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Schlagwortarchiv für: Verbraucherschutz

Charlotte Schippers

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 4: Der Verbrauchsgüterkauf

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Tagesgeschehen, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderungen im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem vierten Teil der Reihe steht das Verbrauchsgüterkaufrecht im Fokus.
I. Vorbemerkung zur Richtlinie (EU) 2019/771 (Warenkaufrichtlinie)
Die Warenkaufrichtlinie (WKRL), die die bisher geltende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie von 1999 ablöst, trifft entsprechend ihres Zwecks, für ein hohes Verbraucherschutzniveau zu sorgen, s. Art. 1 WKRL, umfangreiche Regelungen, die den Verbrauchsgüterkauf betreffen, und das Verbrauchsgüterkaufrecht enger mit dem allgemeinen Schuldrecht verknüpfen. Auf die im deutschen Verbrauchsgüterkaufrecht umgesetzten Vorschriften der WKRL wird in der Folge an passender Stelle verwiesen. Die Regelungen zu den Verbrauchsgüterkaufverträgen über digitale Produkte (vor allem §§ 475a ff. BGB) sollen hier noch ausgeklammert werden.
II. Die Umsetzung in deutschen Recht
Die neuen Vorgaben für den Verbrauchsgüterkauf sind an vielen Stellen in das deutsche Kaufrecht eingeflossen und haben dort größere und kleinere Änderungen der Rechtslage bewirkt. Eine schrittweise, chronologische Betrachtung der neu gefassten Normen bietet sich an dieser Stelle an.
1. Verbrauchsgüterkauf, § 474 BGB
Zunächst hat § 474 BGB Änderungen erfahren: Der Anwendungsbereich der Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf wurde dabei vor allem begrifflich, auch und insbesondere an die WKRL, angepasst (BT-Drs. 19/31116, S. 14 f.). So heißt es (wie im Weiteren auch) jetzt „Ware“ in § 474 I 1 BGB n.F. statt „beweglicher Sache“, wobei auf die Legaldefinition des § 241a I BGB verwiesen wird. Die Ware ist danach eine bewegliche Sache, „die nicht auf Grund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft“ wird – das entspricht auch den Richtlinienvorgaben, s. Art. 3 IV b) WKRL. Im Kern ändert sich hierdurch nichts.
Des Weiteren wurde der Anwendbarkeitsausschluss des § 474 II 2 BGB eingegrenzt: Keine Anwendung findet das Verbrauchsgüterkaufrecht danach auf gebrauchte Sachen, die bei öffentlich zugänglichen Versteigerungen verkauft werden – so weit so bekannt (neu ist dabei zunächst lediglich der Verweis auf § 312g II Nr. 10 BGB). Der Ausschluss der Anwendbarkeit erfordert nunmehr jedoch darüber hinaus, dass dem Verbraucher „klare und umfassende Informationen darüber, dass die Vorschriften dieses Untertitels nicht gelten, leicht verfügbar gemacht wurden.“ Zu beachten ist, dass der Begriff „umfassend“ in diesem Kontext weder im BGB noch in Art. 3 WKRL nähere Bestimmung erfahren hat – der Umfang der Informationsobliegenheit des Unternehmers ist damit unklar und wird noch zu konkretisieren sein (Wilke, VuR 2021, 283, 289). Für den Fall, dass es sich um eine Versteigerung aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Zwangsvollstreckungsmaßnahme handelt, bestehen allgemein keine kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche, § 806 ZPO, § 283 AO (BT-Drs. 19/27424, S. 28).
2. Anwendbare Vorschriften, § 475 BGB
Erhebliche Änderungen finden sich in § 475 BGB n.F., der die auf den Verbrauchsgüterkauf anwendbaren Vorschriften festlegt. Gestrichen wurden § 475 IV, V BGB a.F. hinsichtlich des relativen Verweigerungsrechts des Unternehmers bei Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung, um der geänderten europarechtlichen Rechtslage gerecht zu werden – nach Art. 13 III WKRL nämlich besteht nun ein absolutes Verweigerungsrecht (dazu BT-Drs. 19/27424, S. 29; Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 25).
Relevant ist § 475 III 2 BGB n.F., der neben §§ 445 und 447 II BGB nun auch § 442 BGB für das Verbrauchsgüterkaufrecht ausschließt. Diese Änderung hat zur Folge, dass der Verbraucher auch dann nicht seine Gewährleistungsrechte verliert, wenn er bei Vertragsschluss Kenntnis von dem Mangel hat. Vielmehr müssten für einen Ausschluss der Gewährleistungsrechte die Voraussetzungen des § 476 I 2 BGB n.F. vorliegen; das entspricht den Vorgaben des Art. 7 V WKRL (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 24).
Auch neu ist § 475 V BGB n.F., der dem Unternehmer in Umsetzung von Art. 14 I WKRL die Rechtspflicht auferlegt, „die Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher ihn über den Mangel unterrichtet hat, und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher durchzuführen“. Zu beachten sind dabei die Art der Ware und der Zweck, für den der Verbraucher sie benötigt. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass dies im Umkehrschluss nicht bedeute,

„dass die Nacherfüllung außerhalb von Verbrauchsgüterkaufverträgen nicht innerhalb angemessener Frist durchgeführt werden muss oder mit erheblichen Unannehmlichkeiten für den Gläubiger verbunden sein darf.“ (BT-Drs. 19/27424, S. 29).

Eine Nacherfüllung, welche die hier aufgeführten Pflichten des Unternehmers verletzt – also z.B. zwar erfolgreich, aber mit erheblichen Unannehmlichkeiten verknüpft ist –, hat indes nicht zur Folge, dass der Verbraucher vom Vertrag zurücktreten kann; er kann lediglich die Nacherfüllung ablehnen oder aber Schadensersatz nach § 280 I BGB verlangen, so dessen Voraussetzungen vorliegen (BT-Drs. 19/27424, S. 37).
Neu sind schließlich noch, entsprechend der Richtlinienvorgabe des Art. 16 III WKRL, die in § 475 VI BGB n.F. enthaltenen, folgenden Klarstellungen in Bezug auf Rücktritt und Schadensersatz statt der ganzen Leistung (§ 281 V BGB): Der Verbraucher ist generell bei Rücktritt oder Geltendmachung des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung nach § 346 BGB zur Rückgabe der Ware (oder zu Wertersatz) verpflichtet. § 475 VI 1 BGB n.F. legt dem Unternehmer nun die Kostentragungspflicht hinsichtlich der Rücksendekosten auf. Auch weicht die neue Regelung des § 475 VI 2 BGB n.F. von dem Grundsatz ab, dass die sich nach dem Rücktritt ergebenden Verpflichtungen bei der Rückabwicklung des Kaufvertrags gem. §§ 346 ff. BGB nach §§ 348, 320 BGB i.d.R. Zug-um-Zug zu erfüllen sind: Ein Rückerstattung des Kaufpreises bzw. Schadensersatzleistung durch den Unternehmer muss nach der neuen Rechtslage bereits dann erfolgen, wenn der Verbraucher nachweist, dass er die Ware abgesendet hat.
3. Sonderbestimmungen für Rücktritt und Schadensersatz, § 475d BGB
Abweichend von §§ 323 II und 440 BGB legt § 475d I BGB n.F. zur Anpassung an Art. 13 IV WKRL fest, wann bei Rücktritt und Minderung, die automatisch wegen § 441 I 1 BGB miterfasst ist, die grundsätzlich nach § 323 I BGB erforderliche Fristsetzung entbehrlich ist. Die Norm erlangt darüber hinaus gem. § 475 II 1 BGB Geltung für den Schadensersatz statt der Leistung, sodass auch die Fristsetzung nach § 281 I BGB in den aufgezählten Fällen nicht notwendig ist; insoweit werden mit § 475d II 2 BGB n.F. die §§ 281 II und 440 BGB für unanwendbar erklärt. § 475d I BGB n.F. enthält fünf Fälle, in denen die Fristsetzung entbehrlich ist:
Nr. 1: Zunächst ist die Fristsetzung dann entbehrlich, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung trotz Ablaufs einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt der Unterrichtung über den Mangel durch den Verbraucher nicht vorgenommen hat. Das bedeutet, dass der Verbraucher, um die Frist auszulösen, nicht mehr ausdrücklich die Nacherfüllung verlangen muss (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 41; krit. zum Richtlinientext Wilke, VuR 2021, 283, 290).
Nr. 2: Ein weiterer Grund für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung ist das Auftreten eines Mangels trotz der vom Unternehmer versuchten Nacherfüllung. Es besteht damit, als Erleichterung des Rücktritts, die Möglichkeit, bereits nach dem ersten erfolglosen Nacherfüllungsversuch zurückzutreten (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 42). Das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung wird damit eingeschränkt; § 440 S. 2 BGB kann auf Verbrauchsgüterkäufe nicht mehr angewendet werden (BT-Drs. 19/27424, S. 37).
Zu berücksichtigen ist aber Erwägungsgrund 52 der WKRL, der deutlich macht, dass nicht in jedem Fall ein erfolgloser erster Versuch der Nacherfüllung ein sofortiges Rücktrittsrecht auslöst – Art. 13 IV b) WKRL ist im Zusammenhang mit diesem Erwägungsgrund zu lesen (Wilke, VuR 2021, 283, 290). Hiernach ist eine differenzierte Betrachtung vorzunehmen:

„In bestimmten Fällen könnte es gerechtfertigt sein, dass der Verbraucher Anspruch auf eine sofortige Preisminderung oder Beendigung des Vertrags haben sollte. Wenn der Verkäufer Schritte unternommen hat, um den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, anschließend jedoch eine Vertragswidrigkeit offenbar wird, sollte objektiv bestimmt werden, ob der Verbraucher weitere Bemühungen des Verkäufers, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, akzeptieren sollte, wobei alle Umstände des Falles wie Art und Wert der Waren und Art und Bedeutung der Vertragswidrigkeit zu berücksichtigen sind. Insbesondere bei teuren oder komplexen Waren könnte es gerechtfertigt sein, dem Verkäufer einen weiteren Versuch zur Behebung der Vertragswidrigkeit zu gestatten. Außerdem sollte berücksichtigt werden, ob vom Verbraucher erwartet werden kann, dass er weiterhin darauf vertraut, dass der Verkäufer in der Lage ist, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, beispielsweise weil dasselbe Problem zum zweiten Mal auftritt. Gleichermaßen könnte die Vertragswidrigkeit in bestimmten Fällen so schwerwiegend sein, dass der Verbraucher nicht mehr darauf vertrauen kann, dass der Verkäufer in der Lage ist, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, beispielsweise wenn die Vertragswidrigkeit die Möglichkeit des Verbrauchers zur normalen Verwendung der Waren ernsthaft beeinträchtigt und von ihm nicht erwartet werden kann, darauf zu vertrauen, dass eine Nachbesserung oder Ersatzlieferung durch den Verkäufer dem Problem abhelfen würde.“ (Erwägungsgrund 52 WKRL, Hervorh. d. Verf.)

Nr. 3: Zusätzlich gilt: Bei einem schwerwiegenden Mangel, der den sofortigen Rücktritt rechtfertigt, ist ebenfalls keine Fristsetzung notwendig. Zur Bestimmung, ob ein solch schwerwiegender Mangel vorliegt, ist eine Abwägung der gegenüberstehenden Interessen von Verbraucher und Unternehmer im Einzelfall erforderlich – die genaue Konturierung dieser Abwägung und die Gewichtung der abwägungsrelevanten Belange ist von der Rechtsprechung vorzunehmen (BT-Drs. 19/27424, S. 37 f.).
Nr. 4: Verweigert der Unternehmer die ordnungsgemäße Nacherfüllung, wie sie von §§ 439 I und 475 V BGB n.F. vorgeschrieben wird, kann der Verbraucher ebenfalls ohne Fristsetzung zurücktreten. Ob die Verweigerung berechtigt oder unberechtigt ist, ist nicht entscheidend (BT-Drs. 19/27424, S. 38). Es ist in deutlichem Unterscheid zu §§ 323 II Nr. 1 und 281 II BGB nicht mehr erforderlich, dass der Unternehmer die Nacherfüllung „ernsthaft und endgültig“ verweigert (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 44).
Nr. 5: Darüber hinaus braucht der Verbraucher dann keine Frist zu setzen, wenn es den Umständen nach offensichtlich ist, dass der Unternehmer nicht ordnungsgemäß nacherfüllen wird.
4. Sonderbestimmungen für Verjährung, § 475e BGB
Neu im BGB aufgenommen ist § 475e BGB: Die Norm regelt besondere Bestimmungen für die Verjährung.
Für den vorliegende Beitrag relevant ist zunächst § 475e III BGB n.F.: Verbraucher sollen die Möglichkeit haben, ihre Gewährleistungsrechte auch kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend zu machen (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 49). Das legt auch der Gesetzgeber dar:

„Unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass dem Unionsrecht eine möglichst optimale Wirkungskraft zu verleihen ist (effet utile), scheidet eine Gleichsetzung der Länge der Verjährungsfrist mit der Länge der in Artikel 10 Absatz 1 und 2 WKRL bestimmten Gewährleistungsfrist unionsrechtlich aus. Da die Einleitung verjährungshemmender Maßnahmen stets eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, würde eine solche Regelung den Verbraucher faktisch daran hindern, solche Mängel geltend zu machen, die erst zum Ende der Dauer der Gewährleistungsfrist offenbar wurden. Damit würde ein unverändertes Beibehalten der zweijährigen Verjährungsfrist den Vorgaben des Artikel 10 Absatz 5 Satz 2 WKRL nicht gerecht.“ (BT-Drs. 19/27424, S. 40, Hervorh. d. Verf.)

Aus diesem Grund sieht die Vorschrift eine Ablaufhemmung der Verjährung von zwei Monaten ab dem Zeitpunkt vor, zu dem sich der Mangel erstmals gezeigt hat.
Auch § 475e IV BGB n.F. kennt einen weiteren Tatbestand der Ablaufhemmung für den Fall, dass der Verbraucher die Ware „zur Nacherfüllung oder zur Erfüllung von Ansprüchen aus einer Garantie […] dem Unternehmer oder auf dessen Veranlassung einem Dritten übergeben“ hat: Die Verjährung tritt nicht vor Ablauf von zwei Monaten ab dem Zeitpunkt ein, in dem der Verbraucher die nachgebesserte oder ersetzte Ware übergeben wurde. Dies gibt dem Verbraucher die Möglichkeit, die Ware zu überprüfen (BT-Drs. 19/27424, S. 41).
5. Abweichende Vereinbarungen, § 476 BGB
Überarbeitet wurde auch § 476 BGB, der die Möglichkeit zu abweichenden Vereinbarungen zu Lasten des Verbrauchers einschränkt. Im Grunde gleich geblieben ist § 476 I 1 BGB n.F., der grundsätzlich abweichende Vereinbarungen zu Lasten des Verbrauchers verbietet. Das Umgehungsverbot wurde in § 476 IV BGB n.F. verschoben.
Wichtig ist hier insbesondere die Regelung des § 476 I 2 BGB n.F., die Art. 7 V WKRL umsetzt: Früher waren negative Beschaffenheitsvereinbarungen auch beim Verbrauchsgüterkauf generell möglich (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 55). Diese Möglichkeit erfährt nun eine Einschränkung, da § 476 I 2 BGB n.F. eine Abweichung von den Anforderungen §§ 434 III oder 475b IV BGB n.F. nur dann gestattet, wenn der Verbraucher vor der Abgabe der Vertragserklärung eigens, also besonders, darüber informiert wurde, dass und inwieweit die objektiven Anforderungen an die Ware nicht erfüllt sind, und dies im Vertrag ausdrücklich und gesondert festgehalten wurde. Besonderes Augenmerk ist dabei auf den Begriff „gesondert“ zu werfen:

„Das Merkmal ,gesondert‘, erfordert, dass die Abweichung hervorgehoben wird, damit der Verbraucher sie bewusst in seine Kaufentscheidung einbezieht. Um eine Abweichung von der objektiven Beschaffenheit zu vereinbaren, reicht es daher nicht aus, diese neben zahlreichen anderen Vereinbarungen in einen Formularvertrag oder separate Allgemeinen Geschäftsbedingungen einzustellen. Die Vertragsunterlagen müssen vielmehr so gestaltet sein, dass dem Verbraucher bei Abgabe seiner Vertragserklärung bewusst wird, dass er eine Kaufsache erwirbt, die von den objektiven Anforderungen an die Vertragsgemäßheit abweicht oder abweichen kann.“ (BT-Drs. 19/27424, S. 42, Hervorh. d. Verf.)

Beim Kaufvertragsschluss online z.B. muss der Unternehmer eine entsprechende Schaltfläche vorsehen, die der Verbraucher betätigen können muss, die Option, ein bereits gesetztes Häkchen abzuwählen, reicht nicht (BT-Drs. 19/27424, S. 42).
Des Weiteren untersagt § 476 II 1 BGB n.F. vertragliche Verjährungsvereinbarungen, die kürzer als zwei Jahre, bei gebrauchten Waren kürzer als ein Jahr sind (dies gestattet Art. 10 VI WKRL ausdrücklich). Für jede Verkürzung der Verjährungsfrist setzt § 476 II 2 BGB n.F. voraus, dass der Verbraucher erneut eigens in Kenntnis gesetzt und die Verkürzung im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 476 II 2 BGB n.F. auf Vereinbarungen über die Verkürzung der Verjährung bei gebrauchten Waren erschließt sich nicht (so aber Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 58) und ist im Wortlaut der Norm auch nicht angelegt. Die höheren Anforderungen an die Vereinbarungen dienen im Wege der Vereinheitlichung der Rechtsklarheit und Vereinfachung der Rechtsanwendung (BT-Drs. 19/27424, S. 43); das gilt für neue wie für gebrauchte Waren.
Kurz gesagt enthält § 476 BGB n.F. also folgende Regelungen: Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht ist beim Verbrauchsgüterkauf zwingend und Abweichungen zu Lasten des Verbrauchers sind unzulässig. Die Möglichkeit, eine negative Beschaffenheitsvereinbarung zu treffen, wird eingeschränkt und die Verjährungsverkürzung erhält neue Wirksamkeitserfordernisse. Unverändert bleibt übrigens § 476 III BGB, der die Anwendbarkeit der Absätze 1 und 2 unbeschadet der §§ 307 bis 309 BGB für Schadensersatzansprüche verneint.
6. Beweislastumkehr, § 477 BGB
Der höchst examensrelevante § 477 BGB wurde an Art. 11 I WKRL angepasst, sodass die Beweislastumkehr nach § 477 I 1 BGB n.F. nun ein Jahr ab Gefahrübergang beträgt – zeigt sich der Mangel innerhalb dieser Zeit, wird die Mangelhaftigkeit der Ware bereits bei Gefahrübergang vermutet. Der Kauf lebender Tiere erhält eine Sonderregelung, diesbezüglich gilt weiterhin die Frist von sechs Monaten, § 477 I 2 BGB n.F. Die Mitgliedstaaten hätten sich nach Art. 11 2 WKRL auch für eine generelle Frist für die Beweislastumkehr von zwei Jahren entscheiden können (Ausnahme von der Vollharmonisierung). Der deutsche Gesetzgeber hat sich jedoch bewusst dagegen entschieden, da der Informationsvorsprung über den Zustand der Ware des Verkäufers gegenüber dem Verbraucher, welcher der Grund für die Beweislastumkehr ist, sich verringert und der Käufer den größeren Einfluss auf die Ware und ihren Zustand hat (BT-Drs. 19/27424, S. 44). Dies ist sachgerecht.
7. Sonderbestimmungen für Garantien, § 479 BGB
Eine letzte Anpassung soll hier noch betrachtet werden: § 479 BGB n.F., der Sonderbestimmungen für Garantien enthält, wurde den Richtlinienvorgaben des Art. 17 WKRL entsprechend geändert. Die Transparenzanforderungen an die Garantie wurden erweitert und strenger gefasst, § 479 I Nr. 1-5 BGB n.F. Darüber hinaus ist dem Verbraucher die Garantieerklärung spätestens bei Lieferung der Ware zur Verfügung zu stellen, er muss ihre Mitteilung in Textform also nicht mehr selbstständig verlangen, vgl. § 479 II BGB n.F. und a.F. Darüber hinaus regelt die Norm jetzt einen Mindestinhalt der Herstellergarantie, § 479 III BGB n.F.
III. Summa
Auch für das neue Verbrauchsgüterkaufrecht gilt: Vieles erschließt sich bei gründlicher Lektüre der neuen BGB-Normen. Stellenweise schadet es dabei auch nicht, die WKRL und ihre Erwägungsgründe daneben zu legen – diese enthalten wertvolle Hinweise zur Arbeit mit den neuen Vorschriften und helfen dabei, sich Sinn und Zweck der Regelungen vor Augen zu führen. Vor einer Klausur, die sich im neuen Kaufrecht bewegt, braucht niemand Angst zu haben. Wichtig ist es, sich mit den neuen Normen vertraut zu machen und sie zu kennen. Ein kaufrechtlicher Fall, der sich dazu im Verbrauchsgüterkaufrecht abspielt, sollte sich dann bei sauberer Arbeit mit dem Gesetz und gründlicher Subsumtion gut bewältigen lassen.

01.02.2022/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2022-02-01 10:12:292022-08-02 07:58:57Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 4: Der Verbrauchsgüterkauf
Dr. Lena Bleckmann

BGH zum Widerrufsrecht beim Werkvertrag sowie zur Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Werkvertragsrecht, Zivilrecht

Vergangene Woche hat der BGH in einer Entscheidung zu Treppenliften grundlegende Fragen im Bereich des Verbraucherwiderrufsrechts geklärt. Die Entscheidung liefert darüber hinaus wertvolle Erkenntnisse zur Abgrenzung von Kaufverträgen, Werkverträgen und Werklieferungsverträgen.  An Klausur- und Examensrelevanz dürfte eine solche Entscheidung kaum zu übertreffen sein.
I. Der Sachverhalt
Der Sachverhalt ist schnell erzählt. A vertreibt sog. Kurventreppenlifte – es handelt sich um Vorrichtungen, die an Treppenaufgängen befestigt werden, um insbesondere Personen, die in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sind, den Treppenauf- und –abstieg zu erleichtern bzw. überhaupt erst zu ermöglichen. Die Schienen werden hierbei individuell an im jeweiligen Treppenhaus zu befahrende Kurven angepasst. A weist Verbraucher in Bezug auf diese Kurventreppenlifte darauf hin, dass im Rahmen des jeweiligen Vertrags, abgesehen von einem bestimmten Modell, kein gesetzliches Widerrufsrecht bestehe. Hiergegen wendet sich die Verbraucherzentrale V. Sie ist der Ansicht, dass sehr wohl ein gesetzliches Widerrufsrecht besteht und nimmt die A  auf Unterlassung in Anspruch.

Anm.: Hierbei mag es sich um eine für eine Zivilrechtsklausur eher ungewöhnliche Konstellation handeln. Bearbeiter müssten sich mit der Anspruchsberechtigung der Verbraucherzentralen nach § 8 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. § 4 UKlaG auseinandersetzen. Dass dies gefordert wird, ist nicht ausgeschlossen, aber selten. Der Fall lässt sich jedoch ohne größere Probleme abwandeln, indem man eine tatsächliche Bestellung eines solchen Kurventreppenlifts durch einen Verbraucher mit anschließender Ausübung eines möglichen Widerrufsrechts konstruiert. Die eher unübliche Einkleidung sollte mithin nicht dazu verleiten, die Klausurrelevanz der Entscheidung zu verkennen.

II. Widerrufsrechte und Informationspflichten
Eine kurze Wiederholung der Fragen rund um das Widerrufsrecht im Verbraucherschutzrecht: Die verbraucherschützenden Vorschriften der §§ 312 ff. BGB sind nach § 312 Abs. 1 BGB auf Verbraucherverträge anwendbar, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Was Verbraucherverträge sind, definiert § 310 Abs. 3 BGB: Es handelt sich um Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer. Die übrigen Absätze des § 312 BGB enthalten sodann Einschränkungen des Anwendungsbereichs, die vorliegend aber keine weitere Beachtung finden sollen.
Möchte der Verbraucher nach Abschluss eines Vertrags i.S.d. § 312 Abs. 1 BGB von diesem Abstand nehmen, kann ihm dies aufgrund eines Widerrufsrechts möglich sein. § 312g Abs. 1 BGB sieht ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge vor. In der Klausur ist an dieser Stelle daher eine saubere Subsumtion unter die Begriffe des außerhalb des Geschäftsräume geschlossenen Vertrags nach § 312b BGB bzw. des Fernabsatzvertrags nach § 312c BGB erforderlich. Für den konkreten Fall würde der Sachverhalt dann nähere Angaben enthalten, welche die Zuordnung zu dem einen oder anderen Begriff ermöglichen. Liegt ein Fernabsatzvertrag oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag vor, greift grundsätzlich  § 312g Abs. 1 BGB i.V.m. § 355 BGB: Wird der Widerruf fristgerecht unter Wahrung der Anforderungen des § 355 Abs. 1 BGB erklärt, sind die Parteien an ihre auf Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden. Der Unternehmer ist nach § 312d Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 246a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB verpflichtet, den Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren. Das alles gilt jedoch nicht, wenn das Bestehen eines Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2, 3 BGB ausgeschlossen ist.
III. Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB
Zurück zum Fall: Die Verbraucherzentrale V stützt sich für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 UWG, § 3 Abs. 1 UWG, § 3a UWG) auf die Informationspflicht des Unternehmers bei bestehenden Widerrufsrechten nach § 312d Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 246a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB. Sofern im Falle der Bestellung eines Kurventreppenlifts ein Widerrufsrecht bestünde, würde der Hinweis von Seiten der A, dass ein solches gerade nicht besteht, wettbewerbswidriges Verhalten darstellen (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 13.5.2020 – 6 U 300/19, MMR 2021, 350). Zentrale Frage ist mithin, ob denn ein solches Widerrufsrecht bestünde, wenn es mit einem Verbraucher zum Abschluss eines Vertrags über Anfertigung und Einbau eines Kurventreppenlifts durch die A käme.
Die Vorinstanz hat das noch abgelehnt: Das OLG Köln sah die Voraussetzungen des Ausschlusses nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB als erfüllt an (OLG Köln, Beschl. v. 13.5.2020 – 6 U 300/19, MMR 2021, 350, 351 f). Nach dieser Norm besteht ein Widerrufsrecht nicht bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Dass die Laufschienen für Kurventreppenlifte individuell angefertigt werden und an die konkreten Gegebenheiten vor Ort angepasst werden, wird nicht bezweifelt. Der Problempunkt ist ein anderer: Bei dem Vertrag, der bei Bestellung eines Kurventreppenlifts abgeschlossen wird, müsste es sich um einen Vertrag zur Lieferung von Waren i.S.d. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB handeln. Der Begriff geht auf Art. 16 lit. c Richtlinie 2011/83/EU zurück, der den Ausschluss des Widerrufsrecht vorsieht, wenn „Waren geliefert werden“.  Nun existieren im deutschen Zivilrecht mehrere Vertragstypen, die eine Lieferung von Waren umfassen: Sowohl ein Kaufvertrag nach § 433 BGB, als auch ein Werklieferungsvertrag nach § 650 BGB und ein Werkvertrag nach § 631 BGB kann Waren (es handelt sich hierbei ausschließlich um bewegliche Gegenstände, siehe § 241a Abs. 1 BGB) zum Gegenstand haben. Nicht alle dieser Vertragstypen fallen jedoch nach Ansicht des BGH unter den Begriff des Vertrags zur Lieferung von Waren, den § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB verwendet. In einer Entscheidung aus dem Jahre 2018 hinsichtlich des Einbaus eines Senkrechtslifts äußerte sich der BGH dahingehend, dass § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB Kaufverträge und Werklieferungsverträge, in aller Regel aber nicht Werkverträge umfasse.

 „Dem Wortlaut nach umfasst § 312 g II 1 Nr. 1 BGB Verträge, die auf die Lieferung von Waren gerichtet sind. Damit werden nach dem allgemeinen Sprachgebrach Kaufverträge (§ 433 BGB) und Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen (Werklieferungsverträge, § 651 BGB) erfasst.

 Dies entspricht der Verbraucherrechte-RL, deren Umsetzung unter anderem § 312g BGB dient. Nach Art. 2 Nr. 5 Verbraucherrechte-RL ist ein „Kaufvertrag“ jeder Vertrag, durch den der Unternehmer das Eigentum an Waren an den Verbraucher überträgt oder deren Übertragung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, einschließlich von Verträgen, die sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Damit werden von dieser Definition Kauf- und Werklieferungsverträge umfasst, und zwar auch dann, wenn sich der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher zur Montage der zu liefernden Waren verpflichtet hat. Eine entsprechende Regelung enthalten §§ 474 I 2, 434 II 1, 433, 651 S. 1 BGB.

 In Abgrenzung zum „Kaufvertrag“ ist dagegen ein „Dienstleistungsvertrag“ jeder Vertrag, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer eine Dienstleistung für den Verbraucher erbringt oder deren Erbringung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, Art. 2 Nr. 6 Verbraucherrechte-RL. Nach dieser Definition sind Werkverträge (§ 631 BGB) jedenfalls regelmäßig nicht als auf die Lieferung von Waren gerichtete Verträge einzustufen. Ob Werkverträge im Sinne des deutschen Rechts in Ausnahmefällen als Verträge über die Lieferung von Waren iSd § 312g II 1 Nr. 1 BGB einzustufen sind, braucht nicht entschieden zu werden.

 (BGH, Urt. v. 30.8.2018 – VII ZR 243/17, NJW 2018, 3380, 3381)

Zur Begründung führte der BGH auch ein systematisches Argument an: Zum Schutz der Unternehmer, die Werkverträge erbringen, sei ein Ausschluss des Widerrufsrechts nicht in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB geregelt, sondern vielmehr in § 357 Abs. 3 S. 1 BGB.
Somit ist eine Abgrenzung der drei Vertragstypen notwendig. Grundsätzlich gilt: Der Verkäufer schuldet nach § 433 Abs. 1 S. 1 BGB allein Übergabe und Übereignung einer Sache, während ein Werklieferungsvertrag nach § 650 S. 1 BGB auf die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Sachen gerichtet ist. Der Unternehmer des Werkvertrags ist nach § 631 BGB zur Herstellung des versprochenen Werks verpflichtet. Für eine Zuordnung zu einem dieser Vertragstypen muss der Vertragsschwerpunkt betrachtet werden: „Liegt der Schwerpunkt des Vertrags auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz, liegt ein Kauf- oder Werklieferungsvertrag vor. Liegt der Schwerpunkt des Vertrags dagegen nicht auf dem Warenumsatz, sondern schuldet der Unternehmer die Herstellung eines funktionstauglichen Werks, ist ein Werkvertrag anzunehmen“ (BGH, Urt. v. 30.8.2018 – VII ZR 243/17, NJW 2018, 3380, 3381).
Die Vorinstanz ist auf Basis dieser Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, es handle sich um einen Werklieferungsvertrag. Die Lieferung des Treppenlifts stehe im Vordergrund, die Montage könne durch jede Fachfirma mit geringem Aufwand erfolgen (OLG Köln, Beschl. v. 13.5.2020 – 6 U 300/19, MMR 2021, 350, 352). Der BGH ist anderer Ansicht. In der Pressemitteilung heißt es:

„Im Streitfall liegt der Schwerpunkt des angestrebten Vertrags nicht auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz am zu liefernden Treppenlift, sondern auf der Herstellung eines funktionstauglichen Werks, das zu einem wesentlichen Teil in der Anfertigung einer passenden Laufschiene und ihrer Einpassung in das Treppenhaus des Kunden besteht. Auch der hierfür, an den individuellen Anforderungen des Bestellers ausgerichtete, erforderliche Aufwand spricht daher für das Vorliegen eines Werkvertrags. Bei der Bestellung eines Kurventreppenlifts, der durch eine individuell erstellte Laufschiene auf die Wohnverhältnisse des Kunden zugeschnitten wird, steht für den Kunden nicht die Übereignung, sondern der Einbau eines Treppenlifts als funktionsfähige Einheit im Vordergrund, für dessen Verwirklichung die Lieferung der Einzelteile einen zwar notwendigen, aber untergeordneten Zwischenschritt darstellt.“

(BGH, Pressemitteilung Nr. 191/2021 v. 20.10.2021)

Demnach handelt es sich bei der Bestellung eines Kurventreppenlifts regelmäßig um einen Werkvertrag, auf den der Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht anwendbar ist. Der Hinweis der A, ein gesetzliches Widerrufsrecht bestehe nicht, ist daher unrichtig und wettbewerbswidrig. Der von V  geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit § 312d Abs. 1 S. 1, § 312g Abs. 1 BGB und Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB besteht.
IV. Ausblick
Der BGH knüpft mit dieser Entscheidung an seine viel diskutierte Rechtsprechung aus dem Jahr 2018 an und bleibt dabei, dass sich der Ausschluss des Widerrufsrechts in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB i.d.R. nicht auf Werkverträge bezieht. Das macht im konkreten Fall jeweils eine Zuordnung zum Vertragstyp des Kauf-, Werklieferungs- oder Werkvertrags erforderlich. Von Studenten und Examenskandidaten ist in vergleichbaren Fällen eine genau Auswertung des Sachverhalts zu fordern. Die Ausführung der Vorinstanz zeigen hier, dass auch abweichende Ergebnisse durchaus vertretbar hergeleitet werden können. Entscheidend ist – wie so oft – eine fundierte Argumentation.

25.10.2021/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-10-25 08:00:182021-10-25 08:00:18BGH zum Widerrufsrecht beim Werkvertrag sowie zur Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen
Dr. Yannik Beden, M.A.

Klausurrelevantes Urteil: Amazon Dash Button auch laut OLG München rechtswidrig

AGB-Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Die Frage um die rechtliche Zulässigkeit des sog. Dash Buttons von Amazon geht in die nächste Runde. Mit seinem Urteil vom 10. Januar 2019 – 29 U 1091/18 entschied das Oberlandesgericht München, dass die derzeitige Funktionsweise des WLAN Knopfes gegen verschiedene rechtliche Vorgaben verstößt und gab der Unterlassungsklage der Verbraucherschutzzentrale NRW vollumfänglich statt. Wie bereits aus der erstinstanzlichen Entscheidung des LG München I vom 1. März 2018 – 12 O 730/17 ersichtlich war, ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Vorrichtung auch und insbesondere aus einem Verstoß gegen zivilrechtliche Vorgaben des BGB. Man wird deshalb von einer erhöhten Prüfungs- und Examensrelevanz des Urteils ausgehen müssen. Der nachstehende Beitrag beleuchtet die Rechtsstreitigkeit unter besonderer Berücksichtigung der klausurrelevanten Problemstellungen:
I. Sachverhalt (dem erstinstanzlichen Urteil entnommen)
„Die Parteien streiten im Wege einer Verbandsklage nach dem UKlaG um die Zulässigkeit von Bestellungen mittels des von der Beklagten vertriebenen „A Dash Buttons“ (im Folgenden: Dash Button) […]
Die Beklagte betreibt unter der Adresse www.a de eine Plattform für den Online-Handel mit Waren und bietet zusätzlich weitere Dienstleistungen an […]
Der Dash Button ist ein Gerät, das sich mit dem WLAN eines Nutzers verbinden und über die WLAN-Verbindung Signale an den WLAN-Router versenden kann. Die Versendung eines Signals wird durch das Drücken einer elektromechanischen Schaltfläche ausgelöst. Der Dash Button ist auf der Vorderseite mit dem jeweiligen Herstellerlogo und auf der Rückseite mit Angaben über technische Details beschriftet. Darüber hinaus ist er nicht beschriftet […]
Die Beklagte gibt Dash Buttons mit Beschriftung verschiedener Marken auch an Verbraucher heraus. Verbraucher, die bei der Beklagten eine kostenpflichtige A… Mitgliedschaft unterhalten, können mit diesem Gerät Haushaltsgegenstände des täglichen Bedarfs bestellen, zum Beispiel Waschmittel, Zahnhygieneartikel, Windeln, Kosmetikprodukte oder Hundefutter […]
Der Dash Button muss zunächst vom Nutzer eingerichtet werden. Dabei legt der Nutzer ein Produkt fest, das über den Dash Button bestellt werden soll. Nach der Registrierung ist der Dash Button mit einem konkreten Produkt nach Wahl des Nutzers verknüpft. Der Dash Button selbst ist mit dem WLAN des Nutzers verbunden. Für die Einrichtung des Dash Buttons ist die A Shopping App erforderlich, die der Nutzer auf seinem Smartphone installieren muss […]
Sobald der Nutzer die Schaltfläche des Dash Buttons betätigt, erhält er auf seinem Smartphone eine Push-Nachricht mit Informationen zur Bestellung, zum Preis und zum voraussichtlichen Lieferzeitpunkt. Dies aber nur, wenn er der A Shopping App erlaubt, Push-Nachrichten auf sein Smartphone zu schicken. Beim Anklicken dieser Push-Nachricht wird der Nutzer zur A Shopping App weitergeleitet. Dort werden die Details der Bestellung des Produkts, das zuvor mit dem Dash Button verknüpft wurde, aufgeführt. Der Nutzer muss die Bestellung über die A Shopping App nicht nochmals separat bestätigen. Er kann zudem über die A Shopping App die Bestellung binnen 15 Minuten nach dem Drücken des Dash Buttons kostenfrei stornieren […]“
Anmerkung: Das erstinstanzliche Urteil enthält zudem weitere Ausführungen zu den „A Dash Replenishment Nutzungsbedingungen“, die mit jedem Nutzer als Rahmenvereinbarung geschlossen werden. Die entscheidungserheblichen Passagen werden nachfolgend an den maßgeblichen Stellen genannt.
II. Was entschied das LG München?
Das Urteil der ersten Instanz thematisierte in besonders ausführlicher Weise zwei Verstöße des Dash Buttons gegen Verbraucherschutzvorschriften. Im Fokus stand dabei § 312j BGB: Gemäß § 312j Abs. 3 S. 1 BGB ist der Unternehmer verpflichtet, beim Abschluss von entgeltlichen Verbraucherverträgen im elektronischen Geschäftsverkehr Bestellvorgänge derart auszugestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. Erfolgt die Bestellung über eine Schaltfläche, erfüllt der Unternehmer seine Pflichten, wenn diese gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer anderweitigen, entsprechenden und vor allem eindeutigen Formulierung beschriftet ist. Eben hier liegt das Problem des Dash Buttons: Dieser ist auf seiner Vorderseite nur mit dem Logo des jeweiligen Herstellers und auf der Rückseite mit technischen Details versehen. Eine ausdrückliche, eindeutige Erklärung zur zahlungspflichtigen Bestellung – wie sie etwa in einem Zahlungsbutton von Online Shops expressiv verbis vorzufinden ist – fehlt. Auch wenn es sich beim Dash Button nicht um eine virtuelle, sondern physische Schaltfläche handelt, geltend die Vorgaben des § 312j Abs. 3 S. 2 BGB unbeschränkt.
Zusätzlich sah das LG München in der Gestaltung des Dash Buttons einen Verstoß gegen § 312j Abs. 2 BGB, wonach dem Verbraucher die Informationen nach Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 4, 5, 11 und 12 EGBGB unmittelbar vor der Abgabe der Bestellung klar und verständlich in hervorgehobener Weise zur Verfügung zu stellen sind. Das LG München misst der Vorschrift eine zeitlich-räumliche Dimension bei, mit der Folge, dass die wesentlichen Eigenschaften der Ware sowie der Gesamtpreis inkl. Steuern und Abgaben bei jedem Bestellvorgang erkennbar mitgeteilt werden müssen. Auch dies vermag der Dash Button nicht zu gewährleisten.       
III. Aufrechterhaltende Entscheidung des OLG München
Die Berufungsinstanz bestätigt nun das Ergebnis des Landgerichts München I. Das Oberlandesgericht machte deutlich, dass der Verbraucher vor Absenden der Bestellung über den Preis und die tatsächliche Bestellte Ware informiert werden muss. Die Rahmenvereinbarung ist mit diesem verbraucherschutzrechtlichen Grundsatz jedoch unvereinbar. Das Bedingungswerk zum Dash Button sieht vor:
„1. Bestellungen, Geräte und Software
Mit einem Service-fähigen Gerät aufgegebene Bestellungen.
[…] Wenn Sie ein Produkt gewählt haben, das Sie über Ihr Service-fähiges Gerät kaufen möchten, können sich manche Angebote und Produktdetails bei späteren Nachbestellungen eventuell ändern (zum Beispiel Preis, Steuern, Verfügbarkeit, Lieferkosten und Anbieter). Jede Bestellung unterliegt den zum jeweiligen Zeitpunkt geltenden Angebotsdetails. […] Sollte Ihr Produkt zum Zeitpunkt ihrer Bestellung nicht verfügbar sein, ermächtigen Sie uns, Ihre Bestellung mit einem geeigneten Ersatzartikel der gleichen Produktart und derselben Marke (z.B. mit leicht abweichender Füllmenge) zu erfüllen.“
Neben den unzulässigen Änderungsvorbehalten, die die Klauseln insgesamt nach Auffassung der Richter intransparent wirken lassen und damit AGB rechtlich unzulässig seien, sei auch das Fehlen des Hinweises zur Zahlungspflicht ausschlaggebend für die Rechtswidrigkeit der derzeitigen Ausgestaltung des Buttons. Das OLG schließt sich demnach in vollem Umfang den Entscheidungsgründen der ersten Instanz an. Für den Dash Button besteht demzufolge dringender Änderungs- und Anpassungsbedarf. Da das Oberlandesgericht auch die Revision zum BGH nicht zugelassen hat, wird Amazon um eine Anpassung der Funktionsweise des Buttons an die Vorgaben des deutschen Zivilrechts nicht herumkommen. Notwendig wäre jedenfalls eine Anpassung des Rahmenvertrags hinsichtlich der Änderungsvorbehalte sowie eine Kennzeichnung des Buttons, die den Vorgaben aus § 312j Abs. 3 BGB entspricht.    
IV. Was man für die Klausur wissen muss  
Die Rechtsprechung zum Amazon Dash Button lässt sich problemlos universitäre Zivilrechtsklausuren als auch Examensklausuren einbauen. Für eine erfolgreiche Bearbeitung ist ein guter Überblick zu den Verbraucherschutzvorschriften der §§ 312 ff. BGB notwendig. Im Detail muss erkannt werden, dass auch der physische Dash Button isoliert als Telemedium i.S.v. § 312i Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit § 1 Abs. 1 S. 1 TMG zu qualifizieren ist. Zudem müssen die Sonderbestimmungen für den elektronischen Geschäftsverkehr nach § 312j Abs. 2, 3 BGB erkannt und geprüft werden. Darüber hinaus wird die Klausur eine klassische AGB Prüfung zum Gegenstand haben. Aufgrund des von Amazon bislang genutzten Änderungsvorbehalts muss in einem ersten Schritt § 308 Nr. 4 BGB problematisiert werden. Auch bedarf es einer Transparenzprüfung nach § 307 Abs. 1 S. 1, 2 BGB. Punkten wird, wer beide Problemfelder erkennt und die Funktionsweise des Dash Buttons sauber subsumiert.
 
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21.01.2019/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2019-01-21 09:00:552019-01-21 09:00:55Klausurrelevantes Urteil: Amazon Dash Button auch laut OLG München rechtswidrig
Florian Wieg

Prüfungsgespräch: Allgemeine Geschäftsbedingungen

AGB-Recht, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Verschiedenes, Zivilrecht

Der folgende Beitrag ergänzt unsere Reihe von (fiktiven) Prüfungsgesprächen.
Sehr geehrte Kandidaten, willkommen zur Prüfung im Zivilrecht.
Gegenstand des heutigen Prüfungsgesprächs soll das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sein. Den zu bearbeitenden Sachverhalt haben Sie ausgedruckt vor sich liegen. Herr A, bitte lesen Sie den Sachverhalt vor:
Die B-GmbH betreibt ein überregional bekanntes Freizeitbad in Köln. Der Eintritt für das Bad ist beim Betreten zu zahlen. Für weitere Leistungen stellt die B-GmbH den Kunden ein Armband mit einem Chip zur Verfügung, der auch zum Öffnen und Verschließen des Garderobenschranks dient. Kunden, die eine Leistung (Getränke, Essen, Sonderleistungen) in Anspruch nehmen, müssen den Chip scannen lassen, was im zentralen Computer der Beklagten erfasst und auf einem entsprechend eingerichteten Kundenkonto verbucht wird. Bis zur Grenze von 150,- Euro für Erwachsene und 35,- Euro für Kinder können die Kunden Leistungen in Anspruch nehmen, die – unter Vorlage des Chips – erst beim Verlassen des Freizeitbades zu bezahlen sind. Die Kunden können diese Kreditlinie erhöhen oder ermäßigen lassen. Die Einzelheiten der vertraglichen Nutzung sind durch von der Beklagten verwendete allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Sinne der §§ 305 ff. BGB bestimmt. § 3 der Nutzungsvereinbarung (NV) lautet:

„Bei Verlust […] des Armbandes mit Chip hat der Besucher den jeweils […] eingeräumten Kredit zu entrichten. Dem Besucher bleibt der Nachweis eines niedrigeren, [der B-GmbH] der Nachweis eines höheren Schadens vorbehalten.“

V, ein in der vom Bundesamt der Justiz gem. § 4 Abs. 1 UKlaG geführten Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragener Verbraucherschutzverein, wird nach entsprechendem Hinweis auf § 3 NV aufmerksam. Kann V von der B-GmbH verlangen, § 3 NV nicht zu verwenden?     

Frau B, bitte beginnen Sie mit der Prüfung des Begehrens von V.
V könnte gegen die B-GmbH einen Anspruch auf die Unterlassung der Verwendung von § 3 NV gem. § 1 UKlaG haben.
Sehr schön. Sie haben mit § 1 UKlaG unmittelbar die Anspruchsgrundlage gefunden, auf die der Verbraucherschutzverein sein Begehren unter Umständen stützen kann. Herr A, kennen Sie den Zweck von § 1 UKlaG?
Der Gesetzgeber hat in § 1 UKlaG die Möglichkeit einer Verbandsklage vorgesehen, um eine effektivere Bekämpfung unangemessener AGB im Rechtsverkehr zu gewährleisten.
Herr A, Sie sprechen von einer „effektiveren“ Bekämpfung unangemessener AGB im Rechtsverkehr durch eine Verbandsklage gem. § 1 UKlaG. Können Sie den Gedanken ausführen?
Die Unwirksamkeit einer AGB im Rahmen einer Verbandsklage geltend zu machen, hat im Wesentlichen den Vorteil, dass sich die Rechtskraft eines stattgebenden Urteils auf alle Vertragspartner des Verwenders erstreckt, vgl. § 11 UKlaG. Die Vertragspartner des Verwenders können sich in späteren Prozessen also jeweils auf die im Verbandsklageverfahren festgestellte Unwirksamkeit der Klausel berufen. Im Individualprozess beschränkt sich die Rechtskraft des Urteils hingegen auf die Prozessparteien. Der Vertragspartner des Verwenders kann die im Individualprozess festgestellte Unwirksamkeit der Klausel hiernach nur geltend machen, wenn er selbst Prozesspartei ist/war.
Frau B, Sie haben in ihrem Vorstellungsgespräch darauf hingewiesen, dass Sie den Beruf der Rechtsanwältin anstreben und im Rahmen der universitären Schwerpunktbereichsprüfung unter anderem die Vorlesung im Wettbewerbsrecht gehört haben. Stellen Sie sich vor, V ist Ihr Mandant und möchte gegen § 3 NV vorgehen. Raten Sie ihm sofort zu einer Verbandsklage nach § 1 UKlaG?
Nein. Ich würde zunächst zu einer vorprozessualen Abmahnung der B-GmbH hinsichtlich § 3 NV raten. Mit dieser könnte man die Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verbinden, wie sie das Wettbewerbsrecht kennt. Dass dies möglich ist, ergibt sich aus § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 UWG.
Sehr gut! Nun aber zurück zum Fall. Herr A, Sie beginnen bitte mit der Prüfung der Voraussetzungen von § 1 UKlaG!
Gem. § 1 UKlaG kann derjenige, der AGB verwendet, die nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksam sind, u.a. von Einrichtungen i.S.v. § 4 Abs. 1 UKlaG – also auch von V – auf Unterlassen der Verwendung der unwirksamen AGB in Anspruch genommen werden. Zu prüfen ist hiernach die Vereinbarkeit von § 3 NV mit den §§ 307 bis 309 BGB. Dass § 3 NV eine AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB ist, gibt der Sachverhalt vor. Hinsichtlich der Einbeziehung von § 3 NV in die zwischen der B-GmbH und den Besuchern des Freizeitbades geschlossenen Verträge bestehen keine Bedenken…
…Frau B, in welche Falle ist Herr A gerade getappt?
Im Rahmen von § 1 UKlaG ist eine Einbeziehungskontrolle nach §§ 305 Abs. 2,3, 305a, 305c Abs. 1 BGB nicht vorzunehmen, weil die unwirksame Einbeziehung von AGB nach § 1 UKlaG (s. Wortlaut: „§§ 307 bis 309 des Bürgerlichen Gesetzbuchs“) nicht geltend gemacht werden kann. [Anmerkung: Der BGH ist von diesem Grundsatz in BGH, Urt. v. 12.12.2007 – IV ZR 130/06, NJW 2008, 1160 aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise abgerückt.]
Korrekt. Herr A, welche Erwägung spricht – neben dem klaren Wortlaut von § 1 UKlaG – noch dafür, dass eine Einbeziehungskontrolle nach §§ 305 Abs. 2, 3, 305a, 305c Abs. 1 BGB im Rahmen der Prüfung von § 1 UKlaG regelmäßig nicht vorzunehmen ist?
Fragen der Einbeziehung von AGB lassen sich in der Regel nur anhand der Umstände des Einzelfalls klären. Diese werden im Verbandsklageverfahren aufgrund der dort vorzunehmenden abstrakten Klauselkontrolle aber gerade ausgeklammert.
Schön. Herr A, Sie betonen vollkommen zutreffend den nach § 1 UKlaG anzulegenden abstrakten Prüfungsmaßstab. Nun, halten Sie § 3 NV für mit §§ 307 – 309 BGB vereinbar?
3 NV könnte gegen ein Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit, nämlich § 309 Nr. 5 a) BGB verstoßen. Hiernach ist die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz oder Ersatz einer Wertminderung in AGB „unwirksam“, wenn die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnlich eintretende Wertminderung übersteigt.
Gut. Herr A hat den richtigen Anknüpfungspunkt gefunden. Frau B, Sie prüfen bitte weiter!
Fraglich ist zunächst, ob die in § 3 S. 1 NV geregelte Zahlungspflicht als Schadensersatzpflicht i.S.v. § 309 Nr. 5 a) BGB einzuordnen ist. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei im Zweifel das kundenfeindlichste Verständnis zugrunde zu legen ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.2007 – IV ZR 130/06, NJW 2008, 1160, 1163). Gem. § 3 S. 1 NV hat der Besucher des Freizeitbades bei Verlust des Armbandes mit Chip den jeweils […] eingeräumten Kredit zu „entrichten“. Ausgehend von diesem Wortlaut ergeben sich meines Erachtens drei Deutungsmöglichkeiten: § 3 S. 1 NV könnte erstens eine pauschalierte Schadensersatzpflicht, zweitens eine pauschalierte Entgeltforderung und drittens einen Anspruch auf Rückzahlung eines Kredits statuieren.
Schön. Herr A, was spricht dagegen, dass § 3 S. 1 NV einen Anspruch auf Kreditrückzahlung statuiert?
Durch die Aushändigung des Armbands dürfte die B-GmbH dem Kunden noch keinen Kredit einräumen. Vielmehr bietet sie nur die Möglichkeit einer Kreditierung an. Ob der Kunde von dem Angebot Gebrauch macht, hängt davon ab, ob er mit Hilfe des betreffenden Chips auch Leistungen (oder Waren) von der B-GmbH bezieht. Eine Kreditierung findet somit erst bei Inanspruchnahme von Leistungen statt und besteht darin, dass die B-GmbH den Besuchern des Freizeitbades das für die erbrachten Leistungen geschuldete Entgelt bis zum Verlassen des Bades stundet. Mit anderen Worten: Weil nicht jedem Besucher des Freizeitbades ein Kredit von der B-GmbH eingeräumt wird, sich § 3 S. 1 NV aber auf jeden Besucher bezieht, der den Chip verliert – unabhängig davon, ob er Leistungen der B-GmbH in Anspruch genommen hat oder nicht – ist § 3 S. 1 NV nicht dahingehend auszulegen, dass er einen Anspruch auf Kreditrückzahlung statuiert.
Das ist eine belastbare Begründung! Frau B, bitte schlagen Sie § 675i BGB auf! Nach dieser Vorschrift kann im Falle der Verwendung eines sog. Kleinbetragsinstruments dem Zahlungsdienstnutzer (= Kunde) das Verlustrisiko bis zu dem vom Zahlungsdienstleister eingeräumten Betrag (= bis zu 200 Euro) auferlegt werden. Meinen Sie, dass § 3 S. 1 NV angesichts der Regelung von § 675i BGB als pauschalierte Entgeltforderung einzuordnen ist?
Nein. Meines Erachtens handelt es sich bei dem von der B-GmbH zur Verfügung gestellten Chip nämlich nicht um ein Kleinbetragsinstrument i.S.v. § 675i Abs. 1 BGB. Es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Bargeldersatzfunktion (vgl. a. Staudinger/Omlor, § 675i BGB Rn. 1, 8). Durch den Chip wird vielmehr dem Kunden lediglich ermöglicht, auf bequeme Weise die Leistungen der B-GmbH in Anspruch zu nehmen. Der Chip dient sodann als Hilfsmittel zur Feststellung des angefallenen Entgelts. Nicht schon bei Übergabe des mit dem Chip versehenen Armbands, sondern erst mit der Inanspruchnahme von Leistungen (oder Bezug von Waren) erlangt der Kunde eine (entgeltliche) Leistung der Beklagten. Deshalb ist in § 3 S. 1 NV keine pauschalierte Entgeltforderung angelegt.
Gut. Bleibt also noch die pauschalierte Schadensersatzforderung. Frau B, wie grenzt man eigentlich die pauschalierte Schadensersatzforderung von einer Vertragsstrafe (vgl. § 309 Nr. 6 BGB) ab?
Zunächst sollte festgehalten werden, dass – wie die Unterscheidung von § 309 Nr. 5 BGB und § 309 Nr. 6 BGB zeigt – Schadensersatzpauschalen und Vertragsstrafen unterschiedliche Rechtsinstitute sind. Nach Auffassung des BGH ist im Übrigen danach zu differenzieren, ob der Verwender mit der entsprechenden Klausel in erster Linie den Kunden unter Erfüllungszwang setzen (dann Vertragsstrafe) oder die Schadensregulierung erleichtern (dann Schadensersatzpauschale) will (vgl. BGHZ 49, 84, 87 ff.; ausführlich MüKoBGB/Wurmnest, § 309 Nr. 5 BGB Rn. 5,6)…
…schön, das genügt mir. Herr A, wenn Sie sich § 3 NV in seiner Gesamtheit ansehen: Was spricht entscheidend dafür, dass § 3 S. 1 NV eine Schadensersatzpflicht regelt?
Dass es sich bei dem Anspruch nach § 3 S.1 NV um einen Schadensersatzanspruch handelt, wird dadurch deutlich, dass die Klausel in Satz 2 ausdrücklich den Nachweis eines abweichenden Schadens vorsieht. Dies legt den Schluss nahe, dass sich der Schadensersatzanspruch aus einer Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht zur Rückgabe des Armbands mit Chip ergibt, mithin auf § 280 Abs. 1 S.1 BGB beruht.
Sehr richtig! Frau B, wir nehmen also an, dass § 3 S. 1 NV eine Schadensersatzpflicht statuiert. Bejahen Sie auch einen Verstoß gegen § 309 Nr. 5 a) BGB?
Ein Verstoß gegen § 309 Nr. 5 a) BGB liegt vor, wenn der von der Klausel vorgesehene Schadensersatz den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden übersteigt. Ein der  B-GmbH aus dem Verlust des Chips entstehender Schaden folgt daraus, dass sie die Entgeltforderungen für die von ihr erbrachten Leistungen nicht ermitteln und geltend machen kann. Ohne den Chip ist die B-GmbH nicht ohne weiteres in der Lage, die unter Verwendung des Chips in Anspruch genommenen Leistungen festzustellen. Dabei kann es sich um Leistungen an den Kunden oder einen Dritten handeln, der von dem Chip – befugt oder unbefugt – Gebrauch gemacht hat. Der von der B-GmbH geltend gemachte Betrag in Höhe der jeweiligen Kreditlinie entspricht indes jeweils dem maximal denkbaren Schaden und würde daher voraussetzen, dass im Fall des Verlusts regelmäßig Leistungen im Umfang des gesamten mit dem Chip eingeräumten Höchstbetrags in Anspruch genommen wurden. Das erscheint wenig realitätsnah. Zu sehen ist auch, dass die B-GmbH die Beweislast dafür trägt, dass die gewählte Schadensersatzpauschale dem regelmäßig zu erwartenden Schadensumfang entspricht (vgl. BGHZ 67, 312, 319). Die B-GmbH hat hierzu nach dem Sachverhalt nichts vorgetragen.  Meines Erachtens verstößt die von V angegriffene Klausel gegen § 309 Nr. 5 a) BGB.
Gut. Frau B, damit liegen  Sie insgesamt voll auf der Linie des BGH. Herr A, nun haben Frau B und Sie sich einen Großteil der Prüfung mit § 309 Nr. 5 a) BGB befasst. Kommen Sie unabhängig von § 309 Nr. 5 a) BGB möglicherweise auch auf anderem Wege zur Unwirksamkeit von § 3 NV?  
Die Klausel könnte (auch) gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sein. Ausgehend von der Überlegung, dass § 3 S. 1 NV eine Schadensersatzpflicht i.S.v. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB begründet, ist zu sehen, dass § 3 NV die Schadensersatzpflicht entgegen § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nicht von einem Verschulden des Vertragspartners abhängig macht. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist es jedoch ein wesentlicher Grundgedanke der gesetzlichen Regelung i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz regelmäßig nur bei schuldhaftem Verhalten besteht. Dieser allgemeine Grundsatz des Haftungsrechts gilt als Ausdruck des Gerechtigkeitsgebots gleichermaßen für vertragliche wie für gesetzliche Ansprüche; mithin auch für den hier berührten Anspruch aus Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB. § 3 NV verstößt mithin gegen § 307 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
Schön. Wir halten also fest: Die streitgegenständliche Klausel verstößt gegen § 309 Nr. 5 a) BGB und § 307 Abs. 1 Nr. 2 BGB. V kann von der B-GmbH – die nach § 1 UKlaG erforderliche Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr unterstellt – deshalb Unterlassung der Verwendung von § 3 NV gem. § 1 UKlaG verlangen. Das soll es für heute gewesen sein. Herzlichen Dank für Ihre Teilnahme!
Der Fall ist angelehnt an BGH, Urt. v. 18.2.2015 – XII ZR 199/13 – juris.

14.07.2015/0 Kommentare/von Florian Wieg
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Florian Wieg https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Florian Wieg2015-07-14 09:00:132015-07-14 09:00:13Prüfungsgespräch: Allgemeine Geschäftsbedingungen
Dr. Maximilian Schmidt

EU-Verbraucherschutzrichtlinie – Das ändert sich zum 13.06.2014

Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Verschiedenes

Shoppen bei amazon, zalando u.v.m. gehört inzwischen zum Alltag jedes EU-Bürgers. Häufig verbinden sich hier gute Preise mit dem Komfort der einfachen, risiko- und kostenfreien Lieferung. Zum 13.06.2014 tritt nun das Gesetz zur Umsetzung der neuen EU-Verbraucherschutzrichtlinie in Kraft, das einige Änderungen mit sich bringt. Diese sind sowohl für den Examenskandidaten als auch den Internetshopper von großem Interesse. An dieser Stelle soll auf die wichtigsten Neuregelungen hingewiesen werden.
1. Versandkosten
Die auf den ersten Blick gravierenste Änderung betrifft die Versandkosten. Bisher trug der Verbraucher die Kosten der Hinsendung, während die der Rücksendung den Verkäufer trafen. Dieser konnte lediglich bis zu einem Warenwert von 40€ die Rücksendekosten dem Verbraucher auferlegen.
Zunächst die gute Nachricht: Die Kosten der Hinsendung trägt nun der Verkäufer (außer auf Wunsch des Verbrauchers bspw. Expressversand).
Die schlechte Nachricht: Ab dem 13.06.2014 trägt grundsätzlich der Verbraucher die Kosten jeder Rücksendung (also auch über 40€ und ohne weitere Vereinbarung). Zwar ist davon auszugehen, dass die großen Versandhäuser auf die Kosten verzichten werden, doch muss von nun an beim Kauf auf eine dahingehende Vereinbarung geachtet werden.
2. Einfache Rücksendung/Rückgabe genügt nicht mehr
Anders als bisher wird eine einfache Rücksendung der Ware nicht mehr als Widerrufserklärung gelten. Es muss ausdrücklich der Widerruf erklärt werden; dies ist aber weiterhin formlos möglich.
Zukünftig also vor Einpacken und Zurückschicken der Ware auf der Rechnung oder einem neuen Zettel den Vermerk „Widerruf“ anbringen. Gründe für den Widerruf müssen weiterhin nicht genannt werden.
3. Begrenzung der Widerrufsfrist
Die Widerrufsfrist beträgt weiter 14 Tage – doch gibt es bei fehlender oder fehlerhafter Belehrung künftig kein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht mehr. Vielmehr endet die Widerrufsfrist jedenfalls 12 Monate und 14 Tage nach Erhalt der Ware.  Zudem wurde der Katalog der Ausnahmen vom Widerrufsrecht verändert.
4. Neue Informationspflichten
Zudem sind dem Verkäufer neue Informationspflichten auferlegt, insbes. hinsichtlichLieferkosten bzw. Versandkosten, Lieferdatum bzw. Liefertermin, Lieferbedingungen, Unterrichtung des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht (insbesondere über die neue Muster-Widerrufsbelehrung). Zudem muss dem Verbraucher alsbald nach Vertragsschluss eine Vertragsabschrift zuzuleiten.

5. Fazit
Letztlich sollte der Verbraucher in Zukunft vor allem auf die Verteilung der Kosten für die Lieferung bzw. Rücksendung achten. Zudem muss von nun an der Widerruf ausdrücklich erklärt werden.

06.06.2014/8 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-06-06 15:16:202014-06-06 15:16:20EU-Verbraucherschutzrichtlinie – Das ändert sich zum 13.06.2014
Gastautor

Amazon, bei Rücksendung: Kündigung – eine rechtliche Bewertung

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Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Janis Beckedorf veröffentlichen zu können. Inhaltlich setzt er sich mit der neuen Praxis von Amazon auseinander Kunden ihre Accounts aufgrund zu häufiger Rücksendungen zu sperren.
 
I. Sachverhalt
Wer Ware bei Amazon bestellt, kann sämtliche Produkte innerhalb von 30 Tagen zur Erstattung zurücksenden. So lauten jedenfalls die AGB von Amazon, denn der Onlineshop gewährt seinen Kunden über das gesetzliche Widerrufsrecht hinaus eine freiwillige Rückgabegarantie.
Ganz im Gegensatz zu diesem kundenfreundlichen Verhalten wurde nun eine neue Praxis von Amazon bekannt: Einige Kunden erhielten ohne Vorwarnung eine E-Mail des Onlineshops, ihr Kundenkonto werde aufgrund „wiederholter Überschreitung der hausüblichen Anzahl von Retouren“ gesperrt. Der Onlineshop möchte durch derartige Maßnahmen die hohen Retourkosten reduzieren. Auf Nachfragen weist Amazon darauf hin, dass sie „eine Sperrung nicht ohne gründliche Prüfung des Gebrauchs der Rücksendemöglichkeit vornehmen“. Ihre Entscheidung sei jedoch endgültig und sie bitten keine neuen Kundenkonten zu eröffnen. Auf Grund der Größe des Onlineshops hat die Sperrung teilweise erhebliche Einschränkungen für die Betroffenen zur Folge.
Inwiefern Amazon weiterhin als kundenfreundlich gelten kann, wird sich in der Handhabung ähnlicher Fälle in der Zukunft zeigen. Jedoch könnte sich Amazon auch bei den bisherigen Sperrungen rechtswidrig verhalten haben. Aus rechtlicher Sicht könnte sich dies zum einen daraus ergeben, dass Amazon einem gesetzlich nicht abdingbaren Widerrufsrecht entgegenwirke, zum anderen dass der ausgeübte Druck eine unlautere geschäftliche Handlung nach dem UWG darstelle. Des Weiteren kann eine AGB-Kontrolle dahinstehen, da die Praxis von Amazon nicht in ihren AGB festgelegt wird.
II. Das Widerrufsrecht
§§ 355 I 1, 312d I 1 BGB statuieren für Verträge, die im Fernabsatz geschlossen wurden ein Widerrufsrecht. Dieses steht auch den Kunden von Amazon zu. § 312i BGB erweitert den Rechtschutz der Kunden dahingehend, dass man von den gesetzlichen Vorschriften weder zum Nachteil des Verbrauchers abweichen darf (S. 1), noch diese durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden können (S. 2).
Dass ein solches Widerrufsrecht bei Verträgen mit Amazon besteht, wird von keiner Seite bestritten. Allerdings übt der Onlineshop erheblichen Druck auf die Kunden aus, dieses nicht wahrzunehmen. Daraus ergibt sich die Problematik, ob dieser Druck eine für § 312i BGB relevante Abweichung oder Umgehung des gesetzlichen Widerrufsrecht darstellt, denn faktisch kann der Kunde sich nicht mehr folgenlos von seiner Willenserklärung lösen.
1. Abweichung von den Vorschriften zum Nachteil des Verbrauchers
Wie oben dargestellt besteht für den konkreten Vertrag unstreitig ein Widerrufsrecht. Somit steht eine Änderung der tatsächlichen Rechtsposition des Kunden bezüglich des konkreten Kaufvertrages nicht in Frage. Da der Druck von Amazon erst auf der faktischen Ebene wirkt, liegt eine rechtliche Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften über das Widerrufsrecht zum Nachteil des Verbrauchers iSd § 312i S. 1 BGB nicht vor.
2. Umgehung durch anderweitige Gestaltungen
Dieser Druck könnte allerdings eine Umgehung nach § 312i S. 2 BGB darstellen. Dabei ist zu beachten, dass hier dem Kunden zwar ein Widerrufsrecht eröffnet wird, der faktische Druck allerdings bei der anschließenden Wahl des Kunden ansetzt, das Widerrufsrecht nicht auszuüben.
Daher stellt sich zunächst die Frage, ob eine an den Tatbestand anschließend wirkende faktische Beeinträchtigung der Ausübung des Widerrufsrechts eine Umgehung iSd § 312i S. 2 BGB sein kann.
Dafür spricht, dass der Wortlaut von § 312 S.2 BGB nicht nur das Abweichen von Vorschriften, sondern jegliche Gestaltungen, die zur Umgehung führen, umfasst. Es handelt sich bei § 312i BGB um die Konkretisierung mehrerer EU-Richtlinien, wie beispielsweise Art. 12 I der Fernabsatzrichtlinie (97/7/EG). Dort wird die Möglichkeit auf Rechte zu verzichten umfänglich ausgeschlossen. Dieses weit gefasste Umgehungsverbot findet sich auch in der Struktur von § 312i BGB wieder, da dort nicht nur Abweichung von Vorschriften, sondern explizit auch anderweitige Gestaltungen geregelt werden. Es spricht daher auch die Umsetzung der Richtlinie für eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf faktische Hinderungen der Ausübung des Widerrufsrechts.
Somit ist der seitens Amazon ausgeübte Druck zunächst von dem Umgehungsverbot erfasst. Dies hätte zur Folge, dass Amazon nicht grundlos ein Kundenkonto sperren dürfte. Der Onlineshop müsste folglich, solange keine besonderen Gründe vorliegen, mit jedem Kunden Verträge schließen. Grundrechtlich liegt jedoch die Entscheidung, ob es zu einem weiteren Vertrag kommt, aufgrund der grundrechtlich geschützten Vertragsfreiheit (Art. 2 I GG) bei beiden Vertragsparteien, also auch bei Amazon. Wenn man in dem Verhalten von Amazon eine unzulässige Umgehung sieht, wird Amazon jedoch die Entscheidung, einen weiteren Vertrag abzuschließen, genommen. Dies widerspricht der grundrechtlich geschützten Privatautonomie nach hier vertretener Auffassung in so erheblichem Maße, dass eine grundrechtskonforme Auslegung einem so weiten Verständnis von Umgehungen nach § 312i S. 2 BGB entgegensteht. Daher ist Amazons Praxis nach dem BGB rechtmäßig.
III. Unlautere geschäftliche Handlung
Dennoch könnte Amazons Verhalten die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher durch Ausübung von Druck nach § 4 Nr. 1 Var. 1 UWG unlauter beeinträchtigen.
Hierbei ist jedoch die Schutzrichtung von § 4 UWG zu beachten: Es wird dort die Freiheit geschützt, sich zwischen den Angeboten verschiedener Unternehmen entscheiden zu können (Sosnitza in: Piper/Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 5. Auflage 2010, § 4 UWG, Rn. 1.4.). Vorliegend liegt jedoch kein Druck vor, der sich auf die Entscheidung zwischen verschiedenen Unternehmen richtet, sondern es ist die Ausübung eines Widerrufsrechts betroffen. Daraus ergibt sich, dass die hier in Rede stehende Geschäftspraxis von Amazon aus teleologischen Gesichtspunkten keinen Verstoß gegen § 4 UWG darstellt, sodass Amazons Verhalten auch nach Maßgabe des UWG rechtmäßig ist.
Sonderfall: Kindlebesitzer
Kindlebesitzer (der Kindle ist ein E-Book-Reader von Amazon) sind besonders hart von einer Kontosperrung betroffen, da die Geräte darauf ausgelegt sind, nach dessen Kauf weitere E-Books von Amazon zu beziehen. Nach einer Sperrung des Kontos ist es ihnen jedoch nicht mehr möglich, neue E-Books über Amazon zu erwerben. Bezüglich des Kaufes der einzelnen E-Books ist Amazons Verhalten wie oben zu bewerten. Jedoch bleibt zu diskutieren, ob es Teil der Geschäftsgrundlage (§ 313 I BGB) des Kindlekaufes ist, dass Amazon dem Kunden nicht ohne einen sachlichen Grund und einer vorherigen Abmahnung den Kauf von neuen E-Books verweigert. Damit dies Teil der Geschäftsgrunde ist, muss es mindestens von einer Partei bei Vertragsschluss vorausgesetzt worden sein und die andere hätte sich redlicherweise auf eine solche Vertragsbedingung einlassen müssen. Es ist zu beachten, dass Amazon kein Interesse hat, sich nach Vertragsschluss derartig zu binden. Die Möglichkeit bei Amazon E-Books zu kaufen, ist eine wesentliche Funktion des Kindles, jedoch bleibt es weiterhin möglich von anderen Onlineshops ungeschützte E-Books zu beziehen und diese auf dem Kindle zu lesen, sodass nach der Sperrung ein Kindle für den Nutzer weiterhin brauchbar ist. Somit ist auch das Vorliegen einer Geschäftsgrundlage zu verneinen und Amazons Verhalten als rechtmäßig einzustufen.
 
Der Autor studiert zur Zeit Jura an der Bucerius Law School in Hamburg.

26.09.2013/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-09-26 09:00:332013-09-26 09:00:33Amazon, bei Rücksendung: Kündigung – eine rechtliche Bewertung
Gastautor

OLG Bremen: Angabe der Lieferfrist mit „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ stellt Verstoß gegen § 308 Nr. 1 BGB dar

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Das OLG Bremen hatte am 05.10.2012, Az: 2 U 49/12, einerseits darüber zu entscheiden, ob die Angabe der Lieferfrist im Online-Handel mit „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ wettbewerbswidrig ist. Andererseits ging es um die Frage, wie eine klare und verständliche Widerrufsbelehrung ausgestaltet sein muss.
Leitsätze (des Verfassers):

  1. Die Angabe der Lieferzeit mit „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ verstößt gegen § 308 Nr. 1 BGB und ist daher wettbewerbswidrig.
  2. Eine Widerrufsbelehrung, die vom Verbraucher nur durch Herunterscrollen auf der betreffenden Internetseite erreicht werden kann, während die für die Kaufentscheidung wesentlichen Informationen bereits am Anfang der Seite unmittelbar einsehbar sind, entspricht den Anforderungen des Art. 246 § 1 Nr. 10 EGBGB nicht.

 
Sachverhalt:
Die Parteien sind Wettbewerber im Handel mit Bar- und Partyartikeln. Die Klage richtet sich gegen eine von der Beklagten im Internet auf der Handelsplattform Amazon geschaltete Werbung für einen Shaker. Von der Klägerin wird diesbezüglich beanstandet, dass eine klare und verständliche Widerrufsbelehrung fehle und zudem die Angabe „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ zu unbestimmt und daher unzulässig sei. Diese Regelung findet sich im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit Angaben über Versandkosten, Garantie u.ä. Die Regelung zum Widerrufsrecht ist mit „Umtausch & Rücknahme“ überschrieben und befindet sich am unteren Ende der Seite, die nur durch Herunterscrollen vom Verbraucher erreichbar ist.
Die Klägerin (im Folgenden K) beantragt, die Beklagte (im Folgenden B) zum Unterlassen eines derartigen Warenangebots zu verurteilen.
Entscheidung:
Das OLG Bremen hat dem Unterlassungsantrag stattgegeben.
I. Anspruch auf Unterlassung aus § 8 I 1 UWG
Der K kann ein Anspruch auf Unterlassung aus § 8 I 1 UWG zustehen. Dazu wäre erforderlich, dass die B eine unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen hätte.
1. Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG
In Betracht kommt vorliegend ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG. Dann müsste die B vorliegend einer Vorschrift zuwider gehandelt haben, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.
a)     § 308 Nr. 1 BGB
Als verletzte Norm kommt hier § 308 Nr. 1 BGB in Betracht.
Diese Vorschrift enthält Vorgaben für die Ausgestaltung wirksamer AGB. Grund für diese strikten Vorgaben, die gleichzeitig die Privatautonomie der Parteien beschränken, ist der Verbraucherschutz. Verbraucher ist gemäß § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zuzuordnen ist.
Der Verbraucher ist auch Marktteilnehmer gemäß § 8 I 1 UWG. Hätte die B vorliegend gegen § 308 Nr. 1 BGB verstoßen, so wäre darin auch ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG zu sehen. Der Unterlassungsanspruch wäre dann gemäß § 8 I 1 UWG begründet, da die K als Wettbewerber der B auch befugt wäre, die Verletzung zu rügen.
Fraglich ist daher, ob ein Verstoß gegen § 308 Nr. 1 BGB vorliegt.
aa) Vorliegen von AGB
Dann müsste es sich zunächst überhaupt um AGB handeln, die in den einzelnen Vertrag der B mit einem Verbraucher einbezogen würden.
AGB sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Vertragsschluss stellt, § 305 I 1 BGB. Vorliegend handelte es sich bei der Bestimmung der Lieferzeit um eine essentielle Angabe des Vertragsinhalts, wie das Gericht feststellte. Diese Regelung könnte nach §§ 133, 157 BGB nur so verstanden werden, dass der Leistungszeitpunkt verbindlich festgelegt werden soll. Keinesfalls handle es sich dabei um einen bloßen Hinweis oder eine Werbeaussage. Das ergebe sich bereits aus dem unmittelbaren Kontext der Regelung, da in diesem auch Angaben zu Garantie, Rücknahme- und Versandkosten enthalten seien.
Es handelt sich daher vorliegend um AGB.
bb) Einbeziehung in den Vertrag
Diese würden aufgrund unmittelbarer Kenntnisnahmemöglichkeit durch den vertragsschließenden Verbraucher auch Vertragsbestandteil gemäß § 305 II BGB.
Die Klausel ist auch nicht überraschend, § 305 c I BGB. Auch lag in diesem Fall keine vorrangige Individualabrede vor, § 305 b BGB.
cc) Inhaltskontrolle
Die Bestimmung der Leistungszeit mit der Angabe „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ weicht auch von der gesetzlichen Regelung ab, wie § 307 III 1 BGB fordert. Gemäß § 271 BGB ist die Leistung im Zweifel sofort fällig,
Damit kann die Bestimmung einer Inhaltskontrolle unterzogen werden.
Zu prüfen ist, ob gegen Klauselverbote verstoßen worden ist.
Das Vorliegen eines Klauselverbotes ohne Wertungsmöglichkeit nach § 309 BGB ist nicht ersichtlich.
In Betracht kommt aber ein Klauselverbot mit Wertungsmöglichkeit nach § 308 Nr. 1 BGB. Dann müsste vom Verwender vorliegend eine Bestimmung getroffen worden sein, durch die er sich unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte Fristen für Annahme oder Ablehnung eines Angebots oder die Erbringung einer Leistung vorbehält. Vorliegend kommt eine nicht hinreichende Bestimmung der Leistungszeit in Betracht. Dazu führt das Gericht aus, dass durch die Verwendung des Begriffs „voraussichtlich“ eine zu starke Subjektivierung der Leistungszeit eintritt. Dies hätte für den Verbraucher zur Folge, dass es ihm nicht möglich sei, mit hinreichender Sicherheit den Fälligkeitszeitpunkt für die Leistung zu bestimmen. Das wiederum führe dazu, dass er außerstande gesetzt werde, festzustellen, wann er seine Rechte insbesondere aus §§ 281, 323, 280 I, II, 286 geltend machen kann. Mangels Definition von Ausnahmefällen sei die Leistungszeit im Einzelfall völlig undurchsichtig und damit unangemessen.
Das Gericht nimmt auch Bezug auf die Rechtsprechung zur Angabe der Lieferfrist mit „in der Regel“. Mit gleicher Begründung wurde hier eine hinreichende Bestimmbarkeit der Leistungsfrist abgelehnt.
Anders soll es jedoch liegen, werde die Lieferfrist mit „ca. 3 Tage“ angegeben. Durch Bezugnahme auf ein hierzu ergangenes Urteil wird diese Rechtsprechung erneut vom OLG bestätigt. Die Differenzierung wird damit begründet, dass sich bei dieser Formulierung die Lieferzeit nach dem Verständnis des Kunden hinreichend zuverlässig eingrenzen lasse. Der Leistungszeitpunkt sei hierdurch im Wesentlichen festgelegt, auch wenn er im Einzelfall Schwankungen unterliegen könne. Dieses Maß an Relativierung sei aber im Gegensatz zu derjenigen, die mit Gebrauch des Begriffs „voraussichtlich“ einhergehe, noch hinnehmbar.
Nach Ansicht des Gerichts nicht wegen fehlender Bestimmtheit unzulässig ist der Begriff „Versanddauer“. Unter diesem habe der verständige Verbraucher nicht lediglich die Postlaufzeit, sondern den gesamten Vorgang bis zur Auslieferung der Ware zu verstehen. Damit umfasse dieser Begriff Verpackung, Auslieferung und Postversand.
Die Verwendung des Begriffs „voraussichtlich“ ist folglich zu unbestimmt gemäß § 308 Nr. 10 BGB. Die Klausel ist somit unwirksam.
Durch Verstoß gegen § 308 Nr. 1 BGB liegt auch eine unlautere geschäftliche Handlung nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG vor.
b) Verstoß gegen Art. 246 § 1 Nr. 10 EGBGB wegen fehlender Widerrufsbelehrung
Des Weiteren stellt das Gericht fest, dass keine hinreichende Information des Verbrauchers über ein bestehendes Widerrufsrecht vorläge. Während die Tatsache allein, dass dieses nicht als Widerrufsbelehrung sondern als Umtausch und Rückgabe deklariert wurde, noch nicht zwangsläufig zum Fehlen einer Widerrufsbelehrung führe, wäre ein solches Fehlen wegen Verstoßes gegen Art. 246 § 1 Nr. 10 EGBGB aber darin zu sehen, dass der Verbraucher zum unteren Ende der Angebotsseite herunterscrollen müsste, um auf den Hinweis zu stoßen. Der durchschnittliche Kunde werde im Regelfall keine Veranlassung sehen dies zu tun, wenn bereits im oberen Bereich der Angebotsseite alle für die Kaufentscheidung wesentlichen Informationen verfügbar seien.
2. Zwischenergebnis
Durch Verstoß sowohl gegen § 308 Nr. 1 BGB als auch gegen Art. 246 § 1 Nr. 10 EGBGB liegt auch eine unlautere geschäftliche Handlung nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG vor.
II. Endergebnis
Ergebnis ist damit, dass der Unterlassungsanspruch gemäß § 8 I 1 UWG begründet ist. Der Klage war somit stattzugeben.
Stellungnahme:
Der Einschätzung des OLG Bremen zur fehlenden hinreichenden Bestimmbarkeit der Angabe „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ ist meines Erachtens zuzustimmen. Darin liegt eine vollkommen undurchsichtige Lieferzeitbestimmung, da für den Verbraucher nicht ersichtlich wird, nach welchen Kriterien sich eine eventuelle Abweichung richten soll. Die dadurch getroffene Relativierung ist unangemessen im Sinne des § 308 Nr. 1 BGB.
Nicht einleuchtend erscheint zunächst jedoch die Begründung, mit der im Falle der Lieferzeitbestimmung mit „ca. 3 Tage“ eine hinreichende Bestimmbarkeit erneut bestätigt wird. „Ca.“ bedeutet nichts anderes als „ungefähr“. Eine ungefähre Lieferzeit von 3 Tagen liegt aber auch bei einer voraussichtlichen Lieferzeit von 3 Tagen vor. In beiden Fällen werden Ausnahmefälle nicht definiert und sind für den Verbraucher daher intransparent.
Zu bedenken ist jedoch, dass gerade im Online-Handel eine klare Angabe zur Lieferzeit nicht immer realisierbar ist. Es sind diverse Umstände denkbar, die gerade im Rahmen eines solchen Fernabsatzgeschäfts zu unkalkulierbaren Verzögerungen führen können. Die „Stationen“, die die Ware durchlaufen muss, um letztlich beim Verbraucher einzugehen, sind ungleich vielfältiger als bei stationären Kaufgeschäften. Würde man dem Betreiber eines Online-Shops auferlegen, eine exakte Leistungszeit anzugeben, so stellte dies wiederum eine unzumutbare Beeinträchtigung seiner Interessen durch den unmittelbaren Eintritt diverser Rechtsfolgen bei Überschreiten dieser Leistungszeit dar, was – wie gesehen – aufgrund verschiedener Faktoren der Fall sein könnte.
Es erscheint daher durchaus legitim, dem Unternehmer hier einen gewissen Spielraum einräumen zu wollen. Der Ansatz des Gerichts ist daher nachvollziehbar, wenn auch meiner Ansicht nach mangels genauerer Begründung der Differenzierung zwischen den Begrifflichkeiten missglückt. Das Argument eines geringeren Subjektivierungsgrades wegen Differenzierungen im allgemeinen Sprachgebrauch ist jedenfalls – wie aufgezeigt –  nicht tragend.
Gastautorin: Maria Lohse, Jurastudium an der Universität Hamburg und der Karlsuniversität Prag, 1. Staatsexamen 2012,  im Moment als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Hogan Lovells in Hamburg tätig, außerdem AG-Leiterin (Schuldrecht BT II) an der Universität Hamburg, ab Dezember 2012 Referendarin in Hamburg

03.12.2012/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-12-03 09:00:082012-12-03 09:00:08OLG Bremen: Angabe der Lieferfrist mit „Voraussichtliche Versanddauer: 1-3 Werktage“ stellt Verstoß gegen § 308 Nr. 1 BGB dar

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