Noch nicht gezeugt und doch schon Gläubiger einer Grundschuld?!
In rechtswissenschaftlichen Klausuren wird die richtige Verwendung lateinischer Fachbegriffe erwartet. Mit einem im Grenzbereich von allgemeinem Zivil-, Erb- und Sachenrecht ergangenen Beschluss vom 26. Juni 2025 (Az.: V ZB 48/24), sorgt der BGH dafür, dass der dazu notwendige Wortschatz um den Begriff des nondum conceptus erweitert werden muss. Was es damit auf sich hat, erläutert unser Gastautor Lorenz Fander im folgenden Beitrag.
I. Der Sachverhalt (verkürzt dargestellt und leicht abgewandelt)
Die Erblasserin E hat ihre Tochter T als befreite Vorerbin und deren noch nicht gezeugten Kinder (ihre Enkel) als Nacherben eingesetzt. Die Nacherbfolge soll mit dem Tod der T eintreten. Im Zuge der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses verkauft die T (Vorerbin) ein zum Nachlass gehörendes Grundstück. Um die Nacherben abzusichern, einigt sie sich mit einem für die noch nicht gezeugten Kinder (Nacherben) gerichtlich bestellten Pfleger auf die Bestellung einer brieflosen Grundschuld an einem in ihrem (T’s) Eigentum stehenden – nicht zum Nachlass gehörenden – Grundstück. Die Eintragung im Grundbuch folgt sodann. Einige Zeit später fordert die mittlerweile 65 Jahre alte T das Grundbuchamt auf, die eingetragene Grundschuld zu löschen. Sie versichert an Eides statt, weder leibliche noch adoptierte Kinder zu haben.
II. Die Entscheidung (im Gutachtenstil)
1. Löschung nach § 53 Abs. 1 S. 2 GBO
Das Grundbuchamt könnte nach § 53 Abs. 1 S. 2 GBO zur Löschung der Eintragung angehalten sein.
a) Inhaltliche Unzulässigkeit
Dafür müsste die Eintragung der Nacherben im Grundbuch inhaltlich unzulässig sein, § 53 Abs. 1 S. 2 GBO. Eine Eintragung ist inhaltlich unzulässig, wenn sie einen Rechtszustand verlautbart, den es nicht geben kann (Rz. 7 – Die folgenden Rz. der Urteile sind nach juris zitiert).
Dies ist unter anderem der Fall, wenn ein nicht grundbuchfähiger Träger als Inhaber eines an sich eintragungsfähigen Rechts ausgewiesen wird. Die Grundbuchfähigkeit folgt dabei der materiell-rechtlichen Erwerbsfähigkeit, sodass sie fehlt, wenn der Berechtigte das eingetragene Recht schon abstrakt-generell nicht materiell-rechtlich erwerben kann (Rz. 8, 12). Die Eintragung ist daher inhaltlich unzulässig, wenn noch nicht gezeugte Personen Grundschulden nicht erwerben können. Ob eine noch nicht gezeugte Person (nondum conceptus) eine Grundschuld erwerben kann, ist umstritten.
aa) Bejahende Ansicht (Rz. 13)
Eine Ansicht hält den Erwerb einer Grundschuld für eine noch nicht gezeugte Person für möglich (vgl. nur RGZ 61, 355, 356; Erman/Saenger, BGB, 17. Aufl. 2023, § 1, Rn. 3). Dogmatisch könne dies durch eine fingierte bzw. beschränkte Rechtsfähigkeit des nondum conceptus oder einen subjektiv bedingten Erwerb begründet werden. Demnach könnten noch nicht gezeugten Nacherben abstrakt-generell Grundschulden erwerben, sodass die Eintragung nicht unrichtig wäre.
bb) Verneinende Ansicht (Rz. 14)
Einer anderen Ansicht nach, scheidet der Erwerb einer Grundschuld durch den nondum conceptus aus (vgl. nur Staudinger/C. Heinze (2018), BGB, § 873, Rn. 91). Demnach wäre die Eintragung der noch nicht gezeugten Nacherben mangels Grundbuchfähigkeit inhaltlich unzulässig.
cc) Stellungnahme
Die Meinungen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass eine Stellungnahme geboten ist.
(1) Systematik des BGB (Rz. 16-19)
Nach § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit erst mit der Vollendung der Geburt – dies spricht zunächst gegen die Erwerbsfähigkeit des nondum conceptus. Dennoch widerspräche dieses Ergebnis dem Willen des historischen Gesetzgebers: Dieser ist davon ausgegangen, dass ungeborene Personen Inhaber einer Hypothek werden können, sofern ihnen nach anderen Vorschriften die Möglichkeit zum Erwerb einer Forderung eingeräumt wird. Eine derartige Erwerbsmöglichkeit findet sich an mehreren Stellen im Gesetz, namentlich den §§ 328, 331 Abs. 2 BGB (Vertrag zugunsten Dritter), §§ 2101 Abs. 1, 2106 Abs. 2, 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB (Nacherbschaft), §§ 2162 Abs. 2, 2178 BGB (Vermächtnis). Der nondum conceptus erwirbt in diesen Fällen auch ohne Rechtsfähigkeit i. S. d. § 1 BGB eine Anwartschaft. Wenn noch nicht gezeugte Personen derartige Anwartschaften erwerben könne, muss auch die Sicherung dieser Rechtspositionen vor der Geburt möglich sein. Daher ist er im Hinblick auf „durch den Sicherungszweck begrenzte (positive) Sicherungsrechte“ als erwerbsfähig anzusehen.
(2) Notwendiges Fehlen einer dinglichen Einigung (Rz. 21)
Die Erwerbsfähigkeit wäre allerdings auszuschließen, wenn schon logisch stets eine dingliche Einigung zwischen dem nondum conceptus und dem Sicherungsgeber ausscheiden würde. Dies folgt aus dem Umstand, dass eine Grundschuld nicht einseitig durch den Grundstückseigentümer begründet werden kann und auch Verfügungen zugunsten Dritter analog § 328 BGB nicht anzuerkennen sind. Der nondum conceptus kann bei der dinglichen Einigung allerdings durch einen gerichtlich bestellten Pfleger für unbekannte Beteiligte nach §§ 164 I 1, 1882 BGB vertreten werden, sodass eine dingliche Einigung nicht schon von vornherein ausscheidet.
dd) Zwischenergebnis
Der nondum conceptus kann materiell-rechtlich Grundschulden erwerben. Er ist damit gleichsam grundbuchfähig. Dem steht auch das grundbuchrechtliche Bestimmtheitsgebot nicht entgegen: Trotz der Ungewissheit über die Identität des Ungeborenen, ist eine Verwechslung ausgeschlossen (Rz. 24).
b) Ergebnis
Die Eintragung ist damit inhaltlich zulässig – eine Löschung nach § 53 Abs. 1 S. 2 GBO scheidet aus.
2. Löschung nach § 22 Abs. 1 S. 1 GBO
Das Grundbuchamt könnte zur Löschung im Wege der Grundbuchberichtigung nach § 22 Abs. 1 S. 1 GBO angehalten sein.
a) Unrichtigkeit des Grundbuchs
Dazu müsste die Unrichtigkeit des Grundbuchs nachgewiesen sein, § 22 Abs. 1 S. 1 GBO. Das Grundbuch ist unrichtig, wenn es eine Rechtslage ausweist, die materiell-rechtlich nicht besteht (BeckOK GBO/Holzer, 57. Ed. 1.6.2025, GBO § 22 Rn. 25).
aa) Ursprünglicher Erwerb der Grundschuld
Die noch nicht gezeugten Nacherben müssten die im Grundbuch ausgewiesene Grundschuld zunächst konkret erworben haben, §§ 873, 1191, 1192 I, 1115, 1116 Abs. 2. BGB. Dass auch noch nicht gezeugte Personen abstrakt-generell materiell-rechtlich Inhaber einer Grundschuld sein können, wurde oben (A. I. 3.) nachgewiesen.
T und die noch nicht gezeugten Erben müssten sich also dinglich geeinigt haben, §§ 873, 1191 BGB. Die noch nicht gezeugten Nacherben konnten keine eigene Willenserklärung abgeben. Sie wurden bei der dinglichen Einigung allerdings durch einen gerichtlich bestellten Pfleger für unbekannte Beteiligte nach §§ 164 I 1, 1882 BGB vertreten. Eine dingliche Einigung liegt damit vor. Die Rechtsänderung wurde auch in das Grundbuch eingetragen und die T war als Eigentümerin dinglich berechtigt.
bb) Erlöschen der Grundschuld
Das Grundbuch wäre nachträglich unrichtig geworden, wenn die Grundschuld nunmehr erloschen ist. Dies wäre wiederum anzunehmen, wenn die Nacherben nicht mehr geboren werden oder entstehen können (Rz. 29).
Es ist vorliegend allerdings nicht ausgeschlossen, dass die eingetragenen Personen in Zukunft entstehen. Angesichts der fortschrittlichen Reproduktionsmedizin ist es möglicherweise schon nicht auszuschließen, dass T trotz ihres Alters von 65 Jahren leibliche Abkömmlinge bekommen kann (Rz. 31). Jedenfalls kann sie aber Kinder durch Adoption annehmen, §§ 1741 ff. BGB. Eine Altershöchstgrenze für die Annahme einer Person an Kindes statt gibt es nicht – ob ein bestimmter Altersabstand dem nach § 1741 BGB maßgeblichen Kindeswohl zuwiderläuft, ist eine Frage des Einzelfalls (Rz. 35). Dass die E möglicherweise nur leibliche Abkömmlinge als Nacherben eingesetzt hat ist unbeachtlich, da dies die Auslegung der letztwilligen Verfügung und nicht die Auslegung des Grundbucheintrages betrifft. Aus Wortlaut und Sinn des Grundbucheintrages ergibt sich für einen Dritten nicht, dass adoptierte Kinder nicht erfasst sind (Rz. 33). Die Grundschuld ist demnach nicht erloschen.
cc) Zwischenergebnis
Formelle und materielle Rechtslage stimmen überein. Das Grundbuch ist nicht unrichtig.
b) Ergebnis
Eine Löschung im Wege der Grundbuchberichtigung nach § 22 Abs. 1 S. 1 GBO hat nicht zu erfolgen.
III. Einordnung der Entscheidung
Der BGH erkennt die Erwerbsfähigkeit des nondum conceptus im Hinblick auf „durch den Sicherungszweck begrenzte (positive) Sicherungsrechte“ an (Rz. 19). Die Erwerbsfähigkeit ist daher jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Gesetz den Erwerb bestimmter Rechte durch den nondum conceptus zulässt (etwa § 2101 BGB) und die Sicherung dieser Rechte erfolgen soll. Der BGH lässt offen, ob es bei dieser „akzessorischen“ Erwerbsfähigkeit bleibt, oder noch nicht gezeugte Personen weitergehend generell als (beschränkt) rechtsfähig anzusehen sind, wie es von Teilen der Literatur vertreten wird (etwa MüKoBGB/Spickhoff, 10. Aufl. 2025, BGB § 1 Rn. 52).
Ebenfalls interessant sind die Ausführungen des BGH zum Vorbringen der Vorerbin, die Erblasserin habe nur leibliche Abkömmlinge als Nacherben eingesetzt (Rz. 33). Die Auslegung der letztwilligen Verfügung ist – so auch der BGH (Rz. 33) – unbeachtlich. Entscheidend ist zunächst die Auslegung des Grundbuchs (formelle Rechtslage). Würde sich die Grundbucheintragung nur auf leibliche Kinder beziehen, wäre die Grundschuld auch nur insoweit entstanden und würde erlöschen, wenn solche nicht mehr entstehen könnten. Im Hinblick darauf führt der BGH aus, bei der Auslegung der Grundbucheintragung sei „vorrangig auf Wortlaut und Sinn abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung ergibt“ (Rz. 33). Nach diesen Grundsätzen seien von der Grundbucheintragung nicht nur leibliche Kinder erfasst.
Der BGH geht im Beschluss allerdings nicht darauf ein, dass die materielle Rechtslage aufgrund dieses Auslegungsergebnisses möglicherweise von Anfang an hinter der formellen Rechtslage zurückblieb. Bei der Ermittlung der materiellen Rechtslage muss die dingliche Einigung zwischen der Vorerbin und den durch den gerichtlich bestellten Pfleger vertretenen Nacherben ausgelegt werden (in diese Richtung auch die Vorinstanz OLG Köln, Beschl. v. 27.8.2024 – 2 Wx 144/24, Rz. 16). Insoweit gelten die üblichen Auslegungsgrundsätze. Geht die Eintragung über die dingliche Einigung hinaus, kann das Recht nur in den Grenzen der dinglichen Einigung entstehen (BeckOK BGB/H.-W. Eckert, 74. Ed. 1.5.2025, BGB § 873 Rn. 25). Wäre die dingliche Einigung auf leibliche Abkömmlinge beschränkt gewesen, wäre das Grundbuch daher von Anfang an unrichtig und nach § 22 Abs. 1 S. 1 GBO zu berichtigen gewesen. Die Umstände des Falles sprachen indes gegen eine solche Auslegung (OLG Köln a. a. O.), sodass dem BGH im Ergebnis zuzustimmen ist.
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