Der BGH hat am 13. April 2016 – VIII ZR 198/15 einen examensrelevanten Fall zur Mietminderung entschieden. Der Sachverhalt ist wie geschaffen für Prüfungsvortrag und -gespräch, lässt sich aber auch sehr gut in eine Klausur einbinden.
I. Sachverhalt
M und V schließen am 26. März 2004 einen Mietvertrag über eine Berliner Wohnung. Sie vereinbaren einen Mietzins/Monat i.H.v. 573 Euro, wovon – wie sich aus einer wirksamen Nebenvereinbarung zum Mietvertrag ergibt – ein Teilbetrag i.H.v. 17 Euro auf die bauseits vorhandene Einbauküche entfällt. Im Jahr 2010 erklärt M gegenüber V, die fragliche Einbauküche durch eine eigene Kücheneinrichtung ersetzen zu wollen. V macht seine Zustimmung vom Versprechen der M abhängig, die bisherige Einbauküche sachgerecht zu lagern und bei Beendigung des Mietverhältnisses auf Verlangen den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Nachdem M die eigene Kücheneinrichtung eingebaut hat, zahlt sie den Mietzins in voller Höhe unverändert fort. Am 9.2.2014 wird die – absprachegetreu im Kellerraum gelagerte – Einbauküche gestohlen. Die Versicherung der M zahlt V daraufhin eine Entschädigungssumme i.H.v. 2790,- Euro. Ersatz für die gestohlene Einbauküche beschafft V nicht.
M meint, sie schulde künftig nur noch einen um 17 Euro geminderten Mietzins. V beharrt dagegen auf der monatlichen Zahlung von 573 Euro. Zu Recht?
II. Lösung
Nach § 535 Abs. 2 BGB kann V von M den vereinbarten Mietzins i.H.v. 573 Euro/Monat beanspruchen, es sei denn M ist gem. § 536 Abs. 1 BGB von der Entrichtung der Miete ganz oder teilweise befreit. Für eine solche Mietminderung müsste die Mietsache zunächst einen Mangel haben, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt (§ 536 Abs. 1 S. 1 BGB) oder nicht unerheblich mindert (§§ 536 Abs. 1 S. 2, 3 BGB). § 536 Abs. 1 BGB geht von einem subjektiven Fehlerbegriff aus: ob die Mietsache mangelhaft ist, bemisst sich in erster Linie danach, welchen Gebrauch die Vertragsparteien als vertragsgemäß verabredet haben, §§ 133, 157 BGB. Ergänzend kann die Verkehrssitte in Verbindung mit der Art und Lage der Mietsache herangezogen werden (zum Ganzen Staudinger/Emmerich, § 536 BGB Rn. 5).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs bejahten die Richter der 63. Zivilkammer des Berliner Landgerichts am 4. August 2015 – 63 S 378/14, dass die von M gemietete Wohnung wegen der gestohlenen Einbauküche sachmangelbehaftet sei.
„Ein Sachmangel ist gegeben. Ein solcher liegt vor, wenn die Ist-Beschaffenheit von der vertraglich vereinbarten Soll-Beschaffenheit abweicht. Der vertragsgemäße Zustand besteht vorliegend durch die Zusatzvereinbarung in der Überlassung der Einbauküche durch die [V]. […] Der Ist-Zustand weicht von diesem Soll-Zustand ab. Die von der [V] gestellte Einbauküche ist nicht mehr vorhanden. […] Der Ist-Zustand ist nicht unter Berücksichtigung der derzeit in der Wohnung vorhandenen eigenen Küche der [M] zu beurteilen, denn er umfasst nur die vom Vermieter zur Verfügung gestellte oder ihm zurechenbare Ausstattung.“
Auch die Vereinbarung von M und V über den Ausbau der bauseits vorhandenen Einbauküche und den Einbau einer eigenen Küchenausstattung stehe dem Mangelbefund nicht entgegen.
1. Kein Mietmangel i.S.d. § 536 Abs. 1 BGB
Zur gegenteiligen Bewertung gelangte nun der BGH, wie die Pressemitteilung zu o.g. Entscheidung verrät:
„Der Verlust der im Keller eingelagerten Einbauküche führt nicht zur Minderung der Miete. Denn mit der im Jahr 2010 getroffenen Abrede […] haben die Parteien den Mietvertrag unter Beibehaltung der vereinbarten Gesamtmiete dahingehend abgeändert, dass sich die Gebrauchsgewährungspflicht des Vermieters jedenfalls solange nicht auf eine Einbauküche erstreckte, als die [M] die Wohnung selbst mit einer Küche ausgestattet hatte.
Ist V nach dem Mietvertrag (aktuell) nicht verpflichtet, den Gebrauch einer Einbauküche zu gewähren (§§ 133, 157), kann die fehlende Gebrauchsmöglichkeit nach dem subjektiven Fehlerbegriff des § 536 Abs. 1 BGB (aktuell) keinen Mietmangel begründen. Anders gesagt:
„Durch das Abhandenkommen der im Keller eingelagerten und von der [M] derzeit nicht benötigten Kücheneinrichtung ist also keine nachteilige Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit eingetreten, so dass ein […] Mangel der Mietsache nicht vorliegt.“
Für die Vertragsauslegung des BGH spricht insbesondere, dass V (!) sich in der Vereinbarung von 2010 vorbehält, von M nach Beendigung des Mietverhältnisses den Wiedereinbau der bauseits vorhandenen Küche zu verlangen. Die Einlagerung derselben erfolgt mithin vornehmlich im Interesse der V, was die Suspendierung der Gebrauchsgewährleistungspflicht nahe legt. Eine Mietminderung gem. § 536 Abs. 1 BGB scheidet hiernach aus, weil die von M angemietete Wohnung der V keinen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder nicht unerheblich mindert. V kann von M Zahlung des ungeminderten Mietzinses i.H.v. 573 Euro/Monat gem. § 535 Abs. 2 BGB verlangen.
2. Kein treuwidriges Verhalten der V
Dem Zahlungsbegehren der V kann die M auch nicht den Einwand treuwidrigen Verhaltens (§ 242 BGB), also eine unzulässige Rechtsausübung (vgl. BeckOGK/Kähler, § 242 BGB Rn. 925 ff.) entgegenhalten:
„Die [V] verhält sich auch nicht treuwidrig […], indem sie einerseits die von der Versicherung der [M] gezahlte Versicherungssumme in Höhe von 2.790 € für die Küche behält, ohne derzeit eine neue Küche anzuschaffen, und gleichwohl auf der Zahlung der für die Küchennutzung vereinbarten Miete besteht. Denn der geleistete Entschädigungsbetrag war allein als geldwerter Ausgleich für den der [V] als Eigentümerin und Vermieterin der im Keller aufbewahrten Küchenteile entstandenen Schaden bestimmt. Diese Ersatzleistung, die wirtschaftlich an die Stelle der im Keller gelagerten Kücheneinrichtung getreten ist, hat keinen Einfluss auf die Frage, ob die [M] für die abhanden gekommene Kücheneinrichtung Miete zu zahlen hat. Die Mietzahlungspflicht beurteilt sich ausschließlich nach den von den Parteien getroffenen Absprachen, also nach der Genehmigungs-vereinbarung vo[n] […] 2010. Danach blieb die Höhe der Miete unberührt von dem Umstand, dass die [M] während der Nutzungszeit der neu eingebauten Küche kein in dieser Vereinbarung anerkanntes Interesse an einer Nutzung der im Keller gelagerten Kücheneinrichtung der [V] mehr hatte.“
III. Fazit
Ein spannender Fall, den jeder in der nächsten Prüfungsvorbereitung im Zivilrecht auf der Liste haben sollte!