Anscheinsvollmacht beim Onlinebanking unter fremder PIN-Nummer
Am 19.7.2010 hatte das OLG Schleswig (Az. 3 W 47/10) entschieden, dass die Grundsätze der Anscheinsvollmacht Anwendung finden, wenn ein Bankkunde seine Zugangsdaten und seine TAN-Liste an einen Dritten weitergibt und dieser Dritte unter Nutzung des Zugangs des Kunden Überweisungen tätigt.
„[Nach den Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht ist] ist ein Verhalten wegen schuldhaft verursachten Rechtsscheins dann zuzurechnen, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters zwar nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und der andere Teil annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Verhalten des Vertreters. Diese Grundsätze der Anscheinsvollmacht sind anwendbar, wenn ein Kunde des online-bankings seine online-PIN und die weiteren Zugangsdaten wie Kontonummer und nicht verbrauchte TAN an einen Dritten weitergibt und so selbst die Voraussetzung dafür schafft, dass der Dritte „unter fremder Nummer“ (Hanau, VersR 2005, 1215 ff) der Bank Anweisungen gibt, das Konto zu belasten. Selbst wenn die Befugnis des Dritten, Abbuchungen zu veranlassen, im Innenverhältnis begrenzt ist, greifen dann im Außenverhältnis zur Bank die genannten Rechtsscheinsgrundsätze (Gößmann in Schimansky u.a., Bankrechtshandbuch I, 2. A. 2001, § 55 Rn. 26; Hanau, a.a.O. jeweils m.w.N.; vgl. ähnlich bereits für die zurechenbar vom Anschlussinhaber verursachte missbräuchliche Nutzung eines BTX-Anschlusses OLG Oldenburg NJW 1993, 1400; siehe auch LG Berlin, Urt. v. 11.8.2009, 37 O 4/09, bei juris Rn. 15 sowie – jeweils für weitergegebene und missbräuchlich genutzte ebay-Kennung – LG Aachen NJW-RR 2007, 565 und Palandt/Ellenberger, BGB, 69. A. 2010, § 172 Rn. 18).“
Ein ganz schöner Fall für das mündliche Examen, weil hier auf der Basis allgemeiner Kenntnisse (Rechtsscheinvollmacht – was ist das? Gibt es eine solche überhaupt (a.A. Flume!)? Was sind die Voraussetzungen?) recht freie Argumentation möglich ist. Zu Beachten ist auch, dass es hier nicht um ein Handeln „in fremdem Namen“, sondern um ein Handeln unter fremden Namen (d.h. der Vertreter tritt als der Vertretene auf, Offenkundigkeitsprinzip nicht eingehalten) geht. Entsprechend sind die §§ 164ff. BGB nur analog anwendbar.
Diskutabel ist vor allem, inwiefern durch die (missbräuchliche) Nutzung eines fremden Benutzerkontos ein Rechtsschein entstehen kann. Mehrere Gerichte haben judiziert, dass der einfache Schutz eines Online-Kontos durch ein Passwort noch keine Rechtsscheinhaftung begründe, wenn der Kontoinhaber von einem Missbrauch durch Dritte keinerlei Kenntnis hatte bzw. diesen Missbrauch auch nicht verhindern konnte (OLG Hamm v. 16.11.2006 – 28 U 84/06 Rn. 22; OLG Köln v. 13.01.2009 – 19 U 120/05 Rn. 19 f.). Für die Haftung für Schutzrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstößen hat der BGH ausgeführt, dass wenn ein Dritter bei eBay ein fremdes Mitgliedskonto zu Schutzrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstößen nutzt, eine Haftung des Kontoinhabers in Betracht komme, wenn er das Mitgliedskonto nicht hinreichend vor fremden Zugriff geschützt hatte (BGHv. 11.03.2009 – I ZR 114/06, Rn. 16). Man kann darüber streiten, ob diese Wertung auf die Rechtsscheinvollmacht übertragbar ist.
Gegen die Annahme einer Anscheinsvollmacht in Konstellationen wie dem Online-Banking wurde außerdem vorgebracht, dass der andere Vertragspartner nicht von einer Vertretungssituation, also von der Vertretung seines Vertragspartners durch einen Dritten, ausgehe (vgl. Schöttler, jurisPR-ITR 17/2010 Anm. 5 m.w.N.). Inwiefern das gegen einen Rechtsschein spricht, ist mir freilich nicht klar. Zwar ist formal zuzugeben, dass kein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Bevollmächtigung entstehen kann. Jedoch muss auch der Rechtsschein für die Abgabe der Willenserklärung durch den Vertretenen ausreichen. Das zeigt sich schon daran, dass die h.M. auch im Falle fehlenden Erklärungsbewußtseins dem scheinbar Erklärenden die Willenserklärung zurechnet. Auch dabei stützt sie sich auf den äußeren Schein der Erklärung und die „Erklärungsfahrlässigkeit“ des Handelnen. Im vorliegenden Fall ist der äußere Tatbestand der Erklärung ihm in vergleichbarer Weise zuzurechnen. Außerdem ist in diesem Fall der scheinbaren Abgabe durch den Vertretenen selbst der Rechtsverkehr noch schutzwürdiger als im Falle der Vertretung: Wer weiß, dass ein Vertreter handelt, kann darauf verwiesen werden, das Risiko, dass dieser ohne Vertretungsmacht handelt, bewusst eingegangen zu sein. Handelt dagegen der Vertretene selbst, so fällt ein mögliches Risiko für die Wirksamkeit des Vertrages weg. Das Vertrauen darauf, dass die Willenserklärung von ihm stammt und wirksam ist, ist daher umso stärker.
In der Prüfung lässt sich die Problematik ohne weiteres mit den sogenannten Anweisungsfällen, also der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung im Dreipersonenverhältnis kombinieren – darum ging es auch beim OLG Schleswig:
Der Bankkunde A klagte gegen D, dem er die Daten überlassen hatte und der bei der Bank B Überweisungen vom Konto des A auf sein eigenes Konto angewiesen hatte, auf Rückzahlung dieser Zahlungen. Anspruchsgrundlage war § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Da die Anweisung im Verhältnis zur Bank wirksam erteilt wurde, ist diese zumindest vom Bereicherungsausgleich auszunehmen. Somit kommen nur Direktansprüche gegen D in Betracht. Das OLG hatte über den Antrag des A auf Prozesskostenhilfe im Prozess gegen D zu entscheiden. Wegen hinreichender Erfolgsaussichten (§ 114 ZPO) gewährte das OLG die Zahlungen.
1. „Zwar ist formal zuzugeben, dass kein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Bevollmächtigung entstehen kann.“
Wie kann man dann begrifflich überhaupt noch von einer Anscheinsvollmacht reden? Welche Voraussetzung dieses Institutes liegt denn dann überhaupt noch vor? Formal betrachtet? Nicht so viele denke ich … Was ist mit dem Merkmal der Gutgläubigkeit des Anderen? Das muss sich auf eine wirksame Bevollmächtigung beziehen. Das schließt aber aus, dass der Andere dachte, dass es sich um ein Eigengeschäft (Vorstellung beim Handeln unter fremden Namen) handelt.
Mir kommt das so vor, als ob sich das OLG hier einfach die dogmatischen Teilaspekte unterschiedlicher Rechtsinstitute (Handeln unter fr. Namen und AnschVmacht) herausgepickt hat, die hier noch so gerade passen. Die anderen wurden offensichtlich weggelassen.
2. Johannes, wenn Du meinst, man könne dies auch mit dem fehlenden EBW vergleichen, würdest Du dem scheinbar Vertretenen auch ein Anfechtungsrecht analog § 119 I 2 BGB geben?
Wie löst Du hier die Anfechtungssituation? Wenn Du jetzt sagst, der Vertreter kann die „Anscheinsvollmacht“ nach allg. Grundsätzen nicht anfechten, hebst Du ja die (scheinbare) Vergleichbarkeit wieder auf…
3. Folge des Handelns unter fremdem Namen ist weitgehend unstr. die Anwendung der §§ 177 ff. BGB analog. Der „scheinbar“ Vertretene kann Genehmigen. Wenn er dies nicht tut, haftet der Vertreter nach § 179 BGB analog. Warum soll das nicht genügen?
Sollte der Vertretene hier tatsächlich seine Daten weiteregegeben haben, kommt auch gegen ihn ein Anspruch aus dem GiroVertrag iVm §§ 280, 241 II BGB in Betracht (cic), so dass dieser dogmatisch fragwürdige Weg nicht beschritten werden muss.
Christian, dass die Anscheinsvollmacht dogmatisch fragwürdig ist, hat ja bereits Flume herausgearbeitet. Trotzdem würde ich nicht empfehlen, im Examen dieser Meinung zu folgen.
Vom Standpunkt der h.M. sind meine Ausführungen M.E. dagegen richtig: Es ist in der Praxis ganz anerkannt, dass auch bei einem Handeln „unter fremdem Namen“ die Stellvertretungsvorschriften entsprechend gelten und zwar inklusive der Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht (ausdrücklich z.B. OLG Zweibrücken v. 11.1.1993 – 13 U 133/92, NJW 1993, 1400; LG Bonn v. 19.12.2003 – 2 O 472/03, CR 2004, 218). Natürlich kann man dann nicht davon sprechen, dass der Anschein einer Vollmacht besteht. „Anscheinsvollmacht“ steht als Chiffre für eine die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung, die eine Erfüllunghaftung begründen kann und nicht anfechtbar ist (was ja auch im Detail umstritten ist). Ich denke vom Standpunkt der Rspr. ist es absolut konsequent, eine Rechtsscheinhaftung gerade beim Handeln unter fremdem Namen zu bejahen, weil in dem Fall das Vertrauen des Rechtsverkehrs typischerweise deutlich größer ist. Man stelle sich den Fall vor, der Bürovorsteher eines Kaufmanns schließt als dessen Angestellter wiederholt Verträge, obwohl er dazu nicht berechtig ist; für den Kaufmann war es jedoch erkannbar. Dann wird der Kaufmann nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht verpflichtet. Wandeln wir den Fall ab: Jedes Jahr fährt der Kaufmann zwei Monate in Urlaub. Während dieser Zeit zieht der Bürovorsteher – unzulässigerweise – in das Büro seines Chefs um, verwendet die Visitenkarten und schließt unter dem Namen seines Chefs Verträge. Auch das wäre für den Kaufmann erkennbar gewesen. Es wäre doch sehr befremdlich, im ersten Fall zu einer vertraglichen Verpflichtung zu kommen, im zweiten jedoch nicht.
Zur Anfechtbarkeit: Wie gesagt, das ist umstritten. Ich meine die Vergleichbarkeit zum fehlenden Erklärungsbewußtsein ist trotzdem gegeben, weil auch dort aus fahrlässigem Rechtsschein eine vertragliche Bindung konsturiert wird. Dass diese im Fall der Anscheinsvollmacht nicht anfechtbar ist, ist eine Kritik die sich gegen die Anscheinsvollmacht insgesamt wendet.
Außerdem ist die Situation durchaus eine andere. Bei der Anscheinsvollmacht liegt ein Fall der Vertretung vor. Für Willensmängel kommt es gem. § 166 Abs. 1 BGB grds. auf die Person des Vertreters an. Dieser hat aber ja gar keinen Willensmangel. Und es ist auch durchaus aus Sicht des Verkehrsschutzes konsequent, so zu differenzieren. Der Vertragspartner kann sich nur ein Bild von dem ihm Gegenüberstehenden machen. Hat dieser erkennbar mit klarem Kopft entschieden, spricht viel dafür, dass kein Willensmangel vorliegt. Das Vertrauen in die Wirksamkeit der Erklärung ist daher höher. Er kann sogar nachfragen und so seine Interessen noch besser schützen. Im Falle des fehlenden Erklärungsbewußtseins hätte er durch nachfragen etc. den Fehler bereits aufdecken können. Deshalb ist dort eine Anfechtung eher gerechtfertigt, als bei der Anscheinsvollmacht. Es muss für Willensmängel primär auf die dem Vertragspartner gegenüberstehende Person ankommen.
Warum genügt § 179 BGB nicht? 1. Das ist auch allgemeine Kritik an der Anscheinsvollmacht.
2. Es ist ja gerade ein „Handeln unter fremden Namen“, weil es dem Vertragspartner auf den Vertretenen ankam – häufig aus Gründen der Bonität!
3. Anders als bei offengelegter Vertretung geht er das Risiko nicht bewußt ein und kann daher auch keine Vorsorge treffen.
Zu §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB: Dieser Anspruch ist Zufall. Es bestehen häufig keine vorherigen vertraglichen Beziehungen, so dass der Weg über §§ 280, 241 Abs. 2 BGB dort ausscheidet. Es ist ja gerade Zweck der Anscheinsvollmacht, eine vertragliche Beziehung zu begründen.
Hi Johannes,
danke für Deine Antwort.
Zu Deinem Beispielsfall bzw. den beiden Fällen. Diese sind im Prinzip gleich -auch mit dem Ausgangsfall und helfen doch gar nicht weiter außer dass Du hierin ein Bedürfnis für eine Erfüllungshaftung siehst. Ich meine mal ernsthaft, Du erzählst hier einfach den selben Fall – ohne wesentliche Veränderung – hintereinander und ziehst dann den einen zur Begründung des anderen heran?
Anknüpfungspunkt für eine Rechtsscheinshaftung ist eben auch das Vorstellungsbild des Vertragspartners! Und dass dieser zugleich denkt, der andere Vertragspartner (der unter dessen Namen gehandelt hat) stehe ihm in persona gegenüber und auch denkt, dies sein zugleich ein Stellvertreter des richtigen Vertragspartners, ist eben bereits logisch ausgeschlossen.
Meine Stellungnahme war gerade keine Kritik an der Anscheinsvollmacht an sich, sondern an einer Ausweitung der Figur auf Fälle, bei denen die Voraussetzungen nicht gegeben sind. Und das ist hier nunmal offensichtlich der Fall.
Unter Stellvertretungsvorschriften, die nach hM fürs Handeln unter fr. Namen angewendet werden, ist die Anscheins- und DV hier gerade nicht zu verstehen. Das ist eben die Konsequenz aus dem bereits von mir Gesagten.
Faktisch wird doch der Begriff Anscheinsvollmacht hier in eine allgemeine „Rechtsscheinshaftung“ (als Chiffre) – ohne Voraussetzungen – ausgedehnt. Dass der Rechtsschein einer Bevolmächtigung besteht und dass der „Vertragspartner“ eben gerade auf diesen gutgl. vertraut ist nunmal (jedenfalls bislang) anerkannte Voraussetzung.
Zur Anfechtbarkeit und dem fehlenden EBW: Hier wollte ich nur darauf hinweisen, dass diese Fälle nunmal nicht miteinander vergleichabr sind. Aber dies erkennst Du ja in deiner Antwort selbst.
Zu Deinen Ausführungen zu § 179 BGB:
So ganz kann ich diese nicht nachvollziehen bzw. halte sie für zu unpräzise.
1. Nur weil etwas zugleich Kritik an der AV ist heißt es nicht dass es hier – in einem anderen Fall – nicht passt oder verkehrt ist.
2. Es ist doch absolut anerkannt, dass § 179 BGB analog für die Fälle des Handelns unter fr. Namen gilt – sofern der echte Namensinhaber das Geschäft nicht genehmingt. Dies ist hier nunmal klar der Risikosphäre des Dritten zuzuordnen.
3. Ich würde schon annehmen, dass in den Fällen der WE unter Abwesenden, insb. im Internet, ein solches Risiko jedenfalls nicht völlig unbewusst eingegangen wird. Ich würde hier sogar soweit gehen zu sagen, dass liegt vielleicht eher ein bisschen in der Risikosphäre des Vertragspartners (der Bank), die ja gerade auch von solchen Vereinfachungen profitiert, so dass es gerechtfertigt erscheint, sie auf das negative Interesse zu verweisen.
Zu der Kritik an §§ 280, 241 BGB. Warum Zufall? Gerade hier in den Fällen, in denen ein Girovertrag oder so geschlossen wurde doch gerade nicht!
Wenn kein Vertrag vorliegt ist auch ein Weg über die AV schwierig. Dann liegt ein Fall des erstmaligen Auftretens als „Vertreter“ vor. Hier ist jedenfalls sehr str. und weitgehend ungeklärt, ob ein einmaliges Auftreten bereits zur Begründung eines zurechenbaren Rechtsscheines genügen kann.
Abgesehen davon ist die oben genannte Konstellation eben noch nicht höchstrichterlich entschieden. Weitgehend unbegründete Entscheidungen von Instanzgerichten helfen hier nicht weiter.
Lieber Christian,
ich glaube, Du hältst Dich zu sehr an Begrifflichkeiten fest – was ja nicht weiter tragisch ist, war das Rechnen mit Begriffen doch für Jahrzehnte die führende juristische Denkschule.
Im Ernst: Wie ich versucht habe zu erläutern meint „Anscheinsvollmacht“ beim Handeln unter fremdem Namen nicht gleichzeitig den Glauben an die Identität der anderen Person UND an eine Bevollmächtigung als Stellvertreter. Der Rechtsschein, der entsteht, bezieht sich auf die Identität der dem Vertragsschließenden gegenüberstehenden Person. Er glaubt, diese sei der angeblich Handelnde; und er glaubt sicherlich nicht, dass es eine andere Person sei, die gleichzeitig bevollmächtigt wurde.
Warum dann den Begriff Anscheinsvollmacht?
Der Begriff Anscheinsvollmacht wird nur verwandt, weil der gleiche Gedanke von Rechtsscheinhaftung, der der Anscheinsvollmacht zu Grunde liegt, auch hier Anwendung finden muss. Es ist nahe liegend, von einer „Anscheinsvollmacht“ zu sprechen, weil die Regeln der Stellvertretung auf das Handeln unter fremdem Namen analog Anwendung finden. Man sucht also aus den Regeln der Stellvertretung die aus, die in der vorliegenden Situation wegen einer vergleichbaren Interessenlage Anwendung finden müssen.
Aber in diesem Fall kann natürlich die Anscheinsvollmacht nicht 1:1 angewandt werden – das würde, wie Du selbst sagst, keinen Sinn machen. Jede Analogie erfordert vielmehr die Anpassung der zu übertragenen Regel auf den neuen Fall. Damit ist Raum für eine Modifikation der „Anscheinsvollmacht“ geschaffen; sie muss insofern angepasst werden, als es die Andersartigkeit der neuen Anwendung erfordert und es noch von einer Vergleichbarkeit der Interessenlage getragen wird. Du kannst also nicht einfach die im Rep gelernten Definition blind übertragen. Es ist nämlich ein anderer Fall, der aber auf Grund der Wertung des Gesetzgebers ähnlich entschieden werden muss.
Zum Nachweis, dass die Fälle wertungsmäßig gleich entschieden werden müssen, dienten meine Beispielsfälle. Ich jedenfalls würde im zweiten weniger an der Wirksamkeit eines Vertrages zweifeln als im ersten. Damit ist die Wertung, hier das Vertrauen des Verkehrs zu schützen, anwendbar. Die Interessenlage ist vergleichbar, weil der gleiche Gedanke des Verkehrsschutzes auch hier Geltung beansprucht, auch wenn nicht das Vertrauen auf eine „Vollmacht“ geschützt wird.
Die Anscheinsvollmacht ist nämlich nur eine Ausprägung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Anders als Du zu glauben scheinst, wird das Vertrauen auf einen zurechenbar gesetzten Rechtsschein im gesamten Zivilrechtsverkehr geschützt, egal worauf er sicht bezieht, so lange der andere Teil schutzwürdig ist und der Rechtsschein kausal für das Verhalten des anderen Teils war (vgl. dazu Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, passim; s. etwa auch Baumbach/Hopt-Hopt, HGB, 34. Auflage 2010, § 5 Rn. 9 [genau lesen, es geht um die Teile zum Privatrecht], vgl. auch §§ 15 HGB, 892 Abs. 1, 1006 BGB). Das ist inzwischen der Standpunkt der ganz h.M. und der Rspr. Die Anscheinsvollmacht ist nur eine Ausprägung dieses Grundsatzes, sie bezieht sich auf das Vertrauen in die Wirksamkeit einer Vollmacht. Ein Rechtsschein kann jedoch auch für andere Dinge entstehen, etwa für die Identität einer Person. Das ist die Grundlage, auf der man hier eine Erfüllungshaftung begründen kann. Wenn Du möchtest, kannst Du den Begriff der Anscheinsvollmacht vermeiden und direkt die allgemeine Rechtsscheinhaftung prüfen. Wird nur evtl. für Verständnisprobleme sorgen, weil der Prüfer vermutlich das Stichwort „Anscheinsvollmacht“ hören möchte.
Man muss dann natürlich im Einzelfall prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen. Ich will zugeben, dass man natürlich im Einzelfall anders entscheiden kann, etwa im Hinblick auf das Entstehen des Rechtsscheins, die Zurechenbarkeit dieses oder die Schutzwürdigkeit des anderen Teils. Aber dass dogmatisch nach h.M. eine „Anscheinsvollmacht“ bei Handeln unter fremdem Namen möglich ist, ist unbestritten und folgt schon zwingend aus der Anerkennung der Vertrauenshaftung als allgemeinen Rechtsgrundsatz.
Du kannst Dich natürlich auf die Seite der Fundamentalopposition schlagen (Flume) und argumentieren, ein solcher Rechtsschein könne keine Erfüllungshaftung begründen – unter anderem mit dem Verweis auf § 179 BGB. Aber das tust Du ja noch nicht einmal. Du behauptest einfach, es ginge nicht um eine Vollmacht. Das ist aber, wie gesagt, ein begriffliches Problem. Entscheidend ist, welcher Wertung zu folgen ist und da hast Du bisher bis auf den Verweis auf mögliche Alternativen – § 179 BGB und §§ 280, 241 Abs. 2 BGB – wenig gebracht. Wenn Du diese Alternativen für ausreichend hältst, kannst Du aber auch gleich auf die Anscheinsvollmacht verzichten, weil ihr diese genauso entgegengehalten werden können. Und dass im Internet das Vertrauen auf die Identität des Vertragspartners nicht schutzwürdig sei: Das ist ein Argument, dass nichts über die Anwendbarkeit von Rechtsscheinsgrundsätzen auf das Handeln unter fremdem Namen aussagt, sondern nur das Bestehen eines Rechtsscheins im Einzelfall bezweifelt. Damit argumentierst Du aber bereits auf meiner dogmatischen Linie, weil Du die Voraussetzungen der „Anscheinsvollmacht“/Rechtsscheinhaftung subsumierst.
Ach ja und dazu, dass „weitgehend unbegründete Entscheidungen von Instanzgerichten“ nicht weiterhelfen: Diese Aussage ist arrogant und hilft im Gegensatz zu den Urteilen tatsächlich nicht weiter. Das sind erfahrene Juristen; ihnen können auch Fehler unterlaufen, aber sie wissen doch besser als Du oder ich, wie Fälle in der Praxis gelöst werden. Außerdem sind das Deine Prüfer im Examen! Ferner kann die Abwesenheit von Begründungen ebenso auf die Selbstverständlichkeit einer Tatsache hindeuten. Was eher der Fall sein dürfte: Ich habe gestern in der JuS geblättert und bin dabei auf einen Aufsatz Stephan Lorenz (JuS 2010, 771, 774) gestoßen, der ebenfalls meine Meinung und die jener von Dir desavouierten Instanzrichter teilt. Im Übrigen wird der BGH Deinem Verweis auf § 179 BGB sicherlich nicht folgen – er ist nämlich ein Vertreter der allgemeinen Vertrauenshaftung.
Mit besten Grüßen
Johannes
Ein Frage hätte ich da.
In dem Urteil steht, dass die Vollmacht im Innenverhältnis beschränkt war, im Außenverhältnis die Rechtsscheintatbestände greifen.
Ist es nicht so, dass eine Beschränkung im Innenverhältnis keine Auswirkungen auf die Vollmacht hat? Derjenige handelte trotzdem mit Vollmacht, da zwischen rechtlichem können und dürfen unterschieden wird. Im Innverhältnis durfte es die Person nicht, nach außen hin gab es allerdings keine Beschränkung. Also wieso wird dann von Rechtsscheintatbeständen gesprochen und nicht davon, dass die Person eine wirksame Vollmacht hatte ?!