AG Tiergarten: Vermieterin muss Nutzbarkeit von Fenstern einer Mietwohnung wiederherstellen
Zum Sachverhalt (vereinfacht):
M ist Mieterin einer Wohnung auf dem Grundstück G, welches im Eigentum der V-GmbH steht. V ist ebenfalls Eigentümerin des unmittelbar angrenzenden Nachbargrundstücks N und ließ dort ein neues Haus errichten und zwar dergestalt, dass die Außenwand dieses Hauses direkt an das Gebäude auf dem Grundstück G und damit unmittelbar vor dem Küchen- und Badezimmerfenster der M angebaut wurde. Dies geschah ohne Rücksprache mit M. M verlangt von V die Nutzbarkeit der Fenster im Bad und in der Küche derart wiederherzustellen, dass der Abstand zur Außenwand des Gebäudes auf dem Grundstück N mindestens drei Meter beträgt (vgl. 6 Abs. 6 Nr. 3 BauO Berlin). Die Vermieterin beruft sich auf § 275 Abs. 1 BGB (objektive Unmöglichkeit), da sie nicht mehr Eigentümerin des Nachbargrundstücks sei. Hilfsweise macht sie geltend, dass jedenfalls ein Fall des § 275 Abs. 2 BGB (praktische Unmöglichkeit) vorliegt.
Zur Entscheidung:
Das entscheidende Gericht ist der Argumentation der V nicht gefolgt. Ein Fall der objektiven Unmöglichkeit i.S.d. §275 Abs. 1 BGB setzt eine dauerhafte Nichterbringbarkeit der geschuldeten Leistung (hier: Überlassung der Mietsache in gebrauchstauglichem Zustand) für Jedermann voraus.
„Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor, denn nicht erst seit dem Fall der „Mauer“ ist es allgemeinkundig, dass Mauern auch wieder beseitigt werden können.“
Wenn die V nicht mehr Eigentümerin des Grundstücks sein sollte, ist es den neuen Eigentümern möglich, die Mauer zu entfernen und die V hat dann die Pflicht dafür zu sorgen, dass sie es tun, so das AG Tiergarten weiter (im Übrigen wurde das tatsächliche Vorliegen eines Eigentümerwechsels vom Gericht mangels substantiierten Vortrags seitens V erheblich in Zweifel gezogen).
Allein der Umstand, dass die Beseitigung der Mauer zweifelsohne mit hohen Kosten verbunden ist, führe nicht zu einer objektiven Unmöglichkeit und ist daher nicht nach § 275 Abs. 1 BGB sondern nach § 275 Abs. 2 BGB zu bewerten. § 275 Abs. 2 BGB regelt Fälle, bei denen das Leistungshindernis nur mit einem völlig unverhältnismäßigen Aufwand überwunden werden kann. Dabei muss der für die Leistung erforderliche Aufwand in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers stehen. Die Ermittlung eines Missverhältnisses erfordert einen Vergleich zwischen den Nachteilen, die die Erbringung der geschuldeten Leistung für den Schuldner (hier: V) mit sich brächte und dem Nutzen, den die Leistung für den Gläubiger (hier: M) hätte, wobei der Aufwand des Schuldners einzig am Leistungsinteresse des Gläubigers zu messen ist. Irrelevant ist, in welchem Verhältnis die mit der Erfüllung verbundenen Nachteile zu den sonstigen Interessen des Schuldner stehen (Looschelders, Schuldrecht AT, 9. Auflage 2011, § 23 Rn. 475). Um festzustellen, ob der erforderliche Aufwand im Verhältnis zum Gläubigerinteresse dem Schuldner zumutbar ist, ist eine vom Einzelfall abhängige und am Inhalt des Schuldverhältnisses sowie den Geboten von Treu und Glauben orientierte Interessenabwägung vorzunehmen, wobei der Ausschluss der Leistungspflicht tendenziell nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein soll (Palandt/Heinrichs, BGB, 71. Auflage, 2012, § 275 Rn. 27 f.; Canaris, JZ 2001, 499 (502)). Nach § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB muss der Schuldner größere Anstrengungen auf sich nehmen, wenn er das Leistungshindernis zu vertreten hat. Dazu führt das entscheidende Gericht aus:
„ Die gem. § 275 Abs. 2 BGB vorzunehmende Interessenabwägung führt hier zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die V sich nicht auf den hohen Kosten und auf den Aufwand, der mit einer Auseinandersetzung mit den Eigentümern des Nachbargrundstücks verbunden ist, berufen kann, denn sie hat die Voraussetzungen dafür selbst geschaffen, indem sie die Mauer errichtet hat, statt zuvor eine Verständigung mit der M herbeizuführen.“
Ob darüber hinaus auch ein Einschreiten der zuständigen Bauordnungsbehörde im Raum steht, kann leider nicht beantwortet werden. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass eine behördliche Abrissverfügung im Hinblick auf den Gesetzeszweck der bauordnungsrechtlichen Vorschriften zum Mindestabstand zwischen Gebäuden (Belichtung, Belüftung, Brandschutz) einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle standhalten dürfte.
Einen kurzen Hintergrundbericht und eine Abbildung des Badezimmers samt scheinbar immer noch empörter Mieterin finden Sie hier. Den Volltext des noch nicht rechtskräftigen Urteils vom 17.07.2012 – 606 C 598/11 finden Sie hier.
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