisiko bewusst in Kauf genommen werde.
Dies bietet Anlass, die prüfungsrelevanten Probleme der Strafbarkeit durch Infizierung Anderer mit dem Coronavirus zu erläutern:
I. Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung §§ 223, 224 StGB
Wer eine andere Person mit dem Coronavirus infiziert, der erfüllt den objektiven Tatbestand der Körperverletzung – und dies selbst dann, wenn der Infizierte über keinerlei Symptome klagt. Zwar erfordert eine körperliche Misshandlung spürbare Folgen der Infektion. Eine Gesundheitsschädigung liegt aber bereits in der Infektion mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit selbst, in deren Folge der betroffene auch selbst infektiös sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 04-11-1988 – 1 StR 262/88).
Ggf. kann auch eine Strafbarkeit nach § 224 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung vorliegen. In Betracht kommt die Beibringung eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffes (Nr. 1, 2. Alt.) sowie eine lebensgefährliche Behandlung (Nr. 5).
Nach hM. sind Erreger von Krankheiten als gesundheitsschädliche Stoffe iSd. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB anzusehen (statt vieler Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 2c). Um in Bagatellfälle unangemessen hohen Strafe und einen Wertungswiderspruch mit den Nr. 2-5 zu vermeiden, ist über den Wortlaut hinaus erforderlich, dass die Substanz nach ihrer Art und dem konkreten Einsatz zur Verursachung einer erheblichen Gesundheitsschädigung geeignet ist. Nur so kann die gegenüber dem Grundtatbestand des § 223 StGB massive Strafrahmenerhöhung gerechtfertigt werden. Auch wenn einige die Erkrankung mit dem neuartigen Coronavirus in einigen Fällen milde verläuft, so ist der Virus dennoch jedenfalls geeignet, eine erhebliche Gesundheitsschädigung hervorzurufen.
Zudem kann eine lebensgefährdende Behandlung gemäß Nr. 5 vorliegen. Nach hM. ist keine konkrete Lebensgefahr erforderlich, sondern eine abstrakte Lebensgefahr ausreichend. Schließlich setzten auch die Nr. 1-4 abstrakte Gefahren unter die erhöhte Strafe. Zudem steht im Fokus des Wortlauts gerade die lebensgefährliche Behandlung, also nicht der konkrete Erfolg. An der abstrakten Lebensgefährlichkeit der Ansteckung mit dem Coronavirus kann gezweifelt werden, weil die Krankheit nur in Ausnahmefällen tödlich verläuft. Dies ist bislang in der Regel nur bei älteren Menschen, sowie Personen mit Vorerkrankungen der Fall – sog. Risikogruppe. Ob eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StBG vorliegt, kann daher nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Maßgeblich ist die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten (BGH, Beschluss vom 16. 1. 2013 – 2 StR 520/12) unter Berücksichtigung von Alter und Vorerkrankung des Opfers (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 12). Die Infizierung einer Person, die zur Risikogruppe zählt, stellt somit eine lebensgefährliche Behandlung dar, die Infizierung einer sonstigen Person dagegen nicht.
Eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung wird in der Praxis oftmals am fehlenden Vorsatz scheitern. Ausreichend ist jedoch – wie sonst auch – dolus eventualis. Es kommt also in einer Klausur auf den Klassiker, die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit, an (siehe dazu ausführlich unser Beitrag hier). Erkennt der Täter das Risiko einer Ansteckung anderer Personen und nimmt er dieses Risiko billigend in Kauf, so ist der Vorsatz zu bejahen. Vertraut er aber darauf, niemanden zu infizieren, ist ihm mangels Vorsatz nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.
II. Fahrlässige Körperverletzung § 229 StGB
Eine fahrlässige Körperverletzung dürfte jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn der Täter von seiner eigenen Infektion wusste, oder zumindest aufgrund von engen Kontakt zu einer infizierten Person oder eigener Symptome mit der ernsthaften Möglichkeit einer Erkrankung rechnen musste, und dennoch in Kontakt mit anderen Personen trat, die er infolge dessen ansteckte. Ohne konkreten Anhaltspunkt bezüglich einer eigenen Erkrankung dürfte eine Strafbarkeit wohl ausscheiden.
III. Strafbarkeit bei tödlichem Krankheitsverlauf
Führt die Infektion zum Tod des Opfers, so hat sich der Täter bei Vorsatz sogar wegen Totschlag nach § 212 StGB oder sogar wegen Mord  nach § 211 StGB strafbar gemacht. Als Mordmerkmale kommen insbesondere Heimtücke und gemeingefährliche Mittel in Betracht. Letzteres könnte anzunehmen sein, wenn sich der Täter trotz eigener Infektion in eine Menschenmenge begibt, bspw. an einer Party teilnimmt, wo er zugleich mit einer Vielzahl an Personen engen Kontakt hat. Ob eine Heimtücke trotz der aktuellen, allgemein bekannten Gefährdungslage angenommen werden kann, ist fraglich. Es könnte an der Arglosigkeit fehlen, wenn bei einer derart weit verbreiteten Pandemie grundsätzlich jederzeit mit dem Risiko einer Infektion gerechnet werden muss.
Fehlt es wiederum am Vorsatz, so kann er sich nach § 222 StGB wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben. Handelt der Täter vorsätzlich bezüglich einer Körperverletzung, nicht hingegen hinsichtlich des tödlichen Verlaufs, so ist er strafbar wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB.
IV. Strafbarkeit wegen Versuch
Selbst wenn der Täter tatsächlich keine andere Person infiziert, so scheidet dadurch seine Strafbarkeit nicht von vorneherein aus. Rechnete er damit, andere anzustecken oder nahm er dies billigend in Kauf, so ist er mindestens wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung strafbar. Nahm er zudem auch den möglichen Tod einer anderen Person in Kauf, liegt eine Strafbarkeit wegen versuchtem Totschlag (oder sogar Mord) vor.
V. Strafbarkeit eines Richters wegen Durchführung der Verhandlung während Corona-Pandemie
In dem prominenten Fall der Anzeige gegen den Münchener Richter wird die denkbare Strafbarkeit wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung wohl mangels nachweisbaren Vorsatzes ausscheiden. In einer Klausur wäre in einem solchen Fall zudem die objektive Zurechnung einer Infektion zu thematisieren, wenn diese nicht von dem Täter (hier dem Richter) selbst ausgeht. Diese könnte aufgrund des Dazwischentretens Dritter – dem bereits infizierten Teilnehmer der Verhandlung – ausscheiden. Dies dürfte ebenso zu diskutieren sein, wenn es um die Strafbarkeit der Veranstalter sonstiger Massenzusammenkünfte (bspw. Corona-Partys) geht, bei der es zur Infizierung zwischen den Teilnehmern kommt. Zudem könnte im Fall des Richters die objektive Zurechnung aufgrund sozialadäquaten Verhaltens scheitern. Darüber, inwiefern eine Verhandlung während der aktuellen Pandemie noch sozialadäquat ist, kann aber durchaus gestritten werden. Zwei Münchener Anwälte scheiterten mit einem Eilantrag vor dem BVerfG, mit dem sie weitere Verhandlungen verhindern wollten.
VI. Summa
Die Ansteckung anderer Personen mit dem Coronavirus erfüllt den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung §§ 223, 224 Nr. 1, 2. Alt. (bei Personen der Risikogruppe zusätzlich Nr. 5), bei tödlichem Verlauf kommt sogar eine Strafbarkeit wegen Todschlag § 212 StGB oder Mord § 211 StGB in Betracht.
Auch wer sich dieser Folge – etwa mangels Kenntnis der eigenen Infektion – nicht bewusst ist, kann sich wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung § 229 StGB bzw. § 222 StGB strafbar machen.
Nahm der Täter billigend in Kauf, andere Personen anzustecken, so ist er dann, wenn er tatsächlich niemanden infiziert, aus Versuch zu bestrafen.
In diesem Sinne #stayhome und alles Gute.
 
 

25.03.2020/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2020-03-25 09:40:542020-03-25 09:40:54Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus
Dr. Maximilian Schmidt

Tödliche Raserei: Was ihr jetzt wissen müsst!

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Das Landgericht Berlin hat mit Urteil vom 27.2.2017 erstmalig zwei Raser, die bei einem illegalen Autorennen einen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer getötet hatten, wegen Mordes verurteilt. Bisher wurde in vergleichbaren Fällen in Ermangelung eines Tötungsvorsatzes auf fahrlässige Tötung entschieden. Die Fallkonstellation sollte für eine bald anstehende mündliche Prüfung gründlich durchdacht werden – zeitunglesende Prüfer (wohl eine Tautologie) werden mit großer Wahrscheinlichkeit das heutige Urteil zur Grundlage ihrer Prüfung im Strafrecht machen. Im Folgenden einige einführende Gedanken. 
I. Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit
Im Mittelpunkt einer solchen mündlichen Prüfung wird die Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz stehen. Während bewusste Fahrlässigkeit voraussetzt, dass der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt (Wissenselement), sich mit diesem jedoch nicht abfindet und darauf vertraut, es werde schon gutgehen (fehlendes Wollenelement), tritt bei bedingtem Vorsatz neben das Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ein bedingter Vorsatz hinzu: Der Täter nimmt die Tatbestandsverwirklichung in Kauf um sein erstrebtes Ziel zu erreichen. Was gilt nun, wenn ein PKW-Fahrer mit völlig überhöhter Geschwindigkeit unter Missachtung aller Verkehrsregeln durch die Innenstadt rast, um ein illegales Autorennen zu gewinnen? 
Hierbei handelt es sich in der Rechtswirklichkeit um eine eine der schwierigsten Abgrenzungsfragen des Strafrechts. Grundproblem ist, dass es sich beim Vorsatz, der verkürzt als Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung beschrieben wird, um eine innere Tatsache handelt. Daher ist eine umfassende Gesamtwürdigung aller Tatumstände vorzunehmen, wie auch der BGH (v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15 ) ausführt:

Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (Fortführung BGH, 18. Oktober 2007, 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93; BGH, 27. Januar 2011, 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699; BGH, 22. März 2012, 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 und BGH, 13. Januar 2015, 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216).
Diese Gesamtschau ist insbesondere dann notwendig, wenn der Tatrichter allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss (Fortführung BGH, 13. Dezember 2005, 1 StR 410/05, NJW 2006, 386).

Das LG Köln konkretisiert dies in einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 (117 KLs 19/15) zu einem illegalen Autorennen mit Todesfolge:

In Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit, bei der der Täter die Möglichkeit des Eintritts des tatbestandlichen Erfolgs zwar erkennt, jedoch damit nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, es werde schon gutgehen, setzt bedingt vorsätzliches Handeln voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Da diese beiden Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, NStZ-RR 2006, 9).

An dieser Stelle kommt es demnach entscheidend auf den konkreten Sachverhalt, also alle Umstände des illegalen Autorennens an. So dürfte bereits die Uhrzeit und die Umgebung der Tatbegehung einen Unterschied machen: Man wird eher von einem bedingten Vorsatz ausgehen, wenn die Fahrt tagsüber auf einer vielbefahrenen Straße mitten in einer Innenstadt stattfindet, als nachts auf einer abgelegenen Landstraße.  Zu berücksichtigen wird auch die in der Rechtsprechung immer wieder betonte außerordentlich hohe Hemmschwelle einer (auch nur bedingt vorsätzlichen) Tötung eines Menschen sein. Ob hingegen – wie vom LG Köln in der zitierten Entscheidung ausgeführt – die Bestürzung nach dem Unfall dafürspricht, dass der Fahrer darauf vertraut hat, er könne sein Fahrzeug auch bei Erreichen hoher Geschwindigkeiten noch beherrschen, ist doch sehr zweifelhaft. Dass bei einer extremen Raserei durch die Innenstadt mit Geschwindigkeiten über 150 km/h und der Missachtung zahlreicher roter Ampeln wirklich jemand ernsthaft auf das Ausbleiben einer Realisierung der Gefahr vertraut, ist doch extrem unwahrscheinlich. Zudem weist der BGH in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass selbst ein unerwünschter Erfolg der billigenden Inkaufnahme nicht entgegensteht (BGH, 14.1.2015 – 5 StR 494/14, NStZ 2015, 460). Die nachträgliche Bestürzung ist damit kein Kriterium der Bestimmung des Vorsatzes zum Tatzeitpunkt. Spannend wird sein, wie der BGH auf die nunmehrige Entscheidung des LG Berlin reagieren wird. Vieles spricht unter Zugrundelegung des bekannten Sachverhalts für die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes.
Ein Schema zur Abgrenzung von vorsätzlichem Begehungsdelikt vs. Fahrlässigkeitsdelikt findet ihr hier.
II. Totschlag oder Mord?
Kommt man zur Annahme eines vorsätzlichen Handelns, stellt sich die Frage nach Mordmerkmalen. Naheliegend ist die Prüfung des gemeingefährlichen Mittels.  Ein solches liegt vor, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährdet, wobei der Täter die Gefahr nicht beherrscht (BGHSt 34, 13). Maßgeblich ist nicht allein die abstrakte Gefährlichkeit des Tatmittels, sondern seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (BGH NStZ-RR 2010, 373 (374)). Ein PKW ist grundsätzlich zwar kein gemeingefährliches Mittel, sondern ein Fortbewegungsmittel. Dennoch hat der BGH bereits entschieden, dass durch die konkrete Verwendung auch ein Auto ein gemeingefährliches Mittel sein kann (BGH NStZ 2007, 330). Kommt man also zur Annahme eines bedinten Vorsatzes, wird man kaum an einer Verurteilung wegen Mordes durch Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels vorbeikommen. Auf subjektiver Tatbestandsebene genügt nämlich, dass der Täter die mangelnde Beherrschbarkeit der Wirkung des Tötungsmittels kennt oder jedenfalls ernsthaft für möglich hält und deren Eintritt wünscht oder wenigstens billigend in Kauf nimmt (Eschelbach, in: BeckOKStGB, § 211 Rn. 72).
III. Ausdehnung des Verkehrsstrafrechts auf illegale Autorennen?
Wer rechtspolitisch glänzen möchte, könnte nach der Prüfung des Falles noch die Diskussion um die Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes der „Teilnahme an einem illegalen Autorennen“ anstoßen. Die Länder Hessen und NRW haben einen solchen Vorschlag im Bundesrat bereits eingebracht (BR-Drs. 362/16).

§ 315d Verbotene Kraftfahrzeugrennen

(1) Wer im Straßenverkehr

  • 1.ein nicht genehmigtes Kraftfahrzeugrennen veranstaltet oder

  • 2.als Kraftfahrzeugführer an einem nicht genehmigten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 2 handelt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Wer in den Fällen des Absatzes 2 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Verursacht der Täter in den Fällen des Absatzes 2 oder 3 durch die Tat den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Im Mittelpunkt steht somit ein abstraktes Gefährdungsdelikt der bloßen Teilnahme an einem illegalen Autorennen (§ 315d Abs. 1). Allein die Durchführung eines solchen illegalen Rennens genügte, eine konkrete Gefährdung von Personen oder Sachen von erheblichem Wert (wie nach § 315c StGB) wäre nicht notwendig. Vergleichbar ist dies den Brandstiftungsdelikten der §§ 306 ff. StGB, die ebenfalls abstrakte Gefährdungsdelikte – und das sogar mit Qualifikationstatbeständen – sind. Daneben soll ein konkretes Gefährdungsdelikt geschaffen werden, wenn bei einem solchen Autorennen Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden (§ 315d Abs. 2). § 315d Abs. 3 ist der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination aus § 315c StGB nachgebildet.
Ob ein solcher Tatbestand notwendig ist, kann mit verschiedenen Argumenten diskutiert werden. Sicherlich wird ein explizites strafbewehrtes Verbot die Illegalität von derartigen Autorennen den Bürgern besser vor Augen führen; auch der Abschreckungseffekt einer eigenständigen Strafandrohung – über deren Höhe ebenfalls diskutiert werden kann – dürfte erwähnenswert sein. Andererseits stellt sich die Frage, ob tatsächlich eine Strafbarkeitslücke besteht. ME ist dies für das abstrakte Gefährdungsdelikt anzunehmen, nicht hingegen für die konkreten Gefährdungsdelikte der § 315d Abs. 2 – 4. Hier dürfte wegen § 315c StGB keine Strafbarkeitslücke bestehen. Zur Vertiefung dieser Diskussion ist die Lektüre des Aufsatzes von Piper, NZV 2017, 70 empfehlenswert!
 

28.02.2017/13 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2017-02-28 11:00:252017-02-28 11:00:25Tödliche Raserei: Was ihr jetzt wissen müsst!
Gastautor

Der Fall Edathy im Lichte der StPO

Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht, Tagesgeschehen

Wie freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Philipp Karl veröffentlichen zu können. Der Autor hat sein Studium und Referendariat erfolgreich in Mannheim absolviert.
Gegenstand des Beitrags ist der Fall um den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Dieser hat nicht nur eine breite öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, sondern wirft auch einige problematische Rechtsfragen auf (zur Chronologie des Geschehens siehe hier). Diese Kombination macht den Fall, auch wenn er mittlerweile nicht mehr tagesaktuell ist, sicherlich reizvoll für die mündliche Prüfung.
Auf die Strafbarkeit von Amtsträgern, die den ehemaligen Abgeordneten Edathy (angeblich) vor strafrechtlichen Ermittlungen warnten, wurde hier bereits an anderer Stelle eingegangen (Der Fall Edathy im Prüfungsgespräch).
Im Folgenden geht es um strafprozessuale Probleme, die durch den Fall Edathy aufgeworfen werden.
Im Einzelnen wird auf die Begründung eines Anfangsverdachtes mit straflosem Verhalten, die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft und die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO eingegangen.
 
Der Anfangsverdacht aufgrund straflosen Verhaltens
Besonders Interessant in rechtlicher Hinsicht ist, ob überhaupt ein ausreichender Verdachtsgrad als Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die Durchführung der Wohnungsdurchsuchung vorlag.
Sowohl die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, als auch die Wohnungsdurchsuchung (§102 StPO) bedürfen des Vorliegens eines Anfangsverdachtes.
Der Anfangsverdacht wird als die nach kriminalistischer Erfahrung aufgrund begründeter Tatsachen bestehende Wahrscheinlichkeit verstanden, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist.
Der ehemalige Abgeordnete Edathy hatte sich zugegebenermaßen kostenpflichtig Bild- und Filmmaterial beschafft, welches von einer kanadischen Webseite angeboten wurde. Streitig blieb allein die rechtliche Einordnung des Materials. Es handelte sich wohl um Material, das nicht eindeutig als kinderpornografisch eingestuft werden konnte, sondern sich im Grenzbereich der Strafbarkeit befand.
Es können nämlich nicht jegliche Abbildungen nackter Kinder unter das Tatbestandsmerkmal der kinderpornographischen Schrift subsumiert werden. Nach der bis zum 27. Januar 2015 geltenden Fassung des § 184b StGB war es erforderlich, dass die Abbildungen sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Als sexuelle Handlung eines Kindes in diesem Sinne wurde von der Rechtsprechung auch die Einnahme einer unnatürlichen geschlechtsbezogenen Körperhaltung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll, erfasst.
Die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung wird nunmehr ausdrücklich durch den § 184b Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB n.F. unter Strafe gestellt, ohne dass damit allerdings, wegen der nach alter Rechtslage in diesem Sinne bereits vorgenommenen Gesetzesauslegung, eine Erweiterung der Strafbarkeit verbunden ist.
Die Abbildung nackter Personen in natürlichen oder vermeintlich natürlichen Lebenssituationen war und ist daher nicht ohne weiteres dazu geeignet eine Strafbarkeit nach § 184b StGB zu begründen. Der mit Wirkung vom 27. Januar 2015 neu geschaffene § 201a Abs. 3 StGB n.F. konnte wegen des Rückwirkungsverbotes auf den fraglichen Tatzeitraum ohnehin keine Anwendung finden.
Wenn nun der Besitz von Abbildungen, die keinen strafbaren Inhalt haben, in Frage steht, besteht nach kriminalistischer Erfahrung dennoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass jemand, der sich kostenpflichtig den Besitz an Abbildungen von nackten Kindern verschafft, aufgrund vermuteter sexueller Neigungen, auch im Besitz strafrechtlich relevanten Bild- und Filmmaterials sein könnte.
Anfangsverdacht wegen straflosen Verhaltens
Hieran schließt sich die Frage an, ob ein Anfangsverdacht auch auf strafloses Verhalten gestützt, von einem legalen Verhalten also auf ein illegales Verhalten geschlossen werden darf.
Wegen der Folgen, die sich für Betroffene allein aus einem bestimmten Tatverdacht, unabhängig davon, ob sich dieser später bewahrheitet, ergeben können, ist die Beantwortung dieser Frage für den Betroffenen von erheblicher Bedeutung.
Im Hinblick auf die tiefgreifenden Grundrechtseingriffe, zu welchen die Strafverfolgungsbehörden durch die Annahme eines Anfangsverdachtes ermächtigt werden, kann zur Gewährleistung eines wirksamen Grundrechtsschutzes die durch den Gesetzgeber vorgenommene Grenzziehung nicht außer Betracht bleiben.
Es ist Sache des Gesetzgebers im Rahmen der durch die Verfassung vorgegebenen Schranken die für ein geordnetes Zusammenleben als erforderlich erachteten Handlungsanweisungen in Gesetzesform zu konkretisieren und dabei die Grenze zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten zu ziehen. Innerhalb der hiernach gezogenen Grenzen muss der Einzelne, unabhängig von gesellschaftlichen Moralvorstellungen, die nicht im Gesetz ihren Niederschlag gefunden haben, darauf vertrauen dürfen von staatlicher Einflussnahme verschont zu bleiben.
Andernfalls würde strafloses Verhalten wegen bloßer Wahrscheinlichkeiten unter Generalverdacht gestellt, was zur Folge hätte, dass aufgrund vielfältigen, scheinbar neutralen, Verhaltens ein Anfangsverdacht mit entsprechendem Begründungsaufwand hergeleitet werden könnte.
Dies bedeutet nicht, dass ein an sich strafloses Verhalten für die Annahme eines Anfangsverdachtes bedeutungslos wäre. Es kann als Indiz in eine zur Begründung des Anfangsverdachts vorzunehmende Gesamtabwägung einbezogen werden. Unzulässig ist es aber den Anfangsverdacht für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat, ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte, allein auf erlaubtes Verhalten zu stützen.
Solche weiteren Anhaltspunkte sah das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 969/14), welches im Rahmen einer von dem Beschuldigten unter anderem gegen die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung erhobenen Verfassungsbeschwerde zu entscheiden hatte, darin begründet, dass es sich bei dem von dem Beschuldigten bestellten Bild- und Filmmaterial eben nicht um eindeutig legales Material gehandelt habe, sondern das Material entweder bereits strafrechtlich relevant gewesen sei oder sich jedenfalls in einem Grenzbereich zur Strafbarkeit befunden habe. Das die Wohnungsdurchsuchung anordnende Gericht sei damit zur Begründung des Anfangsverdachtes gerade nicht davon ausgegangen der Beschuldigte habe sich ausschließlich legal verhalten.
Es handele sich um Grenzfälle, die schwierige rechtliche Wertungen erfordern. Diese Grenzziehung bei seinen Bestellungen zielsicher einzuhalten dürfte für den Beschuldigten schwer möglich gewesen sein, zumal der kanadische Anbieter auf seiner Webseite auch eindeutig strafrechtlich relevantes Material vertrieb. In solchen Grenzfällen sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die darauf gestützte kriminalistische Erfahrung zur Begründung des Tatverdachtes heranzuziehen.
 
Die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft
Sehr umstritten ist auch die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft Hannover im „Fall Edathy“ (siehe zum Beispiel hier) gewesen.
Die Weitergabe persönlichkeitsrechtsrelevanter Informationen an die Presse bedarf als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Ermächtigungsgrundlage.
Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, welche die Strafverfolgungsbehörden dazu ermächtigen persönlichkeitsrechtsrelevante Informationen an die Presse weiterzugeben, ist in der StPO nicht zu finden.
Es gibt kein Recht der Strafverfolgungsbehörden zur Medienarbeit, sondern es wird stattdessen eine Pflicht zur Auskunftserteilung an die Presse in den jeweiligen Landespressegesetzen statuiert (im Fall der Staatsanwaltschaft Hannover: § 4 Niedersächsisches Pressegesetz)
Die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit ergibt sich daher erst mittelbar aus dem Informationsauftrag gegenüber der Presse und ist kein Selbstzweck um beispielsweise Imagewerbung zu betreiben.
Die Rechtmäßigkeit staatlicher Öffentlichkeitsarbeit ist im Lichte des Gesetzeszwecks zu beurteilen.
Das Informationsrecht der Presse und die damit notwendigerweise einhergehende Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur Informationserteilung, gelten nämlich nicht grenzenlos. Es kollidiert insoweit das Grundrecht der Pressefreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht desjenigen, der von den Informationen betroffen wird. Um die berührten Grundrechte in einen gerechten Ausgleich zu bringen, bedarf es einer umfassenden Güterabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände.
Dies kommt auch in Nr. 23 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) zum Ausdruck, wonach für jeden Einzelfall zu prüfen ist, ob das Berichterstattungsinteresse die berührten Persönlichkeitsrechte überwiegt.
Zu berücksichtigen sind einerseits die erheblichen Folgen für den Beschuldigten, die mit einer Berichterstattung über den Tatvorwurf einhergehen können. Trotz der bis zu einer Verurteilung geltenden Unschuldsvermutung, ist gerade bei Vorwürfen im Bereich der Kinderpornografie, allein mit dem Tatvorwurf eine Stigmatisierung verbunden, die selbst dann nicht vollständig beseitigt werden kann, wenn sich der Vorwurf letztlich als unzutreffende erweist. Bei bestimmten Ämtern wird unter Umständen allein schon durch den Tatvorwurf der öffentliche Druck so groß sein, dass ein Rücktritt, bevor die Vorwürfe abschließend bewertet werden konnten, unausweichlich ist.
Öffentlich ist grundsätzlich nur die Hauptverhandlung (§ 169 GVG), während das vorgelagerte Ermittlungsverfahren nichtöffentlich ausgestaltet ist.
Ein die Belange des Persönlichkeitsschutzes überwiegendes Interesse der Presse bereits in diesem frühen Verfahrensstadium mit Hilfe staatlicher Informationen berichten zu können, kann sich aus der Schwere der Tat, des Verdachtsgrades und der Stellung des Beschuldigten im öffentlichen Leben ergeben. Ist eine öffentliche Berichterstattung hiernach zulässig, werden regelmäßig gleichwohl Einschränkungen hinsichtlich des Umfangs der zu erteilenden Informationen geboten sein. Dies gilt zum einen hinsichtlich Informationen, die Rückschlüsse auf die Person des Beschuldigten ermöglichen und zum anderen hinsichtlich Informationen zur Art und zum Inhalt des konkreten Tatvorwurfes.
Eine Berichterstattung, welche die Identifizierung des Beschuldigten ermöglicht, ist nur bei sog. Personen der Zeitgeschichte zulässig. Aufgrund der Stellung des Beschuldigten Edathy, als bundesweit bekannter Innenpolitiker, war eine identifizierende Berichterstattung grundsätzlich zulässig. Die Art und der Zeitpunkt der Informationserteilung sind jedoch problematisch.
Die Öffentlichkeit wurde umfassend unterrichtet, bevor die Staatsanwaltschaft selbst ein abschließendes Urteil über die Strafbarkeit des Bildmaterials getroffen hatte. Dabei war bereits mit der Information über den Inhalt der Bilder eine maximale Schädigung des Beschuldigten in der öffentlichen Wahrnehmung verbunden, weil diese über Personen in herausgehobenen öffentlichen Stellungen ihr Urteil nicht allein in juristischen, sondern vor allem in moralischen Kategorien fällt.
Man mag den Besitz solcher Bilder mit guten Gründen für moralisch verwerflich, generell strafwürdig und den Besitzer solcher Bilder für charakterlich ungeeignet zur Wahrnehmung wichtiger politischer Aufgaben halten. Solange der Gesetzgeber hieraus aber nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen hat, muss derjenige, der sich auf dem Boden des geltenden Rechts bewegt hat, sein erlaubtes Verhalten nicht auf staatliche Veranlassung hin zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung machen lassen. Eine moralische Aufarbeitung ist jedenfalls nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden.
Auch wenn die Staatsanwaltschaft Hannover letztlich bestimmte Bilder als strafrechtlich relevant einstufte und darauf ihre Anklage stützte, so hätte es Zurückhaltung hinsichtlich der öffentlichen Information über den Tatvorwurf bedurft. Die abschließende strafrechtliche Bewertung eines Sachverhaltes ist Sache des gesetzlichen Richters. Dies kommt auch in Nr. 23 RiStBV zum Ausdruck, wonach die Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen darf. Dies gilt umso mehr, als es sich scheinbar um Bildmaterial aus einem strafrechtlichen Randbereich, also nicht um eindeutig strafbares Verhalten handelte. Kommt das Gericht in einem solchen Fall später zu dem Ergebnis der Inhalt des Bildmaterials sei nicht strafbar, so ist dem Beschuldigten bereits ein nicht mehr zu reparierender Schaden entstanden.
Es ist zwar nachvollziehbar, dass seitens der mit den Ermittlungen befassten Staatsanwaltschaft das Bedürfnis bestand das eigene Vorgehen, welches massiver Kritik ausgesetzt war, mit Details zu dem Tatvorwurf zu rechtfertigen. Diesem Zweck ist die Öffentlichkeitsarbeit der Strafermittlungsbehörden nach der gesetzlichen Konzeption allerdings nicht zu dienen bestimmt.
 
Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO
Letztlich kam es zu keinem Urteil gegen Sebastian Edathy, da das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen die Zahlung von 5000 € eingestellt wurde. Die von der StPO vorgesehenen Möglichkeit der Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen dient der Prozessökonomie, zum anderen aber auch den Interessen des Beschuldigten, dem die Belastungen einer öffentlichen Hauptverhandlung erspart bleiben, ohne dass mit der Verfahrenseinstellung eine Schuldfeststellung verbunden ist.
Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO kommt nur bei Vergehen in Betracht und ist für diejenigen Fälle gedacht, in denen zwar im Gegensatz zu § 153 StPO ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, dieses aber durch Auflagen oder Weisungen im Sinne des nicht abschließenden Katalogs des § 153a Abs. 1 S. 2 StPO beseitigt werden kann, wobei allerdings die Schwere der Schuld der Einstellung nicht entgegenstehen darf.
Wenngleich mit der Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO keine Schuldfeststellung verbunden ist, so verbleibt für den Betroffenen, dennoch ein bitterer Beigeschmack. Er musste sich die Verfahrenseinstellung mittels der Erfüllung von Auflagen oder Weisungen „erkaufen“, was eigentlich der Unschuldsvermutung, welche mangels Schuldfeststellung fort gilt, widerspricht und öffentlich den Eindruck eines Schuldeingeständnisses erweckt. Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu der Verfahrenseinstellung tatsächlich von einem Schuldeingeständnis abhängig gemacht. Ein Geständnis wirkt sich zwar anerkanntermaßen strafmildernd aus, sodass es denkbar erscheint, dass durch ein Schuldeingeständnis das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung so weit herabgesetzt wird, dass der Anwendungsbereich des § 153a StPO erst eröffnet wird. Allerdings war im konkreten Verfahren nicht die Tatsache des Besitzverschaffens und des Besitzes des konkreten Bild- und Filmmaterials streitig, sondern es ging lediglich um die rechtliche Bewertung des unstreitigen Sachverhalts. Das „Schuldeingeständnis“ des Angeklagten hat in einem solchen Fall keinen Mehrwert, da es für die Frage, ob sich der Angeklagte schuldig im Sinne der angeklagten Tat gemacht hat, keine Aussage trifft.
Man muss die Verfahrenseinstellung nicht gutheißen, unter Berücksichtigung der strafgerichtlichen Praxis ist sie allerdings nachvollziehbar und beruht nicht auf einem „Promi-Bonus“.
Folgende Gründe können für eine Anwendung des § 153a StPO im konkreten Fall angeführt werden:

  • Es handelte sich um eine vergleichsweise niedrige Anzahl von Bild- und Filmdateien, deren Besitz angeklagt wurde
  • Es handelte sich scheinbar um Bilder im Grenzbereich zur Strafbarkeit
  • Der angeklagte Tatzeitraum lag bereits mehrere Jahre zurück
  • Der Angeklagte war vorher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten
  • Die berufliche und private Existenz des Angeklagten wurden bereits durch das Ermittlungsverfahren, die Anklage und die begleitende Berichterstattung zerstört

Unter Berücksichtigung dieser Umstände kam für den Fall einer Verurteilung daher nur eine Strafe im unteren Bereich des auf den fraglichen Tatzeitraum anwendbaren Strafrahmen des § 184b Abs. 4 StGB a.F. von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe in Betracht.

15.06.2015/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-06-15 08:30:062015-06-15 08:30:06Der Fall Edathy im Lichte der StPO
Tom Stiebert

OLG Hamm: Neue Fallgestaltung zum Kreditkartenmissbrauch

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht BT

Der Fall ist ein absoluter Examensklassiker, der aus dem FF beherrscht werden sollte: Der Missbrauch von Scheckkarten, bzw. Kreditkarten, EC-Karten etc. Hier ist bekanntlich zunächst zwischen drei Stadien zu unterscheiden: Dem Erlangen der Karte, der Benutzung des Geldautomatens und der Entnahme des Geldes. Zudem ist noch zu differenzieren, wer die Karte benutzt – der berechtigte Inhaber, der aber sein Konto überzogen hat oder ein nichtberechtigter Dritter, der die Karte überlassen bekommen hat oder entwendet hat.
Bekanntlich sind hier stets eine Vielzahl von Delikten zu prüfen: Betrug (§ 263 StGB) beim Erlangen der Karte, ggf. Untreue (§ 266 StGB) dem Karteninhaber oder der Bank gegenüber, Computerbetrug (§ 263a StGB) beim Bedienen des Automatens, Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten (§ 266b StGB) beim Benutzen der Karte sowie Diebstahl (§ 242 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB) bei Entnahme des Geldes. Hier besteht eine so ausdifferenzierte Fallpraxis, dass die Darstellung einen separaten Beitrag vorbehalten bleibt.
I. Sachverhalt
Hier soll es aber um einen ganz aktuell vom OLG Hamm entschiedenen Sonderfall gehen (Urteil v. 12.03.2015 – 1 RVs 15/15). Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Ein – geschäftsfähiger – Rentner überließ seinem Pfleger seine Kreditkarte (Verfügungsrahmen 5.000 Euro) zur freien Verfügung für eigene Zwecke. Nach dem Tod des Kreditkarteninhabers (wovon der Pfleger auch Kenntnis hatte erfuhr er, dass er nicht zu dessen Erben gehörte. Dennoch tätigte er mit der Kreditkarte weitere Umsätze in Höhe von 4.000 Euro.
Strafbarkeit des Pflegers?
II. Lösung
Das OLG Hamm verneinte hier – im Widerspruch zu den Vorinstanzen – eine Strafbarkeit des Pflegers. Abgelehnt wurde insbesondere eine Strafbarkeit wegen Untreue (§ 266 StGB).
Hier könnte die Verletzung einer – gegenüber den Erben oder dem Erblasser – bestehende Vermögensbetreuungspflicht verletzt worden sein. Eine solche muss bei einer Untreue nach § 266 StGB zwingend vorliegen. Das OLG Hamm hat eine solche abgelehnt:

Eine Vermögensbetreuungspflicht trifft den Täter dann, wenn er fremde Vermögensinteressen von einiger Bedeutung zu betreuen hat (BGHSt 24, 386 f.).
Die Angeklagte traf hier eine solche Verpflichtung nicht. Die Kreditkarte war ihr ausschließlich zur eigennützigen Verwendung überlassen worden. Der Verfügungsrahmen der Kreditkarte war auf 5.000 Euro pro Monat begrenzt, eine Verwendung über diesen Betrag hinaus der Angeklagten mithin gar nicht möglich. Ein Spielraum verblieb ihr insoweit nicht. Inhalt der Vereinbarung mit dem Verstorbenen war gerade nicht eine Fürsorge für dessen Vermögensinteressen, sondern gerade dessen Vermögensminderung bis zur Höhe des Kreditkartenlimits von 5.000 Euro je Monat.
Es ist auch kein Umstand erkennbar, der eine Vermögensbetreuungspflicht mit dem Ableben des Verstorbenen begründen könnte. Irgendwie geartete Vereinbarungen mit den Erben hat es nicht gegeben.

Entscheidendes Argument des Gerichts ist also, dass das Geld gerade zu eigenen Zwecken und nicht für die Zwecke des Karteninhabers oder Dritter abgehoben werden durfte (hierzu OLG Hamm 2 Ss 367/03). Hier grenzt sich das Gericht ausdrücklich von anderen Entscheidungen zu dieser Fallgestaltung ab. Hier ist also eine äußerst sorgfältige Falllektüre erforderlich. Keinesfalls darf vorschnell ein vermeintlich bekannter Fall wiederholt werden.
Eine Untreue scheidet damit mangels Vermögensbetreuungspflicht aus.
Auch weitere Delikte scheiden hier nach der zutreffenden Ansicht des Gerichts aus.
Ein Betrug, bzw. Computerbetrug bei Benutzung der Karte wird verneint. Eine Vorstellung des Händlers über die Berechtigung (und damit ein Irrtum hierüber) wird verneint.
Auch eine Unterschlagung der Kreditkarte wird verneint. Hier fehlt es an einer Zueignung der Kreditkarte, wobei genau zu differenzieren ist, was im Einzelnen zugeeignet werden soll.
Auch ein Kreditkartenmissbrauch nach § 266b StGB scheidet aus.
Das Verhalten war damit straflos.
III. Examensrelevanz
Zur Examensrelevanz bedarf es kaum Ausführungen, die oben dargelegten Fallgestaltungen kennt wohl jeder Examenskandidat. Umso wichtiger ist es, auch neue Fallgruppen sauber durchzuprüfen. Dies gelingt auch dann, wenn man den konkreten Fall nicht „gelernt“ hat. Wichtig ist eine sauber und schrittweise Subsumtion. Dann kann man sowohl die Klassiker als auch neue Varianten sauber lösen. Es ist zu erwarten, dass gerade auf Grund der Neuerungen die hier aufgezeigte Konstellation Bestandteil von Prüfungen werden wird.

24.04.2015/3 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2015-04-24 12:00:232015-04-24 12:00:23OLG Hamm: Neue Fallgestaltung zum Kreditkartenmissbrauch
Tom Stiebert

Notiz: § 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) ist verfassungsgemäß

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Urteilsverfassungsbeschwerden sind immer äußerst examensrelevant, da man anhand eines solchen Falles sowohl im Rahmen der Zulässigkeit als auch bei der Begründetheit eine Vielzahl von Problemen einbauen kann.
Insbesondere auf der Ebene der Begründetheit muss stets betont werden, dass es sich beim Bundesverfassungsgericht um keine Superrevisionsinstanz handelt und das Gericht lediglich die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts überprüft. Es ist also zu prüfen, ob das Gericht im Rahmen seines Urteils die Wertungen der Grundrechte grob verkannt hat. Dies ist in zweierlei Art und Weise möglich:

  • Zum einen bereits dann, wenn die Rechtsgrundlage (in jeder denkbaren Auslegung!!!) verfassungswidrig ist
  • Ist dies nicht erfüllt, so kann dennoch die Anwendung im konkreten Fall die Bedeutung der Grundrechte verkennen

Einen guten Einblick in diese Prüfungsweise ermöglicht das Urteil zur Holocaustleugnung anlässlich eines Kneipengesprächs.
Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage zu befassen, ob ein Urteil gestützt auf den 2008 ins Gesetz eingefügten § 89a StGB verfassungswidrig ist. Insbesondere wäre dies dann der Fall, wenn die Norm selbst verfassungswidrig ist. Der BGH hat dies verneint und legt gerade eine sehr restriktive Auslegung der Norm zugrunde. Eine gute Zusammenfassung findet Ihr auf der Seite des BGH auf die wir an dieser Stelle verweisen wollen.
Eine zusätzliche Frage in diesem Zusammenhang könnte zudem sein, ob der BGH verpflichtet sei, die Frage der Verfassungswidrigkeit dem BVerfG vorzulegen. Entscheidend ist hier die Konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 GG. Dieses Verfahren ist aber allein dann relevant, wenn das Gericht eine Norm für verfassungswidrig hält (sog. Normverwerfungskompetenz des BVerfG). Dies war hier nicht der Fall.
Wichtige Urteile zur konkreten Normenkontrolle findet Ihr hier:

  • Normenkontrolle bei Umsetzung Europarecht
  • Allgemeines zur Normenkontrolle
09.05.2014/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2014-05-09 09:30:302014-05-09 09:30:30Notiz: § 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) ist verfassungsgemäß
Tom Stiebert

Strafbarkeit einer Hooliganschlägerei

Für die ersten Semester, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Tagesgeschehen

In Köln kam es am gestrigen 18.1.2014 zu einer folgenschweren verabredeten Massenschlägerei zwischen verfeindeten Fußballhooligans von Schalke 04, 1. FC Köln und Borussia Dortmund. Anlässlich des Freundschaftsspiels Köln gegen Schalke verabredeten sich die Hooligangruppen zu einer Schlägerei am zentralen Rudolfplatz. Hier kam es dann am Nachmittag unter Beteiligung von 200-300 Personen zu einer Schlägerei, bei der einer der Beteiligten (wohl durch einen Schlag gegen den Kopf) schwere Verletzungen erlitten hat und zeitweise in Lebensgefahr schwebte (siehe Artikel).
In einer mündlichen Prüfung konnte dieser Fall sehr gut herangezogen werden, um die Strafbarkeit des oder der möglichen Täter abzufragen. Hier zeigen sich diverse Probleme und Szenarien.
I. Täter klar ermittelbar
1. Mögliche Strafbarkeit
Ist der Täter, der den entscheidenden Schlag ausgeführt hat ermittelbar, so muss die Frage des Zurechnungs von Verhalten Dritter und damit von Täterschaft und Teilnahme nicht geklärt werden.
Hier kommt eine Strafbarkeit nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Schlagwerkzeug als gefährliche Waffe) und Nr. 5 (bei Schlägen gegen den Kopf ist im Regelfall von einer abstrakten Lebensgefährdung auszugehen; hier ohnehin schon konkrete Lebensgefahr) in Betracht. Ein hinterlistiger Überfall (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) scheidet hingegen aus; von einer planmäßigen auf Verdeckung ausgerichteten Tatbegehung kann bei einer geplanten Schlägerei gerade nicht ausgegangen werden. Dagegen ist eine gemeinschaftliche Begehung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) wohl anzunehmen. Erforderlich ist hier gerade nicht, dass mehrere Beteiligte die Verletzungen tatbestandlich herbeiführen. Aktive Beihilfe wäre bereits ausreichend, das Opfer muss mehreren Beteiligten gegenüberstehen. Davon ist je nach Fallgestaltung auszugehen.
Angeprüft werden kann auch eine schwere Körperverletzung, wobei im Sachverhalt keine entsprechenden Voraussetzungen ersichtlich sind.
Relevanter ist hingegen die Prüfung des versuchten Totschlags, bzw. sogar versuchten Mordes (§§ 211, 212, 23 StGB). Ein entsprechender Eventualvorsatz liegt hier nicht völlig fern, kann aber auch nach der sog. Hemmschwellentheorie gut vertretbar abgelehnt werden. Hier kommt es auf gute Argumentation an. Schwieriger ist dagegen die Prüfung der Morderkmale: In Betracht kommen niedrige Bewegründe und gemeingefährliche Mittel. Von einem gemeingefährlichen Mittel ist dann auszugehen, wenn das konkrete Tatmittel üblicherweise zu einer Gefährdung von mindestens 3 Personen führt. Zwar erfolgte die Schlägerei hier an einem belebten Platz, konkretes Tatmittel waren aber die Schläge gegen das Opfer. Der Begriff des Mittels ist restriktiv auszulegen, sodass es nicht genügt, dass durch die Schlägerei an sich auch anderen Unbeteiligten Gefahr droht. Insofern muss dieses Mordmerkmal abgelehnt werden. Somit verbleiben allein niedere Beweggründe (sittlich auf tiefster Stufe stehend). Hier kommt es auf die konkrete Motivlage des Täters an: Will er sein Opfer nur töten, weil er Fan einer anderen Mannschaft ist, kann im Ergebnis der niedere Beweggrund bejaht werden. Dennoch ist hier eine sorgfältige Prüfung nötig. Zu vorschnell darf ein Mordmerkmal nicht bejaht werden.
Leichter zu bejahen ist hingegen die Strafbarkeit wegen Landfriedensbruch bzw. schwerem Landfriendensbruch nach §§ 125 Abs. 1 Nr. 1 und 2; 125a Nr. 2 und 3 StGB. Im Gegensatz zu § 224 StGB bedarf es aber einer (hier vorliegenden) konkreten Todesgefahr.
Ergänzend kommt auch noch eine Strafbarkeit wegen Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) in Betracht. Ist der Tatbestand hier unproblematisch zumindest dann erfüllt, wenn das Opfer tatsächlich eine schwere Gesundheitsschädigung davonträgt, so stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieses Delikts zur Körperverletzung. Nach h.M. liegt hier Tateinheit vor, da von § 231 StGB noch weitere Rechtsgüter als von § 223, 224 StGB geschützt seien (BGHSt 33, 100, 104; BGH Urt v 21.8.2008 – 3 StR 236/08; NStZ-RR 2009, 309, 310;). Eine Gesetzeskonkurrenz kommt nur dann in Betracht, wenn dieser Unrechtsgehalt des § 231 StGB (also die Gefährdung Dritter) mit in §§ 223, 224 StGB aufgeht. Dies soll nur bei Schlägereien mit wenigen Beteiligten erfüllt sein (BeckOK/Eschelbach, § 231 StGB, Rn. 25) – hier also offensichtlich nicht.
2. Problem: Einwilligung des Opfers
Schnell zeigt sich aber ein weiteres Problem: Das Opfer hat sich hier bewusst an der Schlägerei beteiligt und könnte damit zumindest in die Körperverletzungen eingewilligt haben, sodass eine Strafbarkeit hierfür nicht in Betracht kommt. Die Tat könnte somit nach den Grundsätzen der Einwilligung (in den Grenzen des § 228 StGB) gerechtfertigt sein. Von der Wirksamkeit der Einwilligung an sich muss hier – mangels abweichender Anhaltspunkte – ausgegangen werden. Fraglich ist aber, ob die Wirksamkeit aufgrund einer möglichen Sittenwidrigkeit ausgeschlossen ist. Entscheidend für den BGH ist dabei insbesondere der Grad der Gefährdung des Opfers; aufgrund des besonders bedeutsamen Lebensschutzes (vgl. auuch § 216 StGB) kommt eine Einwilligung zumindest in lebensgefährdende Behandlungen nicht in Betracht (BGHSt 49, 34, 42 = NJW 2004, 1054, 1055; BGHSt 49, 166, 170 f = NJW 2004, 2458, 2459 f; BGH NStZ 2013, 342, 343). Gerade bei Körperverletzungen im Rahmen von Massenschlägereien verneint der BGH eine Rechtfertigung zudem generell mit folgender Begründung:

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat bislang bereits Einwilligungen von späteren Opfern von Körperverletzungen keine rechtfertigende Wirkung beigemessen, wenn die Taten mit einer konkreten Gefahr des Todes für die Opfer verbunden sind. Nunmehr hat der 1. Strafsenat deutlich gemacht, dass, jedenfalls bei wie hier verabredeten wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen Gruppen, § 228 StGB die Wirksamkeit der erteilten Zustimmung zu eigenen Verletzungen regelmäßig ausschließt, weil die typischerweise eintretenden gruppendynamischen Prozesse generell mit einem so erheblichen Grad an Gefährdung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Kontrahenten verbunden sind, dass die Grenze der „Sittenwidrigkeit“ der Taten überschritten ist.

Aus diesen Gründen wäre auch im konkreten Fall eine Einwilligung für die Strafbarkeit unerheblich. Siehe zu dieser Thematik unseren ausführlichen Beitrag.
 
II. Täter nicht klar ermittelbar
Schwieriger wird der Fall dann noch, wenn der konkrete Tatbeitrag des mögliche Täters nicht nachweisbar ist, sondern nur dessen Teilnahme an der Schlägerei nachweisbar ist.
Hier erhält § 231 StGB größere Bedeutung. Allerdings muss dazu der Tod oder die schwere Körperverletzung des Opfers eintreten. Insofern hängt diese Strafbarkeit davon ab, ob das Opfer durch den Angriff Folgen nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erleidet.
Hingegen scheidet eine Täterschaft bei der Körperverletzung bzw. der versuchten Tötung nach dem Grundsatz in dubio pro reo aus, da nicht erwiesen werden kann, wer für die konkrete Verletzungshandlung verantwortlich war. Auch über den Umweg der Wahlfeststellung lässt sich eine Strafbarkeit nicht begründen. Selbst wenn feststehen würde, dass der Beschuldigte entweder Täter oder Teilnehmer (Beihilfe) gewesen ist (was hier schon äußerst fraglich ist, da die Voraussetzungen einer (psychischen) Beihilfe hier nicht ersichtlich sind), ist zwischen diesen Alternativen eine Wahlfeststellung aufgrund des Unterschieds im Unrechtsgehalt nicht möglich. Eine Strafbarkeit zumindest wegen Körperverletzung erfordert hier zumindest, dass eine konkrete Verletzungshandlung nachweisbar ist. Dies dürfte im Einzelfall schwer nachzuweisen sein.
 
III. Fazit
Der Fall eignet sich perfekt für die mündliche Prüfung. Hier können diverse – hier teilweise nur kurz angedachte – Probleme des Strafrechts geprüft und vertieft werden. Bekannst sein sollte in diesem Zusammenhang zumindest die Rechtsprechung des BGH zur Sittenwidrigkeit der Einwilligung in eine Körperverletzung. Die weiteren Fragen (insbesondere auch aus dem Bereich Täterschaft und Teilnahme) lassen sich gut mit allgemeinem juristischen Verständnis lösen.
Man erkennt aber sehr gut, dass ein vermeintlich überschaubarer Fall eine Vielzahl an Problemen beinhalten kann.

19.01.2014/8 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2014-01-19 16:17:312014-01-19 16:17:31Strafbarkeit einer Hooliganschlägerei
Christian Muders

Eckpunkte eines Gesetzesentwurfs zur Erlaubnis religiöser Beschneidung Minderjähriger auf FAZ.net.

Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Tagesgeschehen

Die strafrechtlichen Konsequenzen einer religiösen Beschneidung waren ja nun schon wiederholt Thema auf Juraexamen.info (vgl. etwa hier und hier). Auf FAZ.net ist nun ein Artikel publiziert worden, der Eckpunkte für eine gesetzgeberische Reform des BGB vorstellt mit dem Ziel, religiöse Beschneidungen an Minderjähren bei Wahrung medizinischer Mindeststandards zu erlauben. Demnach soll die vom LG Köln als Rechtfertigungsgrund noch verschmähte „elterliche Personensorge“ explizit um „das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen“ ergänzt werden, „wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll“. Auch an einen begrenzenden Gegenpassus hat der Gesetzgeber offenbar gedacht, wonach die Personensorge eine religiöse Beschneidung dann nicht deckt, „wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird“ – womit die gerade bei Rechtfertigungsgründen regelmäßig erforderliche Interessenabwägung (man denke an §§ 34, 193 StGB – Ausnahme § 32 StGB) auch hier gesetzlich verankert wird. Zudem ist geplant, die Vornahme einer religiösen Beschneidung nicht allein  Ärzten vorzubehalten, sondern bei einer Durchführung innherhalb der ersten sechs Monate nach der Geburt auch „auf von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen“ zu erstrecken , „wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind“ – wiederum eine Konzession an religiöse Gebote, da etwa im Judentum die Beschneidung durch eine speziell dafür ausgebildete Person (Mohel) Brauch ist.
Zum ganzen Artikel auf FAZ.net geht’s hier.
Und hier noch ein alternativer Artikel auf SPON.

25.09.2012/6 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-09-25 17:43:452012-09-25 17:43:45Eckpunkte eines Gesetzesentwurfs zur Erlaubnis religiöser Beschneidung Minderjähriger auf FAZ.net.
Tom Stiebert

Strafbarkeit des Kapitäns der Costa Concordia

Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Tagesgeschehen

Das tragische Schiffsunglück vor der Costa Concordia vor der Küste Italiens beschäftigt in den letzten Tagen die Medien. In den Fokus rückte am Wochenende insbesondere das Verhalten des Kapitäns. Gegen diesen ermittelt die italienische Staatsanwaltschaft wegen diverser Vergehen – insbesondere auch wegen „Verlassen des Schiffes“. Der nachfolgende Beitrag soll einige Aspekte der Strafbarkeit aufzeigen, die in den nächsten Tagen auch sehr gut als Einstieg in eine mündliche Prüfung genutzt werden könnten. Betrachten will der Beitrag das Geschehen aus Sicht des deutschen Rechts.
I. Anwendbarkeit deutschen Rechts
Im konkreten Fall handelte es sich um ein unter italienischer Flagge fahrendes Schiff; auch der Unfall passierte in italienischen Gewässern; fraglich ist aber, ob das deutsche Strafrecht auf ein unter deutscher Flagge fahrendes Schiff Anwendung finden könnte. Hierfür sorgt § 4 StGB, der die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts – abweichend vom sonst nach § 3 StGB geltenden Territorialitätsprinzip – für diesen Fall regelt. Auch ohne diese Norm könnte sich die Strafbarkeit aber zumindest aus § 7 StGB ergeben. Die Einzelheiten der Norm müssen hierzu nicht bekannt sein. Vielmehr ist eine saubere Subsumtion erforderlich.
Die Anwendung des deutschen Strafrechts ist auch davon unabhängig, dass die mögliche Tat hier in italienischen Hoheitsgewässern (Zwölf-Meilen-Zone) begangen wurde. Selbst die ergänzende Geltung des italienischen Strafrechts würde die Geltung des deutschen Strafrechts nicht ausschließen.
II. Strafbarkeit auf Grund des Unfalls nach §§ 229, 222, 315 ff. StGB
Relativ unproblematisch ist die Strafbarkeit des Kapitäns wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger Tötung nach § 229 StGB und § 222 StGB. Prüfungsrelevant ist hier vor allem die objektive Sorgfaltspflichtverletzung. Hier wäre dann zu prüfen, inwiefern der Kapitän tatsächlich eine gefährliche Route genommen hat, die Geräte nicht ordnungsgemäß überwacht hat etc. Alle weiteren Prüfungspunkte (Erfolg, Handlung, Kausalität, objektive Vorhersehbarkeit, Pflichtwidrigkeitszusammenhang und Schutzzweck der Norm) können hingegen unproblematisch bejaht werden.
Zudem kommt auch eine Strafbarkeit wegen Gefährdung des Bahn- Schiffs- und Luftverkehrs gemäß § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB in Betracht.
III. Strafbarkeit wegen frühzeitigem Verlassen des Schiffs
Hauptproblem ist aber, ob sich der Kapitän durch das vorzeitige Verlassen des Schiffes selbst strafbar gemacht hat.
Eine explizite Strafbarkeitsnorm hierfür enthält das StGB nicht. Auch sonderstrafrechtliche Norm regeln diesen Fall nicht. Weder aus § 28 SeemG noch aus § 517 HGB [Anm.: Nicht im Schönfelder abgedruckt] kann sich eine Pflicht zur Anwesenheit auf dem Schiff, bis dies alle Besatzungsmitglieder und Passagiere verlassen haben, ergeben . § 28 SeemG gilt nur für Besatzungsmitglieder, während § 517 Abs. 3 HGB zwar die Anwesenheit des Kapitäns regelt, geht diese aber nicht so weit, als dass eine Anwesenheit des Kapitäns als letzter erforderlich ist. Die Norm soll davor schützen, dass sich aus der Abwesenheit des Kapitäns eine Gefahr für das Schiff ergibt. Ist diese Gefahr aber bereits gegeben und kann die Anwesenheit des Kapitäns diese auch nicht mehr mindern oder abwenden, so ist diese Regelung nicht mehr anwendbar. Ohnehin knüpfen aber an eine etwaige Pflichtverletzung keine strafrechtlichen Rechtsfolgen an; zwar enthält das SeemG in den § 114 ff SeemG umfangreiche Vorschriften zu Strafbarkeiten und Ordnungswidrigkeiten, das vorzeitige Verlassen des Schiffes ist damit nicht aufgeführt. Ergänzung: Damit kann zwar eine zivilrechtliche Verantwortung des Kapitäns und damit ein Schadensersatzanspruch bestehen, strafrechtlich relevant ist das dagegen nicht.
Auch in internationalen Seerechtsnormen ist keine entsprechende Strafbarkeitsnorm aufgeführt.
Der Grundsatz, dass der Kapitän als letzter das Schiff verlasse, mag damit zwar gewohnheitsrechtlich bestehen, eine gesetzliche Entsprechung gibt es hierzu nicht. Ein Verstoß hiergegen würde zwar einen Verstoß gegen die „Seemannsehre“ darstellen, strafbar ist dieser aber zumindest nach deutschem Recht nicht – gilt hier doch der Grundsatz „nulla poena sine lege“.
Fraglich ist aber, ob der Kapitän sich durch das Verlassen des Schiffes nicht anderweitig strafbar gemacht hat. Hieran wäre zumindest dann zu denken, wenn dadurch das Sinken des Schiffes beschleunigt wurde, bzw. die Möglichkeit der Rettung der Passagiere und der Besetzung eingeschränkt wurde. Denkbar ist hierbei eine Körperverletzung bzw. sogar eine Tötung durch Unterlassen (§§ 223, 13 StGB; 212, 13 StGB).
Dazu müsste der Kapitän eine Garantenstellung innehaben. Zu unterscheiden ist hier zwischen einem Beschützergaranten und einem Überwachergaranten. Hier obliegt dem Kapitän die gesetzliche Verpflichtung für die Sicherheit der Passagiere und der Besetzung zu sorgen. Dies ergibt sich bereits aus seiner Stellung als Kapitän. Er ist damit als Beschützergarant anzusehen.
Auch aus der Herbeiführung des Unfalls kann sich nach den Grundsätzen der Ingerenz eine Betrachtung als Garant – diesmal als Überwachergarant – ergeben. Eine Garantenstellung des Kapitäns liegt damit auf jeden Fall vor.
Die weiteren Voraussetzungen wären auch erfüllt. Dies wären:

  • Eintritt des Erfolgs (+)
  • Nichtvornahme der erforderlichen Handlung (+) erforderlich wäre das Verbleiben auf dem Schiff und die Unterstützung der Rettungsaktionen
  • Kausalität – hier wäre zu prüfen, ob bei Vornahme der Handlung der Erfolg ausgeblieben wäre. Dies wäre dann zu bejahen, wenn die Rettung erleichtert worden wäre oder das Schiff später gesunken wäre. Das kann sich bspw. daraus ergeben, dass nur der Kapitän dafür geeignet ist, die Rettungsmaßnahmen zu koordinieren oder das Schiff in stabiler Lage zu halten.
  • Die Garantenstellung ist wie gezeigt zu bejahen.
  • Auch eine objektive Zurechenbarkeit wäre gegeben.

Demnach wäre eine Strafbarkeit wegen Unterlassen gegeben.
Anm.: Auf die Prüfung des Vorsatzes, des Verschuldens und der Rechtswidrigkeit wurde hier verzichtet. Anzunehmen ist aber zumindest ein dolus eventualis des Kapitäns.
Ebenso zu bejahen wäre eine Strafbarkeit des Kapitäns wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB zu bejahen. Hier ist der Kapitän aus den gleichen Gründen zur Hilfeleistung verpflichtet.
Zudem kommt eine Strafbarkeit wegen Aussetzung nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie bei dem Tod nach § 221 Abs. 3 StGB in Betracht.
IV. Fazit
Damit ergibt sich ein differenziertes Bild hinsichtlich der Strafbarkeit des Kapitäns nach deutschem Recht: Sowohl durch das Herbeiführen der Kollision als auch durch das Verlassen des Schiffes hat er sich nach mehreren Normen strafbar gemacht. Eine unmittelbare Strafbarkeit resultiert aus dem vorzeitigen Verlassen des Schiffes dagegen nicht; dies ist nur ein Ehrenkodex, an dessen Verstoß keine unmittelbaren strafrechtlichen Folgen knüpfen. Das Verlassen des Schiffes ist damit nur ein – wichtiger – Prüfungspunkt bei der Ermittlung der Strafbarkeit wegen Unterlassens.

16.01.2012/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-01-16 13:33:512012-01-16 13:33:51Strafbarkeit des Kapitäns der Costa Concordia
Tom Stiebert

Causa Wulff – Tatsächliche Strafbarkeit oder Form der Diskreditierung?

Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Tagesgeschehen

Wir freuen uns, euch heute den ersten Beitrag zu unserem Aufsatzwettbewerb veröffentlichen zu können. Aus aktuellem Anlass haben wir uns entschlossen, den Beitrag bereits vor dem Ende des Wettbewerbs zu veröffentlichen.
Der Beitrag wurde von Markus verfasst, der zur Zeit in Berlin Jura studiert.
Wichtig ist: Entscheidend für die Vergabe der Preise ist die Anzahl „likes“ hier auf unserer Seite sowie auf Facebook in den nächsten 2 Wochen . Also fleißig voten, wenn euch der Beitrag gefällt.
 
In den letzten Tagen überschlagen sich die Ereignisse um die sog. „Mailbox-Affäre“, in der dem Bundespräsidenten vorgeworfen wird, am 12. Dezember 2011 dem „Bild“ Chefredakteur Diekmann mit einem Strafantrag gedroht zu haben, insoweit dessen Zeitung über den umstrittenen Hauskauf-Kredit berichtet. Eine Veröffentlichung in der „Bild“ erfolgte tags darauf.
Einzelne Staatsanwaltschaften sind derzeit damit beschäftigt, einen Anfangsverdacht (§ 170 StPO) gegen Wulff im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit wegen Nötigung zu prüfen (vgl. http://www.zeit.de/news/2012-01/03/bundespraesident-anzeige-gegen-wulff-anfangsverdacht-der-noetigung-03141206)
Wenn der Bundespräsident – wie zuletzt in seinem publikumswirksamen Interview vom vergangenen Mittwoch – mitteilt, dass er „weder jetzt im Amt als Bundespräsident gegen irgendein Gesetz noch vorher“ verstoßen hat, scheint es umso interessanter auf Grundlage der bisherigen Medienberichten, eine Strafbarkeit zu prüfen (A) und auch der Frage nachzugehen, ob strafprozessuale Besonderheiten (B) existieren, die eine Strafverfolgung erschweren.
A: Prüfung einer möglichen Strafbarkeit
I. §§ 240 I i.V.m. 240 IV S. 2 Nr. 3 StGB
Eine Strafbarkeit wegen einer vollendeten Nötigung in einem besonders scheren Fall könnte sich daraus ergeben, dass Wulff dem „Bild“Chefredakteur mit einer Strafanzeige bei Veröffentlichung von Details zu seinem Hauskauf und dem damit verbundenen Kredit drohte.
Unabhängig von der Frage ob die Drohung mit einer Strafanzeige als empfindliches Übel i.S.d. § 240 StGB anzusehen ist, scheitert eine Strafbarkeit eines vollendeten Delikts an der Tatsache, dass Diekmann einer von Wulff (offenbar) gewünschten Unterlassung bzw. Verzögerung einer Berichterstattung nicht entsprach, sondern vielmehr ein entsprechender Artikel veröffentlicht wurde.
II. §§ 240 I, III i.V.m. IV S. 2 Nr. 3, 22 StGB
Eine Strafbarkeit könnte sich indessen jedoch – aus dem oben geschilderten Verhalten des Bundespräsidenten – wegen einer versuchten Nötigung in einem besonders schweren Fall ergeben.
1. Tatbestandsmäßigkeit
Die Nötigung war nicht „erfolgreich“, ist somit nicht vollendet. Die versuchte Nötigung ist gemäß §§ 240 III, 12 II, 23 I Var. 2 StGB strafbar.
a) Tatentschluss
Fraglich ist, ob der Bundespräsident einen Tatentschluss im Hinblick auf die Verwirklichung einer Nötigung besaß.
Diesen kann man bezüglich der Gewaltvariante des § 240 I StGB nicht bejahen, da Wulff wohl nicht bezweckte, dass seine Äußerungen bei Diekmann einen „körperlichen Zwang“ entfalten sollten, wie etwa einen Zustand „seelischer Erregung“ (BGHSt 23, 126 (127).
Was die Drohung mit einem empfindlichen Übel anbelangt, stellt sich die Frage, ob Wulff mit der  Drohung eine Strafanzeige (§ 158 I StPO) zu erstatten, ein solches Übel herbeiführen wollte.
Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels auf dessen Eintritt sich der Drohende Einfluss zuschreibt.
Vorliegend könnte man meinen, dass Wulff mit seiner Aussage eine bloße Warnung gegenüber Diekmann äußern wollte, die vom Tatbestand des § 240 StGB nicht erfasst wäre. Als Abgrenzungskriterium  fungiert hierbei die Frage, ob sich der Täter Einfluss auf das angedrohte Übel zuschreibt (vgl. MüKo, § 240, Rn. 70ff.).
Bei dem Straftatbestand der Nötigung handelt es sich nicht um ein reines Antragsdelikt, dass ausschließlich auf  Antrag des „Verletzten“ – wie z.B. der Hausfriedensbruch i.S.d. § 123 StGB – verfolgt wird. Demnach kann ein Ermittlungsverfahren nach §§ 160 I, 163 I  StPO auch von Amts wegen durch die Strafverfolgungsbehörden eingeleitet werden, soweit nach kriminalistischer Erfahrung das Vorliegen einer Straftat möglich ist (§ 152 II StPO).
Vorliegend ist bereits fraglich, welche Straftatbestände die Journalisten durch die Recherche bzw. Veröffentlichung erfüllt haben sollen, so dass nicht angenommen werden kann, dass ein entsprechendes Ermittlungsverfahren von Amts wegen eingeleitet worden wäre (sog. Legalitätsprinzip).
Wulff konnte mit seiner Drohung mithin davon ausgehen, auf die strafrechtliche Verfolgung Einfluss nehmen zu können. Eine bloße Warnung ist somit zu verneinen.
Die Drohung mit einer Strafanzeige wird von der Rechtsprechung als Drohung mit einem empfindlichen Übel i.S.d. § 240 StGB angesehen (BGHSt 5, 254). Dem könnte man zwar entgegenhalten, dass es sich um eine bloße Unannehmlichkeit handelte, zumal die Strafanzeige wohl mangels hinreichenden Tatverdachts nicht zu einer Anklage geführt hätte (§ 170 II StPO). Dagegen spricht jedoch, dass bei einer solchen Annahme die Vorschrift des § 154 c StPO leer laufen würde, nach der von der Strafverfolgung abgesehen werden kann, wenn eine „Nötigung […] durch die Drohung begangen wurde, eine Straftat zu offenbaren“.
Da Wulff davon ausging Einfluss auf die Einleitung eines Strafverfahrens nehmen zu können und mit einer Strafanzeige drohte, ist anzunehmen, dass ein Tatentschluss bezüglich der Drohung mit einem empfindlichen Übel vorlag.
Auch der Nötigungserfolg des Unterlassens bzw. Verschiebens der Berichterstattung war vom „endgültigen Willen“ des Bundespräsidenten umfasst.
b) Unmittelbares Ansetzen
Indem Wulff bei Diekmann anrief und auf die Mailbox sprach, hat er subjektiv die Schwelle zum Jetzt-gehts-los überschritten und objektiv so zur tatbestandsmäßigen Handlung angesetzt, dass weitere Zwischenschritte zur Rechtsgutverletzung nicht mehr erforderlich waren.
2. Rechtswidrigkeit / Schuld
Eine Rechtfertigung der Tat könnte sich aus Notwehrgründen i.S.d. § 32 StGB ergeben. Hierbei fällt jedoch die Konstruktion eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs schwer. Selbst wenn man in der bevorstehenden Berichterstattung einen gegenwärtigen Angriff auf die Privatsphäre des Bundespräsidenten erblicken mag, ist die Annahme der Rechtswidrigkeit höchst zweifelhaft, zumal sich (bislang) nicht klären lässt, was sich die Journalisten zu Schulde haben kommen lassen.
Die Tat ist aus Notwehrgründen nicht gerechtfertigt.
Auch eine Rechtfertigung aufgrund eines Notstands i.S.d. § 34 StGB erscheint zumindest vor dem Hintergrund fraglich, dass es sich bei dem Bundespräsidenten um eine Person der Zeitgeschichte handelt. Eine Abwägung käme demnach zu dem Ergebnis, dass das Interesse an einer Veröffentlichung des Artikels gegenüber den Interessen des Bundespräsidenten vorrangig zu beachten wäre.
Was die Prüfung der Verwerflichkeitsklausel i.S.d. § 240 II StGB angeht, müsste eine verwerfliche Zweck-Mittel-Relation in dem Verhalten von Wulff erblickt werden.
Bereits das Mittel der Drohung mit einer – nach hier vertretener Auffassung –  rechtswidrigen Strafanzeige, die für Wulff zugleich eine mögliche Strafbarkeit nach §§ 164, 145d  StGB nach sich ziehen kann, ist als sittlich missbilligenswert anzusehen.
Auch der Zweck eine zulässige Berichterstattung durch die „Bild“ Zeitung zu unterbinden bzw. zu verschieben ist vor dem Hintergrund der sich aus Art. 5 I GG ergebenden Pressefreiheit, als verwerflich anzusehen.
Die erforderliche Zweck-Mittel-Relation i.S.d. § 240 II StGB kann demnach bejaht werden.
An der Schuld des Bundespräsidenten bestehen keine Zweifel.
4. Rücktritt
Ein Rücktritt von der versuchten Nötigung könnte er in der Aussage Wulffs gesehen werden, dass der Anruf bei dem Chefredakteur der ‚Bild‘-Zeitung ein schwerer Fehler war, der ihm leidtue und  für den er sich entschuldige.
Dieses Verhalten war für einen Rücktritt jedoch bereits deshalb ungeeignet, da aus der Sicht des Bundespräsidenten eine Erfolgsherbeiführung aus tatsächlichen Gründen nicht bzw. nicht mehr möglich war (fehlgeschlagener Versuch).
5. Strafzumessungsgründe
Die Drohung des Bundespräsidenten könnte zudem als besonders schwerer Fall der Nötigung i.S.d. § 240 III S. 2 Nr. 3 StGB qualifiziert werden, insoweit er seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht hat.
Der Bundespräsident ist ein Amtsträger i.S.d. § 11 I Nr. 2b (MüKo, § 11 StGB, Rn. 11 m.w.N.).
Die bisherigen medialen Ausführungen über den „Drohanruf“ lassen jedoch nicht erkennen, dass Wulff gesetzes- oder pflichtwidrig seine Befugnisse missbraucht hat (Var. 1) oder ihm nicht zustehende Befugnisse sich angemaßt und als Nötigungsmittel eingesetzt hat (Var. 2). Die „bloße“ Drohung als Amtsträger reicht für eine Bejahung des besonders schweren Falles jedoch nicht aus.
Ein besonders schwerer Fall i.S.d. § 240 III S. 2 Nr. 3 StGB wäre demnach zu verneinen. Für einen atypischen Fall i.S.d. § 240 III S. 1 StGB sind zudem keine Anhaltspunkte ersichtlich.
5. Ergebnis
Der Bundespräsident hat sich durch seinen Anruf bei der „Bild“-Zeitung wegen einer versuchten Nötigung nach §§ 240 I, III i.V.m. IV S. 2 Nr. 3, 22 StGB strafbar gemacht.
B: Prozessuales
Der Bundespräsident unterliegt nach Art. 60 IV i.V.m. Art. 46 II GG der strafrechtlichen Immunität, so dass bis zur Beendigung seiner Amtszeit eine strafrechtliche Verfolgung der versuchten Nötigung  ausgeschlossen ist. Indessen ist jedoch eine Immunitätsaufhebung, infolge des ausdrücklichen Verweises in Art. 60 GG auf Art. 46 GG, durch den Bundestag möglich.
Würde eine solche nicht erteilt werden, steht einer Verjährung der Straftat nach § 78 II Nr. 5 StGB  zumindest entgegen, dass bereits Strafanzeigen gestellt wurden, die die Verjährung ruhen lassen, § 78b II Nr. 2 StGB.
Ein Strafverfahren könnte demnach nach Ende der Amtszeit gegen den Bundespräsidenten fortgeführt werden.
C: Fazit
Eine Strafbarkeit des Bundespräsidenten wegen einer versuchten Nötigung kann bislang (auf Grundlage der medialen Berichterstattung) nicht ausgeschlossen werden.
Die Aussage von Wulff, sich keines Rechtsverstoßes strafbar gemacht zu haben, ist somit kaum haltbar.

10.01.2012/5 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-01-10 12:00:232012-01-10 12:00:23Causa Wulff – Tatsächliche Strafbarkeit oder Form der Diskreditierung?

Über Juraexamen.info

Deine Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat. Als gemeinnütziges Projekt aus Bonn sind wir auf eure Untersützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch eure Gastbeiträge. Über Zusendungen und eure Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“
  • Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“
  • Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Gastautor

Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Simon Mantsch veröffentlichen zu können. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg tätig. Ein nach §§ 823 […]

Weiterlesen
16.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-16 15:42:082023-01-25 11:42:19Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“
Gastautor

Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“

Alle Interviews, Für die ersten Semester, Interviewreihe, Lerntipps, Rezensionen, Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Maximilian Drews veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und berichtet über sein absolviertes Pflichtpraktikum in einer Bonner Großkanzlei. […]

Weiterlesen
03.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-03 07:26:222023-01-04 10:57:01Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“
Gastautor

Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Tagesgeschehen, Uncategorized

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Theo Peter Rust veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften im siebten Semester an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Mit dem vorliegenden […]

Weiterlesen
23.12.2022/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-12-23 07:42:522022-12-23 08:49:11Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Support

Unterstütze uns und spende mit PayPal

Jetzt spenden
  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© 2022 juraexamen.info

Nach oben scrollen