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Schlagwortarchiv für: Notwehr

Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zur Erforderlichkeit der Notwehrhandlung

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Mit Beschluss vom 17.04.2019 (Az.: 2 StR 363/18) hat der BGH die Anforderungen an die Erforderlichkeit der Notwehrhandlung i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB präzisiert. Konkret widmete er sich der Frage, ob der sofortige Einsatz eines Messers gegenüber dem Angreifer durch Notwehr gerechtfertigt sein kann oder ob die vorherige Androhung des Gebrauchs als milderes Mittel vorrangig zu wählen ist. Anders als die Vorinstanz ging der BGH davon aus, dass im konkreten Fall gemessen an den Besonderheiten der Kampflage der sofortige Messereinsatz ohne vorherige Androhung gegenüber dem unbewaffneten Angreifer erforderlich sein kann. Die Entscheidung soll zum Anlass genommen werden, um sich mit den Voraussetzungen der Notwehr mit besonderer Fokussierung auf das Merkmal der Erforderlichkeit eingehender auseinanderzusetzen. Eine sichere Kenntnis der Notwehrvoraussetzungen ist insbesondere für ein gutes Abschneiden in Strafrecht AT-Klausuren oder der Übung im Strafrecht unentbehrlich. Ein Blick in die Entscheidung lohnt aber nicht nur für die unteren Semester: Auch in Examensklausuren oder mündlichen Prüfungen eignet sich ein Abstecher in die Rechtfertigungsgründe hervorragend, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen. 
 
I. Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt):
Was war passiert? W war Wirt in einer Gaststätte und hatte dem C dort Hausverbot erteilt, nachdem dieser die Frau F des W respektlos behandelt hatte. Zudem war der Verdacht aufgekommen, C würde in der Gaststätte mit Drogen handeln. Gleichwohl suchte C die Gaststätte erneut auf. Dies bemerkte die verärgerte F und forderte den W auf, das Lokalverbot durchzusetzen. Zudem fiel auf, dass der C mehrfach in kurzen Abständen die Toilette aufsuchte, sodass F und W vermuteten, dass C dort abermals Drogengeschäfte abwickelte. Daraufhin begab sich W zur Toilette und forderte C auf, die Gaststätte umgehend zu verlassen. Nachdem dieser der Aufforderung nicht nachkam und ausfällig wurde, kündigte W an, die Polizei zu verständigen und ergriff das hinter der Theke im Gastraum befindliche Telefon. C folgte ihm und schlug ihm das Telefon aus der Hand. Im folgenden Verlauf kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung und anschließendem Gerangel, zu dessen Beginn C den W mit der Faust – wenngleich nicht mit voller Wucht – schlug. Die F holte einen Billardstock hervor und hielt ihn drohend in die Höhe, ohne aber einzugreifen. Weitere in der Gaststätte befindliche Personen versuchten, den C zu beruhigen, wohingegen W zunehmend über das Verhalten des C in Wut geriet und sich zudem um das körperliche Wohl der F sorgte. Im Zuge der nun „längstens seit wenigen Minuten andauernden Auseinandersetzung“ ergriff W schließlich für den C unbemerkt ein 26 cm langes Bowiemesser mit einer ca. 16 cm langen und ca. 2,7 cm breiten Klinge. Während C den W weiterhin durch Schubsen und einfaches Schlagen bedrängte, war dem W bewusst, dass der C unbewaffnet war und die von ihm vereinzelt verabreichten Schläge mit allenfalls mittlerer Intensität geführt wurden. Es bestand zu diesem Zeitpunkt weder für den W noch für F Lebensgefahr. Der W wusste überdies, dass C das Messer nicht bemerkt hatte, und dass sich dieser aller Voraussicht nach zurückgezogen hätte, wenn ihm seine zwischenzeitliche Bewaffnung zur Kenntnis gelangt wäre. Auch ging er nicht davon aus, dass seine Möglichkeiten zur Beendigung der körperlichen Attacken beeinträchtigt würden, wenn er dem C zuvor das Messer zeigte. W war aber zwischenzeitlich so in Wut geraten, dass er gleichwohl zum unmittelbaren Messereinsatz entschlossen war. Ohne weitere Ankündigung führte er mehrere schnelle, tangentiale Stichbewegungen in Richtung des Oberkörpers des C aus, um weitere Einwirkungen von ihm abzuwenden. C erlitt Stichverletzungen, die allerdings nicht lebensbedrohlich waren und ließ endgültig von W ab.
 
Strafbarkeit des W?
 
II. Rechtserwägungen
Den Kernpunkt der Entscheidung bildet die Frage, ob die tatbestandlich offensichtlich vorliegende gefährliche Körperverletzung im Wege der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt ist. Gemäß § 32 Abs. 2 StGB handelt es sich bei Notwehr um die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
 
1. Notwehrlage: Gegenwärtiger rechtswidriger Angriff
Vorliegen muss hierfür zunächst eine Notwehrlage, die als gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut zu definieren ist. Ein Angriff ist „die von einem Menschen drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen“ (BeckOK StGB/Momsen/Savic, 42. Ed. 1.5.2019, StGB § 32 Rn. 17). Das Bedrängen des W durch Schubsen und die leichten Schläge drohten ihn in seiner körperlichen Unversehrtheit zu verletzen, sodass ein Angriff seitens des C evident zu bejahen ist. Der Angriff müsste aber auch gegenwärtig gewesen sein. Dies ist der Fall, wenn eine Rechtsgutsverletzung unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert. Unmittelbar bevorstehend ist nach ständiger Rechtsprechung ein Verhalten, „das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde“ (vgl. beispielhaft BGH, Beschl. v. 1.2.2017 – 4 StR 635/16, BeckRS 2017, 102724, Rn. 7; BGH, Urt. v. 24.11.2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38, 39 m.w.N.). Hat bereits eine Verletzungshandlung durch den Angreifer stattgefunden, so dauert der Angriff so lange fort, wie eine Wiederholung und damit ein erneutes Umschlagen in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Verletzung durch eine erneute Handlung vertieft werden könnte (BeckOK StGB/Momsen/Savic, 42. Ed. 1.5.2019, StGB § 32 Rn. 21). Maßgeblich ist dabei die objektive Sachlage, subjektive Befürchtungen des Angegriffenen sind ohne Belang (BGH, Urt. v. 24.11.2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38). Im vorliegenden Fall war dem Geschehen bereits eine verbale und körperliche Auseinandersetzung vorangegangen. Zudem bedrängte der C den W zum maßgeblichen Zeitpunkt immer noch durch Schubsen und leichte Schläge, sodass festzustellen ist, dass der Angriff noch fortdauerte. Mithin handelte es sich auch um einen gegenwärtigen Angriff. Der Angriff stand auch – da der C seinerseits nicht gerechtfertigt handelte – im Widerspruch zur Rechtsordnung, er war mithin rechtswidrig. Eine Notwehrlage lag damit vor.
 
Anmerkung: Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Notwehrlage erfolgt hier aus didaktischen Gründen und sollte selbstverständlich in einem Fall, in dem eine Notwehrlage offensichtlich gegeben ist, aus Gründen der Schwerpunktsetzung kürzer ausfallen.
 
2. Notwehrhandlung
Ferner müsste es sich bei dem sofortigen Messereinsatz um eine erforderliche und gebotene Notwehrhandlung gehandelt haben.
 
a) Erforderlichkeit
Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist erforderlich, wenn sie nach objektiver ex-ante-Sicht zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs führt und sie das mildeste Abwehrmittel darstellt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (s. hierzu auch BGH, Beschl. v. 22.6.2016 – 5 StR 138/16, NStZ 2016, 593, 594). Die Notwehrhandlung müsste damit zunächst überhaupt zur sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs geeignet gewesen sein. Hierbei ist ausreichend, dass der Angriff durch die Handlung abgeschwächt wird. Im konkreten Fall beseitigte der Messereinsatz den Angriff sogar; der C ließ von W ab.
Fraglich ist indes, ob es sich hierbei auch um das mildeste Mittel handelte, das dem W in der konkreten Situation zur Abwehr des Angriffs zur Verfügung stand. Es handelt sich bei einer spezifischen Verteidigungshandlung dann um das relativ mildeste Mittel, wenn unter mehreren bereitstehenden Mitteln dasjenige eingesetzt wird, das sich für den Angreifer am wenigsten gefährlich darstellt. So ist beispielsweise ein Schuss auf die Beine grundsätzlich einem Schuss in die Brust vorzuziehen, gleiches gilt für einen Schlag mit einer Pistole anstelle eines Schusses (BeckOK StGB/Momsen/Savic, 42. Ed. 1.5.2019, StGB § 32 Rn. 30). Auch ein Messereinsatz ist in der Regel – vor allem gegenüber einem unbewaffneten Angreifer – vorher anzudrohen. Dabei gilt indes – insbesondere angesichts des Schutzzwecks der Notwehr, auch die Rechtsordnung zu verteidigen: Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen. Konkret heißt das, dass der Täter zwar das mildeste Mittel wählen muss, allerdings werden in die Auswahl nur diejenigen Mittel einbezogen, die auch geeignet sind, den Angriff sofort und endgültig abzuwehren. Sofern weniger gefährliche Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen, muss der Angegriffene nur dann darauf zurückgreifen, „wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann“ (BGH, Beschl. v. v. 22.6.2016 – 5 StR 138/16, NStZ-RR 2016, 271). Dies hat der BGH in seinem Beschluss noch einmal bezogen auf den sofortigen Messereinsatz ausdrücklich festgestellt:

„Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein, ohne dass zunächst aufgrund der konkreten Gefährdungslage der Einsatz eines Messers angedroht werden muss, was bei einem unbewaffneten Angreifer in der Regel jedoch der Fall ist, wenn es hinreichenden Erfolg verspricht.“ (Rn. 10)

Ob also der Einsatz zuvor angedroht werden muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Nach diesen Maßstäben hatte die Vorinstanz die Erforderlichkeit unter anderem mit dem Argument verneint, eine Androhung wäre ebenso gut geeignet gewesen, die Einwirkungen sofort zu beenden, denn C sei unbewaffnet und die Intensität des Angriffs nicht hochgradig gewesen. Überdies habe der C nicht bemerkt, dass W das Messer ergriffen habe, sodass er auf die veränderte Kampflage nicht habe reagieren können. Dem ist der BGH entschieden entgegengetreten:

„Es bleibt an dieser Stelle von der Strafkammer unberücksichtigt, dass sich der Angeklagte einem seit einigen Minuten dauernden Angriff durch den Nebenkläger ausgesetzt sah, der immer wieder von Schlägen begleitet wurde. Dass dieser Angriff nur von einem Gegner geführt wurde, nicht auf das Leben des Angeklagten, sondern „nur“ auf seinen Leib und seine körperliche Unversehrtheit zielte und die Intensität des Angriffs nicht „hochgradig“ war, ändert nichts am Vorliegen einer objektiven Notwehrlage, die den Angeklagten grundsätzlich berechtigte, zur Beendigung dieses Angriffs ein sofort wirksames Mittel einzusetzen.“ (Rn. 13)

Überdies sei die Androhung des Messereinsatzes auch nicht ebenso gut geeignet gewesen, den Angriff sofort und endgültig zu beenden:

„Dass diese Auseinandersetzung sich vor den Augen zahlreicher anderer Gäste zutrug und zudem zwei davon dabei waren, den Nebenkläger zu beschwichtigen und aus dem Thekenbereich zu ziehen, ist – entgegen der Ansicht des Landgerichts – kein Umstand, der in der konkreten Situation dafür sprach, die Androhung des Messereinsatzes wäre genau so erfolgversprechend gewesen. Dies schon deshalb, weil der einige Zeit andauernde Angriff trotz des Eingreifens von zwei Personen, die den Nebenkläger erkennbar erfolglos zu beschwichtigen versuchten, nicht beendet werden konnte. (…) In dieser Situation erweist sich mit Blick auf die Angriffslage und die geringe Kalkulierbarkeit eines Fehlschlagrisikos die Entscheidung des Angeklagten für den Messereinsatz und gegen eine vorherige Androhung als rechtlich unbedenklich. Soweit die Strafkammer insoweit anführt, dem Angeklagten hätten keine Anhaltspunkte für eine Eskalation der Situation vorgelegen, stellt dies kein tragfähiges Argument gegen einen ohne vorherige Androhung erfolgten, unmittelbaren Messereinsatz dar. Denn es geht bei der Entscheidung für ein erforderliches Abwehrmittel im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB nicht darum, ob durch die Androhung des Messereinsatzes eine weitere Eskalation der Situation heraufbeschworen wird; maßgeblich ist vielmehr die Frage, ob es in der zugespitzten Angriffssituation gewährleistet ist, dass der Angriff endgültig beendet wird.“ (Rn. 14 f.)

Auf dieser Grundlage kann sich also auch der sofortige Messereinsatz gegenüber dem unbewaffneten Angreifer als erforderlich darstellen, wenn in der konkreten Kampfsituation die vorherige Androhung nicht gewährleisten kann, dass der Angriff sofort und endgültig beendet wird. Daher ist im konkreten Fall davon auszugehen, dass die Notwehrhandlung des W erforderlich war.
 
b) Gebotenheit
Des Weiteren müsste die Notwehrhandlung auch geboten gewesen sein. In der Regel wird dies angenommen, wenn sie erforderlich ist. Lediglich in Ausnahmefällen kann die Gebotenheit zu verneinen sein, und zwar dann, wenn unter sozialethischen Gesichtspunkten dem Angegriffenen dennoch ein Notwehrrecht verwehrt werden muss. Von den diesbezüglich anerkannten Fallgruppen (s. hierzu ausführlich Schönke/Schröder/Perron/Einsele, StGB, 30. Aufl. 2019, § 32 Rn. 43 ff.) ist hier aber keine einschlägig. Mithin war der Messereinsatz auch die gebotene Verteidigung.
 
3. Verteidigungswillen
Schließlich wird – als subjektives Rechtfertigungselement – von der h.M. vorausgesetzt, dass der W mit Verteidigungswillen gehandelt hat. Er muss mithin in Kenntnis der Notwehrlage handeln sowie Absicht im Sinne eines zielgerichteten Wollens besitzen, den Angriff abzuwehren oder zumindest abzuschwächen. Dabei ist es unschädlich, wenn andere Motive wie beispielsweise Wut oder Hass vorliegen, solange der Wille zur Verteidigung nicht als ganz nebensächlich zurücktritt (BeckOK StGB/Momsen/Savic, 42. Ed. 1.5.2019, StGB § 32 Rn. 46). Den Angaben im Sachverhalt zufolge war wohl die Wut des W bewusstseinsdominant; gleichwohl ist angesichts der Kampfumstände anzunehmen, dass er den Angriff auch zielgerichtet abwehren wollte – so hat es jedenfalls die Vorinstanz angenommen, was auch durch den BGH nicht beanstandet wurde.
 
Anmerkung: Mangels detaillierter Angaben zum Verteidigungswillen könnte hier in einer Klausur mit guter Begründung sicherlich auch anderes vertreten werden, zumal im Sachverhalt eindeutig die Wut des W in den Vordergrund gestellt wird.
 
4. Ergebnis
Damit war das Handeln des W durch Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt. Eine Strafbarkeit nach §§ 223, 224 StGB scheidet aus.
 
III. Fazit
Bezüglich der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung sollte man sich also merken: Der Angegriffene muss zwar das relativ mildeste Mittel wählen, aber in die Auswahl der Verteidigungsmittel werden nur diejenigen einbezogen, die auch geeignet sind, den Angriff sofort und endgültig abzuwehren. Welches Verteidigungsmittel hiervon ausgehend in einer konkreten Situation zu wählen ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Pauschale Aussagen dahingehend, dass der sofortige Messer- oder Waffeneinsatz stets nicht erforderlich ist, soweit eine Androhung noch möglich ist, verbieten sich. Wie der BGH festgestellt hat, kann vielmehr auch ein sofortiger Messereinsatz gegen einen unbewaffneten Angreifer im Wege der Notwehr gerechtfertigt sein, sofern nur ein solcher in der konkreten Situation geeignet ist, den Angriff sofort und endgültig zu beenden.

26.08.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-08-26 09:00:022019-08-26 09:00:02BGH: Neues zur Erforderlichkeit der Notwehrhandlung
Redaktion

Schema: Notwehr, § 32 StGB

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Notwehr, § 32 StGB

I. Objektives Rechtfertigungselement

1. Notwehrlage

a) Angriff
– Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen.

– Der Angriff kann auf den Verteidiger oder auf Dritte erfolgen. Dann liegt ein Fall der Nothilfe vor.

– Auch fahrlässiges Verhalten kann einen Angriff darstellen (hM).

– Ein Unterlassen ist nur dann ein Angriff, wenn es strafbar oder ordnungswidrig ist.

– Eine Bedrohung muss vom Angreifer nicht gewollt sein.

– Das Vorliegen eines Angriffs bestimmt sich nach objektiver ex ante Perspektive.

– Weder Scheingriffe noch die irrige Annahme eines Angriffs begründen eine Notwehrlage.

b) Gegenwärtigkeit des Angriffs
Der Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, bereits begonnen hat oder noch andauert.

c) Rechtswidrigkeit des Angriffs
– Der Angriff ist rechtswidrig, wenn der Betroffene ihn nicht dulden muss.
– Wenn der Angriff rechtmäßig ist (zB weil der Angreifer selbst gerechtfertigt handelt), kann § 34 StGB einschlägig sein.

2. Notwehrhandlung

a) Verteidigung nur gegen Rechtsgüter des Angreifers

b) Objektive Erforderlichkeit

–  Erforderlich ist diejenige Verteidigungshandlung, die geeignet ist, den Angriff (sofort und endgültig) abzuwehren und dabei unter mehreren gleich wirksamen Verteidigungsalternativen das relativ mildeste Mittel darstellt.

– Bestimmt sich nach objektiver ex ante Sicht.

– Die Erforderlichkeit richtet sich nach der Angriffsintensität.

aa) Eignung, den Angriff sofort zu beenden oder so abzuschwächen, dass eine Flucht möglich ist

bb) Einsatz des mildesten, effektivsten Mittels
– Es muss nur unter mehreren gleich effektiven Mitteln das mildeste gewählt werden.
– (P) Einsatz lebensgefährlicher Waffen: Vorherige Androhung und
dann erst weniger verletzungsintensiver Einsatz.

3. Normative Gebotenheit (Einschränkungen – Fallgruppen)

a) Absichtsprovokation (Missbrauch des Notwehrrechts)
Liegt vor, wenn der Angegriffene die Notwehrlage bewusst herbeiführt.

b) Krasses Missverhältnis zwischen Erhaltungsgut und Eingriffsgut (z.B.
Rollstuhlfahrer schießt auf Apfeldieb mit Schrotflinte)

c) Angriffe schuldlos Handelnder

d) Sonstiges sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten

e) Bagatellangriffe
: Hier ist nur proportionale Verteidigung zulässig.

f) Angriff durch eine Person, zu der der Angegriffene eine enge persönliche Beziehung hat

Wenn eine Einschränkung des Notwehrrechts vorliegt, ist nach hM nur abgestufte Verteidigung zulässig:
1. Stufe: Ausweichen
2. Stufe: Schutzwehr (Passive Verteidigung)
3. Stufe: Trutzwehr (Volles Notwehrrecht)

II. Subjektives Rechtfertigungselement
– Zumindest Kenntnis der Notwehrlage erforderlich.
– Nach Auffassung der Rechtsprechung ist zudem ein zielgerichteter Wille, den Angriff abzuwehren erforderlich.
– Wenn das subjektive Rechtfertigungselement fehlt, kommt nach hM Bestrafung aus Versuch in Betracht.
 
Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

26.08.2016/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-08-26 11:00:582016-08-26 11:00:58Schema: Notwehr, § 32 StGB
Dr. Maximilian Schmidt

Notiz: BGH bestätigt strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff bei § 32 Abs. 2 StGB

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht

Der BGH hat mit Urteil v. 09.06.2015 – 1 StR 606/14 entschieden, dass es für die Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns im strafrechtlichen Sinne  lediglich darauf ankommt, dass der handelnde Beamte örtlich sowie sachlich zuständig ist und er die für sein Handeln vorgeschriebenen Förmlichkeiten einhält (sog. strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff, s. ausführlich und mit kritischer Einordnung Schönke/Schröder/Eser, 29. Aufl. 2014, § 113 Rn. 21 f.). Hiermit bestätigt der BGH seine bisherige Rechtsprechung (s. bereits BGH v. 10.11.1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334).
Für die Klausur bedeutet dies, dass im Rahmen der Prüfung der Notwehr hinsichtlich des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffes (durch den Polizisten) nicht alle polizeirechtlichen Voraussetzungen des Eingreifens zu prüfen sind, sondern alleine die formelle Rechtmäßigkeit des Handelns. Materiell-rechtliche Grenze ist allein Willkür oder grobe (d.h. offensichtliche) Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme. Grund für dieses „Irrtumsprivileg“ ist das Interesse an einer effektiven Durchsetzung des „rechtsstaatlichen Ordnungsbedürfnisses“, welches gefährdet würde, wenn die Entschlusskraft staatlicher Vollzugsbeamter durch die Angst vor Notwehrhandlungen der betroffenen Bürger geschmälert würde (S. MüKo-StGB/Bosch, 2. Aufl. 2012, § 113 Rn. 32). Neben Notwehrsituationen wird der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff regelmäßig bei § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungbeamte) relevant.

11.06.2015/0 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-06-11 10:56:092015-06-11 10:56:09Notiz: BGH bestätigt strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff bei § 32 Abs. 2 StGB
Dr. Maximilian Schmidt

Pistorius: klassischer Erlaubnistatbestandsirrtum?

Aktuelles, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Oscar Pistorius ist wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen worden (s. hier). Er hatte seine Freundin durch eine Badezimmertür erschossen, weil er einen Einbrecher hinter dieser vermutet hatte. Der Fall bietet – übertragen auf das deutsche Rechte – viele Anknüpfungspunkte für eine mündliche Prüfung oder gar eine Examensklausur im Strafrecht. An dieser Stelle sei auf unsere ausführlichen Artikel zum Erlaubnistatbestandsirrtum in der Klausur sowie der irrtümlichen Notwehrlage eines HellsAngels Mitglieds hingewiesen. Letztlich läuft der Fall Pistorius analog. Im Folgenden werden die wohl wesentlichen Prüfungspunkte dargestellt:
I. Subjektiver Tatbestand: Zunächst bräuchte Pistorius Vorsatz, das heißt Wissen und Wollen, hinsichtlich der Tötung seiner Freundin. Da Pistorius jedoch einen Einbrecher vermutete, liegt ein error in persona vor. Dieser ist aber unbeachtlich, da die Tatobjekte rechtlich gleichwertig sind. In einer mündlichen Prüfung könnte die Abgrenzung von (unbeachtlichem) error in persona zu einem aberratio ictus (Fehlgehen der Tat) abgefragt werden.
II. Rechtfertigung: In Betracht kommt die Notwehr nach § 32 StGB. Tatsächlich lag kein kein gegenwärtiger rechtswidrig Angriff auf Pistorius vor, sodass es schon an einer Notwehrlage mangelt.
III. Erlaubnistatbestandsirrtum: Subjektiv hat sich Pistorius (nach Beweislage) aber vorgestellt, dass ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, also eine Notwehrlage vorlag. Dies führt zum Problem des Erlaubnistatbestandsirrtum, der von verschiedenen Seiten unterschiedlich behandelt wird (die Vorsatztheorie bzw Lehre von den negativen TB-Merkmalen gem. § 16 Abs. 1 StGB, die strenge Schuldtheorie gem. § 17 StGB, die eingeschränkte Schuldtheorie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog und die rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie, der im Ergebnis gefolgt werden sollte gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog).
Anschließend muss geprüft werden, ob nach der Vorstellung von Pistorius ein Notwehrrecht tatsächlich vorgelegen hätte und ob dieses dann  nach seiner Vorstellung rechtmäßig ausgeübt wurde. Hier kann man Überlegungen anstellen, ob mehrere Schüsse durch eine geschlossene Badezimmertür ohne vorherige Ankündigung noch ein erforderliches Mittel zur Abwehr des (vermeintlichen) Angriffes sind. Für eine Erforderlichkeit kann angeführt werden, dass Pistorius beinamputiert ist und in der besagten Nacht keine Prothese trug. Somit war er in seiner Verteidungsbereitschaft stark eingeschränkt, was zu einer Absenkung der Anforderungen an einen Schusswaffengebrauch führen kann. Die Theorien zur Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums sollten letztlich erst an dieser Stelle ausführlich diskutiert werden, da diese nur bei tatsächlichem Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtum eine Rolle spielen.
Nimmt man nun an, dass Pistorius die Grenzen seines vermeintlichen Notwehrrechtes aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (die Vermutung könnte insbesondere wegen des unangekündigten Schusswaffengebrauches nahe liegen), käme man zu einem sog. Putativnotwehrexzess, also einer Überschreitung seines Notwehrrechts gem. § 33 StGB bei gleichzeitigem Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums. Wie dieser Putativnotwehrexzess rechtlich zu behandeln ist, ist umstritten.

In Betracht kommt eine analoge Anwendung des § 33 StGB, die aber abzulehnen ist. Liegt keine Notwehrlage vor, kann das Risiko des Überschreitens der Grenzen des Notwehrrechtes nicht auf den vermeintlichen Angreifer übertragen werden. Eine vergleichbare Interessenlage liegt daher nicht vor (ganz h.M.; vgl. BGH – 4 StR 267/02). Teilweise wird § 35 Abs. 1 S. 2 StGB analog angewendet, teils auf eine Mitverursachung durch den Geschädigten abgestellt. Da dies hier nicht vorliegt, wäre Pistorius strafbar wegen vorsätzlicher Tötung.

a.A.: Sieht man die Grenzen des vermeintlichen Notwehrrechtes hingegen als gewahrt an und lehnt im Folgenden eine Vorsatzstrafbarkeit ab, muss noch die fahrlässige Tötung geprüft werden gem. § 222 StGB. Die Strafbarkeit ergibt sich hierbei aus § 16 Abs. 1 S. 2 StGB (analog).
Man sieht: Der Fall kann Futter für eine mündliche Prüfung liefern und sollte daher ein Mal komplett durchdacht sein. Trotz aller Kritik – die der Polemik im Fall der Tötung eines Polizisten durch ein Mitglied der HellsAngels nahe kommt – ist das Urteil zumindest nach deutschem Recht nachvollziehbar.

17.09.2014/10 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-09-17 13:40:382014-09-17 13:40:38Pistorius: klassischer Erlaubnistatbestandsirrtum?
Dr. Gerrit Forst

"Gebotenheit" des Notwehrrechts: Kirschbaumfall reloaded

Aktuelles, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Startseite

Die Süddeutsche Zeitung berichtet über einen Fall, der sehr gut in einer mündlichen Prüfung im Strafrecht abgefragt werden kann: Einige Kinder aßen Pflaumen aus dem Pflaumenbaum eines Rentners. Nachdem die Kinder dies auf das Verlangen des Rentners nicht unterlassen hatten, schoss er mit einem Luftgewehr auf die Pänz und traf einen elfjährigen Jungen am Handgelenk. Dieser musste im Krankenhaus behandelt werden.
Auf den Kommentar von „Jurist“ hin am 12.8.2013 berichtigt:
Der Fall erinnert stark an den „Kirschbaumfall“ (RG, Urt v. 20.9.1920 – I 384/20, RGSt 55, 82). In diesem Fall hatte der Eigentümer eines Kirschbaums auf einen (fliehenden) Kirschendieb geschossen und diesen verletzt. Das Gericht gelangte zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Notwehr vorlagen, obwohl zwischen geschütztem Rechtsgut (Eigentum an den Kirschen) und dem eingeschränkten Rechtsgut (Leib/Leben des Diebs) ein erhebliches „Gefälle“ bestand. Dem in Notwehr Handelnden sei nicht zuzumuten, im Moment der Notwehr eine Abwägung der Rechtsgüter vorzunehmen.
Der BGH wertet heute anders. Er erkennt grundsätzlich an, dass in „Bagatellfällen“ eine Einschränkung des Notwehrrechts in Betracht kommt (BGH, Urt. v. 12. 2. 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1957):

Die Auffassung des LG, die Tötung Ms sei „völlig unverhältnismäßig” gewesen, vermag der Senat nicht zu teilen. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt… Ein Fall des Missbrauchs des Notwehrrechts wegen geringen Gewichts des angegriffenen Rechtsguts stand hier nicht in Rede (sog. Bagatellfälle; vgl. BGH bei Holtz, MDR 1979, 985; Tröndle/Fischer, § 32 Rdnr. 20 m.w. Nachw.). Es ging bei dem Angriff Ms nicht lediglich um eine etwaige Sachbeschädigung der CD-Sammlung des Angekl., sondern um die Erpressung eines Bargeldbetrags in Höhe von 5.000 DM. Bei solcher Ausgangslage gilt der Grundsatz, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht.

Mit der „Gebotenheit“ bei der Notwehr haben wir uns ausführlich in diesem Beitrag befasst.

09.08.2013/4 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2013-08-09 07:30:402013-08-09 07:30:40"Gebotenheit" des Notwehrrechts: Kirschbaumfall reloaded
Dr. Christoph Werkmeister

Die Straflosigkeit des »Busengrapschens«

Schon gelesen?, Strafrecht BT, Verschiedenes


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung, zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Die Straflosigkeit des »Busengrapschens«” von Nina Adelmann

befasst sich mit einem zeitlosen Thema, das für  Rechtsfreunde beiderlei Geschlechts durchaus interessant sein dürfte.
Den Beitrag findet ihr hier.

13.06.2012/3 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-06-13 17:13:502012-06-13 17:13:50Die Straflosigkeit des »Busengrapschens«
Dr. Christoph Werkmeister

Schema zum vorsätzlichen Begehungsdelikt vs. Fahrlässigkeitsdelikt

Für die ersten Semester, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Nachdem wir in den vergangenen Tagen bereits Beiträge zu den wichtigsten Definitionen zum Allgemeinen Teil (s. hier und hier) bzw. zum Besonderen Teil des StGB (s. hier) veröffentlicht haben, folgt nun ein Gastbeitrag von Julia Marxmeier (Repetitorin beim Repetitorium Wolf in Düsseldorf) in Form einer Kurzübersicht zum vorsätzlichen Begehungsdelikt in Abgrenzung zum Fahrlässigkeitsdelikt.
Das Schema findet Ihr hier.

30.05.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-05-30 16:23:282012-05-30 16:23:28Schema zum vorsätzlichen Begehungsdelikt vs. Fahrlässigkeitsdelikt
Dr. Christoph Werkmeister

Schemata zur strafrechtlichen Rechtfertigung des vorsätzlichen Begehungsdelikts

Für die ersten Semester, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe stellen bereits in den unteren Semestern, aber auch noch in den Staatsexamina eine immer wiederkehrende Problematik dar. Nachdem hier bereits einige Schemata zum allgemeinen sowie zum besonderen Teil des Strafrechts veröffentlicht wurden, folgt nun ein Beitrag zur Rechtfertigung.
Aus diesem Grund freuen wir uns über einen Gastbeitrag von Julia Marxmeier, Repetitorin beim Repetitorium Wolf in Düsseldorf, der die Probleme und die Systematik der Rechtfertigungsgründe in Form von Schemata aufarbeitet.
Den Beitrag findet Ihr hier.
 

24.05.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-05-24 15:03:072012-05-24 15:03:07Schemata zur strafrechtlichen Rechtfertigung des vorsätzlichen Begehungsdelikts
Dr. Maximilian Schmidt

Das Brett des Karneades – Ein zeitloser Klassiker

Klassiker des BGHSt und RGSt, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Für freuen uns sehr, heute einen Gastbeitrag von Maximilian Schmidt veröffentlichen zu können. Max studiert im 6. Semester Jura an der Universität Bonn und ist als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Thüsing beschäftigt. Zur Zeit bereitet er sich in einem Repetitorium auf das Erste Staatsexamen vor.
„Das Brett des Karneades“ ist ein Gedankenspiel, das dem griechischen Philosophen Karneades von Kyrene (214/213 v. Chr. bis 129/128 v. Chr.) zugeschrieben wird.
Kurz gefasst lautet dieses:
T stößt den schwächeren O, der sich mithilfe einer Holzplanke über Wasser hält, von der Planke, die nur eine Person tragen kann, um sein eigenes Leben zu retten. O ertrinkt. Strafbarkeit des T?
Gerade im Zusammenhang mit dem tragischen Kentern der Costa Concordia vor der Küste Italiens stellt sich die Frage nach der strafrechtlichen Beurteilung dieses Falls, was zugleich zum Anlass genommen werden kann die Grundprinzipien der strafrechtlichen Rechtfertigung und Entschuldigung zu wiederholen. Das Gedankenspiel stellt sich ebenso bei der Frage, ob man andere Passagiere zur Seite schieben oder auch schlagen etc. darf, um sich selbst den letzten Platz im Rettungsboot zu sichern.
T könnte sich gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben, indem er den O von der Holzplanke stieß und dieser daraufhin ertrank.
A. Tatbestand
T hat durch das gewaltvolle Herunterstoßen des O diesen kausal und objektiv zurechenbar getötet. Der Tatbestand des § 212 StGB liegt vor.
B. Rechtswidrigkeit
T könnte hierbei gerechtfertigt gewesen sein.
I. Notwehr, § 32 StGB
1. Notwehrlage
Zunächst müsste eine Notwehrlage vorliegen. Dies erfordert einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff.
a) Angriff
Angriff ist als jedes menschliche Verhalten definiert, das ein rechtlich geschütztes Individualinteresse bedroht oder verletzt (Rengier, Strafrecht AT § 18 Rn. 6). Ein Handeln durch O liegt nicht vor, da dieser das Brett bereits in Beschlag genommen hatte. Zwar kann ein Angriff auch in einem Unterlassen bestehen (Fischer, StGB , § 32 Rn. 5), jedoch fehlt es hier offensichtlich an einer Garantenstellung; insbesondere genügt eine, in casu nicht bestehende Eingriffspflicht aus § 323c, nach h.M. zur Begründung einer solchen nicht (s. die Nachweise bei Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 17).
b) Ein Angriff i.S.d. § 32 StGB liegt folglich nicht vor.
2.  Zwischenergebnis
Eine Rechtfertigung gemäß § 32 StGB scheidet aus.
II. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
1. Notstandslage
Eine Notstandslage setzt eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut voraus. Gefahr ist hierbei die auf tatsächliche Umstände gegründete Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für ein beliebiges, schutzwürdiges Rechtsgut (Fischer, StGB, § 34 Rn. 3). Gegenwärtig ist die Gefahr, wenn sie jederzeit in einen Schaden umschlagen kann (Fischer, StGB, § 34 Rn. 4). Vorliegend würde der T alsbald ertrinken, weswegen eine Notstandslage gegeben ist.
2. Notstandshandlung
a) Erforderlichkeit
Die Todesgefahr ist für T nicht anders abwendbar als durch das gewaltvolle Herunterstoßen des O.
b)  Interessenabwägung
Das durch die Notstandshandlung geschützte Rechtsgut muss das beeinträchtigte wesentlich überwiegen. Hier müsste eine Abwägung zwischen dem Leben des T und des O stattfinden. Das Leben ist aber weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht abwägbar, was sich unmittelbar aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG herleiten lässt (BVerfG v. 15.2.2006 – 1 BVR 357/05, NJW 2006, 751, zum bekannten „Flugzeugabschussfall“; s. auch Rengier, Strafrecht AT, § 19, Rn. 33). Somit überwiegt das Interesse des T das Interesse des O nicht.
3. Zwischenergebnis
Eine Rechtfertigung im Wege des § 34 StGB scheidet aus.
III. Zwischenergebnis
T handelte rechtswidrig.
C. Schuld
T müsste auch schuldhaft gehandelt haben.
I. Entschuldigender Notstand, § 35 StGB
1. Notstandslage
Eine gegenwärtige Gefahr für das Leben des T liegt vor (vgl. B. II. 1.)
2. Notstandshandlung
Die Tötung des O war erforderlich für die eigene Rettung des T. Er handelte auch subjektiv mit Rettungsabsicht.
Hinweis: Hier liegt der entscheidende Unterschied zu § 34 StGB: Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen findet nicht statt. In einer solch ausweglosen Situation entfällt nach deutschem Recht der Schuldvorwurf an den Täter. Dennoch handelt T rechtswidrig (s.o.), weswegen der sich wehrende O nach § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Auch eine Teilnahme an dieser der Tat des T ist denkbar.

An dieser Stelle der Hinweis, dass dies in der Vergangenheit in anderen Ländern unterschiedlich beurteilt wurde (Kannibalismus auf einem Rettungsboot: Rechtssache „R. v. Dudley and Stephens“ 1884: Die Besatzung war strafbar). Schlussendlich handelt es sich um eine rechtsphilosophische Frage; die strafrechtliche Beurteilung nach § 35 StGB ist unstreitig.

3. Zumutbarkeit der Gefahrhinnahme, § 35 I 2 StGB
Keiner der Fälle des § 35 I 2 StGB ist einschlägig, weswegen die Gefahrhinnahme nicht zumutbar war.
II. Zwischenergebnis
T handelte demnach nicht schuldhaft.
D. Gesamtergebnis
T hat sich nicht gemäß § 212 StGB strafbar gemacht.
Fazit: „Das Brett des Karneades“ ist nach deutschem Strafrecht somit eindeutig und unstreitig lösbar: Der Täter verstößt gegen die Rechtsordnung, ist dabei aber nach § 35 StGB entschuldigt.

17.01.2012/1 Kommentar/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2012-01-17 09:30:292012-01-17 09:30:29Das Brett des Karneades – Ein zeitloser Klassiker
Nicolas Hohn-Hein

Irrtümliche Notwehr gegen Polizeibeamten

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Strafrecht, Strafrecht AT

Die Berliner Morgenpost hat vorgestern ein aktuelles Urteil des BGH (Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11) aufgegriffen, an dem sich vortrefflich typischer Prüfungsstoff durchexerzieren lässt. In der Sache ging es um die Ausübung des Notwehrrechts nach § 32 StGB im Rahmen eines Erlaubnistatbestandsirrtums (sog. Putativnotwehr). Da das Urteil noch nicht im Volltext abgedruckt ist, können wir den Ausführungen z.Z. nur die Infos aus der Pressemitteilung zu Grunde legen. Eine kurze Darstellung der Entscheidungsgründe wird ggf. nachgereicht. Der Sachverhalt entstammt 1:1 aus der Pressemitteilung und liest sich wie eine Klausur.

Sachverhalt
Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Der Angeklagte, ein führendes Mitglied des Motorradclubs „Hell´s Angels“, hatte erfahren, dass er von Mitgliedern des konkurrierenden Clubs „Bandidos“ ermordet werden solle. Zeitgleich erließ das Amtsgericht in einem gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren einen Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung. Wegen der zu befürchtenden Gewaltbereitschaft des Angeklagten und seiner polizeibekannten Bewaffnung wurde zur Vollstreckung des Durchsuchungsbefehls ein Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei hinzugezogen.

Am Tattag versuchte das SEK gegen 6.00 Uhr morgens, die Tür des Wohnhauses des Angeklagten [A] aufzubrechen, um ihn und seine Verlobte im Schlaf zu überraschen. Der Angeklagte erwachte durch die Geräusche an der Eingangstür, bewaffnete sich mit einer Pistole Kal. 45, die mit acht Patronen geladen war, und begab sich ins Treppenhaus, wo er das Licht einschaltete. Er erblickte von einem Treppenabsatz aus durch die Teilverglasung der Haustür eine Gestalt, konnte diese aber nicht als Polizisten erkennen. Vielmehr nahm er an, es handle sich um schwerbewaffnete Mitglieder der „Bandidos“, die ihn und seine Verlobte töten wollten. Er rief: „Verpisst Euch!“ Hierauf sowie auf das Einschalten des Lichts reagierten die vor der Tür befindlichen SEK-Beamten nicht; sie gaben sich nicht zu erkennen und fuhren fort, die Türverriegelungen aufzubrechen.

Da bereits zwei von drei Verriegelungen der Tür aufgebrochen waren und der Angeklagte in jedem Augenblick mit dem Eindringen der vermeintlichen Angreifer rechnete, schoss er ohne weitere Warnung, insbesondere ohne einen Warnschuss abzugeben, nun gezielt auf die Tür, wobei er billigend in Kauf nahm, einen der Angreifer tödlich zu treffen. Das Geschoss durchschlug die Verglasung der Tür, drang durch den Armausschnitt der Panzerweste des an der Tür arbeitenden Polizeibeamten [P] ein und tötete diesen.

[Hat sich der Angeklagte A wegen Totschlags gemäß § 212 Abs.1 StGB strafbar gemacht?]

Bei den folgenden Ausführungen handelt es sich nur um einen Lösungsvorschlag. Er erhebt keinen Anspruch auf inhaltliche Richtigkeit. Darstellungen sind zum Teil verkürzt.

§ 212 Abs.1
Indem A die Schüsse auf P abgegeben hat, könnte er sich wegen Totschlags gemäß § 212 Abs.1 StGB strafbar gemacht haben.

I. Die objektiven Tatsbestandsmerkmale sind erfüllt. A hat durch die das Abfeuern der Pistole in Richtung der Glasscheibe den P tödlich verletzt und damit ursächlich dessen Tod herbeigeführt.

II. a) A müsste subjektiv mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung gehandelt haben, wobei ein dolus eventualis schon ausreicht. Hier hat A den Tod eines Menschen zumindest billigend in Kauf genommen, sodass dolus eventualis zu bejahen ist. A hat vorsätzlich gehandelt.

b) Problematisch könnte sein, dass A zwar vorsätzlich (s.o.) gehandelt hat, sein Vorsatz aber auf die Tötung eines vermeintlichen „Bandidos“-Mitglieds und nicht auf die eines Polizeibeamten gerichtet war. Verwechselt der Täter sein Tatopfer mit einer anderen Person, zum Beispiel auf Grund schlechter Lichtverhältnisse, liegt regelmäßig ein sog. error in persona vor. Der Vorsatz des Täters war damit auf ein ganz anderes Tatopfer und nicht auf P gerichtet. Diese Abweichung vom vorgestellten Tatverlauf ist jedoch dann unbeachtlich, wenn das getroffene Objekt rechtlich gleichwertig (Joecks SK § 15 Rz.4ff) ist, da der Gesinnungsunwert in gleicher Weise seine Verwirklichung gefunden hat. Hier hat A anstelle eines Bandidos-Mitglieds irrtümlich einen Polizeibeamten erschossen. In beiden Fällen geht es um den Angriff auf einen Menschen. Mithin ist jeweils das Rechtsgut „Leben“ betroffen, sodass eine Gleichwertigkeit im obigen Sinne besteht. Der error in persona bei A ist unbeachtlich.

Hinweis: Die Ausführungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand sollten möglichst knapp gehalten werden, wenn – wie hier – die Sachlage eindeutig ist.

III. Die Tötung des P ist rechtswidrig, wenn keine Rechtfertigungsgründe eingreifen. A könnte gemäß § 32 StGB gerechtfertigt sein.

1. Dafür müsste zum Zeitpunkt der Tat A sich in einer Notwehrlage befunden haben.

a) Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. Hier haben die Polizeibeamten Vorkehrungen getroffen, in das Gebäude bzw. in die Wohnung des A einzudringen und sie zu durchsuchen. Die Wohnung und die Privatsphäre des Einzelnen sind von der Rechtsordnung geschützt. Ein Angriff war folglich gegeben.

b) Gegenwärtig ist jeder Angriff, der unmittelbar bevorsteht, gerade begonnen hat oder fortdauert. Die Beamten standen unmittelbar davor, sich Zutritt zum Gebäude des A zu verschaffen, indem sie bereits 2 von 3 Verriegelungen an der Haustür beseitigt hatten. Folglich war der Angriff auch gegenwärtig.

c) Es könnte jedoch an der Rechtswidrigkeit des Angriffs fehlen. Diese entfällt, wenn die Beamten ihrerseits zu der Angriffshandlung berechtigt gewesen waren. Vorliegend war gegen A ein Durchsuchungsbefehl nach §§ 102ff StPO im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens rechtmäßig angeordnet worden. Die Durchsuchung war auf die Wohnung des A bezogen. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme begründen könnten, sind nicht ersichlich. Folglich waren die Beamten in ihrem Vorgehen gerechtfertigt.

2. Mangels eines rechtswidrigen Angriffs auf A scheidet § 32 StGB als Rechtfertigungsgrund aus. Sonstige Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.

IV. Indem A darüber geirrt hat, „Bandidos“-Mitglieder seien gekommen, um ihn „zu ermorden“, könnte ein Erlaubnistatbestandsirrtum gegeben sein, sodass A straflos wäre. A müsste irrtümlich die Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes angenommen haben.

Hinweis: Andere prüfen den ETB in der Schuld. Mit Blick auf den Streit um die Rechtsfolge beim ETB (dazu gleich mehr) ist m.E. ein eigener Prüfungspunkt „unverfänglicher“. Geschmackssache.

1. A könnte irrtümlich angenommen haben, er sei zur Notwehr nach § 32 StGB berechtigt. Sein Vorstellungsbild müsste alle objektiven und subjektiven Merkmale der Notwehr umfassen.

a) Aus Sicht des A bestand in dem Verhalten der Beamten ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf sein Leben. Die mutmaßlichen „Bandidos“-Mitglieder waren nach der Vorstellung des A gekommen, um ihn zu töten. Eine Notwehrlage wäre in diesem Fall zu bejahen.

b) Ferner müsste unter dieser Prämisse die Notwehrhandlung erforderlich gewesen sein. Erforderlich ist die Handlung dann, wenn sie dazu geeignet ist, also grundsätzlich dazu in der Lage ist, den Angriff abzuwehren oder ihm zumindest ein Hindernis in den Weg zu stellen und dies das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellt. Der Schuss war zumindest geeignet, die „Angreifer“ zumindest in ihrem Vorgehen zu verlangsamen und ggf. in die Flucht zu schlagen. Fraglich ist, ob A auch das ihm zur Verfügung stehende, mildeste Mittel angewendet hat.

aa) Der Verteidiger kann bei mehreren unterschiedlich belastenden Mitteln dasjenige anwenden, das den Angriff am effektivsten zurückschlägt . Unter mehreren gleichwirksamen Möglichkeiten ist diejenige zu wählen, die den geringsten Schaden anrichtet (BGHSt 3, 217). Einem gezielten Schuss muss daher in der Regel eine Androhung des Waffeneinsatzes, ein Warnschuss oder ein Beinschuss vorausgehen, wenn der Angreifer auf andere Weise nicht aufgehalten werden kann (vgl. Joecks § 32 Rz. 14; BGH in stdr Rspr). Abzustellen ist dabei auf die Sicht eines Durschnittsbetrachters objektiv ex ante. Nach diesen allgemeinen Gesichtspunkte hätte A hier keine andere Wahl gehabt, als sich gegen eine größere Anzahl mutmaßlich schwerbewaffneter, gewaltbereiter „Bandidos“ mittels Waffengewalt zu verteidigen. In Anbetracht dessen, dass er über die genaue Anzahl, Absichten und vor allem Bewaffnung der „Eindringliche“ im Unklaren war, wäre es A aber zumutbar gewesen, den Waffeneinsatz zumindest in irgendeiner Form anzukündigen. Der Ausruf „Verpisst euch!“ konnte von den Angreifern lediglich dahingehend gedeutet werden, dass A mit dem Eindringen in dessen Wohnhaus nicht einverstanden war. Eine Ankündigung des unmittelbaren Schusswaffengebrauchs war damit nicht verbunden.

bb) Der BGH hingegen sieht im konkreten Fall den Schuss ohne entsprechende Vorwarnung als von § 32 StGB gedeckt an. Dazu der BGH in der Pressemitteilung

[…] Danach muss der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe zwar grundsätzlich stets zunächst angedroht und ggf. auch ein Warnschuss abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener muss aber nicht das Risiko des Fehlschlags einer Verteidigungshandlung eingehen. Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten „Kampflage“ keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern, darf auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden. Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Landgerichts war hier ein solcher Fall gegeben. Im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr war dem Angeklagten nicht zuzumuten, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine „Kampf-Position“ unter Umständen zu schwächen. […]

Demnach muss auf den konkreten Einzelfall abgestellt werden. Eine generelle Betrachtung reicht nach der Rechtssprechung des BGH nicht aus. In Verbindung mit den dem A bekannten Mordplänen und der Gesamtsituation (früher Morgen, zahlreiche und gut ausgerüstete „Angreifer“, keine Reaktion auf das Rufen des A) war es A nicht zumutbar, eine „abwartende“ oder defensive Haltung einzunehmen.

Die Verteidigungshandlung war damit insgesamt erforderlich.

c) A hat mit dem notwendigen Verteidigungswillen gehandelt, indem er den Angriff durch Schüsse durch die Glastür beenden wollte. Die Notwehrhandlung war in Anbetracht der Umstände (s.o.) auch geboten. Insbesondere ist kein krasses Missverhältnis zwischen Angriffs- und Verteidigungshandlung zu erkennen, da A davon ausgehen konnte, dass die Angreifer ebenfalls bewaffnet und „zu allem bereit“ erschienen waren.

Hinweis: Zur Gebotenheit des Notwehrrechts findet sich hier bereits ein ausführlicher Beitrag

Zwischenergebnis: Die Voraussetzungen des § 32 StGB waren aus Sicht des A zum Zeitpunkt der Verteidigung folglich erfüllt.

2. Die Rechtsfolge des ETB ist umstritten. Vertreter der (veralteten) Vorsatztheorie sehen das Unrechtsbewusstsein als einen Teil des Vorsatzes, welcher bei fehlendem Unrechtsbewusstsein entfallen soll. Die strenge Schuldtheorie verortet den ETB allein in der Schuld und lässt § 17 StGB zur Anwendung kommen. Die eingeschränkte Schuldtheoerie in ihren jeweiligen Spielarten hingegen erkennt die Ähnlichkeit des ETB mit dem Tatumstandsirrtum nach § 16 StGB (Wahrnehmungsmangel) und lässt mit unterschiedlichen Begründungen den Vorsatz im Ergebnis entfallen. Die jeweiligen Schuldtheorien lassen nach § 16 (direkt oder analog) im Ergebnis den Vorsatz oder nach § 17 StGB die Schuld entfallen. Der Täter bleibt straflos.

Die vertretenen Ansichten kommen jedoch nur dann zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn der Irrtum vermeidbar war . Denn § 17 StGB S.2 StGB sieht nur eine Strafmilderung vor, während § 16 StGB (direkt oder analog) den Vorsatz unmittelbar ausschließt War er unvermeidbar, ist ein Streitentscheid nicht von Belang (vgl. Joecks § 16 Rz.44), da sowohl nach § 16 StGB, als auch nach § 17 StGB die Straflosigkeit des Täters anzunehmen ist

Hinweis: Hiervon ist die Frage nach der etwaigen Strafbarkeit eines Teilnehmers zu unterscheiden,  wenn also eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat vorliegen muss.

Unvermeidbar ist ein Irrtum nur dann, wenn er auch bei hinlänglicher Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können. Nach den Gesichtspunkten des BGH war es dem A schon nicht zumutbar, auf eine andere Art als durch unmittelbare Waffengewalt der Situation Herr zu werden. Entsprechend lässt sich ebenso für die Frage der Vermeidbarkeit argumentieren, dass A schlichtweg keine Möglichkeit hatte, die Sachlage auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der ETB war damit unvermeidbar.

Ergebnis: A hat sich nicht nach § 212 Abs.1 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Ferner wäre noch § 222 StGB zu prüfen und im Ergebnis abzulehnen, da der BGH zu dem Schluss gekommen ist, dass A den Irrtum nicht fahrlässig verursacht hat.

Fazit:
Die Entscheidung zeigt, dass die allgemeinen Grundsätze zur Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung nicht ausreichen, sondern der konkrete Einzelfall betrachtet werden muss. Für die Klausur heißt das, möglichst alle relevanten Gesichtspunkte aus dem Sachverhalt in die Lösung einzubauen und gegeneinander abzuwägen, wobei es weniger auf das richtige Ergebnis als auf eine saubere Argumentation ankommt.

Bezüglich der Notwehr ist zunächst der „reguläre“ Rechtfertigungsgrund des § 32 StGB aufzugreifen und abzulehnen, bevor es in die Prüfung des ETB geht. Die hierzu vertretenen Meinungen sollten in etwa bekannt sein, wobei im vorliegenden Fall aus den genannten Gründen der Schwerpunkt nicht auf einem Streitentscheid liegt. Diesen zu erzwingen, wäre in der Klausur ohnehin ein schwerer Fehler und zumeist nur für die Strafbarkeit eines Teilnehmers relevant. Eine detailliertere Darstellung der vertretenen Auffassungen hinsichtlich des  ETB findet in sich in jedem Lehrbuch oder demnächst auf Juraexamen.info.

Überraschend an der Entscheidung ist, dass an die Erforderlichkeit  der Notwehrhandlung im Milieau der Schwerstkriminalität keine höheren Anforderungen gestellt werden. Wer eine geladene Schusswaffe griffbereit aufbewahrt und mit einem Mordanschlag in den eigenen vier Wänden unmittelbar rechnet, ist sich der Gefahren seiner „Aktivitäten“ in der Regel bewusst und – im Gegensatz zu einem „Laien“ – entsprechend „kampferprobt“. Folglich müsste es gerade solchen Personen zumutbar sein, den Schusswaffengebrauch zumindest durch einen Warnschuss anzukündigen. Die genauen Entscheidungsgründe bleiben abzuwarten.

05.11.2011/10 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-11-05 09:36:202011-11-05 09:36:20Irrtümliche Notwehr gegen Polizeibeamten
Nicolas Hohn-Hein

„Gebotenheit“ des Notwehrrechts: Die Notwehrprovokation und weitere Fallgruppen

Schon gelesen?, Strafrecht, Strafrecht AT

I. Einleitung
Das Notwehrrecht nach § 32 StGB gehört in den Prüfungen zu den Grundlagen des juristischen Handwerks und ist nicht nur in den Klausuren beliebter Ansatzpunkt für eine eingehende Auseinandersetzung mit bestimmten Teilfragen der Notwehr. Hierbei gehört die Notwehrprovokation (auf Examensniveau) zur interessantesten, aber auch unübersichtlichsten Fallgruppe, da diesbezüglich in Literatur und Rechtsprechung die unterschiedlichsten Lösungsansätze vertreten werden. Mit Blick auf zwei Entscheidungen des BGH in jüngerer Zeit (BGH, Beschl. v. 04.08.2010 – 2 StR 118/10 und BGH, Beschl. v. 11.08.2010 – 1 StR 351/10; zu beidem instruktiv RÜ 2010 S. 779f), die die Aktualität der Problematik und damit auch Klausurträchtigkeit gut verdeutlichen, sollen im Folgenden vom Merkmal der „Gebotenheit“ ausgehend die wesentlichen Fragestellungen innerhalb einer provozierten Notwehrsituation verdeutlicht werden. In einem weiteren Schritt werden dann die weiteren Fallgruppen der Vollständigkeit halber knapp unter die Lupe genommen.
II. Das Merkmal der Gebotenheit
Zur Erinnerung vorweg der geläufige Prüfungsaufbau im Rahmen von § 32 StGB:
1. Notwehrlage („gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff“)
2. Notwehrhandlung
a) Die Handlung muss generell geeignet sein, den Angriff abzuschwächen oder zu beenden
b) Die Handlung muss erforderlich sein
3. Kenntnis des Täters von der Notwehrsituation (h.M.)
4. sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts (Gebotenheit)
Grundlage des Notwehrrechts und damit auch der Gebotenheit einer entsprechenden Verteidigungshandlung ist nach überwiegender Auffassung ein „dualistisches Notwehrkonzept“ (vgl. Müko/Erb § 32, Rz.6), wonach der Verteidigende nicht nur zum Schutz eigener Rechtsgüter (sog. Schutzprinzip), sondern auch im Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung handelt (sog. Rechtsbewährungsprinzip). Aus letzterem folgt insbesondere der bekannte Ausdruck „Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen!“ und bietet zudem eine Erklärung dafür, warum bei § 32 StGB (anders als bei §§ 34, 35 StGB) keine Güterabwägung stattfindet – zu den dogmatischen Einzelheiten und möglicher Kritik am dualistischen System bitte ein Lehrbuch oder einen Kommentar bemühen.
Das Merkmal der Gebotenheit, das auch als „sozialethische Einschränkung“ bezeichnet wird, indiziert, dass in bestimmten Ausnahmesituationen dem Täter das Recht zur Notwehr nicht zusteht. Den jeweiligen Fallgruppen ist dabei gemeinsam, dass sie im Ergebnis einen Rechtsmissbrauch darstellen würden, brächte man § 32 StGB zur Anwendung (vgl. Fischer StGB § 32, Rz.36). Den beiden oben genannten Grundprinzipen wäre dann in keiner Weise mehr Rechnung getragen, jedenfalls würde das individuelle Notwehrrecht als an sich schon „schneidiges Schwert“  so in den Vordergrund treten, dass die eigentliche Zielsetzung des § 32 StGB (Ermöglichung der Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs auf ein Rechtsgut mittels einer unter „normalen Umständen“ eigentlich ebenfalls rechtswidrige Tat) ins Gegenteil verkehrt werden würde – ein völlig inakzeptables Ergebnis. Klassisches Beispiel für eine Einschränkung des § 32 StGB aus sozialethischen Gesichtspunkten ist der bekannte Kirschbaum-Fall (vgl. RGSt 55,82).
Ein guter gedanklicher Ausgangspunkt dabei ist, dass es vor allem um die Fälle geht, in denen der Verteidigende mit gewaltsamen Mitteln zurückschlägt.
III. Notwehr-“Provokation“
Die Notwehrprovokation zeichnet sich grundsätzlich dadurch aus, dass der Verteidigende ganz oder zum Teil dafür verantwortlich ist, die Notwehrsituation verursacht zu haben. Dabei ist die Feststellung, ob ein bestimmtes Verhalten als Provokation zu werten ist, alles andere als einfach zu treffen. Zugespitzt wäre jedes „negative“ Verhalten des Provozierenden (z.B. Verbreitung von Lügen über die Person des Angreifers, Beleidigungen, Gesten, körperliche oder psychische Gewalt, Aufenthalt an einem bestimmten Ort) potenziell geeignet, den Angriff  und damit eine Notwehrlage heraufzubeschwören, in der sich der Angegriffene jedoch aufgrund der vorhergehenden „Provokation“ nicht verteidigen dürfte. Damit stellt sich die Frage, was als Provokation im Rahmen von § 32 StGB einzustufen ist und welche Bedeutung dies für das Notwehrrecht hat. Unterschieden wird zunächst zwischen der sog. Absichtsprovokation und der Provokation aufgrund sonstiger Umstände (gute Gegenüberstellung bei HRRS 2010 S.108).
Bei der Absichtsprovokation täuscht der Verteidigende seinen Verteidigungswillen nur an, will in Wahrheit aber angreifen. In solch einem Fall besteht nach ganz h.M. Einigkeit darüber, dass der Täter voll strafbar ist, da er die Tat nur unter dem „Deckmantel“ der Rechtfertigung begangen hat (anders MüKo/Erb § 32, Rz. 200f). Entsprechend muss er dem Angriff ausweichen. Die Rechtsprechung, die entgegen der h.M. einen konkreten Verteidigungswillen fordert, lässt die Rechtfertigung schon an einem entsprechenden Willen  scheitern, sodass sie sich nicht damit auseinandersetzen muss, ob dem Täter bei Gefahr für Leib oder Leben dennoch Trutzwehr (s. dazu unten) im Zweifel zustehen kann.
Heftig umstritten sind dagegen die Lösungsansätze in sonstigen Fällen, in denen der Provozierende die Notwehrsituation ohne Absicht schuldhaft herbeiführt. Da der Streit seit Jahrzehnten recht ausufernd geführt wird, im Folgenden ein Vorschlag zur Herangehensweise, um die zentralen Problemfragen in den Griff zu bekommen.
a) Zusammenhang: Vorverhalten – rechtswidriger Angriff
Zunächst ist zu klären, ob Vorverhalten und rechtswidriger Angriff in einem „engen räumlich-zeitlichen Zusammenhangs“ (vgl. Fischer StGB § 32, Rz. 44) stehen, d.h. der Angriff darf in seiner Art und Intensität nicht völlig unerwartet und „unverhältnismäßig“ zur Provokation sein. Abzustellen ist bei der Provokation daher auf einen Sachverhalt, der in der unmittelbaren Vergangenheit des Angriffs liegt und bis zum Angriff fortwirkt. Die Grenzen sind hier fließend. Provoziert der Täter jedenfalls ein ganz fernliegendes, atypisches Verhalten, das nach den Grundsätzen des allgemeinen Lebenserfahrung nicht zu erwarten war, fehlt ein entsprechender Zusammenhang und damit eine Ursächlichkeit des Täterverhaltens (vgl. BGH 5 StR 141/09).
b) Vorwerfbarkeit des Vorverhaltens
Ist das Verhalten des Täters im obigen Sinne ursächlich geworden, stellt sich die Frage, inwieweit das Vorverhalten isoliert betrachtet vorwerfbar ist. Das Öffnen einer Tür in dem Bewusstsein, das dahin möglicherweise der Angreifer lauert, kann noch keinen Vorwurf bilden, da es sich um ein tatbestandsloses, rechtlich erlaubtes Handeln handelt. Trotzdem würde sich der Angreifer durch das Öffnen angespornt fühlen, den Angriff auszuführen. Ausreichend? Nein, denn die übereinstimmend wird gefordert, dass die Provokation einen bestimmten Grad erreicht hat. Welcher dies sein soll, das ist umstritten.
Die Literatur verlangt zum größten Teil, dass das Vorverhalten jedenfalls rechtswidrig war, da in solchen Fällen der Verteidigende schon zu diesem Zeitpunkt den „Boden des Rechts“ verlassen habe (Rechtsbewährungsprinzip!) und das Privileg des § 32 StGB ausnahmsweise nicht mehr greifen kann. Nach der Rechtsprechung reicht es hingegen schon aus, wenn das Vorverhalten sozialethisch in seinem Gewicht einer schweren Beleidigung gleichkommt, also sozial zu missbilligen ist. Welcher Ansicht letztendlich zu folgen ist, bleibt dem Bearbeiter überlassen. Für die zweite Ansicht spricht, dass in der Realität die Gesamtumstände eine wichtige Rolle spielen und sich mehrere einzelne, lediglich moralisch zu beanstandende Verhaltensweisen zum Beispiel zu einem „provokativen Gesamtbild“ verdichten können.
Dabei werden aber auch hinzutretende Umstände in die Waagschale geworfen, zum Beispiel ob eine sog. Vor-Provokation (näher BGH 2 StR 118/10) des Angreifers stattgefunden hatte, sodass eine Vorwerfbarkeit ggf. ausscheidet:
Vater V begleitet seinen Sohn S zu dessen „Verabredung“ mit dem Intensivtäter H, von dem          S „Schläge“ zu erwarten hat. V präpariert sich zur Sicherheit mit einem sog. Butterfly-        Messer, das bei der anschließenden Notwehrlage auch zum Einsatz kommt.
Hier war die Notwehrsituation eine adäquate Folge des Vorverhaltens, V hat gewusst, dass eine Verteidigung mit hoher Wahrscheinlichkeit notwendig werden würde. Vorwerfbar? Der BGH sagt nein, V hatte allen Grund, seinen Sohn (!) zu unterstützen, der wiederholt von H bedroht worden war (Vorprovokation). Auch das Messer – übrigens ohne erforderliche Erlaubnis nach dem Waffengesetz – war in Ordnung.
c) Das Vorverhalten ist vorwerfbar – und jetzt?
Bei der Frage nach dem Maß der zulässigen Verteidigungshandlung, hat die Rechtsprechung seit jeher eine Gesamtbetrachtung im konkreten Einzelfall angewendet und sich Schwere der vorausgehenden Provokation orientiert (Stichwort: Drei-Stufen-Modell – Ausweichen, dann Schutzwehr, dann Trutzwehr), welches insgesamt Zustimmung gefunden hat. Die Absichtsprovokation die hierbei nicht einzubeziehen, da es dem Täter gerade auf die Verletzung des Angreifers ankommt und das Notwehrrecht schlichtweg missbraucht. Kann der unvorsätzlich Provozierende weder ausweichen, noch sich durch Trutzwehr des Angriffs erwehren, steht ihm jedes Verteidigungsmittel offen (SK-Joecks StGB § 32, Rz. 23).  Die abgestufte Verteidigung sorgt jedenfalls auch bei den übrigen Fallgruppen im Rahmen der Gebotenheit für einen angemessenen Ausgleich zwischen der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 32 StGB und dem – an sich fragwürdigen – völligen Entzug des Notwehrrechts.
c) Sonderfall: actio illicita in causa
Probleme ergeben sich dort, wo der Verteidigende an sich nach den obigen Grundsätzen gerechtfertigt und damit nicht strafbar wäre, er aber nichtsdestotrotz als alleiniger Veranlasser der Situation objektiv eine Sorgfaltspflicht verletzt hat, indem er sich der Notwehrlage pflichtwidrig ausgesetzt hat. Um ein entsprechendes Strafbedürfnis zu erfüllen, wird in solchen Fällen das passende Fahrlässigkeitsdelikt (z.B. § 229 StGB) geprüft. Die sog. actio illicita in causa beruht auf der Vorstellung, dass eine Provokation des Angreifers unmittelbar nicht stattgefunden hat, bzw. diese aufgrund der fehlenden Vorwerfbarkeit (Stichwort: Vor-Provokation, s.o.) nicht relevant geworden ist, die spätere Notwehrlage aber im Vorverhalten schon „angelegt“ war (ähnlich der sog actio libera in causa). Der Täter macht sich schließlich selbst zum „Werkzeug“ der späteren Tat, indem er sich fahrlässig in die Notwehrlage hineinbringt. Gegen diese Rechtsfigur lässt sich wohl einwenden, sie würde ein an sich gerechtfertigtes Verhalten dennoch unter Strafe stellen und letztendlich das Notwehrrecht „durch die Hintertür“ wieder einschränken. Auch ergeben sich Probleme bei der Vorverlagerung des Vorwurfs in der Frage nach dem Zurechnungszusammenhang zwischen der fahrlässigen Herbeiführung der Notwehrlage und dem eigentlichen Entschluss zur Verteidigung, der immerhin erst später gefasst wird. Für eine umfassende Übersicht, vgl. vgl. SK-Joecks StGB § 32, Rz. 26f.
IV. weitere wichtige Fallgruppen
Hauptunterschied zur Notwehrprovokation ist bei den anderen Fallgruppen der Gebotenheit wohl der Umstand, dass diese nicht auf ein bestimmtes Täterverhalten, sondern auf objektive Kriterien zurückzuführen sind, die bestimmte Konsequenzen für die Anwendung des § 32 StGB mit sich bringen.
1. Schuldlos Handelnde
Nach allgemeiner Ansicht ist der Angriff desjenigen, der nach seinen Fähigkeiten oder seinem Geisteszustand nicht dazu in der Lage ist (Geisteskranke, Kinder), das Unrecht zu erkennen, weniger verwerflich. Der Ausnahmetatbestand der Notwehrlage gebietet daher in solchen Fällen, dass der Angegriffene nur beschränkt Notwehr üben darf: Er hat vorwiegend Auszuweichen, soweit erforderlich den Angriff möglichst schonend abzuwehren und ggf. Hilfe anzufordern (MüKo/Erb § 32, Rz.185), es sei denn es besteht unmittelbare Lebensgefahr oder nicht unerhebliche, gesundheitliche Beeinträchtigungen sind zu befürchten. So auch bei Betrunkenen, wobei hier die Schwelle zur Schuldlosigkeit strenge Beachtung finden muss.
„Gegenüber irrenden Angreifern muss wenn möglich versucht werden, das Missverständnis aufzuklären“ (MüKo a.a.O.).
2. Näheverhältnis (Ehegatten, etc.)
Entgegen der früheren Rechtsprechung, kann allein aufgrund eines Eheverhältnisses keine „erweiterte Duldungspflicht“ im Rahmen des Notwehrrechts begründet. Dennoch ist im Einzelfall ein soziales Näheverhältnis geeignet, zumindest teilweise eine Einschränkung zu bejahen. Grenzfälle sind solche, bei denen die Gewalt gerade auf die Ausnutzung des Näheverhältnisses (Stichwort: häusliche Gewalt) gerichtet ist.
3. unerträgliches Missverhältnis („Bagatellangriffe“)
Grundsätzlich besteht ein Bedürfnis danach, dass der Verteidigende die angegriffenen Rechtsgüter erfolgreich verteidigen darf und soll. Der Grad der Verteidigung muss sich dabei nicht zwangsläufig nach der Intensität des Angriffs richten im Sinne einer „spiegelbildlichen“ Verteidigung, sondern es kommt das Mittel gerade recht, dass am erfolgsversprechendsten und ex ante am greifbarsten für die Abwendung des Angriffs in Frage kommt. Notwehrbefugnisse können daher auch Gewalt bishin die Tötung des Angreifers mitumfassen.
Anders jedoch in den Fällen (wie oben), in denen lediglich Sachgüter von geringem Wert beeinträchtigt werden und gegen den Rechtsinhaber keine Gewalt geübt wird.
T beobachtet, wie eine Person Kirschen vom in seinem Garten gelegenen Kirschbaum                   stiehlt. T, der die Verfolgung aufgrund einer Lähmung nicht aufnehmen kann, beschließt,      den Dieb mittels Gewehr an dem Diebstahl zu hindern und trifft diesen tödlich.
Strafbarkeit des T?
Eine Notwehrlage ist gegeben, die Rechtsgutsbeeinträchtigung ist gegenwärtig und rechtswidrig, da der Diebstahl an den Kirschen noch andauert. Andere Mittel standen T wegen der Lähmung nicht zur Verfügung. T hat zudem in der Absicht gehandelt, den Angriff gezielt zu beenden. Jedoch war Notwehr an dieser Stelle nicht geboten. Abwehrmaßnahmen gegen Angriffe auf geringwertige Sachgüter sind dann unzulässig, wenn Leib oder Leben des Angreifers erheblich beeinträchtigt werden würde oder gar dessen Tod eine sichere Folge wäre. Die sog. Bagatellgrenze wurde nicht überschritten (vgl. zur „Unfugabwehr“ MüKo/Erb § 32, Rz. 190).
 
V. Fazit
Eine „klausurverdauliche“ Darstellung der einschlägigen Probleme der Notwehrprovokation ist herzlich schwierig, zu unterschiedlich sind die verschiedenen Begründungsmodelle. Sinnvoll erscheint, im Rahmen der Gebotenheit zunächst zwischen einer absichtlichen oder sonstwie verschuldeten Notwehrlage zu differenzieren. Erst im letzteren Fall stellen sich die Probleme des „räumlich-zeitlichen Zusammenhangs“ und anschließend der sozialen Mißbilligung des Vorverhaltens. Dazu in Bezug zu setzen ist die abgestufte Verteidigung, die regelmäßig herangezogen werden kann. Ist die Notwehr dennoch geboten, kann in der weiteren Prüfung der Strafbarkeit das passende Fahrlässigkeitsdelikt geprüft werden, in dem ggf. die a.i.i.c diskutiert werden kann. Wie immer gilt auch hier: Die zielgerichtete Auseinandersetzung mit den gängigsten Argumenten steht im Mittelpunkt einer Klausurbearbeitung oder mündlichen Prüfung. Eine allgemeingültige Lösung – betrachtet man allein schon den Umfang der Diskussion in der Praxis– wird im Rahmen einer Klausur kaum erwartet werden können.

19.12.2010/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
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