Haftung für (grenzüberschreitende) Schäden durch Kernenergie
Aus aktuellem Anlass wirft dieser Artikel einen kurzen Blick auf die allgemeine Haftung für Schäden aus Kernenergie und untersucht insbesondere die Haftung für grenzüberschreitende Schäden.
I. Internationaler Rahmen
1. Völkervertragsrecht
Atomare Großunfälle bleiben meist nicht auf ein Land begrenzt. Daher hat man mit dem Pariser Atomhaftungs-Übereinkommen und der Wiener Konvention über die zivilrechtliche Haftung für nukleare Unfälle schon früh einen internationalen Rechtsrahmen geschaffen, der im Falle grenzüberschreitender Schädigungen die Fragen internationaler Haftung regeln sollte. Deutschland hat nur das Pariser Übereinkommen ratifiziert, über das gemeinsame, auch von Deutschland ratifizierte Protokoll vom Gemeinsame Protokoll zur Anwendung des Wiener und Pariser Abkommens vom 21. 9. 88, das mit Gesetz vom 5. 3. 2001 in Deutschland ratifiziert wurde (BGBl. II S. 202), werden jedoch die Mitglieder des einen Vertragssystems haftungsrechtlich so gestellt, als gehörten sie auch dem anderen an. Das bedeutet, dass Inhaber von Kernanlagen in Parisstaaten auch für Schäden, die sie in Wienstaaten bewirken, nach dem Pariser Übereinkommen haften; umgekehrt gilt Entsprechendes (Geigel/Freymann, Haftpflichtprozess, 25. Auflage 2008, 23. Kapitel Rn. 3).
Dieses Übereinkommen wurde durch Zusatzprotokolle erweitert, eine konsolidierte Fassung findet sich etwa bei beck-online unter dem Suchwort „ParAtHaftÜbk“; die einzelnen Abkommen, Protokolle und Konventionen finden sich auch hier.
Nach Art. 3 lit. a des Pariser Übereinkommens haftet der Inhaber einer Kernanlage unmittelbar sowohl für Personen- wie auch für Sachschäden (ausgenommen sind insofern jedoch Schäden an Kernanlagen und Vermögenswerte, die auf dem Geländer der Kernanlage im Zusammenhang mit dieser verwandt werden, wenn bewiesen wird, daß die Schäden durch ein nukleares Ereignis verursacht worden sind, das in der Kernanlage eingetreten oder auf aus der Kernanlage stammenden Kernmaterialien zurückzuführen ist. Dieser Anspruch besteht nicht nur völkerrechtlich, sondern kann – nach Ratifizierung – von einzelnen Bürgern der Unterzeichnerstaaten geltend gemacht werden. Besondere Regelungen enthält Art. 4 des Übereinkommens für den Transport von Kernmaterialien. Diese Haftung ist allerdings der Höhe nach begrenzt auf 15 000 000 Sonderziehungsrechte des internationalen Währungsfonds, das entspricht etwa 23.550.000 US $ = ca. 16.856.336 €, wobei die Unterzeichnerstaaten höhere oder niedrigere Höchstgrenzen festlegen können; die Haftung muss jedoch mindestens 5 000 000 Sonderziehungsrechte betragen. Die Brüsseler Zusatzkonvention vom 31.1.1963 erhöht diese Begrenzungen für ihre Unterzeichner erheblich.
Allerdings ist die Haftung für höhere Gewalt deutlich eingeschränkt:
Artikel 9
Der Inhaber einer Kernanlage haftet nicht für einen durch ein nukleares Ereignis verursachten Schaden, wenn dieses Ereignis unmittelbar auf Handlungen eines bewaffneten Konfliktes, von Feindseligkeiten, eines Bürgerkrieges, eines Aufstandes oder, soweit nicht die Gesetzgebung der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet seine Kernanlage gelegen ist, Gegenteiliges bestimmt, auf eine schwere Naturkatastrophe außergewöhnlicher Art zurückzuführen ist.
Das Erdbeben in Japan fällt als das stärkste seit langer Zeit vermutlich unter diese Ausschlußklausel. Letztlich muss dies aber nicht geklärt werden: Im Hinblick auf Japan sind die völkerrechtlichen Verträge nicht anwendbar, da Japan ihnen nicht beigetreten ist (s. dazu den Bericht der NEA mit einem Überblick der internationalen Haftung für zahlreiche Länder).
2. Völkergewohnheitsrecht
Möglich bleibt jedoch eine Haftung aus völkerrechtlichem Delikt. Es besteht weitgehende Einigkeit, dass Staaten die Kernenergie friedlich nutzen dürfen (Kühne, NJW 1986, 2139, 2145f. m.w.N.). Einschränkungen werden allerdings für Errichtung und Betrieb grenznaher Kernkraftwerke besonders aus den Grundsätzen des völkerrechtlichen Nachbarrechts hergeleitet. Insbesondere folgen aus dem völkernachbarrechtlichen Schädigungsverbot Verhaltens- und Rücksichtnahmepflichten des Betreiberstaates, z. B. Beachtung international anerkannter und angewandter Sicherheitsstandards, Informations- und Konsultationspflichten (AG Bonn, NJW 1988, 1393, 1394; Kühne, NJW 1986, 2139, 2145f. m.w.N.). Werden diese nicht eingehalten, so haftet das eine Völkerrechtssubjekt dem anderen. Ein Anspruch der Bürger folgt dagegen daraus nicht (AG Bonn, NJW 1988, 1393, 1394; bestätigt von LG Bonn, NJW 1989, 1225).
Eine allgemeine Gefährdungshaftung der Staaten untereinander ist wohl (noch) nicht als Völkergewohnheitsrecht anerkannt (vgl. Kühne, NJW 1986, 2139, 2145f.).
II. Nationales Recht
1. Allgemein: Gefährdungshaftung, § 25 Abs. 1 AtG
Nach § 25 Abs. 1 AtG i.V.m. Art. 3 des Pariser Übereinkommens haftete der Inhaber einer Kernanlage grundsätzlich für alle Schäden, die auf einem von einer Kernanlage ausgehenden, nuklearen Ereignis beruhen (s. auch Geigel/Freymann, Haftpflichtprozess, 25. Auflage 2008, 23. Kapitel Rn. 5). Es handelt sich insofern um eine Gefährdungshaftung unter Beachtung von Mitverschulden des Geschädigten (§ 27 AtG). Diese Norm findet auch dann Anwendung, wenn sich die Kernanlage in einem Land befindet, das nicht Unterzeichner des Pariser Übereinkommens ist, § 25 Abs. 4 AtG. Das deutsche Recht übertragt die Haftungsnormen des Pariser Übereinkommens auch auf Inhaber von Kernanlagen aus Nichtunterzeichnerstaaten. Dies ist IPR-rechtlich zulässig, denn im Falle in einer deliktischen Schädigung kann sich der Schadensersatz nach dem Ort der Verletzunghandlung oder des Erfolgseintritts richten (vgl. Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB und AG Bonn, NJW 1988, 1393, 1394). Haftungshöchstgrenzen kennt das deutsche Recht grundsätzlich nicht, § 31 Abs. 1 AtG, ebenso wenig wie den Auschluss höherer Gewalt nach Art. 9 des Übereinkommens, § 25 Abs. 3 S. 1 AtG.
Sollten also durch die japanische Nuklearkatastrophe Schäden in Deutschland entstehen, haftet der Inhaber der Nuklearanlage (Tepco) nach § 25 Abs. 1 AtG höhenmäßig unbegrenzt für sämtliche Schäden.
2. Ausgleichsansprüche für grenzüberschreitende Schäden, § 38 AtG
Bei grenzüberschreitenden Schädigungen gewährt der Bund ferner in bestimmten Fällen einen Ausgleich für Schäden aus einem nuklearen Ereignis. § 38 Abs. 1 AtG regelt Fälle, in denen zwar das Übereinkommen anwendbar ist, aber ein Anspruch wegen der Ausschlüsse des Abkommens nicht besteht (Pelzer, NJW 1986, 1664, 1665). Im Hinblick auf Schäden aus Japan ist diese Norm nicht einschlägig, da Japan Nichtvertragsstaat ist. § 38 Abs. 2 AtG regelt dagegen Fällen, in denen entweder die Abkommen anwendbar sind, aber der Entschädigungsbetrag nicht ausreicht oder aber es überhaupt keine Regelung im Recht des anderen Staates gibt – etwa weil er Nichtvertragsstaat ist (Pelzer, NJW 1986, 1664, 1665). Höchstgrenze dieses Ausgleichsanspruchs sind 2,5 Mrd. Euro (§§ 38 Abs. 1 i.V.m. 34 Abs. 1 S. 2 AtG).
Im Falle einer Schädigung durch japanische Kernanlagen wäre § 38 Abs. 2 AtG anwendbar, da ein direkter Anspruch nach dem internationalen Übereinkommen gegen den japanischen Betreiber nicht besteht. Der dennoch anzuwendende § 25 Abs. 1 AtG gestaltet die Haftung nur entsprechend dem Übereinkommen aus, hat jedoch außerhalb des Anwendungsbereichs des Übereinkommens einen anderen Geltungsgrund, nämlich das nationale deutsche Recht. Allerdings muss, da das Gesetz verlangt, dass ein Ausgleich „nicht oder nicht im ausreichenden Maße“ erlangt werden kann, zunächst versucht werden, Ersatz von dem Inhaber der Anlage zu verlangen (Pelzer, NJW 1986, 1664, 1666).
3. Sonstige Anspruchgsgrundlagen
Daneben sind die allgemeinen Haftungsgrundlagen wie §§ 823 Abs. 1 und 2 anwendbar (Geigel/Freymann, Haftpflichtprozess, 25. Auflage 2008, 23. Kapitel Rn. 3). Bei grenzüberschreitenden Schäden bestimmt sich ihre Anwendung allerdings nach den Grundsätzen des IPR. § 823 Abs. 1 BGB ist demnach grundsätzlich anwendbar (Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB), allerdings ist Schädiger insofern die Betreibergesellschaft, nicht der japanische Staat (vgl. AG Bonn, NJW 1988, 1393, 1395).
4. Probleme der Schadensberechnung
Schwierigkeiten bereitet in jedem Fall die Feststellung des Schadens. Bei der Verseuchung von Boden und akuter Strahlenkrankheit ist dies vergleichweise einfach. Die Kausalität von Krebserkrankungen Jahre nach dem Unfall sind dagegen nur schwer nachzuweisen.
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