Euro-Rettungsschirm: Änderung der EU-Verträge beschlossen
Die Staats- und Regierungsschefs haben auf dem EU-Gipfel eine Änderung der europäischen Verträge beschlossen, um einen dauerhaften Rettungsmechanismus etablieren zu können (vgl. FAZ v. 17.12.2010, „Zwei neue Sätze im Vertrag von Lissabon“, S. 1, hier der Online-Bericht).
Die Non-Bail-Out-Klausel
Diese Änderung ist notwendig, weil der EU-Vertrag bisher einen Haftungsauschluss für die Rettung von EU-Staaten durch andere EU-Staaten enthält:
Artikel 125 [Haftungsausschlüsse]
(1) 1Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich–rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens. 2Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich–rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.
(2) Der Rat kann erforderlichenfalls auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Definitionen für die Anwendung der in den Artikeln 123 und 124 sowie in diesem Artikel vorgesehenen Verbote näher bestimmen.
Es umstritten, ob damit auch „freiwillige“ Rettung ausgeschlossen sind – viele Stimmen in der Literatur gehen davon aus. Jedenfalls besteht erheblich Rechtsunsicherheit, ob ein Rettungsschirm de lege lata (nach geltendem Recht) zulässig ist. Er kann wohl zumindest nicht als rechtlich verbindliche Institution durch EU-Rechtssetzung geschaffen werden (etwa auf Grundlage von Art. 132ff. AEUV, soweit diese dafür überhaupt ausreichen), da man dann nicht mehr von einer „freiwilligen“ Verpflichtung sprechen kann.
Öffnungsklausel für einen Rettungsschirm außerhalb des EU-Rechts
Deshalb soll er nun in den Verträgen verankert werden. Dafür wären drei Wege denkbar: Die Schaffung eines Rettungsschirms im Primärrecht und seine Konkretisierung durch Sekundärrecht, die Schaffung einer Gesetzgebungskompetenz im Primärrecht und eines Rettungsschirms nur auf Basis des Sekundärrechts oder eine Öffnungsklausel. Diese hätte in erster Linie die Funktion, die „Non-Bail-Out“ Klausel des Art. 125 AEUV in begrenztem Umfang auszuschalten. Sie würde die Reichweite des Verbots begrenzen und den Euro-Mitgliedsstaaten ein Handeln außerhalb des EU-Rechts ermöglichen. Das ist der Weg, den die Staats- und Regierungsschefs gewählt haben. Der Vertrag soll um folgende Worte ergänzt werden:
„Die Mitgliedsstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus schaffen, der aktiviert wird, wenn dies unerlässlich ist, um die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes zu sichern. Die Bewilligung finanzieller Hilfen wird unter strikte Bedingungen gestellt.“
Welcher Artikel ergänzt oder ob ein neuer geschaffen werden soll, war noch nicht bekannt. Naheliegend ist eine Ergänzung des Art. 125 AEUV.
Vereinfachtes Verfahren
Dieses Vorgehen hätte einen großen Vorteil: Da sich die Schaffung des Schutzschirmes außerhalb des EU-Rechts abspielen würde, braucht die Union auch keine Kompetenz für die Schaffung des Rettungsschirms (diese existiert schon wegen Art. 125 AEUV momentan nicht). Damit ist die Vertragsänderung wohl im vereinfachten Verfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV möglich – und das Gespenst der Volksabstimmungen gebannt. Das ist jedenfalls der Plan der Politiker.
Artikel 48 EUV [Vertragsänderung]
[…](6) Die Regierung jedes Mitgliedstaats, das Europäische Parlament oder die Kommission kann dem Europäischen Rat Entwürfe zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union über die internen Politikbereiche der Union vorlegen.
1Der Europäische Rat kann einen Beschluss zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erlassen. 2Der Europäische Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich, der Europäischen Zentralbank. 3Dieser Beschluss tritt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.
Der Beschluss nach Unterabsatz 2 darf nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen.[Hervorhebungen vom Verfasser…]
Ob das allerdings so einfach ist, wie geplant, muss sich erst noch zeigen. Man kann zwar durchaus argumentieren, dass die Zuständigkeiten der EU nicht wachsen – man kann sogar sagen, dass sie kleiner werden, weil die Reichweite des Verbotes des Art. 125 AEUV eingeschränkt wird. Andererseits: Beruht die Wirkung der Maßnahmen nicht doch letztlich auf dem Vertrag? Insbesondere werden nämlich materielle Voraussetzungen geschaffen, die verbindlich sind (vgl. S.2). Wenn der EuGH die Ausgestaltung des Sicherungsfonds an Hand des Vertragswortlautes überprüfen kann – ist dann nicht der Rettungsschirm in die Zuständigkeiten der Union einbezogen? Hier bestehen doch Unsicherheiten…
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