Ist die gezielte Tötung von Terroristen rechtmäßig?
Gestern wurde der Terrorist Bin Laden durch amerikanische Spezialeinheiten getötet. Noch ist unklar, ob es sich um eine gezielte Tötung handelte oder ob die mit der Festnahme beauftragten Soldaten Bin Laden in Notwehr erschossen (s. dazu den Bericht in der FAZ v. 3.5.2011 – ‚War die Kommandoaktion eine „Kill Mission“?‘). Dieser Artikel beleuchtet, unter welchen Voraussetzungen eine Tötung nach deutschem Recht rechtmäßig gewesen wäre.
I. Der Rechtsrahmen: Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG
Die deutschen Grundrechte binden die deutsche Staatsgewalt auch im Ausland (vgl. nur BVerfGE 6, 290, 295; BVerfGE 57, 9, 23; Beck’scherOK-GG/Epping, Art. 87a Rn. 31ff). Die Tötung Bin Ladens durch deutsche Hoheitsträger stellte damit einen Eingriff in das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) dar – anders gilt nur dort, wo die deutschen Soldaten keine deutsche Hoheitsgewalt ausüben, weil sie vollständig in eine internationale Armee intergriert sind (vgl. Beck’scherOK-GG/Epping, Art. 87a Rn. 31.1). Ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann gem. Art. 2 Abs. 2 S. 3 auf Grund eines Gesetzes erfolgen. Ferner ist die Tötung auch an der damit eng verbundenen Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG zu messen. Diese verbietet insbesondere die Objektivierung des Getöten durch die Staatsmacht. Als abwägungsfreier oberster Wert der Verfassung können Eingriffe in diese nicht gerechtfertigt werden. Nicht jede Tötung stellt jedoch auch einen Eingriff in die Menschenwürde dar. Zu den rechtlichen Maßstäben hat sich das BVerfG in der Entscheidung zum Flugsicherheitsgesetz ausführlich geäußert:
„Das durch Artikel 2 II 1 GG gewährleistete Grundrecht auf Leben steht gem. Artikel 2 II 3 GG unter dem Vorbehalt des Gesetzes (vgl. auch o. unter C I). Das einschränkende Gesetz muss aber seinerseits im Lichte dieses Grundrechts und der damit eng verknüpften Menschenwürdegarantie des Artikel 1 I GG gesehen werden. Das menschliche Leben ist die vitale Basis der Menschenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und oberstem Verfassungswert ([Nachweise]). Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde, ohne Rücksicht auf seeine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status ([Nachweise]). Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt ([Nachweise]). Das gilt unabhängig auch von der voraussichtlichen Dauer des individuellen menschlichen Lebens ([Nachweise).
Dem Staat ist es im Hinblick auf dieses Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde einerseits untersagt, durch eigene Maßnahmen unter Verstoß gegen das Verbot der Missachtung der menschlichen Würde in das Grundrecht auf Leben einzugreifen. Andererseits ist er auch gehalten, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht gebietet es dem Staat und seinen Organen, sich schützend und fördernd vor das Leben jedes Einzelnen zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen An- und Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren ([Nachweise]). Ihren Grund hat auch diese Schutzpflicht in Artikel 1 I 2 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet ([Nachweise]).
Was diese Verpflichtung für das staatliche Handeln konkret bedeutet, lässt sich nicht ein für allemal abschließend bestimmen ([Nachweise]). Artikel 1 I GG schützt den einzelnen Menschen nicht nur vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und ähnlichen Handlungen durch Dritte oder durch den Staat selbst ([Nachweise]). Ausgehend von der Vorstellung des Grundgesetzgebers, dass es zum Wesen des Menschen gehört, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich frei zu entfalten, und dass der Einzelne verlangen kann, in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden ([Nachweise]), schließt es die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde vielmehr generell aus, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen ([Nachweise]). Schlechthin verboten ist damit jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt, die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grundsätzlich in Frage stellt ([Nachweise]), indem sie die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins, zukommt ([Nachweise]). Wann eine solche Behandlung vorliegt, ist im Einzelfall mit Blick auf die spezifische Situation zu konkretisieren, in der es zum Konfliktfall kommen kann ([Nachweise]).“ BVerfG NJW 2006, 751 Rn. 199f. (Flugsicherheitsgesetz).
II. Die Tötung als repressive Maßnahme
In jedem Fall unzulässig wäre die Tötung Bin Ladens als repressive, also bestrafende Maßnahme für in der Vergangenheit begangenes Unrecht. Diese stellt einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG dar, für den es keine Rechtsgrundlage gibt. Eine solche kann auch nicht geschaffen werden, denn nach Art. 102 GG ist die Todesstrafe abgeschafft. Eine repressive „Bestrafung“ ist also unzulässig. Deshalb ist es – zumindest aus deutscher Sicht – fragwürdig, dass Präsident Obama davon spricht, dass „Gerechtigkeit geschehen ist“ („Justice has been done.“ – dazu FAZ v. 2.5.2011 – „Amerikas Hoffnung auf die Wende“). Vergeltung für vergangenes Unrecht kann eine Tötung nach deutschem Recht in keinem Fall rechtfertigen.
III. Die Tötung als Kriegshandlung?
Erwägen kann man ferner, dass die Tötung als Kriegshandlung zulässig sein könnte. Insofern besteht jedoch bereits das Problem, eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage zu finden – Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG erfordert, dass ein Eingriff „auf Grund eines Gesetzes“ stattfindet. Der Mandatsbeschluss des Bundestages ist keine Ermächtigungsgrundlage, denn es handelt sich um einen einfachen Beschluss des Bundestages und nicht um ein förmliches Gesetz. Rahmen für den Beschluss ist das Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBetG). Dieses ist zwar ein förmliches Gesetz, enthält aber keine Ermächtigungsgrundlage und genügt auch nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG (dazu näher Beck’scherOK-GG/Epping, Art. 87a Rn. 32.3).
Auch § 7 SoldatenG wird von der ganz h.M. als Ermächtigungsgrundlage für unzureichend bestimmt gehalten (vgl. nur Kutscha, NVwZ 2004, 801, 803f.; Wiefelspütz NZWehrr 2008, 89, 99; Dreier/Heun GG Art 87a Rn 21; Sachs/Kokott GG Art 87a Rn 43). Auch das „Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen“ (UZwGBw) ist nicht einschlägig, da es nach § 1 eben nur für militärische Wach- und Sicherheitsaufgaben gilt (Kutscha NVwZ 2004, 801, 803).
§ 7 SoldatenG: Grundpflicht des Soldaten
Der Soldat hat die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
§ 1 UZwGBw: Berechtigte Personen
(1) Soldaten der Bundeswehr, denen militärische Wach- oder Sicherheitsaufgaben übertragen sind, sind befugt, in rechtmäßiger Erfüllung dieser Aufgaben nach den Vorschriften dieses Gesetzes Personen anzuhalten, zu überprüfen, vorläufig festzunehmen und zu durchsuchen, Sachen sicherzustellen und zu beschlagnahmen und unmittelbaren Zwang gegen Personen und Sachen anzuwenden. […]
Die h.L. hält es jedoch für möglich, als Ermächtigungsgrundlage auf kriegsvölkerrechtliche Bestimmungen zurückzugreifen. Dies wird verschieden begründet. E.A. vertritt, aus einer Gesamtschau der Normen des GG, die Führung eines Verteidigungskrieges voraussetzen (Artikel 12a GG, Artikel 65a GG, Artikel 73 Nr. 1 GG, Artikel 87a und b GG, Artikel 115aff. GG), ergebe sich auch die Befugnis, Tötungshandlungen vorzunehmen, die nicht gegen geltendes Kriegsvölkerrecht verstoßen (so etwa Murswiek, in: Sachs, GG, 3. Aufl. (2003), Art. 2 Rdnr. 172). Letzteres hilft hier freilich nicht weiter, da es wohl nicht um einen Verteidigungskrieg geht, auch wenn insofern Versuche gemacht wurden, den Begriff des Verteidigungskrieges deutlich auszudehnen (dazu Kutscha NVwZ 2004, 801, 803f.). Überzeugender ist vielmehr ein anderer Lösungsansatz: Man kann davon ausgehen, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts entweder als allgemeine Regel des Völkerrechts iSd Art 25 GG Bundesrecht sind oder durch ein entsprechendes Zustimmungsgesetz nach Art 59 Abs 2 S 1 GG in das nationale Recht transformiert wurden. Entsprechend kann man sie auch als Ermächtigungsgrundlage für Tötung heranziehen (etwa Beck’scherOK-GG/Epping, Art. 87a Rn. 32.4; zu alldem ausfürlich Wiefelspütz ZaöRV 2005, 819).
Demnach wäre hier zu untersuchen, ob der Kampf gegen terroristischen Anschläge einen „bewaffneten Konflikt“ im Sinne des humanitären Völkerrechts darstellt. Letzteres ist die Anwendung von Waffengewalt zwischen Staaten oder als ausgedehnte bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen innerhalb eines Staates (vgl. dazu MüKoStG/Zimmermann-Geiß, § 8 Völkerstrafgesetzbuch Rn. 96). Das ist sehr fragwürdig, da die Terroristen kein Staat sind und auch kein Staat (mehr – in Afghanistan zur Zeit der Taliban war dies anders) die Terroristen unterstüzt (vgl. dazu Frowein ZaöRV 2002, 879, 885ff.; Bausback NVwZ 2005, 418, 419). Die bloße Unfähigkeit, sie im eigenen Territorium aufzuspüren, kann nicht genügen, um die Angriffe einem Staat zuzurechnen, zumindest nicht so lange ernsthafte Bemühungen dazu unternommen werden. [Ergänzung dazu: Die Terroristen könnten natürlich auch eine organisierte bewaffnete Gruppe im Sinne der obigen Definition darstellen. Insofern ist jedoch schon fraglich, ob sie ausreichend organisiert sind. In jedem Fall fehlt es bei einzelnen Terrorakten in ganz verschiedenen Weltgegenden an der Gebietsbezogenheit des Konflikts, vgl. Bausback NVwZ 2005, 418, 419] Ferner kann man im Hinblick auf völkerrechtliche Verträge wie den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dessen Art. 6 willkürliche Tötungen verbietet, oder die EMRK selbst, wenn man ein Selbstverteidigungsrecht bejaht, die Zulässigkeit gezielter Tötungen bestreiten (vgl. dazu Bausback NVwZ 2005, 418, 419).
Schlußendlich ist die Tötung von Terroristen auf dem Gebiet eines Drittstaates auch deshalb problematisch, weil das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UN-Charta allenfalls Handlungen auf dem Hoheitsgebiet des unterstützenden Staates, keineswegs aber auf dem Gebiet dritter Staaten rechtfertigen kann (Bausback NVwZ 2005, 418, 419).
Im Ergebnis also wird sich die Tötung von Terroristen wohl schon deshalb nicht als Kriegshandlung rechtfertigen lassen, weil der Kampf gegen Terroristen keinen Krieg im Sinne des humanitären Völkerrechts darstellt. Ferner ist selbst dann die Tötung bestimmter Personen rechtlich fragwürdig, insbesondere wenn es Möglichkeiten gäbe, sie anderweitig, etwa durch Festnahme, auszuschalten.
II. Die Tötung als präventive Maßnahme
Möglich ist jedoch die Tötung des Terroristenführers als präventive Maßnahme – allerdings ist dann Ziel der Maßnahme nicht die Tötung als solche, sondern die Abwehr von Gefahren, die eben die Tötung erfordern. Auch diese stellt einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG dar, dieser kann jedoch unter Umständen innerhalb der Schranken des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG gerechtfertigt werden.
1. Konkrete Gefahr
Als Ermächtigungsgrundlage für die Tötung eines Terroristen kommen beim Bestehen einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben anderer Menschen die Ermächtigungsgrundlagen aus den Polizeigesetzen in Betracht. Ziel der Maßnahme ist dann die Beseitigung der vom Terroristen ausgehenden unmittelbaren Gefahr. Insofern kann auf die Diskussion um den finalen Rettungsschuss verwiesen werden. In Betracht kommen sowohl Fälle des gestrecken wie auch des Sofortvollzuges (vgl. § 6 Abs. 1 bzw. 2 BPolG / 50 Abs. 1 und 2 PolG NRW). Fraglich ist allenfalls, ob ein Rettungsschuss auch dann zulässig ist, wenn dies nicht – wie in einigen Länderpolizeigesetzen, etwa § 63 Abs. 2 S. 2 PolG NRW, Art. 62 PolG Bay – ausdrücklich im Gesetz zugelassen ist.
Vgl. dazu das BVerfG NJW 2006, 751 Rn. 149ff. (Flugsicherheitsgesetz)
„Die Ermächtigung zur unmittelbaren Einwirkung mit Waffengewalt auf ein Luftfahrzeug, in dem sich nur Menschen befinden, die dieses i.S. des § 14 Absatz III LuftSiG missbrauchen wollen, ist schließlich auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Der Abschuss eines solchen Luftfahrzeugs stellt nach dem Ergebnis der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs und dem Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter ([Nachweise]) eine angemessene, den Betroffenen zumutbare Abwehrmaßnahme dar, wenn Gewissheit über die tatbestandlichen Voraussetzungen besteht.
(a) Der Grundrechtseingriff wiegt allerdings schwer, weil der Vollzug der Einsatzmaßnahme nach § 14 Absatz III LuftSiG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Tod der Flugzeuginsassen [Anmerkung: Hier ausschließlich „Täter“] führt. Doch sind es diese in der hier angenommenen Fallkonstellation selbst, die als Täter die Notwendigkeit des staatlichen Eingreifens herbeigeführt haben und dieses Eingreifen jederzeit dadurch wieder abwenden können, dass sie von der Verwirklichung ihres verbrecherischen Plans Abstand nehmen. Diejenigen, die das Luftfahrzeug in ihrer Gewalt haben, sind es, die maßgeblich den Geschehensablauf an Bord, aber auch am Boden bestimmen. Zu ihrer Tötung kann es nur kommen, wenn sicher erkennbar ist, dass sie das von ihnen beherrschte Luftfahrzeug zur Tötung von Menschen einsetzen werden, und wenn sie an diesem Vorhaben festhalten, obwohl ihnen die damit für sie selbst verbundene Lebensgefahr bewusst ist. Das mindert das Gewicht des gegen sie gerichteten Grundrechtseingriffs.
[…] Für die Frage, ob die Vorschrift den Anforderungen auch der verfassungsrechtlichen Angemessenheit genügt, reicht die Feststellung aus, dass Fallkonstellationen denkbar sind, in denen die unmittelbare Einwirkung auf ein nur mit Angreifern auf den Luftverkehr besetztes Luftfahrzeug die Gefahr für das Leben derer abwenden kann, gegen die das Luftfahrzeug als Tatwaffe eingesetzt werden soll, ohne dass durch den Abschuss gleichzeitig in das Leben anderer eingegriffen wird. Das ist, wie schon ausgeführt (vgl. o. unter C II 2b cc bbb [2]), der Fall. § 14 Absatz III LuftSiG ist damit, soweit er die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt auf ein unbemanntes oder nur mit Angreifern besetztes Luftfahrzeug erlaubt, auch verhältnismäßig im engeren Sinne.“
Das BVerfG a.a.O Rn. 141 führte zu der Vereinbarkeit mit der Menschenwürde aus:
„Es entspricht im Gegenteil gerade der Subjektstellung des Angreifers, wenn ihm die Folgen seines selbstbestimmten Verhaltens persönlich zugerechnet werden und er für das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in Verantwortung genommen wird. Er wird daher in seinem Recht auf Achtung der auch ihm eigenen menschlichen Würde nicht beeinträchtigt.“
Im einschlägigen Bundesgesetz (VwVG und UZwG) fehlt eine Regelung des finalen Rettungsschusses. Dort heißt es, Schußwaffen dürften nur gebraucht werden, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen (§ 12 Abs. 1 S. 2 UZwG). Das spricht auf den ersten Blick gegen die Zulässigkeit des finalen Rettungsschusses. Andererseits ist das Ziel ja tatsächlich, angriffsunfähig zu machen; über die Wirkung wird nichts gesagt und sie wird daher auch nicht eingeschränkt (vgl. auch die Ländergesetze, nach denen diese Formel und der finale Rettungsschuß kein Gegenteil ist). Hier kann man so und so argumentieren.
§ 63 PolG NRW: Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
(2) 1Schusswaffen dürfen gegen Personen nur gebraucht werden, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. 2Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist. Argument ist hier, dass die Tötung nicht beabsichtig wird in dem Sinne, dass sie eigentliches Handlungsziel ist. Vielmehr geht es um die Rettung der anderen Menschenleben.
2. Abstrakte Gefahr
Eine abstrakte Gefahr reicht nicht aus, um eine polizeiliche Eingriffsbefugnis zu begründen, da schon keine konkrete Gefahr vorliegt. In solchen Fällen wird dann der Rückgriff auf strafrechtlichen Notwehr und Notstandsvorschriften diskutiert, den die Polizeigesetze offen lassen, vgl. dazu etwa § 10 Abs. 3 UZwG oder § 57 Abs. 2 PolG NRW:
§ 57 PolG NRW: Rechtliche Grundlagen
(1) Ist die Polizei nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften zur Anwendung unmittelbaren Zwanges befugt, gelten für die Art und Weise der Anwendung die §§ 58 bis 66 und, soweit sich aus diesen nichts Abweichendes ergibt, die übrigen Vorschriften dieses Gesetzes.
(2) Die Vorschriften über Notwehr und Notstand bleiben unberührt.
Nach richtiger (und inzwischen wohl herrschender) Ansicht handelt es sich bei den entsprechenden Normen jedoch nicht um taugliche Ermächtigungsgrundlagen für staatliches Handeln, sondern sie betreffen lediglich die persönliche Strafbarkeit des handelnden Beamten (vgl. dazu NK/Paeffgen, StGB, Vor §§ 32ff. Rn. 151, 153).
Ferner werden in conreto ihre Voraussetzungen beim Vorliegen einer bloß abstrakten Gefahr kaum erfüllt sein. Es fehlt in jedem Fall an einem konkreten Angriff nach § 32 Abs. 1 StGB. Diskutieren kann man dagegen das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr nach § 34 S. 1 StGB. Anders als bei § 32 Abs. 1 StGB kommt es für die Gegenwärtigkeit nicht auf den alsbald zu erwartenden Schadenseintritt, sondern auf die Notwendigkeit sofortigen Handelns zur Abwehr der Gefahr an (vgl. nur NK/Neumann, StGB, § 34 Rn. 56f.). Diese kann gegeben sein, wenn der Terrorist nur zu einem bestimmten Zeitpunkt abgefangen werden kann, ansonsten die Verwirklichung eines Anschlags nicht mehr verhindert werden kann. Solche Fälle werden jedoch selten sein. Ferner kann dies nur in wenigen Fällen die unmittelbare Tötung rechtfertigen, da nach § 32 S. 1 StGB mildere Mittel wie die vorherige Festnahme zu ergreifen wären.
[Ergänzung: Selbst dann ist die Abwägung „Leben gegen Leben“ höchst problematisch.]
III. Tötung im Rahmen der Selbverteidigung bei der Festnahme
Zulässig ist jedoch, den Terroristen im Rahmen des Notwehrrechts bei der Festnahme zu töten, soweit dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist dann aber keine staatliche Maßnahme mehr, sondern eine Selbstverteidigungshandlung des angegegriffenen Vollzugsbeamten. Schießt der Terrorist auf die sich näherenden Polizisten, handelt es sich um einen gegenwärtigen Angriff auf deren Leben. Der Angriff ist auch rechtswidrig, da zumindest die mit der Vollstreckung konkludent ausgesprochene Duldungsverfügung nach h.M. rechtmäßig ist. [Ergänzung: Hier kann man noch etwas nachlegen. Grundlage für die Festnahme wäre ein Haftbefehl nach § 114 StPO. Ein vorliegender Haftbefehl wird von der Staatsanwaltschaft (vgl. § 36 Abs. 2 S. 1 StPO) vollstreckt, die sich dazu ihrer Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) bedient. Für die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Ergreifung gilt dann das PolG (vgl. § 57 Abs. 1 PolG NW). Selbst wenn man übrigens dazu kommen sollte, dass der Haftbefehl hier rechtswidrig war, kann man darüber diskutieren, welcher „Rechtswidrigkeitsbegriff“ – strafrechtlich oder strafprozessual hier gilt. Sehr umfangreich dazu MüKoStGB/Erb, § 32 Rn. 66ff.)]
IV. Ergebnis
Im Ergebnis ist somit eine gezielte Tötung von Terroristen nach deutschem Recht nur zur Abweher einer konkreten, nicht anders abwehrbaren Gefahr möglich. Daneben ist eine Tötung als Selbstverteidigungshandlung von Vollzugsbeamten, die mit der Festnahme beauftragt waren, zulässig. Insofern handelt es sich aber nicht mehr um eine „staatliche“ Tötung, sondern lediglich um die private Selbstverteidigung der Betroffenen.
http://www.ejiltalk.org/was-the-killing-of-osama-bin-laden-lawful/
Möge Obama die gleiche faire Justiz zuteil werden, die er Osama hat angedeihen lassen!
Na, wenn das nichts für die mündlche Prüfung ist!
Vergleichend hierzu auch die LTO:
http://goo.gl/Kkp2x
Bin mit den völkerrechtlichen Ausführungen nicht ganz einverstanden, obwohl vielleicht für das Exam zu speziell. Grds. ist die Tötung eines Terroristenführers ein Beispiel der „targeted killings“, welche in der völkerrechtlichen Literatur kontrovers diskutiert und nicht strikt abgelehnt werden.
In Betracht kommt ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt zwischen einem Staat und einer „organisierten bewaffneten Gruppe“. Es stellt sich dann u.a. die Frage, ob die terroristische Organisation in diesem Sinne einen hinreichenden Organisationsgrad und unmittelbaren Bezug zu Kampfhandlungen aufweist, und weitergehend, ob Terroristen, die nicht unmittelbar an Kampfhandlungen im Moment des staatlichen Angriffes beteiligt sind, als Zivilisten oder analog zu staatlichen Soldaten einzuordnen sind (sehr strittig, siehe auch ICRC Interpretative Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities).
Käme man zu einer Zulässigkeit nach humanitärem Völkerrecht, ist zudem an eine Auslegung der Menschenrechtspakte im Lichte des humanitären Völkerrechts als leges speciales zu denken (siehe IGH Nuclear Weapons Advisory Opinion).
Diese Wertung ist unabhängig von einem möglichen Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 VN-Charta, welche als Frage des ius ad bellum strikt von der Frage des ius in bello, also dem humanitären Völkerrecht, zu trennen ist. Im ius ad bellum kommt zudem eine Einwilligung des betreffenden Staates in Betracht.
Im Übrigen: Toller, sehr einleuchtenden Artikel mit Einbettung in das deutsche Recht!
noch ein paar ergänzende Einschätzungen zur völkerrechtlichen Lage:
http://invisiblecollege.weblog.leidenuniv.nl/2011/05/04/the-astonishing-defense-of-ben-laden-s-d
http://opiniojuris.org/2011/05/04/quick-thoughts-on-ubls-killing-and-a-response-to-lewis/?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+opiniojurisfeed+%28Opinio+Juris%29
Hi Patrick,
Du hast Recht, das Selbstverteidigungsrecht ist von der Frage der Beurteilung nach humanitärem Völkerrecht zu trennen. Ich habe versucht, das deutlich(er) zu machen.
Zur Auslegung der Menschenrechtspakte an Hand des humanitären Völkerrechts: Guter Aspekt.
Zur EMRK: Sie regelt selbst ihre Geltung im Kriegsfall und damit auch ihr Verhältnis zum jus in bello:
Artikel 15 – Abweichen im Notstandsfall*
1. Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht, so kann jede Hohe Vertragspartei Maßnahmen treffen, die von den in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, jedoch nur, soweit es die Lage unbedingt erfordert und wenn die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen.
2. Aufgrund des Absatzes 1 darf von Artikel 2 nur bei Todesfällen infolge rechtmäßiger Kriegshandlungen und von Artikel 3, Artikel 4 (Absatz 1) und Artikel 7 in keinem Fall abgewichen werden.
3. Jede Hohe Vertragspartei, die dieses Recht auf Abweichung ausübt, unterrichtet den Generalsekretär des Europarats umfassend über die getroffenen Maßnahmen und deren Gründe. Sie unterrichtet den Generalsekretär des Europarats auch über den Zeitpunkt, zu dem diese Maßnahmen außer Kraft getreten sind und die Konvention wieder volle Anwendung findet.
Demnach kann man davon ausgehen, dass sich die Tötung von Menschen in Folge rechtmäßiger Kriegshandlungen nach humanitärem Völkerrecht richtet, dieses also spezieller ist.
Umfangreich dazu Krieger ZaöRV 2002, 669, 690ff.
Hi Johannes,
klasse, dass Kommentare Einfluss in die Ausarbeitung finden. 🙂
Über das Verhältnis von EMRK und ius in bello wusste ich bisher nichts, sehr interessanter Hinweis!
Mir gefällt jetzt der ius in bello Abschnitt sehr gut. Ich bin hier mit Dir einer Ansicht. Das Erfordernis der Gebietsbezogenheit kenne ich auch, allerdings habe ich da immer etwas Bauchschmerzen, da sich eine bewaffnete Organisation so dem Zugriff des ius in bello entziehen kann bzw. dann die Regelungen des ius in bello den „neuen“ terroristischen Methoden mit weltweiter Vernetzung nicht mehr gerecht würden. Ich würde für mich eher versuchen, den Fall Bin Laden darüber zu lösen, dass nicht nachgewiesen werden kann, dass er noch unmittelbar (!) an einem laufenden Konflikt mit den USA als Befehlshaber beteiligt war, bzw. dass er nach (klassischem) humanitären Völkerrecht als Zivilist zu bewerten ist, der nur angegriffen werden kann, wenn er direkt an Kampfhandlungen teilnimmt (direct participation in hostilities).
Versteh das aber bitte als Diskussionsbeitrag, und nicht als Verbesserungsvorschlag. 🙂 Ich finde die gesamte Diskussion völkerrechtlich und menschenrechtlich sehr schwierig und zugleich interessant.
Schabas hat auch gebloggt:
http://humanrightsdoctorate.blogspot.com/2011/05/murder-in-pakistan.html
vgl. auch
http://afpak.foreignpolicy.com/posts/2011/05/04/the_bin_laden_aftermath_abbottabad_and_international_law
Sehr schön. Ich bin selbst kein Experte für das Völkerrecht, daher bin ich für alle Hinweise dazu dankbar.
Für das Examen wird es allerdings eher auf das deutsche Recht ankommen – deshalb habe ich versucht, die Ausführungen dazu kurz zu halten.
Noch mal mit der (völkerrechtlichen) Zulässigkeit der Tötung Bin-Ladens befasst sich der Beck-aktuell „War die Tötung Bin Ladens rechtmäßig?“ becklink 1012768 (Adresse http://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata/reddok/becklink/1012768.htm).
Das PolG als EGL für Handeln der Polizei im Ausland heranzuziehen erscheint mir ebenfalls nicht unproblematisch. Angesichts des völkerrechtlichen Souveränitätsschutzes, der die Vornahme von Hoheitsakten im Ausland grundsätzlich verbietet dürfte die Auslegung des gesetzlichen Geltungsbereiches an Grenzen stoßen. Es handelt sich hierbei um eine Frage des Internationalen Öffentlichen Rechts.