"Gebotenheit" des Notwehrrechts: Kirschbaumfall reloaded
Die Süddeutsche Zeitung berichtet über einen Fall, der sehr gut in einer mündlichen Prüfung im Strafrecht abgefragt werden kann: Einige Kinder aßen Pflaumen aus dem Pflaumenbaum eines Rentners. Nachdem die Kinder dies auf das Verlangen des Rentners nicht unterlassen hatten, schoss er mit einem Luftgewehr auf die Pänz und traf einen elfjährigen Jungen am Handgelenk. Dieser musste im Krankenhaus behandelt werden.
Auf den Kommentar von „Jurist“ hin am 12.8.2013 berichtigt:
Der Fall erinnert stark an den „Kirschbaumfall“ (RG, Urt v. 20.9.1920 – I 384/20, RGSt 55, 82). In diesem Fall hatte der Eigentümer eines Kirschbaums auf einen (fliehenden) Kirschendieb geschossen und diesen verletzt. Das Gericht gelangte zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Notwehr vorlagen, obwohl zwischen geschütztem Rechtsgut (Eigentum an den Kirschen) und dem eingeschränkten Rechtsgut (Leib/Leben des Diebs) ein erhebliches „Gefälle“ bestand. Dem in Notwehr Handelnden sei nicht zuzumuten, im Moment der Notwehr eine Abwägung der Rechtsgüter vorzunehmen.
Der BGH wertet heute anders. Er erkennt grundsätzlich an, dass in „Bagatellfällen“ eine Einschränkung des Notwehrrechts in Betracht kommt (BGH, Urt. v. 12. 2. 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1957):
Die Auffassung des LG, die Tötung Ms sei „völlig unverhältnismäßig” gewesen, vermag der Senat nicht zu teilen. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt… Ein Fall des Missbrauchs des Notwehrrechts wegen geringen Gewichts des angegriffenen Rechtsguts stand hier nicht in Rede (sog. Bagatellfälle; vgl. BGH bei Holtz, MDR 1979, 985; Tröndle/Fischer, § 32 Rdnr. 20 m.w. Nachw.). Es ging bei dem Angriff Ms nicht lediglich um eine etwaige Sachbeschädigung der CD-Sammlung des Angekl., sondern um die Erpressung eines Bargeldbetrags in Höhe von 5.000 DM. Bei solcher Ausgangslage gilt der Grundsatz, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht.
Mit der „Gebotenheit“ bei der Notwehr haben wir uns ausführlich in diesem Beitrag befasst.
Werter Kollege,
Ihre Besprechung des ursprünglichen „Obstdiebstahlsfalls“ ist falsch.
Zunächst hatte der Bestohlene die Diebe lediglich mit einer Schusswaffe verletzt, einen Tötungsvorsatz hatte das Tatgericht verneint.
Weiterhin hatte das Reichsgericht die Gebotenheit der Verteidigung gerade bejaht. Aufgrund des Rechtsbewahrungsprinzips seien auch dann Angriffe auf Leib oder Leben gerechtfertigt, wenn die Verteidigung dem Schutze geringwertiger Güter diene. Die gegenteilige Ansicht der Revision wurde verworfen.
Die Entscheidung kann hier nachgelesen werden: https://marxen.rewi.hu-berlin.de/doc/seminar_sose_2011/Entscheidung_2011_05_04.pdf
Danke für den Hinweis, der Artikel wurde entsprechend berichtigt.
Die „Pänz* finden sich i.Ü. auch in keinem Duden!! 😉
https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A4nz