OLG Bremen: Angabe der Lieferfrist mit „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ stellt Verstoß gegen § 308 Nr. 1 BGB dar
Das OLG Bremen hatte am 05.10.2012, Az: 2 U 49/12, einerseits darüber zu entscheiden, ob die Angabe der Lieferfrist im Online-Handel mit „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ wettbewerbswidrig ist. Andererseits ging es um die Frage, wie eine klare und verständliche Widerrufsbelehrung ausgestaltet sein muss.
Leitsätze (des Verfassers):
- Die Angabe der Lieferzeit mit „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ verstößt gegen § 308 Nr. 1 BGB und ist daher wettbewerbswidrig.
- Eine Widerrufsbelehrung, die vom Verbraucher nur durch Herunterscrollen auf der betreffenden Internetseite erreicht werden kann, während die für die Kaufentscheidung wesentlichen Informationen bereits am Anfang der Seite unmittelbar einsehbar sind, entspricht den Anforderungen des Art. 246 § 1 Nr. 10 EGBGB nicht.
Sachverhalt:
Die Parteien sind Wettbewerber im Handel mit Bar- und Partyartikeln. Die Klage richtet sich gegen eine von der Beklagten im Internet auf der Handelsplattform Amazon geschaltete Werbung für einen Shaker. Von der Klägerin wird diesbezüglich beanstandet, dass eine klare und verständliche Widerrufsbelehrung fehle und zudem die Angabe „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ zu unbestimmt und daher unzulässig sei. Diese Regelung findet sich im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit Angaben über Versandkosten, Garantie u.ä. Die Regelung zum Widerrufsrecht ist mit „Umtausch & Rücknahme“ überschrieben und befindet sich am unteren Ende der Seite, die nur durch Herunterscrollen vom Verbraucher erreichbar ist.
Die Klägerin (im Folgenden K) beantragt, die Beklagte (im Folgenden B) zum Unterlassen eines derartigen Warenangebots zu verurteilen.
Entscheidung:
Das OLG Bremen hat dem Unterlassungsantrag stattgegeben.
I. Anspruch auf Unterlassung aus § 8 I 1 UWG
Der K kann ein Anspruch auf Unterlassung aus § 8 I 1 UWG zustehen. Dazu wäre erforderlich, dass die B eine unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen hätte.
1. Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG
In Betracht kommt vorliegend ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG. Dann müsste die B vorliegend einer Vorschrift zuwider gehandelt haben, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.
a) § 308 Nr. 1 BGB
Als verletzte Norm kommt hier § 308 Nr. 1 BGB in Betracht.
Diese Vorschrift enthält Vorgaben für die Ausgestaltung wirksamer AGB. Grund für diese strikten Vorgaben, die gleichzeitig die Privatautonomie der Parteien beschränken, ist der Verbraucherschutz. Verbraucher ist gemäß § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zuzuordnen ist.
Der Verbraucher ist auch Marktteilnehmer gemäß § 8 I 1 UWG. Hätte die B vorliegend gegen § 308 Nr. 1 BGB verstoßen, so wäre darin auch ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG zu sehen. Der Unterlassungsanspruch wäre dann gemäß § 8 I 1 UWG begründet, da die K als Wettbewerber der B auch befugt wäre, die Verletzung zu rügen.
Fraglich ist daher, ob ein Verstoß gegen § 308 Nr. 1 BGB vorliegt.
aa) Vorliegen von AGB
Dann müsste es sich zunächst überhaupt um AGB handeln, die in den einzelnen Vertrag der B mit einem Verbraucher einbezogen würden.
AGB sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Vertragsschluss stellt, § 305 I 1 BGB. Vorliegend handelte es sich bei der Bestimmung der Lieferzeit um eine essentielle Angabe des Vertragsinhalts, wie das Gericht feststellte. Diese Regelung könnte nach §§ 133, 157 BGB nur so verstanden werden, dass der Leistungszeitpunkt verbindlich festgelegt werden soll. Keinesfalls handle es sich dabei um einen bloßen Hinweis oder eine Werbeaussage. Das ergebe sich bereits aus dem unmittelbaren Kontext der Regelung, da in diesem auch Angaben zu Garantie, Rücknahme- und Versandkosten enthalten seien.
Es handelt sich daher vorliegend um AGB.
bb) Einbeziehung in den Vertrag
Diese würden aufgrund unmittelbarer Kenntnisnahmemöglichkeit durch den vertragsschließenden Verbraucher auch Vertragsbestandteil gemäß § 305 II BGB.
Die Klausel ist auch nicht überraschend, § 305 c I BGB. Auch lag in diesem Fall keine vorrangige Individualabrede vor, § 305 b BGB.
cc) Inhaltskontrolle
Die Bestimmung der Leistungszeit mit der Angabe „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ weicht auch von der gesetzlichen Regelung ab, wie § 307 III 1 BGB fordert. Gemäß § 271 BGB ist die Leistung im Zweifel sofort fällig,
Damit kann die Bestimmung einer Inhaltskontrolle unterzogen werden.
Zu prüfen ist, ob gegen Klauselverbote verstoßen worden ist.
Das Vorliegen eines Klauselverbotes ohne Wertungsmöglichkeit nach § 309 BGB ist nicht ersichtlich.
In Betracht kommt aber ein Klauselverbot mit Wertungsmöglichkeit nach § 308 Nr. 1 BGB. Dann müsste vom Verwender vorliegend eine Bestimmung getroffen worden sein, durch die er sich unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte Fristen für Annahme oder Ablehnung eines Angebots oder die Erbringung einer Leistung vorbehält. Vorliegend kommt eine nicht hinreichende Bestimmung der Leistungszeit in Betracht. Dazu führt das Gericht aus, dass durch die Verwendung des Begriffs „voraussichtlich“ eine zu starke Subjektivierung der Leistungszeit eintritt. Dies hätte für den Verbraucher zur Folge, dass es ihm nicht möglich sei, mit hinreichender Sicherheit den Fälligkeitszeitpunkt für die Leistung zu bestimmen. Das wiederum führe dazu, dass er außerstande gesetzt werde, festzustellen, wann er seine Rechte insbesondere aus §§ 281, 323, 280 I, II, 286 geltend machen kann. Mangels Definition von Ausnahmefällen sei die Leistungszeit im Einzelfall völlig undurchsichtig und damit unangemessen.
Das Gericht nimmt auch Bezug auf die Rechtsprechung zur Angabe der Lieferfrist mit „in der Regel“. Mit gleicher Begründung wurde hier eine hinreichende Bestimmbarkeit der Leistungsfrist abgelehnt.
Anders soll es jedoch liegen, werde die Lieferfrist mit „ca. 3 Tage“ angegeben. Durch Bezugnahme auf ein hierzu ergangenes Urteil wird diese Rechtsprechung erneut vom OLG bestätigt. Die Differenzierung wird damit begründet, dass sich bei dieser Formulierung die Lieferzeit nach dem Verständnis des Kunden hinreichend zuverlässig eingrenzen lasse. Der Leistungszeitpunkt sei hierdurch im Wesentlichen festgelegt, auch wenn er im Einzelfall Schwankungen unterliegen könne. Dieses Maß an Relativierung sei aber im Gegensatz zu derjenigen, die mit Gebrauch des Begriffs „voraussichtlich“ einhergehe, noch hinnehmbar.
Nach Ansicht des Gerichts nicht wegen fehlender Bestimmtheit unzulässig ist der Begriff „Versanddauer“. Unter diesem habe der verständige Verbraucher nicht lediglich die Postlaufzeit, sondern den gesamten Vorgang bis zur Auslieferung der Ware zu verstehen. Damit umfasse dieser Begriff Verpackung, Auslieferung und Postversand.
Die Verwendung des Begriffs „voraussichtlich“ ist folglich zu unbestimmt gemäß § 308 Nr. 10 BGB. Die Klausel ist somit unwirksam.
Durch Verstoß gegen § 308 Nr. 1 BGB liegt auch eine unlautere geschäftliche Handlung nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG vor.
b) Verstoß gegen Art. 246 § 1 Nr. 10 EGBGB wegen fehlender Widerrufsbelehrung
Des Weiteren stellt das Gericht fest, dass keine hinreichende Information des Verbrauchers über ein bestehendes Widerrufsrecht vorläge. Während die Tatsache allein, dass dieses nicht als Widerrufsbelehrung sondern als Umtausch und Rückgabe deklariert wurde, noch nicht zwangsläufig zum Fehlen einer Widerrufsbelehrung führe, wäre ein solches Fehlen wegen Verstoßes gegen Art. 246 § 1 Nr. 10 EGBGB aber darin zu sehen, dass der Verbraucher zum unteren Ende der Angebotsseite herunterscrollen müsste, um auf den Hinweis zu stoßen. Der durchschnittliche Kunde werde im Regelfall keine Veranlassung sehen dies zu tun, wenn bereits im oberen Bereich der Angebotsseite alle für die Kaufentscheidung wesentlichen Informationen verfügbar seien.
2. Zwischenergebnis
Durch Verstoß sowohl gegen § 308 Nr. 1 BGB als auch gegen Art. 246 § 1 Nr. 10 EGBGB liegt auch eine unlautere geschäftliche Handlung nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG vor.
II. Endergebnis
Ergebnis ist damit, dass der Unterlassungsanspruch gemäß § 8 I 1 UWG begründet ist. Der Klage war somit stattzugeben.
Stellungnahme:
Der Einschätzung des OLG Bremen zur fehlenden hinreichenden Bestimmbarkeit der Angabe „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ ist meines Erachtens zuzustimmen. Darin liegt eine vollkommen undurchsichtige Lieferzeitbestimmung, da für den Verbraucher nicht ersichtlich wird, nach welchen Kriterien sich eine eventuelle Abweichung richten soll. Die dadurch getroffene Relativierung ist unangemessen im Sinne des § 308 Nr. 1 BGB.
Nicht einleuchtend erscheint zunächst jedoch die Begründung, mit der im Falle der Lieferzeitbestimmung mit „ca. 3 Tage“ eine hinreichende Bestimmbarkeit erneut bestätigt wird. „Ca.“ bedeutet nichts anderes als „ungefähr“. Eine ungefähre Lieferzeit von 3 Tagen liegt aber auch bei einer voraussichtlichen Lieferzeit von 3 Tagen vor. In beiden Fällen werden Ausnahmefälle nicht definiert und sind für den Verbraucher daher intransparent.
Zu bedenken ist jedoch, dass gerade im Online-Handel eine klare Angabe zur Lieferzeit nicht immer realisierbar ist. Es sind diverse Umstände denkbar, die gerade im Rahmen eines solchen Fernabsatzgeschäfts zu unkalkulierbaren Verzögerungen führen können. Die „Stationen“, die die Ware durchlaufen muss, um letztlich beim Verbraucher einzugehen, sind ungleich vielfältiger als bei stationären Kaufgeschäften. Würde man dem Betreiber eines Online-Shops auferlegen, eine exakte Leistungszeit anzugeben, so stellte dies wiederum eine unzumutbare Beeinträchtigung seiner Interessen durch den unmittelbaren Eintritt diverser Rechtsfolgen bei Überschreiten dieser Leistungszeit dar, was – wie gesehen – aufgrund verschiedener Faktoren der Fall sein könnte.
Es erscheint daher durchaus legitim, dem Unternehmer hier einen gewissen Spielraum einräumen zu wollen. Der Ansatz des Gerichts ist daher nachvollziehbar, wenn auch meiner Ansicht nach mangels genauerer Begründung der Differenzierung zwischen den Begrifflichkeiten missglückt. Das Argument eines geringeren Subjektivierungsgrades wegen Differenzierungen im allgemeinen Sprachgebrauch ist jedenfalls – wie aufgezeigt – nicht tragend.
Gastautorin: Maria Lohse, Jurastudium an der Universität Hamburg und der Karlsuniversität Prag, 1. Staatsexamen 2012, im Moment als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Hogan Lovells in Hamburg tätig, außerdem AG-Leiterin (Schuldrecht BT II) an der Universität Hamburg, ab Dezember 2012 Referendarin in Hamburg
Die Kehrseite der Verbraucherschutzmedaille und solcher Rechtsprechung ist, wie im Artikel ja auch ansatzweise angedeutet, dass kleine und mittlere Anbieter vom Markt verschwinden, weil der rechtlich-organisatorische Aufwand für sie nicht mehr vernünftig beherrschbar ist. Am Ende entstehen Oligopole mit den entsprechenden Nachteilen für die Verbraucher. Vielleicht gibt es dann irgendwann eine Renaissance des Einkaufs vor Ort.
Martin, auch wenn ich dir prinzipiell Recht gebe, finde ich es für ein Unternehmen nicht zu viel verlangt, vor Betreiben eines Shops rechtlich wirksame AGB von anwaltlicher Seite erstellen zu lassen. Auch würde das „Copy & Paste“ von wirksamen AGB anderer Anbieter nicht weh tun 😉 . Wer sich jedoch den Aufwand für das eine und andere spart, um zu eigenwilligen (im Zweifel auch für den eigenen Vorteil) AGB zu greifen, muss damit rechnen, von Wettbewerbern belangt zu werden.