Das erste Semester – Teil 4: Die Arbeit am Sachverhalt
Rechtzeitig zum Semesterstart wollen wir von Juraexamen.info uns auch an Frischlinge, also die Erstsemester, richten und ein paar kleine Tipps geben, die den Start ins Studium hoffentlich erleichtern. Die Reihe wird zeitnah fortgesetzt. Ziel des folgenden Artikels ist die Vermittlung der Grundlagen der Arbeit am Sachverhalt.
A. Allgemeines
In den Klausuren vor dem ersten Examen widmet man sich im Rahmen eines Gutachtens der rechtlichen Würdigung eines feststehenden Sachverhalts. Im Klartext: Man bekommt einen Lebenssachverhalt, den man einer rechtlichen Lösung zuführen muss. Dabei sollten folgende Grundregeln klar sein:
- Die Fallfrage am Ende des Sachverhalts gibt das Ziel der Bearbeitung vor.
- Der Sachverhalt steht fest.
- Angaben und Argumente dürfen und müssen für die Bearbeitung genutzt werden.
B. Feststehender Sachverhalt
Der Sachverhalt steht in den Klausuren, die man im Studium schreibt, fest. Das bedeutet für den Bearbeiter mehrerlei:
- Kein Unterstellen von Umständen, die der Sachverhalt nicht nennt, also keine „Sachverhaltsquetsche“!
- Umstände, die der Sachverhalt nennt, sind als wahr zu unterstellen. Bitte kein Widerspruch bei besserem Wissen („es gibt überhaupt keinen BMW mit 12 Zylinder Diesel“).
Im Einzelfall können sich hierbei natürlich Ausnahmen ergeben, vor allem im Hinblick auf den ersten Aspekt. Nicht jeder Sachverhalt ist bis ins letze Detail durchdacht und es mag sein, dass ein kreativer Kopf auf Lösungswege kommt, die der Sachverhaltsersteller nicht gesehen hat und daher auch keine entsprechenden Informationen eingebaut hat. Das wird aber die Seltenheit bleiben. Im Zweifel kann man in der Klausur nachfragen, auch wenn man zumeist keine befriedigende Antwort bekommen wird.
C. Verwendung der relevanten Angaben
Alle Informationen im Sachverhalt sollten auf ihre Relevanz hin überprüft und entsprechend genutzt werden. Eine genaue Arbeit am Sachverhalt unter Verwendung der Hinweise, Daten und Umstände wird vom Korrektor ebenso honoriert wie eine genaue Arbeit mit dem Gesetz. Besonders in Klausuren des öffentlichen Rechts steht ein Großteil der für die Lösung relevanten Argumente bereits explizit oder implizit im Sachverhalt. Insbesondere wenn Rechtsansichten geäußert werden („Das Gesetz ist verfassungswidrig, weil der Bundesrat nicht zugestimmt hat…“), ist das ein Zeichen dafür sich genau mit dieser Aussage zu beschäftigen. Ob man ihr nun folgt oder nicht, ist Sache der Bearbeitung und der eigenen Argumentation. Schreiben sie sich die divergierenden Argumente also ruhig aus dem Sachverhalt auf ein weißes Blatt. Das schafft Übersicht! Die Alarmglocken sollten ebenso ertönen, wenn unter dem Sachverhalt Gesetzestexte, Richtlinien, Verordnungen etc. abgedruckt sind. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass diese auch verwendet werden müssen! Ob sie nun relevant werden oder womöglich doch nicht anwendbar sind, ist wiederum Frage ihrer Bearbeitung. Eine Auseinandersetzung hiermit sollte aber stattfinden!
D. Konkrete Vorgehensweise
Es gibt natürlich kein Patentrezept! Hier muss jeder selbst herausfinden, mit welcher Methode er am besten arbeiten kann und will.
I. Erstmaliges Lesen des Sachverhaltes
Man sollte den Sachverhalt einmal komplett (inkl. aller Anhänge) lesen und sich ein Bild von seiner Komplexität machen. Dann die Fallfrage lesen und sich genau klarmachen, was diese von einem verlangt:
- Sind die „Erfolgsaussichten einer Klage“ verlangt, sind Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage zu prüfen. Wir nach einem Rechtsmittel gefragt, muss dies keine Klage sein. Mann muss also auf die Feinheiten achten, insbesondere bei der Fallfrage!
- Ist nach den „Erfolgsaussichten einer zulässigen Klage“ gefragt, darf man keinesfalls die Zulässigkeit prüfen.
- Ist die Fallfrage als Sachfrage formuliert („Wer ist Eigentümer des PKW?“), sollte auch nur dieser Aspekt Gegenstand der Bearbeitung und damit des Ergebnissatzes sein.
Diese Liste könnte man unendlich weiterführen und es würde immer noch Bearbeiter geben, die aus Nachlässigkeit oder Vergesslichkeit das berühmte Weihnachtsgedicht zu Ostern aufsagen. Die Fallfrage sollte man also genau lesen, verstehen und zum Leitfaden seiner Klausur machen. Schlägt man hier schon den falschen Weg ein, bedeutet das zumeist das AUS, jedenfalls für die gute Klausur.
II. Nochmaliges Lesen des Sachverhaltes und Unterstreichungen
Nun liest man den Sachverhalt nochmals durch, nimmt sich allerdings diesmal einen Stift zur Hand, um Markierung vorzunehmen:
- Markiert werden können eigene Assoziationen: Kommt einem ein bestimmter Sachverhalt bzw. eine Nuance bekannt vor, kann man seine Bemerkungen am Rand oder im Text festhalten. Das hat den Vorteil, dass man diese nachher nicht vergisst.
- Markiert werden können aber auch Besonderheiten, atypische oder unbekannte Umstände, Probleme oder Aspekte. Hier liegen zumeist die Probleme eines Falls. Im Erkennen solcher Problem in den tatsächlichen Gegebenheiten des Sachverhalts liegt bereits der erste Schritt zur guten Lösung.
Hat man den Sachverhalt und die Fallfrage nun nochmal gelesen, kann man sich zumeist schon ein gutes Bild von der Klausur machen.
III. Zwischen- und Endkontrolle
Enorm wichtig ist sich zwischendurch und insbesondere am Ende zu vergewissern, dass man bei der Bearbeitung alle Informationen, die man am Anfang als wichtig erkannt hat, auch eingearbeitet hat. Nichts ist ärgerlicher, als ein Problem erkannt zu haben, dieses aber aus Nachlässigkeit oder Hektik nicht erwähnt zu haben. Daher kontrollieren Sie ihre Bearbeitung auf solche Lücken!
mE ist es besser zuerst die Fallfrage & Bearbeitervermerk zu lesen und danach erst den Sachverhalt. Grund: Man weiß, welche Person bzw. Personen wichtig sind. Wie oft musste ich schon Sachverhalte lesen, die mit X und Y angefangen haben, diese aber am Ende nur eine kleine bis sogar gar keine Rolle gespielt haben.
Auch kann es passieren, dass es – nur ein Beispiel – zwei Täter gibt, aber nur einer geprüft werden muss, weil der eine Täter einfach laut Bearbeitervermerk nicht geprüft werden soll. Da man dies allerdings noch nicht weiß, weil man noch gar nicht bis zur Fallfrage bzw. Bearbeitervermerk gekommen ist, verliert man paar Minuten, da man sich somit unnötig Gedanken über paar §§ macht. Das passiert automatisch… zumindest bei mir.
Außerdem stehen im Bearbeitervermerk oftmals Dinge wie: §§ 000 StGB sind nicht zu prüfen; auf §§ 000 XXX soll nicht eingegangen werden.