BVerfG: Durchsuchung eines lokalen Radiosenders verfassungswidrig
Wir freuen uns über einen weiteren Gastbeitrag von Nicolas zu zwei aktuellen Beschlüsseln des BVerfG vom 10. Dezember 2010.
In zwei Entscheidungen zur Durchsuchung eines lokalen Rundfunksenders (BVerfG, 1 BvR 1739/04 und 1 BvR 2020/04 – Beschlüsse vom 10. Dezember 2010) hat das BVerfG die Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 I 2 GG gestärkt. Mit Blick auf die brandaktuelle Diskussion um das Mediengesetz in Ungarn und dem Zustand der dortigen Presse- und Rundfunkfreiheit sicherlich interessantes „Futter“ für Examensprüfungen.
Sachverhalt
„Freies Sender Kombinat e.V.“ (FSK) ist ein lokaler Radiosender, der sich vorwiegend mit politischen Inhalten beschäftigt. Im Oktober 2003 wird ein Beitrag gesendet, der von angeblichen Übergriffen von Polizeibeamten auf Demonstranten handelt. Dabei wird der Mitschnitt eines Telefonats abgespielt, der zwischen einem Mitarbeiter des Senders und dem Pressesprecher der Polizei stattgefunden hat. Ersterer hatte sich als Angehöriger des Radios namentlich zu erkennen gegeben und – laut eigener Aussage – die Aufzeichnung des Gesprächs angekündigt. Dies wird vom Pressesprecher der Polizei jedoch bestritten.
Daraufhin wird ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 I StGB) eingeleitet. Auf Anordnung des Amtsgerichts kommt es zur Durchsuchung der Geschäftsräume des FSK , um die Identität des Moderators festzustellen. Hierbei werden Grundflächenskizzen und Lichtbilder von allen Räumlichkeiten der Rundfunkanstalt angefertigt sowie diverse Aktenordner mit Redaktionsunterlagen sichergestellt, von denen die Staatsanwaltschaft vor ihrer Rückgabe an den Beschwerdeführer teilweise Kopien fertigte. Während der Durchsuchung gab sich ein Mitarbeiter des Beschwerdeführers als Anrufer zu erkennen.
Auf Beschwerde des FSK betreffend der Rechtswidrigkeit der o.g. Ermittlungsmaßnahmen, reagiert das AG, bestätigt durch das LG, ablehnend. Eingehendere Erwägungen bezüglich etwaiger Grundrechtseingriffe werden nicht angestellt.
Das FSK legt unter Berufung auf Art. 5 I 2 GG Verfassungsbeschwerden gegen die Durchsuchungsanordnung und gegen die Entscheidung des Gerichts ein, die die Art und Weise der Durchsuchung, Sicherstellung und Beschlagnahme bestätigt.
Entscheidung des BVerfG
A. Verfassungsmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung
I. Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 5 I 2 GG
Der Schutzbereich von Art. 5 I 2 GG ist sowohl in persönlicher, als auch sachlicher Hinsicht eröffnet.
„Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit, das auch juristischen Personen zusteht, die – wie der Beschwerdeführer – Rundfunkprogramme veranstalten, gewährleistet nicht nur als subjektives Recht den im Rundfunkwesen tätigen Personen und Unternehmen Freiheit von staatlichem Zwang, sondern schützt in seiner objektiven Bedeutung darüber hinaus die institutionelle Eigenständigkeit des Rundfunks von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen. […] Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk zu ihren Informanten sowie die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit.“
II. Eingriff
Bei der Durchsuchungsanordnung handelt es sich ferner um einen Eingriff in die von Art. 5 I 2 GG gewährleisteten Schutzgüter.
„Eine Durchsuchung in den Räumen eines Rundfunkunternehmens stellt – ebenso wie die Durchsuchung von Presseräumen – wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit sowie der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dar.“
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
1. Schranken
Gemäß Art. 5 II GG ist Art. 5 I GG durch die Vorschriften der allgemeinen Gesetze beschränkbar. Allgemeine Gesetze sind in der Regel solche Gesetze, die so gestaltet sind, dass sie nicht ganz bestimmte Inhalte bzw. die Verbreitung dieser verbieten. Vorliegend könnte es sich bei den Vorschriften der Strafprozessordnung um allgemeine Gesetze handeln.
„Die Bestimmungen der Strafprozessordnung mit ihrer prinzipiellen Verpflichtung für jeden Staatsbürger, zur Wahrheitsfindung im Strafverfahren beizutragen und die im Gesetz vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen zu dulden, sind als allgemeine Gesetze anerkannt. […] Eine solche Zuordnung (der widerstreitenden Rechtsgüter – Anm.d.V.) hat der Gesetzgeber vorgenommen, indem er einerseits die allgemeine Zeugnispflicht von Medienangehörigen in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO und korrespondierend hierzu Beschlagnahmen bei Journalisten und in Redaktionsräumen in § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO eingeschränkt hat, andererseits aber ein Beschlagnahmeverbot in § 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StPO bei strafrechtlicher Verstrickung des Zeugen oder der Sache wiederum ausgeschlossen hat. “
2. Verhältnismäßigkeit der Maßnahme
Die Durchsuchungsanordnung muss verhältnismäßig gewesen, d.h. das eingesetzte Mittel muss zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die Durchsuchungsanordnung war generell dazu geeignet, einem begründeten Anfangsverdacht bezüglich einer Straftat nach § 201 I StGB) nachzugehen und weitere Erkenntnisse zur Strafverfolgung zu erhalten.
a.) Fraglich könnte jedoch sein, ob die Anordnung erforderlich war. Dies wäre der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses kein milderes, gleich wirksames Mittel unmittelbar zur Verfügung gestanden hätte.
„Eine Beschlagnahme von Beweismitteln in Redaktionsräumen oder Rundfunksendern – und eine hierauf gerichtete Durchsuchung – kommt nach den Vorgaben des Gesetzgebers gemäß § 97 Abs. 5 Satz 2, 2 HS StPO aber auch bei Entfallen eines Beschlagnahmeverbotes nur dann in Betracht, wenn die Ermittlung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder unmöglich wäre. Der Gesetzgeber bringt mit dieser Subsidiaritätsvorschrift zum Ausdruck, dass die besondere Schutzbedürftigkeit von Presse- und Rundfunkunternehmen auch bei Entfallen eines Beschlagnahmeverbotes zu beachten ist und schränkt den Spielraum der Ermittlungsbehörden, über die Vornahme einzelner Ermittlungsmaßnahmen zu befinden, hier ein. […] Die angegriffenen Entscheidungen befassen sich aber nur mit der Frage, ob die vorherige Befragung des Beschuldigten P. unterbleiben konnte, nicht aber damit, ob angesichts der schon vorliegenden Erkenntnisse eine Aufklärung der Taten auch ohne Durchsuchung der Räume der Beschwerdeführerin zur Beschlagnahme der gesuchten Beweismittel möglich gewesen wäre.“
Die Durchsuchungsanordnung war demnach nicht erforderlich
b) Darüber hinaus könnte es an der Angemessenheit der Maßnahme im Rahmen einer Interessenabwägung mangeln. Das BVerfG kritisiert, dass in dem Beschluss des Gerichts keine Erwägungen bzgl. etwaiger Grundrechtseingriffe angestellt wurden.
„Zum einen wäre das Interesse an der Verfolgung der konkreten Tat zu gewichten gewesen. Für die Schwere der Tat macht es einen erheblichen Unterschied, welchen Grad der Vertraulichkeit der Sprecher erwarten durfte; äußerte er sich von vornherein an die Öffentlichkeit gerichtet, bleibt die Aufzeichnung seines gesprochenen Wortes zwar jedenfalls grundsätzlich strafbar, wiegt indes weniger schwer, als wenn etwa ein Gespräch zweier sich unbelauscht fühlender Gesprächspartner heimlich aufgezeichnet wird.“
Zum anderen wären zur Gewichtung der Schwere des Grundrechtseingriffs nicht nur die tatsächlichen Behinderungen der Sendetätigkeit zu berücksichtigen gewesen. […]
Auch dient der grundrechtliche Schutz des Redaktionsgeheimnisses nicht etwa dazu, Medienangehörige vor der Strafverfolgung zu schützen und ihnen einen Deckmantel zur Begehung von Straftaten zu bieten. Sie dient vielmehr der Gewährleistung einer von staatlicher Beeinflussung und Einschüchterung freien Berichterstattung und dem Erhalt der Voraussetzungen der Institutionen einer freien Presse und eines freien Rundfunks. […] Auch wenn das einfache Recht den generellen Beschlagnahmeschutz in Redaktionsräumen bereits dann entfallen lässt, wenn nur einer der Medienmitarbeiter Beschuldigter oder der Beteiligung verdächtig ist, so muss bei der Gewichtung der Schwere des Eingriffs im Einzelfall doch gleichwohl berücksichtigt werden, ob die Ermittlungsmaßnahme auf die räumliche Sphäre des oder der beschuldigten Journalisten beschränkt werden kann oder ob sie sich, insbesondere wenn sie wie hier der Aufdeckung der Identität eines unbekannten Medienmitarbeiters dient, zwangsläufig auf eine gesamte Redaktion erstreckt. […] Die Durchsuchung der Räume eines Rundfunksenders hat regelmäßig eine Störung des Vertrauensverhältnisses der Rundfunkanstalt zu ihren Informanten zur Folge, die befürchten werden, dass ihre Identität anlässlich einer solchen Durchsuchung aufgedeckt werden könnte. Zudem kann von einer uneingeschränkten Durchsuchung, die dem Staat einen umfassenden Einblick in die inneren Vorgänge einer Redaktion verschafft, indem die Identität aller Redaktionsmitarbeiter einschließlich ihrer Arbeitsbereiche aufgedeckt wird, eine erhebliche einschüchternde Wirkung auf das betroffene Presseorgan ausgehen, die geeignet sein kann, die Bereitschaft der Redaktion oder einzelner an der Tat nicht beteiligter Redaktionsmitarbeiter erheblich zu beeinträchtigen, in Zukunft auch staatliche Angelegenheiten zum Gegenstand kritischer Recherchen und Berichterstattung zu machen.
Ergebnis: Es liegt ein rechtswidriger Eingriff in die Rundfunkfreiheit vor.
B. Verfassungsmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme
(Das parallele Verfahren 1 BvR 2020/04 fußt in der Sache im wesentlichen auf den gleichen, grundrechtlichen Erwägungen. Es handelt sich auch hier um einen Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit, wobei insbesondere auf die physische Beschlagnahme von Redaktionsmaterialien und die Ablichtung von Redaktionsräumen abgestellt wird. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt auch hier ebenfalls in der Verhältnismäßigkeit, da das Gericht diesbezüglich wie schon in 1 BvR 1739/04 keine ausreichende Auseinandersetzung erkennen lassen habe. – Anm.d.V.)
Fraglich ist allein, ob die getroffenen Ermittlungsmaßnahmen verhältnismäßig sind. Dabei ist zwischen der Beschlagnahme von Aktenordnern, etc. und der Ablichtung der Räume zu unterscheiden.
I. Beschlagnahme
„Zumindest im Ergebnis nicht zu beanstanden ist allerdings, dass die Fachgerichte den Ablichtungen eine hinreichende Beweisbedeutung für das Ermittlungsverfahren beigemessen haben. Ein Verdacht der Begehung von Straftaten im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. und Nr. 2 StGB konnte hier angenommen werden. Auch die Annahme, dass den Unterlagen Hinweise auf die Identität der an der Ausstrahlung der Radiosendung beteiligten Personen entnommen werden konnten, erscheint vertretbar. […]
Aber:
Auch wenn umfangreiche Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit nicht stets von Verfassungswegen geboten sind, waren sie vorliegend jedoch nicht entbehrlich, da die Schwere der konkret in Rede stehenden Tat jedenfalls nicht ohne Weiteres geeignet erscheint, den in Rede stehenden erheblichen Eingriff in die Rundfunkfreiheit zu rechtfertigen.
[Es] ist den Gründen der Entscheidungen nicht zu entnehmen, ob Amtsgericht oder Landgericht andererseits die erhebliche Beeinträchtigung des von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfassten Schutzes der Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit, die mit einer beschlagnahmeersetzenden Ablichtung von Unterlagen über Arbeitsweise und Mitarbeiter zweier Redaktionsabteilungen eines Rundfunkunternehmens einhergeht, in die Abwägung einbezogen haben. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auch auf dieser Verkennung von Reichweite und Wirkkraft des Grundrechts der Rundfunkfreiheit, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Fachgerichte bei Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit zu einem anderen Ergebnis gelangt wären.“
II. Ablichtung und Skizzen der Räumlichkeiten
„Den angegriffenen Entscheidungen, die die Beurteilung der Dokumentation auf diesen Rechtsgedanken stützen, ist aber keine Begründung dafür zu entnehmen, weshalb der Auffindeort der allein sichergestellten Aktenordner für die Zwecke des Ermittlungsverfahrens von Belang sein könnte. […] Außerdem wurden hier keineswegs nur das Büro, in dem die Unterlagen aufgefunden worden sind und dessen unmittelbare Umgebung, sondern alle Räume des Senders fotografiert und skizziert, ohne dass ein Grund für eine derart ausführliche Dokumentation ersichtlich wäre.“
Ergebnis
Damit ist auch bezüglich der Art und Weise der Durchsuchung, soweit es um die genannten Ermittlungsmaßnahmen geht, der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit verletzt.
Interessanter Artikel von Prof. Degenhart zur Zusammensetzung und politischen Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wie ARD und ZDF auf FAZ.net:
https://faz.net/-01n2mh
Gruß