• Lerntipps
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Karteikarten
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > Vorsatz

Schlagwortarchiv für: Vorsatz

Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Versuch der Erfolgsqualifikation

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Mit Urteil vom 12.08.2021 (Az.: 3 StR 415/20) hat sich der BGH wieder einmal zur klausur- und examensrelevanten Konstellation des Versuchs bei erfolgsqualifizierten Delikten geäußert. Dabei hat der BGH klargestellt, dass ein Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts – konkret: der Brandstiftung mit Todesfolge gemäß § 306c StGB – auch dann gegeben sein kann, wenn das Grunddelikt im Versuchsstadium stecken bleibt und auch die gewollte schwere Folge nicht eintritt. Die Entscheidung soll zum Anlass genommen werden, sich die verschiedenen Varianten des Versuchs beim erfolgsqualifizierten Delikt (erfolgsqualifizierter Versuch vs. Versuch der Erfolgsqualifikation) noch einmal zu vergegenwärtigen. Ihre sichere Kenntnis und Unterscheidung sind nicht nur für Examenskandidaten, sondern bereits für Studierende unterer Semester unerlässlich.
 
A) Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der Täter (T) warf nachts das Schlafzimmerfenster des schlafenden Opfers (O) ein, um durch die so entstandene Öffnung einen sogenannten Molotowcocktail – eine mit Benzin gefüllte Glasflasche, versehen mit einer angezündeten Lunte – hineinzuwerfen. Dabei hielt T es für möglich und nahm billigend in Kauf, hierdurch einen Brand auszulösen, der wesentliche Gebäudeteile erfasst und den schlafenden O oder andere Bewohner des Mehrfamilienhauses zu Tode bringt. Wider Erwarten erlosch die Flamme jedoch kurz nach dem Hineinwerfen, bevor sich das Benzin entzünden konnte.
 
B) Rechtsausführungen
Der BGH sah hierin – wie auch das LG Mönchengladbach als Vorinstanz – unter anderem einen versuchten Mord gemäß §§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 und 3, 22, 23 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit einer versuchten schweren Brandstiftung mit Todesfolge gemäß §§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB.
Da sich bei der Prüfung des versuchten Mordes vorliegend keine Besonderheiten ergeben, soll sich die hiesige Darstellung auf die Besonderheiten der versuchten schweren Brandstiftung mit Todesfolge beschränken. Freilich müsste in einer entsprechenden Klausur auch eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Mordklassikern – Heimtücke bei Schlafenden und der Gemeingefährlichkeit des Inbrandsetzens – erfolgen.
 
I. Was ein erfolgsqualifiziertes Delikt kennzeichnet
Bei § 306c StGB handelt es sich um ein sogenanntes erfolgsqualifiziertes Delikt. Erfolgsqualifizierte Delikte sind in § 18 StGB erwähnt und beschreiben Fälle, in denen ein auch für sich allein betrachtet strafbares Vorsatzdelikt dadurch qualifiziert wird, dass durch die Tat zumindest fahrlässig ein im Gesetz näher beschriebener besonderer Erfolg (zurechenbar) verursacht wird (BeckOK StGB/Kudlich, 50. Ed. 1.5.2021, § 18 StGB Rn. 3). Im hiesigen Fall kommen als Grunddelikte die §§ 306-306b StGB in Betracht; die schwere Folge ist der durch die Brandstiftung verursachte Tod eines anderen Menschen.
Weitere klausurrelevante Beispiele für erfolgsqualifizierte Delikte finden sich in § 227 StGB (Körperverletzung mit Todesfolge) und § 251 StGB (Raub mit Todesfolge).
 
II. Strafbarkeit des Versuchs bei erfolgsqualifizierten Delikten
Dass bei erfolgsqualifizierten Delikten auch der Versuch strafbar sein kann, folgt aus §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 StGB. Alle Erfolgsqualifikationen im derzeitigen Strafrecht sind Verbrechen, weshalb ihr Versuch stets strafbar ist. Ferner kennzeichnet den Versuch der auf die Verwirklichung eines Tatbestandes gerichtete Tatentschluss, d.h. der Täter muss Vorsatz in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale haben sowie etwaige subjektive Tatbestandsmerkmale aufweisen. § 11 Abs. 2 StGB bestimmt nun, dass eine Tat auch dann als vorsätzlich zu qualifizieren ist, wenn sie einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, der hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt und hinsichtlich einer dadurch verursachten besonderen Folge Fahrlässigkeit ausreichen lässt. Dies beschreibt genau den Fall erfolgsqualifizierter Delikte. Daraus folgt, dass erfolgsqualifizierte Delikte als Vorsatzdelikte anzusehen sind und damit grundsätzlich im Versuch verwirklicht werden können.
 
III. Mögliche Versuchsvarianten
Denkbar sind grundsätzlich zwei Formen des Versuchs: der erfolgsqualifizierte Versuch und der Versuch der Erfolgsqualifikation.
1. Der erfolgsqualifizierte Versuch liegt vor, wenn die Verwirklichung des Grunddelikts im Versuchsstadium bleibt, die schwere Folge aber trotzdem eintritt. Dabei ist zum einen entscheidend, dass sich im Eintritt der schweren Folge die spezifische Gefahr des Grunddelikts realisiert. Zum anderen muss dem Täter in Bezug auf den Eintritt der schweren Folge wenigstens ein Fahrlässigkeits- (wie in § 227 Abs. 1 i.V.m. § 18 StGB) oder Leichtfertigkeitsvorwurf (etwa in § 251 StGB) zur Last zu legen sein.
Lesenswert ist hierzu der prominente Gubener Hetzjagd-Fall des BGH (Urt. v. 09.10.2002 – 5 StR 42/02, NStZ 2003, 149).
 
2. In Abgrenzung hierzu ist ein Versuch der Erfolgsqualifikation gegeben, wenn das Grunddelikt verwirklicht wird, die vom Täter billigend in Kauf genommene oder sogar beabsichtigte schwere Folge aber nicht eintritt. Diese Variante ist deshalb anzuerkennen, weil die schwere Folge zwar gemäß § 18 StGB „wenigstens“ fahrlässig verursacht werden muss, erst recht aber vorsätzlich herbeigeführt werden kann (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 20.10.1992 – GSSt 1/92, BGHSt 39, 100). Ein Beispiel macht es deutlich: Ein Versuch des § 251 StGB liegt vor, wenn der Täter mit Gewalt gegen eine Person dieser eine fremde bewegliche Sache mit Zueignungsabsicht wegnimmt und dabei billigend in Kauf nimmt, hierdurch den Tod der – letztlich überlebenden – Person zu verursachen.
Achtung: Der Versuch der Erfolgsqualifikation ist in der Klausur dann unerheblich und nicht ausführlich zu thematisieren, wenn die gewollte schwere Folge ihrerseits einen selbständig im Versuch verwirklichten Tatbestand darstellt. Denn dann wird der Versuch der Erfolgsqualifikation auf Konkurrenzebene verdrängt. Dies gilt etwa für § 227 StGB: Schießt der Täter auf das Opfer, um es zu töten, verletzt es aber nur, liegt eine verwirklichte gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor. Daneben ist grundsätzlich ein versuchter § 227 StGB (in Form des Versuchs der Erfolgsqualifikation) gegeben sowie ein versuchter Totschlag nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Da das Unrecht der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge vollständig vom versuchten Totschlag erfasst wird, bleibt allein letzterer (in Tateinheit mit der gefährlichen Körperverletzung) bei der Gesamtstrafbarkeit stehen. In einem solchen Fall in der Klausur bei § 227 StGB „ein Fass aufzumachen“, stellt eine verfehlte Schwerpunktsetzung dar.
 
IV. Die der Entscheidung zugrunde liegende Konstellation: ein Unterfall des Versuchs der Erfolgsqualifikation
Diese allgemeinen Grundsätze zugrunde legend wird offenbar, dass der hiesige Fall zunächst auf keine der beiden Konstellationen so eindeutig passen mag: Weder das Grunddelikt ist voll verwirklicht noch die schwere Folge eingetreten. Dass jedoch auch der Fall, in dem das Grunddelikt lediglich versucht und die schwere Folge nur gewollt ist, eine Variante des Versuchs der Erfolgsqualifikation darstellt, hat der BGH unmissverständlich klargestellt:

„Diese kann als Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts auch dadurch verwirklicht werden, dass der Täter zum Grunddelikt unmittelbar ansetzt, wobei er die schwere Folge beabsichtigt oder billigend in Kauf nimmt, hinsichtlich beider Tatbestände aber nicht zur Vollendung gelangt. Weder die Inbrandsetzung oder die durch die Brandlegung bewirkte – zumindest teilweise – Zerstörung noch der Tod müssen eingetreten sein.“ (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 7)

Der BGH argumentiert dabei wie folgt: 
1. Eine solche Annahme ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 22 StGB in Verbindung mit den jeweiligen erfolgsqualifizierten Delikten: „Wer die Ausführung des Grunddelikts versucht und dabei zudem Vorsatz in Bezug auf die Herbeiführung der schweren Folge hat, setzt nach seiner Vorstellung von der Tat sowohl unmittelbar zum Grunddelikt als auch zur Verursachung der schweren Folge an.“ (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 11)
2. Systematische Erwägungen stützen dieses Verständnis: Wie dargelegt, sind erfolgsqualifizierte Delikte wegen § 11 Abs. 2 StGB insgesamt als Vorsatzdelikte einzuordnen. Dies hat zur Konsequenz, dass die allgemeinen Vorschriften zum Versuch Anwendung finden. Diese allgemeinen Vorschriften setzen jedoch nicht voraus, dass der Täter irgendein Tatbestandsmerkmal objektiv verwirklichen muss, sondern nur, dass er nach seiner Vorstellung von der Tat hierzu unmittelbar ansetzt. Auf dieser Grundlage wäre es nach Ansicht des BGH nicht gerechtfertigt, für den Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts stets die Vollendung des Grundtatbestands (dann Versuch der Erfolgsqualifikation) oder den Eintritt der schweren Folge (dann erfolgsqualifizierter Versuch) zu verlangen (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 12).
3. Schließlich sprechen auch der Sinn und Zweck des relevanten Normgefüges für eine solche Annahme: Wie die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs zeigt, liegt der Grund für die Versuchsstrafbarkeit die in den Vorstellungen des Täters liegende Gefährlichkeit seines Tuns (sog. subjektive Versuchstheorie, vgl. etwa BGH, Urt. v. 29. 04.1958 – 5 StR 28/58, BGHSt 11, 324, 326 f.). Dieser subjektive Handlungsunwert tritt bei demjenigen, der mit seinem Verhalten die Verwirklichung des Grunddelikts und den Eintritt der hierin angelegten schweren Folge anstrebt, unabhängig davon zutage, ob er das Grunddelikt nur versucht oder vollendet. Ein wie auch immer gearteter objektiver Erfolgsunwert ist beim Versuch nicht gefordert. Ebenso wenig ist maßgeblich, ob und inwieweit Teilabschnitte des erfolgsqualifizierten Delikts verwirklicht sind. Hieraus schließt der BGH, dass auch derjenige wegen des Versuchs eines erfolgsqualifizierten Delikts zu bestrafen ist, der Grunddelikt und Qualifikation intendiert und an beiden Zielen scheitert (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 13).
Damit hat sich T im hiesigen Fall nicht nur nach §§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 und 3, 22, 23 Abs. 1 StGB, sondern auch nach §§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 
C) Fazit
Zusammenfassend gilt: Der Versuch kann bei erfolgsqualifizierten Delikten als erfolgsqualifizierter Versuch oder als Versuch der Erfolgsqualifikation vorliegen. Letztere Variante besteht aber nicht nur in dem Fall, in dem das Grunddelikt voll verwirklicht und die – nicht eingetretene – schwere Folge jedenfalls billigend in Kauf genommen wird. Vielmehr ist ein Versuch der Erfolgsqualifikation wie im vorliegenden Sachverhalt auch dann anzunehmen, wenn das Grunddelikt nur versucht ist, der Vorsatz des Täters aber auch auf die Herbeiführung der schweren Folge gerichtet war. Dass dies konsequent ist, folgt aus dem Wortlaut des § 22 StGB, der Systematik des Gesetzes und dem Sinn und Zweck der Versuchsvorschriften, die in den Vorstellungen des Täters liegende Gefährlichkeit seines Tuns zu sanktionieren.
 

23.11.2021/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2021-11-23 08:22:092021-11-23 08:22:09BGH: Neues zum Versuch der Erfolgsqualifikation
Dr. Lena Bleckmann

BGH entscheidet erstmals zum Alternativvorsatz – Neues im Strafrecht AT

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Wenn es um den allgemeinen Teil des Strafrechts geht, mögen Studenten vor lauter Problemen und Streitigkeiten den Eindruck bekommen, das Meiste müsste so langsam geklärt sein. Dass aber tatsächlich auch noch ganz grundlegende Fragen offen sind, zeigt eine aktuelle Entscheidung des BGH vom 14.1.2021 (Az. 4 StR 95/20). Der Gerichtshof musste hier erstmalig zum strafrechtlichen Alternativvorsatz urteilen. Die Entscheidung dürfte alsbald Einzug in Universitäts- und Examensklausuren finden. Hier ein Überblick.
I. Worum geht es?
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: A schlug mit einem Hammer in Richtung der F. Ihr Bruder B stand dabei direkt hinter ihr. Dem A war dabei bewusst, dass er sowohl F als auch B mit dem Hammer treffen und verletzen könnte, was er billigend in Kauf nahm. Die F konnte den Schlag abwenden, der B wurde allerdings leicht am Kopf getroffen.
Strafbarkeit des A?
II. Die Entscheidung des BGH 
Hier geht es nun ersichtlich um Körperverletzungsdelikte. Zulasten der F kommt – mangels Taterfolgs – nur eine versuchte Körperverletzung nach § 223 Abs. 1, 2, i.V.m. §§ 22, 23 StGB in Betracht. Der Hammer ist zudem ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art seiner Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzung herbeizuführen und somit ein gefährliches Werkzeug, sodass die Tat nach § 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 qualifiziert ist. Zulasten des B liegt objektiv eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor. So weit so gut – der objektive Tatbestand ist hier in beiden Fällen schnell abgehandelt.
Das Problem liegt allerdings im subjektiven Tatbestand. Denn das Besondere an diesem Sachverhalt ist, dass der A zwar davon ausging, entweder die F oder den B verletzen zu können, nicht aber davon, dass der Taterfolg bei beiden eintreten könnte. Es handelt sich also um einen Fall des sog. Alternativvorsatzes, bei dem der Täter von der Möglichkeit des Erfolgseintritts bei mehreren Personen, dies aber nur alternativ, ausgeht. Abzugrenzen ist das von Fällen des Kumulativvorsatzes, bei dem der Täter beispielsweise den Erfolgseintritt bei einem Opfer bewusst anstrebt, bei dem anderen billigend in Kauf nimmt und dabei davon ausgeht, dass beide Erfolge zugleich eintreten können. Hierzu hat der BGH bereits 2005 – wenn auch nicht ausdrücklich – entschieden, dass beide Vorsätze nebeneinanderstehen und einander nicht ausschließen (s. BGH, Urt. v. 15.9.2005 – 4 StR 216/05, zur Erläuterung siehe das aktuell besprochene Urteil in Rn. 6). Darüber hinaus ist anerkannt, dass mehrere Vorsätze nebeneinander bestehen können, wenn der Täter sich mehrere einander ausschließende Folgen seiner Tat vorstellt – so ist es etwa, wenn er alternativ den Tod des Opfers oder aber das Weiterleben mit schweren Folgen i.S.d. § 226 StGB in Kauf nimmt (s. etwa BGH, Beschl. v. 3.7.2012 – 4 StR 16/12, Rn. 4).
In seiner neuen Entscheidung zum Alternativvorsatz setzt der BGH sich nun mit den in der Literatur vertretenen Ansichten auseinander (s. BGH, Urt. v. 14.1.2021 – 4 StR 95/20, Rn. 8). Hier wird vertreten, es könne nur einer der beiden Vorsätze, etwa nur der hinsichtlich des schwereren Delikts, zur Strafbarkeit führen, weil der Täter es für sich ausgeschlossen habe, mehrere Delikte zu vollenden (s. etwa Lackner/Kühl/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 15 StGB Rn. 29 m.w.N.). Überwiegend geht man allerdings davon aus, beide Vorsätze könnten nebeneinanderbestehen und zur Strafbarkeit führen, es soll sich letztlich um ein Konkurrenzproblem handeln (s. etwa Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, 30. Aufl. 2019, § 15 StGB Rn. 91 m.w.N.).
Dem schließt sich der BGH nun ausdrücklich an:

„Der Senat geht entsprechend der überwiegenden Meinung in der Literatur davon aus, dass der Angeklagte mit zwei ‒ ihm zurechenbaren ‒ bedingten Körperverletzungsvorsätzen gehandelt hat. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen sowohl hinsichtlich der Nebenklägerin als auch in Bezug auf ihren Bruder erfüllt. Für die Annahme von nur einem zurechenbaren Vorsatz besteht kein Grund. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht vor, denn auf sich gegenseitig ausschließende Erfolge gerichtete Vorsätze können miteinander verbunden werden, solange sie – wie hier – nicht den sicheren Eintritt eines der Erfolge zum Gegenstand haben.“ (BGH, Urt. v. 14.1.2021 – 4 StR 95/20, Rn. 9-11, Nachweise im Zitat ausgelassen)

Mithin verwirklicht der A die §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 22, 23 StGB zulasten der F sowie § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zulasten des B. Die Delikte stehen zueinander in Tateinheit nach § 52 StGB, denn der A hat durch eine Handlung denselben Tatbestand mehrmals verwirklicht und dadurch die Rechtsgüter verschiedener Personen beeinträchtigt. Hierzu der BGH:

„Daran gemessen ist auch im vorliegenden Fall von (gleichartiger) Tateinheit auszugehen. Denn der Angeklagte hat sowohl die zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Nebenklägerin als auch die zum Schutz der körperlichen Integrität ihres Bruders aufgestellten Verhaltensnormen verletzt und in Bezug auf beide ein Delikt verwirklicht bzw. unmittelbar dazu angesetzt. Obgleich er davon ausgegangen ist, dass allenfalls ein tatbestandsmäßiger Erfolg eintreten wird, hat er damit eine größere Tatschuld auf sich geladen, als derjenige, der nur einen einfachen Vorsatz aufweist.“ (BGH, Urt. v. 14.1.2021 – 4 StR 95/20, Rn. 14, Nachweise im Zitat ausgelassen)

Im Übrigen setzt sich der BGH ausführlich mit dem Strafmaß auseinander, da das Landgericht nicht berücksichtigt habe, dass der Alternativvorsatz einen verminderten Handlungsunwert bedeute und daher nicht beide Delikte uneingeschränkt strafschärfend zu gewichten seien (s. (BGH, Urt. v. 14.1.2021 – 4 StR 95/20, Rn. 17). Auf die Ausführungen des Senats sei an dieser Stelle verwiesen, für Kandidaten des ersten Examens sind sie zunächst von geringerer Relevanz.
III. Ausblick
Wenn der BGH grundlegende Aussagen zum allgemeinen Teil des Strafrechts trifft, ist das für Studierende und Examenskandidaten stets von besonderer Relevanz. Nichts anderes gilt für die hier besprochene Entscheidung. Der BGH schließt sich insgesamt der in der Literatur herrschenden Meinung an und hält den Alternativvorsatz, d.h. zwei nebeneinanderstehende Vorsätze, sofern der Täter davon ausgeht, der Erfolg werde nur bei einem von mehreren möglichen Opfern eintreten, für möglich. Das sollte man sich merken. Wer darüber hinaus noch etwas zur sich anschließenden Konkurrenzfrage sagen kann, wird in Klausuren und mündlichen Prüfungen punkten können.
 

09.02.2021/3 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-02-09 08:30:212021-02-09 08:30:21BGH entscheidet erstmals zum Alternativvorsatz – Neues im Strafrecht AT
Dr. Sebastian Rombey

LG Berlin geht im Berliner Raserfall erneut von Mord aus

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Die 32. Kammer des LG Berlin hat mit Urt. v. 26.03.2018 – 532 Ks 9/18, nachdem das erste Mordurteil der 35. Kammer des LG Berlin gegen zwei Raser, die bei einem illegalen Autorennen mit ihren Sportwagen einen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer getötet hatten, vor dem BGH durchgefallen war, abermals Mord angenommen und dabei sogar noch weitere Mordmerkmale bejaht. Ein durchaus mutiges Urteil! Angesichts der Einführung der neuen Norm im StGB zu illegalen Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB) sowie der großen gesellschaftlichen wie medialen Debatte um den Berliner Raserfall, lohnt sich ein Blick auf das instanzgerichtliche Urteil. Denn auch wenn dieses sicherlich nicht den Schlusspunkt des Falles bilden wird: Für das Examen interessant ist es allemal.
I. Karlsruhe vs. Berlin Moabit: Bedingter Vorsatz doch gegeben!
Im Hinblick auf die entscheidende Frage, ob Eventualvorsatz feststellbar ist, hat das Gericht keine Zweifel. Die Angeklagten hätten das Risiko, dass andere Verkehrsteilnehmer zu Tode kommen könnten, erkannt und dennoch entsprechend gehandelt; es sei ihnen schlicht gleichgültig gewesen. Hierbei habe dieses Bewusstsein schon in dem Zeitpunkt vorgelegen, in dem die Möglichkeit des Bremsens und damit die volle Kontrolle über das Fahrzeug noch vorhanden war. Der BGH hatte angenommen, der Tötungsvorsatz habe erst nach der Tat im Sinne eines unbeachtlichen dolus subsequens vorgelegen, was daran lag, dass die 35. Kammer des LG Berlin auf die unmittelbar letzte Sekunde vor dem Aufprall abgestellt hatte, in der jedoch – und das war der Fehler – keine Kontrollmöglichkeit mehr bestand. Mit der neuen Begründung versucht die 32. Kammer des LG Berlin nun, dem Koinzidenzprinzip des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB gerecht zu werden.
Die überdies von den Verteidigern vorgebrachte Argumentation, die Angeklagten hätten darauf vertraut, dass schon nichts passieren werde, weshalb von bewusster Fahrlässigkeit auszugehen sei, wertete das Gericht ob der großen Gefährlichkeit des Tuns als Schutzbehauptung (PM Nr. 18/2019): „Bei diesen Geschwindigkeiten, der technischen Ausstattung der Fahrzeuge und den schlechten Sichtverhältnissen am Tatort hätten die Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte dafür gehabt, auf einen positiven Ausgang hoffen zu können.“ Und das leuchtet unmittelbar ein: Denn wer mit durchgedrücktem Gaspedal mit über 170 km/h über den Berliner Ku’damm rast, kann schlicht nicht annehmen, dass alles gut gehen werde – fahrerisches Können hin oder her.
Gegen die Annahme von dolus eventualis spricht nach dem LG Berlin ferner auch nicht, dass die Angeklagten sich selbst (bzw. die Beifahrerin des einen Angeklagten) dem Risiko des Todes ausgesetzt hätten; dieses hätten sie vielmehr „um des Rennens Willen“ hingenommen. Eine Selbstgefährdung spreche nicht gegen den an sich gegebenen Vorsatz. Sowohl die Selbstgefährdung als auch der Umstand, dass Menschen zu Tode kommen könnten, sei „Teil des Kicks“ gewesen, den sich die Angeklagten durch das Rennen hätten verschaffen wollen. Zumal nach den Überzeugungen der 32. Kammer des LG Berlin nicht einmal sicher sei, ob die Angeklagten ihren eigenen Tod überhaupt in Kauf genommen hätten, schließlich seien ihre Sportwagen durch Airbags und eine starke Front gegen einen Aufprall geschützt gewesen; zudem verringere die Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs die Lebensgefahr für einen selbst tendenziell eher als sie zu erhöhen.
Insgesamt geht das LG Berlin damit – soweit aus der Pressemitteilung ersichtlich – nicht auf alle Bedenken des BGH ein. Man denke nur an die mittäterschaftliche Begehung, die der BGH kritisch beäugt hatte – gleichwohl wird man auf die Urteilsgründe warten müssen. Für die gemeinschaftliche Deliktsbegehung reiche es nicht aus, wenn die Täter sich zu einer gemeinsamen Handlung entschließen, in deren Folge ein Mensch zu Tode kommt, es müsse vielmehr um die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gehen, so damals die Karlsruher Richter. Kein Wunder also, dass eine abermalige Revision überaus wahrscheinlich ist und durch die Verteidiger bereits angekündigt wurde.
II. Verwirklichung gleich dreier Mordmerkmale
Neben dem Eventualvorsatz müsste aber noch mindestens ein Mordmerkmal feststellbar sein. Das LG Berlin sieht nunmehr gleich drei derer als verwirklicht an.
1. Das Auto als gemeingefährliches Mittel
Die Gemeingefährlichkeit des Mittels ist dabei wohl das noch am wenigsten problematische Merkmal: Das Rennen sei, so die 32. Kammer, durch die fehlende Kontrolle über die Sportwagen gekennzeichnet gewesen, die bei dem Zusammenprall mit dem Opfer „wie Geschosse“ gewirkt und überdies Passanten und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet hätten. Ob eine große Anzahl an Menschen zu schaden komme oder nicht, hätten die Angeklagten daher allein dem Zufall überlassen. Insbesondere Trümmerteile hätten zu einer deutlich höheren Opferzahl führen können. Summa summarum ist die Bejahung dieses Mordmerkmals damit verständlich, und doch hinkt jedenfalls der in der mündlichen Begründung gezogene Vergleich des Vorsitzenden Richters, der davon spricht, am Tatort habe es ausgesehen „wie nach einem Terroranschlag“.
2. Heimtücke
Überdies nimmt das LG Berlin nun auch Heimtücke an: Auf Grund der Tatsache, dass das Opfer bei Grün die Ampel überquerte habe, habe es sich keines Angriffs auf sein Leben versehen und sei darüber hinaus in der Verteidigungs- bzw. hier der Ausweichmöglichkeit stark eingeschränkt, mit anderen arg- und deshalb auch wehrlos gewesen. Ob die Angeklagten dies indes auch bewusst ausgenutzt haben, bleibt bei näherer Betrachtung im Hinblick auf die Tötung mehr als fraglich.
3. Niedrige Beweggründe
Zudem führe der Umstand, dass die Angeklagten das Autorennen um jeden Preis gewinnen wollten, zur Annahme eines niedrigen Beweggrundes, da sie so den Gewinn des Rennens um jeden Preis über das Leben der anderen Menschen auf dem stark frequentierten Ku’damm gestellt hätten, was sittlicher auf tiefster Stufe stehe. Gleichwohl bleibt offen, ob es dieses Mordmerkmals bei restriktiver Auslegung hier überhaupt bedurft hatte, da es letztlich eine Art Auffangtatbestand bildet und für derartige Fälle eher weniger passend scheint. Einerseits ist zuzugeben, dass ein besonders krasses Missverhältnis von Anlass und Tat bestand und eine größere Selbstsuch eines Täters, der überdies autoverliebt ist, kaum denkbar scheint. Andererseits reiht sich der Gewinn eines Autorennens nicht gerade in die typischen Beweggründe niedriger Art wie etwa Eifersucht oder Hass ein.
III. Vertiefungshinweise
Das Urteil bietet durchaus Angriffsfläche und Argumentationsspielraum. Wer sich näher mit der Thematik auseinandersetzen will, sei auf unsere ausführlichen Beiträge hingewiesen:
Berliner Raserfall: LG Berlin fällt Mordurteil, BGH hebt es auf

  • https://red.ab7.dev/bgh-aufhebung-des-mordurteils-fuer-kudamm-raser

hamburger Raserfall: BGH bestätigt Mordurteil, der Fall liegt aber in den Details anders

  • https://red.ab7.dev/bgh-bestaetigt-erstmals-mordurteil-gegen-raser/

Basics zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit

  • https://red.ab7.dev/bgh-kriterien-zur-abgrenzung-von-eventualvorsatz-und-bewusster-fahrlaessigkeit/

28.03.2019/1 Kommentar/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2019-03-28 10:00:152019-03-28 10:00:15LG Berlin geht im Berliner Raserfall erneut von Mord aus
Gastautor

Einheitliche Tat bei mehraktigem Geschehen?

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Beitrag von Christian Küchler veröffentlichen zu können. Der Autor ist Rechtsreferendar im OLG-Bezirk Koblenz. 
Sowohl in Studium und Referendariat als auch in der Praxis bereiten Fälle des sog. mehraktigen Geschehens erhebliche Probleme. Umstritten ist dabei zwischen Lehre und Rechtsprechung naturgemäß schon die Verortung der daraus resultierenden Abgrenzungsfragen im Prüfungsaufbau. Daher stellt die Bewertung der entsprechenden Konstellationen im Einzelfall den Juristen vor Herausforderungen. Dieser Beitrag soll anhand von drei Beispielsfällen aus der Praxis das Problem aufzeigen und den Meinungsstand dazu knapp darstellen, woran anschließend eine eigene Stellungnahme folgt.
I. Der Jauchegrubenfall
Vielen Studenten und Referendaren dürfte der sog. Jauchegrubenfall (BGHSt 14, 193; NJW 1960, 1261) ein Begriff sein. Diesem liegt (verkürzt) folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte stopfte mit bedingtem Tötungsvorsatz dem Opfer zwei Hände voll Sand in den Mund, um es am Schreien zu hindern. Das Opfer verlor daraufhin das Bewusstsein. Der Angeklagte war vom Tod des Opfers fest überzeugt und warf das vermeintlich tote Opfer in eine Jauchegrube, wo es ertrank.
Fraglich war in diesem Fall, ob hier ein einheitliches vollendetes Tötungsdelikt vorlag oder ob vielmehr eine Bestrafung wegen eines versuchten Tötungsdelikts in Tatmehrheit mit einer fahrlässigen Tötung (§ 189 StGB ist daneben je nach konkreter Fallkonstellation vorstellbar; § 168 StGB ist hingegen schon mangels Wegnahme bzw. Verübung beschimpfenden Unfugs nicht einschlägig) gegeben war. Die Beantwortung dieser Frage hängt – grob gesagt – davon ab, ob man ein einheitliches vom Vorsatz getragenes bzw. zurechenbares Geschehen annimmt oder aber zwei isoliert zu bewertende Teilakte (Tatmehrheit).
Der Bundesgerichtshof (BGH) verurteilte den Angeklagten hier wegen eines vollendeten Tötungsdelikts. Ansatzpunkt für den Problemaufriss ist für den BGH der subjektive Tatbestand, genauer gesagt die Frage, ob eine unwesentliche oder wesentliche Abweichung des tatsächlichen von dem vom Täter vorgestellten Kausalverlauf vorliegt.
Der BGH erteilt zunächst den landgerichtlichen Ausführungen zum Generalvorsatz (dolus generalis) eine Absage, wonach der einheitliche Vorsatz des Angeklagten bis zur Beseitigungshandlung fortgewirkt habe. Dies ist freilich vollkommen korrekt, da der Angeklagte das Opfer ja bereits für tot hielt.
Allerdings knüpft der BGH an den ersten Teilakt und den dort vorliegenden Vorsatz an und argumentiert, dass diese Tathandlung bis zum tatsächlichen Tode fortgewirkt habe und damit ursächlich gewesen sei. Danach sei allein maßgeblich, ob eine wesentliche Abweichung vom zu diesem Zeitpunkt vorgestellten Kausalverlauf vorliege, was er sodann verneint. Warum nun aber die Abweichung nur gering und bedeutungslos sei, erörtert der BGH nicht.
Die Lehre würde diesen Fall hingegen über die (im objektiven Tatbestand – wie schon der Wortsinn sagt – zu verortende) objektive Zurechnung lösen. Eine objektive Zurechnung setzt voraus, dass eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen wurde, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert (Valerius, JA 2006, 261 m.w.N.). Eine objektive Zurechnung wird man in diesem Fall noch bejahen können, da der Tod das Werk des Täters und kein Produkt des Zufalls ist (Valerius aaO). Jedoch soll auch der Irrtum über den Kausalverlauf im Rahmen der Zurechnung von Bedeutung sein, sodass sich auch hier dieses Problem stellt.
Das Meinungsspektrum zur Lösung des Falles ist in der Literatur vielgestaltig:
Die sog. Vollendungslösung kommt zu dem Ergebnis, dass die Abweichung unwesentlich ist, da sich der Täter unbewusst zum Werkzeug seiner eigenen Tat gemacht habe.
Andere Literaten fordern, dass der Täter den zweiten Handlungsakt in seinem Vorsatz aufgenommen haben müsste. Anderenfalls liege eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf vor. Im vorliegenden Fall dürfte daher – jedenfalls in dubio pro reo – nach dieser Ansicht eine wesentliche Abweichung und damit nur eine Versuchsstrafbarkeit vorliegen.
Eine dritte Ansicht fordert, dass die erste Teilhandlung konkret tauglich für den Tod des Opfers gewesen sein muss, d.h. wenn durch diese Handlung bereits tödliche Verletzungen eingetreten seien, und die zweite Teilhandlung nur eine Beschleunigung des Todes herbeigeführt habe. Danach hinge eine Vollendungsstrafbarkeit davon ab, ob der Sand im Mund schon zum Tod geführt hätte.
Eine letzte Ansicht differenziert danach, ob der Täter von Anfang an mit Tötungsabsicht und nicht nur bedingtem Vorsatz gehandelt hat (zu den verschiedenen Auffassungen knapp Valerius, aaO m.w.N.). Da hier nur bedingter Vorsatz festgestellt werden konnte, läge auch nach dieser Auffassung nur eine Versuchsstrafbarkeit vor.
II. Der Scheunenmordfall
Im Jahre 2016 hatte der vierte Strafsenat des BGH einen ähnlich gelagerten Fall (sog. Scheunenmordfall, BGH 4 StR 223/15), der jedoch in einem Umstand vom Jauchegrubenfall abwich, zu entscheiden. Dem Urteil lag folgender (verkürzter) Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte und das Opfer fuhren gemeinsam in einem Auto und hielten an einer Scheune an, stiegen dort aus und gelangten an ein verschlossenes Tor. Dort kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den beiden, wobei es nicht zu Tätlichkeiten kam. Sodann wandte sich das Opfer dem Scheunentor zu und machte sich an diesem zu schaffen, während es kniete und dem Angeklagten den Rücken zudrehte. Der Angeklagte, der wusste, dass das Opfer mit keinem Angriff rechnete und diesen von hinten nicht rechtzeitig bemerken würde, fasste nun einen Tötungsentschluss. Mit Tötungsabsicht schlug er Angeklagte dann dem Opfer mit einer schweren Eisenstange auf den Hinterkopf. Das Opfer kippte bewusstlos zu Seite und begann im Kopfbereich und an den Ohren stark zu bluten. Der Angeklagte schlug mindestens zwei weitere Male mit der Stange auf den Kopf des Opfers. Die Verletzungen des Opfers während mit Sicherheit tödlich gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war es jedoch noch nicht verstorben.
In der Annahme, das Opfer sei bereits tot oder werde in Kürze versterben, fuhr das Angeklagte mit der Eisenstange mit dem Auto weg. Im weiteren Verlauf kam dem Angeklagten dann die Idee, zurück zur Scheune zu fahren, die Polizei zu informieren und zu behaupten, er habe das Opfer auf dessen Bitte allein an der Scheune absetzen sollen und ihn dann tot dort aufgefunden, als er ihn abholen wollte.
Als der Angeklagte zurück an der Scheune angelangt war, bemerkt er, dass das Opfer noch nicht verstorben war und beschloss nun, es endgültig zu töten. Er schnitt dem Opfer mit einem Messer den Hals bis zur Wirbelsäule durch. Das Opfer konnte in seinem Zustand keine Abwehr mehr leisten. Das Opfer verstarb schließlich infolge der Schnitte.
 
Hier stellte sich nicht die Frage, ob Versuch und Fahrlässigkeit oder Vollendung. Vielmehr war fraglich, ob neben dem unstreitig an sich vorliegenden vollendeten Totschlag auch noch ein Heimtückemord zu bejahen war. Hintergrund dieser Frage ist der Umstand, dass A, als er mit der Eisenstange auf O losging, heimtückisch handelte. Später – bei den Stichen mit dem Messer – war O hingegen nicht mehr arglos, weswegen hier keine Heimtücke mehr vorlag (Jäger, JA 2016, 548, sieht dies indes anders und geht – m.E. widersprüchlich – von einem Zuendeführen der ursprünglichen Tat und gleichzeitig von einer zweiten Tat aus, vgl. hierzu unten). Auch Verdeckungsabsicht konnte nicht festgestellt werden (hierzu Jäger, aaO).
Wiederum nahm der BGH (wie schon im vergleichbaren sog. Pflegemutterfall, BGH NStZ 2001, 29), anders als das Landgericht, ein einheitliches Geschehen an und verurteilte den A wegen Mordes aus Heimtücke. Die Abweichung vom Kausalverlauf sei nicht wesentlich. Denn der tatsächliche Verlauf bewege sich nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und rechtfertige keine andere Bewertung der Tat. Er stellt maßgeblich auf die „gleiche Angriffsrichtung“ der Verschleierungshandlungen ab. Eine detaillierte Begründung für diese Behauptung lässt er indes vermissen.
Diese Entscheidung ist auf Kritik gestoßen. Eisele (JuS 2016, 368), der den Jauchegrubenfall zwar dogmatisch anders, im Ergebnis aber wie der BGH lösen möchte, sieht hier eine erhebliche Abweichung zum Jauchegrubenfall darin, dass der A erkannt habe, dass der O noch nicht tot gewesen sei und entsprechend einen neuen Tötungsvorsatz gefasst habe. Im Jauchegrubenfall habe nur Fahrlässigkeit vorgelegen, weswegen eine Zäsurwirkung durch den neuen Vorsatzentschluss ausscheide.
 
III. BGH 3 StR 402/16
Der dritte Strafsenat des BGH hatte kurz darauf ebenfalls über eine vergleichbare Konstellation (BGH 3 StR 402/16) zu befinden.
Sachverhalt war hier folgender (leicht verkürzt):
Die Ehefrau des Angeklagten, welche sich von diesem getrennt hatte, kam mit einer Bekannten zurück in die Ehewohnung, um dort die gemeinsamen Kinder zu besuchen. Zwischenzeitlich befanden sich die beiden Frauen auf dem Balkon. Durch ein dortiges Gespräch über ihn, das er vernommen hatte, wütend, lief der Angeklagte mit einem Küchenmesser in der Hand auf den Balkon. Unterwegs steckte er das Messer in den Ärmel oder Hosenbund, so dass es nicht sichtbar war. Auf dem Balkon angekommen beschimpfte und beleidigte die Ehefrau den Angeklagten weiter. Völlig unvermittelt und plötzlich stach der Angeklagte mit dem Messer, das er unbemerkt hervorgeholt hatte, gezielt und mit Wucht auf das Gesicht der Ehefrau ein, wobei ihm bewusst war, dass die Ehefrau nicht mit einem Angriff rechnete. Sodann versetzte er hier mehrere Stiche in den Oberkörper und stach auf weiter auf sie ein, als sie zu Boden ging.
Als der Angeklagte erkannte, dass das gemeinsame Kind mit entsetztem Blick das Geschehen verfolgt hatte, hielt er inne, ließ das Messer fallen und wollte die Wohnung verlassen. Nunmehr ergriff die Ehefrau das Messer und versuchte nach dem Angeklagten zu stechen. Der Angeklagte konnte das Messer jedoch verbiegen und aus der Hand der Ehefrau befördern. Wiederum stürzte die Ehefrau mit dem Messer auf den Angeklagten zu, welcher ein anderes Küchenmesser ergriff und nach der Ehefrau stach. Als diese zu Boden gegangen und ihr Messer verloren hatte, stach er weiter auf sie ein und tötete sie letztlich mit insgesamt mindestens 67 aktiven Stichen.
(Zunächst ist hier festzuhalten, dass der Angeklagte nicht aus Notwehr handelte, da kein Angriff der Ehefrau mehr vorlag.)
Interessanterweise war hier das Landgericht von einer Vollendung ausgegangen. Der dritte Strafsenat hatte dem auf die Revision des Angeklagten hin jedoch widersprochen. Er meint, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte lediglich einen Tötungsversuch begangen habe, von dem er dann strafbefreiend zurückgetreten sei, weil er eventuell durch den Anblick seines Sohnes von der Tat zunächst abgelassen habe und nach seiner Vorstellung möglicherweise ein unbeendeter Versuch vorgelegen habe, und die Zufügung der tödlichen Stiche nach dem Gegenangriff der Ehefrau lediglich als Totschlag zu werten sei. Er geht auch ausdrücklich davon aus, dass der Angeklagte erneut einen Tötungsentschluss fasste. An dieser Beurteilung ändere sich auch nichts, wenn man von Handlungseinheit ausgehe, da dies nur konkurrenzrechtlich von Bedeutung sei.
IV. Eigene Bewertung der drei Konstellationen
Die Differenzierung Eiseles zwischen Jauchegruben- und Scheunenmordfall vermag m.E. nicht zu überzeugen. Auch im Jauchegrubenfall fasst der Täter einen neuen Vorsatz – nämlich die (vermeintliche) Leiche zu „entsorgen“. Dass dieser Entschluss als solcher (da es kein Vorsatzdelikt gibt, das dieses Verhalten unter Strafe stellt) nicht strafbar ist, darf keinen Unterschied machen. Denn dann würde man den Täter privilegieren, dessen Verhalten im zweiten Akt eine Vorsatzstrafbarkeit begründete, der also dort stärkeres Unrecht verwirklichte. Dass darüber hinaus eine strafbare Fahrlässigkeitstat vorliegt, kann freilich nichts hieran ändern, da diese den Vorsatz unberührt lässt.
Im Ergebnis zum zweiten Fall ist Eiseleaber zuzustimmen. Im zweiten Fall (ebenso im letztgenannten Fall) wie auch im Jauchegrubenfall fasst der Täter einen neuen Entschluss, welcher eine Zäsur zum vorangegangenen Geschehen begründet. Gerade dieser neue Entschluss spricht dafür, dass er diesen Geschehensablauf gerade nicht vorhergesehen hat (so für den Scheunenmordfall Jäger, aaO: Einen Zweitakt als „vorhersehbar“ zu betrachten, für dessen Verwirklichung der Täter später selbst noch einen Entschluss fassen muss, erscheint fragwürdig“ – wegen des neuen Tatentschlusses ist aber entgegen Jägergerade keine Heimtücke mehr gegeben. Will man Heimtücke annehmen, so muss man denklogisch auch von einer von vorn herein einheitlicher Tat ausgehen) und die Abweichung vom Kausalverlauf damit wesentlich ist. Alles andere wäre auch lebensfremd. Denn wieso sollte der Täter, der das Opfer tot glaubt, die Möglichkeit, dass es doch noch nicht tot sei, er es dann aber eben nun auf andere Weise töte, in seinen Vorsatz aufnehmen? Dies ist letztlich nichts anderes als die Annahme eines sog. dolus generalis, der aber mit § 16 StGB und dem Koinzidenzprinzip nicht vereinbar ist (und welchen der BGH schon in der Jauchegruben-Entscheidung als überkommen bezeichnete, BGHSt 14, 193). Zwar mag es durchaus sein, dass – hätte der Täter erkannt, dass das Opfer noch lebte – dieses gleichwohl getötet hätte bzw. hätte töten wollen. Ein vorsätzliches Begehungsdelikt ist jedoch solchen hypothetischen Betrachtungen nicht zugänglich. Zum Zeitpunkt der eigentlich kausalen Handlung lag eben gerade – aufgrund eines Irrtums – kein Vorsatz vor. Den Täter muss dies nicht privilegieren, da der Versuch nur eine fakultative Strafmilderung vorsieht, §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB, welche man hier sicherlich nicht anwenden sollte und auch nicht würde.
So geht der dritte Strafsenat richtigerweise in dem von ihm zu entscheidenden Fall davon aus, dass ein neuer selbstständig zu bewertender Tatentschluss vorliege, und setzt sich damit in gewissem Maße in Widerspruch zum vierten Strafsenat. Nicht verloren gehen soll allerdings der Umstand, dass hier eine echte Aufgabe des Tatentschlusses durch Rücktritt (wenn auch nur kurzfristig) in Betracht kam, was in den beiden anderen Fällen gerade nicht so war, weswegen die Beurteilung in diesem Fall doch eindeutiger erscheint. Denn es erscheint schwerlich begründbar, wie die ursprüngliche Tat – von der ja gerade ein Rücktritt in Betracht kam – hier fortwirken sollte.
Die Lösung dieses Problems ist aber letztlich eine Wertungsfrage (Wann ist die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf noch unwesentlich und wann nicht mehr? – Nach der Literatur: Wann ist ein Erfolg noch zurechenbar?) und damit eine solche des Einzelfalls. Im ersten Staatsexamen sollten daher beide Ansichten vertretbar sein. Für das zweite Staatsexamen ist hingegen – wie immer – anzuraten, dem BGH zu folgenund sich mit dessen dürftiger Begründung zu begnügen. Andernfalls verlöre der Bearbeiter in der Klausursituation Zeit und liefe Gefahr, dass seine Lösung entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung vom Korrektor mindestens mit Verwunderung beäugt wird.

24.09.2018/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-09-24 09:00:212018-09-24 09:00:21Einheitliche Tat bei mehraktigem Geschehen?
Gastautor

BGH: Aufhebung des Mordurteils für Ku’damm-Raser

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Tobias Vogt veröffentlichen zu können. Der Autor ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit an der Universität Bonn und bei Flick Gocke Schaumburg tätig.
 
Der BGH hat mit Urteil vom 1.3.2018 (Az. 4 StR 399/17, DAR 2018, 216) das Urteil des LG Berlin vom 27.2.2017 (Az. 535 Ks 8/16, NStZ 2017, 471) aufgehoben, in dem die Berliner Richter die beiden Ku´damm-Raser eines gemeinschaftlich begangenem Mordes schuldig erklärten. Nicht nur wegen seiner enormen medialen Präsenz sollte dieses Urteil jedem Examenskandidat bekannt sein. Es eignet sich auch gerade deshalb für Examensklausuren und mündliche Prüfungen, da sich hier allgemeine Probleme des Vorsatzes, insbesondere die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit in der besonderen Konstellation eines riskanten Verhaltens im Straßenverkehr abprüfen lassen und sich Raum für eine ausgiebige Argumentation anhand der Sachverhaltsangaben bietet. Man muss kein Hellseher sein, um voraussehen zu können, dass diese Entscheidung Gegenstand von Examensprüfungen sein wird.
I. Hauptproblem: Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit bei Tötung durch illegales Straßenrennen?
Die Hauptproblematik des Falls liegt in der Frage, ob die beiden Autofahrer, die sich spontan ein illegales Rennen lieferten und dabei mit immens überhöhter Geschwindigkeit rote Ampeln überfuhren, bei der Tötung eines anderen Verkehrsteilnehmers mit bedingtem Tötungsvorsatz oder nur bewusst fahrlässig handelten. Für die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz zur bewussten Fahrlässigkeit gelten allgemein folgende Grundsätze, wie auch der BGH in seiner aktuellen Entscheidung darlegt:
„In rechtlicher Hinsicht ist nach ständiger Rspr. bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).“
„Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.“
Diese Abgrenzung „erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht“
Bisher wurde in ähnlichen Raser-Fällen ein Vorsatz abgelehnt. Das Urteil des LG Berlin sorgte für Aufsehen, da zum ersten Mal ein Schuldspruch gegen rücksichtslose Raser wegen vorsätzlicher Tötung erging. Das LG Berlin entschied dabei sogar auf Mord wegen des Mordmerkmals des gemeingefährlichen Mittels § 211 Abs. 2 StGB. Schließlich hatten die Täter keine Kontrolle mehr über ihre Wagen und gefährdeten Leib und Leben einer Vielzahl von Personen, sodass ihre Wagen im konkreten Fall ein gemeingefährliches Mittel darstellten.
II. Sachverhalt (gekürzt)
Die Angeklagten H und N verabredeten sich gegen 0:30 Uhr, während sie nebeneinander an einer roten Ampel hielten, durch Gesten und dem Spiel mit dem Gaspedal zu einem spontanen Autorennen über den Berliner Kurfürstendamm. Sie überfuhren anschließend mehrere rote Ampeln bis N mit wenigen Metern Vorsprung und einer Geschwindigkeit von mindestens 139 km/h und H mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 km/h trotz roten Ampelsignals in eine Kreuzung einfuhren. Spätestens jetzt war H und N bewusst, dass ein bei grünem Ampelsignal einfahrender Fahrzeugführer bei einer Kollision mit großer Wahrscheinlichkeit sterben würde. In der Kreuzung kollidierte H – absolut unfähig noch zu reagieren – mit dem regelkonform in die Kreuzung einfahrenden W. W verstarb noch am Unfallort. Der Wagen des H drehte sich nach links und kollidierte sodann mit dem neben ihm fahrenden PKW des N. Die Beifahrerin des N wurde dabei erheblich verletzt.
III.  Urteil des BGH
Der BGH hob das Urteil des LG Berlin gleich aus mehreren Gründen auf:
1. Nach Ansicht des BGH konnte aus den tatsächlichen Feststellungen des LAG nicht in schlüssiger Weise ein bedingter Tötungsvorsatz der Angeklagten festgestellt werden. Zwar „ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes“, was hier zunächst für eine Bejahung des Vorsatzes spricht. Der BGH betont, dass „die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts […] jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien“ sind. „Vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an.“
Laut BGH spricht insbesondere die mögliche Eigengefährdung der Täter gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes:

„In Fällen einer naheliegenden Eigengefährdung des Täters – wie hier – ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.“

Wesentliche Indizien sind dabei das täterseitig genutzten Verkehrsmittel und die konkret drohenden Unfallszenarien.

„So kann es sich etwa unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des Täters zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem Pkw oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen Pkw oder gar Lkw drohen.“

Das LG Berlin ging davon aus, dass sich Fahrer tonnenschweren, stark beschleunigenden und mit umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Autos überlegen und sicher fühlen und daher jegliches Eigenrisiko ausblenden. Einen solchen Erfahrungssatz gibt es jedoch nach Ansicht des BGH nicht. Gerade aufgrund der objektiv drohenden Kollision mit anderen PKW oder sogar mit Bussen bei mindestens 139 bzw. 160 km/h verstehe sich das Ausblenden der Eigengefährdung auch nicht von selbst.
Zudem erscheint es widersprüchlich, wenn das LG Berlin davon ausgeht, die Täter schlossen eine Eigengefährdung aus, zugleich aber den Vorsatz in Bezug auf eine gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung zu Lasten der eigenen Beifahrerin bejahen. Das LG unterstellt den Tätern damit eine unterschiedliche Gefahreneinschätzung bezüglich desselben Fahrzeugs.
2. Außerdem stellte das LG Berlin den Tötungsvorsatz nicht zum Tatzeitpunkt fest. Die Berliner Richter stellten auf den Zeitpunkt ab, als die Angeklagten trotz roter Ampel in die Kreuzung einfuhren, in der sich die tödliche Kollision ereignete. Dies ergibt sich aus der Formulierung „Spätestens jetzt war beiden Angeklagten bewusst, …“. Zugleich stellte das Gericht fest, dass die Angeklagten zu diesem Zeitpunkt aufgrund der hohen Geschwindigkeit absolut unfähig waren, noch zu reagieren und ihnen eine Vermeidung der Kollision nicht mehr möglich war. Der BGH weist zurecht darauf hin, dass „Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat […] nach § 16 Abs. 1 StGB [ist], dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung kennt“.

„Aus der Notwendigkeit, dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folgt, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt.“

Daraus, dass die Angeklagten zum Zeitpunkt des Tatentschlusses – dem Einfahren auf die Kreuzung – den Erfolgseintritt nicht mehr verhindern konnten, ergibt sich, dass sie die für den Eintritt des Todes kausale Tathandlung bereits vorher getätigt haben. Zum Tatzeitpunkt – dem Autofahren vor dem Einfahren in die Kreuzung – bestand aber kein vom LG festgestellter Vorsatz. Der später gefasste Vorsatz (sog. dolus subsequens) kann keine Strafbarkeit begründen.
3. Auch ging das LG Berlin fehlerhaft von einer mittäterschaftlichen Begehung aus, die für die Strafbarkeit des N wegen Mordes erforderlich ist. Denn festgestellt wurde lediglich der gemeinsame Beschluss zur Durchführung eines spontanen Autorennens. Jedoch setzt ein mittäterschaftlich begangenes Tötungsdelikt voraus, „dass der gemeinsame Tatentschluss auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist“, so der BGH. „Für die Annahme eines mittäterschaftlich begangenen Tötungsdelikts reicht es deshalb nicht aus, dass sich die Täter lediglich zu einem gemeinsamen Unternehmen entschließen, durch das ein Mensch zu Tode kommt.“ Eine gemeinschaftliche Sorgfaltsverletzung ist schließlich noch kein gemeinschaftliches Vorsatzdelikt.
IV. Folgen
Ist mit dem Urteil des BGH eine Verurteilung wegen Mordes in Raser-Fällen ausgeschlossen? Nein! Denn der BGH weist selbst an mehreren Stellen seines Urteils darauf hin, dass es stets auf den Einzelfall ankomme. In dem Fall der Ku´damm-Raser wird das LG Berlin nun aller Voraussicht nach einen Tötungsvorsatz verneinen. Denn es wird ihm wohl nicht gelingen, einen Tötungsvorsatz zum Tatzeitpunkt festzustellen. In ähnlich gelagerten Fällen ist eine Strafbarkeit nach § 211 StGB jedoch je nach Umständen des Einzelfalls denkbar. In einer Klausur oder mündlichen Prüfung ist daher stets auf die konkreten Sachverhaltsangaben zu achten und sich mit dieses argumentativ auseinanderzusetzten. Neben der objektiven Gefährlichkeit und der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts ist auch auf die mögliche Eigengefährdung des Täters einzugehen. Gerade in Fällen, in denen eine Kollision des Täters mit anderen PKW oder sogar Bussen oder LKW droht, spricht die sich daraus ergebende Eigengefährdung dafür, dass der Täter auf einen guten Ausgang vertraut und somit kein bedingter Tötungsvorsatz vorliegt. Dies gilt umso mehr, wenn der Täter statt mit einem PKW mit einem Motorrad fährt, wodurch er weniger geschützt ist. Droht eine Kollision dagegen mit Passanten, Fahrradfahrern oder Motorradfahrern, besteht dagegen objektiv eine geringere Eigengefährdung, sodass dann eher ein bedingter Tötungsvorsatz angenommen werden kann. Es ist zudem darauf zu achten, ob der Täter den nötigen Vorsatz bereits zu einem Zeitpunkt hatte, zu dem er noch den Erfolgseintritt beeinflussen konnte. Auch sollte, falls in einem entsprechenden Fall der Todeserfolg ausbleibt, nicht vergessen werden, einen versuchten Mord zu prüfen.
V. Weitere Straftatbestände
Wenn wie hier neben dem Todesopfer eine weitere Person verletzt wird, ist außer der Strafbarkeit aus vorsätzlichen oder bei Ablehnung des Tötungsvorsatzes aus fahrlässigem Tötungsdelikt eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB (falls ein gemeinschaftliches Handeln vorliegt, auch nach Nr. 3) zu prüfen. Es kommt zudem eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB in Betracht, insbesondere lit. a) und d). § 315b Nr. 3 StGB scheidet mangels pervertierter Nutzung des Autos als Waffe aus, da die Nutzung als Fortbewegungsmittel im Vordergrund steht und ein bloß riskantes Fahren im Rahmen des § 315b StGB nicht ausreicht. Seit dem 13.10.2017 besteht zudem eine Strafbarkeit gemäß dem neu eingeführten § 315d StGB. Bei Verursachung eines Todesfalls greift die Qualifikation des Abs. 5 ein, die keinen Tötungsvorsatz erfordert.

07.06.2018/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-06-07 10:00:332018-06-07 10:00:33BGH: Aufhebung des Mordurteils für Ku’damm-Raser
Dr. Christoph Werkmeister

BGH: Haftungsbeschränkungen in AGB von Reinigungen

AGB-Recht, Rechtsprechung, Zivilrecht

Erst vor einigen Tagen berichteten wir sehr ausführlich zu einem examensrelevanten Urteil, das sich mit dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen befasste (in der Sache ging es um die Zulässigkeit des Verkaufs von Miles&More-Punkten, siehe dazu hier). Der BGH äußerte sich aktuell erneut zu einer Fallgestaltung aus dem AGB-Recht (Urteil vom 04.07.2013 – VII ZR 249/12). Behandelt wurden dieses Mal bestimmte Haftungsbeschränkungsklauseln, die im Textilreinigungsgewerbe gebräuchlich sind.
Klassische AGB-Kontrolle
Die AGB von vielen Textilreinigern enthielten die folgende Klausel:

Der Textilreiniger haftet für den Verlust des Reinigungsgutes unbegrenzt in Höhe des Zeitwertes. Für Bearbeitungsschäden haftet der Textilreiniger nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit unbegrenzt in Höhe des Zeitwertes. Ansonsten ist die Haftung auf das 15fache des Bearbeitungspreises begrenzt. Achtung: Unsere Haftung kann auf das 15fache des Bearbeitungspreises begrenzt sein (siehe Nr. 5 AGB). Sie können aber unbegrenzte Haftung in Höhe des Zeitwertes, zum Beispiel durch Abschluss einer Versicherung, vereinbaren.

Insbesondere die ersten beiden Sätze der Klausel wurden vom BGH wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 7 b) BGB für unwirksam erklärt, da eine Beschränkung der Haftung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit auf den Zeitwert der beschädigten Sache vorlag. Nach Auffassung des BGH musste indes der Wiederbeschaffungswert der Sache maßgeblich sein.
Im Übrigen stelle die Beschränkung auf das 15fache des Reinigungspreises einen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB dar, da die Klausel den Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Der Reinigungspreis, der im Vergleich zum Wert der Sache erheblich niedriger sein kann, stellt nach dem BGH keinen tauglichen Maßstab für die Begrenzung der Haftung dar. Es fehle jegliche Relation zur tatsächlichen Schadenshöhe.
Examensrelevanz
Das AGB-Recht muss zwingend für das erste sowie das zweite Staatsexamen beherrscht werden. Die hier genannten Aspekte, die zu einer Nichtigkeit der Klausel führten, stellen nur einen von vielen Aufhängern dar, um die Wirksamkeit der Klauseln zu Fall zu bringen. Für die Klausur ist eine ausschöpfende Argumentation bei der Bewertung der Klauseln und weniger das Ergebnis bedeutsam, um dem Korrektor zu zeigen, dass der Sinngehalt der Klausel und auch der wirtschaftliche Kontext nachvollzogen werden konnten.
Die Systematik und der Prüfungsaufbau einer AGB-Prüfung werden in einem anderen Beitrag erläutert (siehe dazu schematisch hier). Die wichtigsten Judikate aus der letzten Zeit zu diesem Thema findet ihr im Übrigen hier.

08.07.2013/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-07-08 07:01:252013-07-08 07:01:25BGH: Haftungsbeschränkungen in AGB von Reinigungen
Christian Muders

BGH: Zur Konkretisierung des Vorsatzerfordernisses bei der Beihilfe

Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Der BGH hat in einem Beschluss vom 28. Februar 2012 (3 StR 435/11 = StraFo 2012, 239 = wistra 2012, 302 f.) zu einigen Fragen der Beihilfe Stellung genommen und dabei insbesondere die Anforderungen, die an den Vorsatz des Gehilfen zu stellen sind, präzisiert.
1. Worum geht’s?
Nach den Feststellungen der Eingangsinstanz leisteten die Angeklagten in unterschiedlichem Umfang durch das Bereitstellen von Bankkonten, durch Weiterüberweisung und die Abhebung eingegangener Geldbeträge Beihilfe zum Computerbetrug zum Nachteil von Online-Banking-Nutzern durch sog. „Phishing“. Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht festgestellt, den Angeklagten sei bewusst gewesen, „dass die Zahlungseingänge einen illegalen Hintergrund hatten“. Die Angeklagte A habe zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt, da sie „bewusst in Kauf genommen“ habe, „jedwede, den Umständen nach nicht fernliegende Art von Vermögensdelikten, insbesondere auch Delikte des Computerbetrugs durch ihr Verhalten zu unterstützen“. Ebenso habe der Angeklagte B den subjektiven Tatbestand der Beihilfe zum Computerbetrug erfüllt. Auch wenn er Einzelheiten dazu, wie die Gelder auf die Konten gelangt seien, nicht „konkret“ gekannt habe, sei ihm doch bewusst gewesen, dass es sich um etwas „Illegales“ gehandelt habe. Er habe dies nicht weiter hinterfragt und damit „bewusst in Kauf genommen, irgendeine, nicht fernliegende Art von Vermögensdelikten, darunter auch einen etwaigen Computerbetrug, durch sein Verhalten zu unterstützen“. Das Landgericht hat beide Angeklagte wegen Beihilfe zum Computerbetrug verurteilt.
2. Was sagt der BGH?
Der BGH hat beide Urteile aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des LG zurückverwiesen. Zu den wesentlichen Aussagen des Beschlusses:
a) Keine ausreichenden Feststellungen zum Beihilfevorsatz
Der entscheidende Senat hat zunächst bemängelt, dass nach den Feststellungen des LG den Erfordernissen an die subjektive Tatseite einer Beihilfe nicht genügt sei:

Zwar braucht der Gehilfe Einzelheiten der Haupttat nicht zu kennen und keine bestimmte Vorstellung von ihr zu haben (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2011 – 3 StR 420/10, NStZ 2011, 399, 400; Urteil vom 18. April 1996 – 1 StR 14/96, BGHSt 42, 135, 137). Eine andere rechtliche Einordnung der Tat ist für den Gehilfenvorsatz unschädlich, sofern die vorgestellte Haupttat in ihrem Unrechtsgehalt von der tatsächlich begangenen nicht gänzlich abweicht (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 27 Rn. 22). Allerdings muss der Gehilfe seinen eigenen Tatbeitrag sowie die wesentlichen Merkmale der Haupttat, insbesondere deren Unrechts- und Angriffsrichtung, im Sinne bedingten Vorsatzes zumindest für möglich halten und billigen. Dieses Mindestmaß einer Konkretisierung des Gehilfenvorsatzes hat das Landgericht nicht festgestellt. Dass die Angeklagten „jedwedes“ oder „irgendein“ Vermögensdelikt fördern wollten, reicht nicht aus.

b) Möglichkeit der Strafbarkeit wegen Begünstigung
Des Weiteren weist der BGH darauf hin, dass nach vorliegender Sachverhaltskonstellation, bei der es u.a. um die Weiterleitung und Abhebung von durch Computerbetrug erlangten Geldern ging, neben einer Beihilfe auch eine Strafbarkeit wegen Begünstigung (§ 257 StGB) im Raum stehe. Er macht aus diesem Anlass Ausführungen zur Abgrenzung beider Delikte:

Der neue Tatrichter wird bei der Bewertung der Tatbeiträge der Angeklagten zu berücksichtigen haben, dass Beihilfe nur bis zur materiellen Beendigung der Haupttat, also bis zur endgültigen Sicherung ihres Erfolges, möglich ist. Danach kommt nach Maßgabe des § 257 Abs. 3 StGB eine Strafbarkeit wegen Begünstigung in Betracht. Von einer materiellen Beendigung solcher Taten des Computerbetruges, bei denen aufgrund einer Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs Geldbeträge von Konten der Geschädigten auf Empfängerkonten geleitet werden, ist auszugehen, sobald entweder das überwiesene Geld vom Empfängerkonto abgehoben wurde oder es auf ein zweites Konto weiterüberwiesen worden ist.

c) Abgrenzung von Tateinheit zu Tatmehrheit
Schließlich nimmt der Senat – wiederum eingekleidet in einen Hinweis für die neue Verhandlung – zur Differenzierung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit bei einer Diskrepanz zwischen der Anzahl an geleisteten Beihilfehandlungen zu der Menge der geförderten Haupttaten Stellung:

Bei der Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses (…) wird der neue Tatrichter zu beachten haben, dass die Förderung mehrerer rechtlich selbständiger Taten durch eine Beihilfehandlung nur als eine Beihilfe im Rechtssinne zu werten ist. Leistet der Gehilfe allerdings nicht nur durch eine Beihilfehandlung zu verschiedenen Haupttaten, sondern zusätzlich zu jeder Haupttat noch durch weitere selbständige Unterstützungshandlungen Hilfe im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB, so stehen die Beihilfehandlungen für jede Haupttat im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander (…).

3. Warum ist die Entscheidung wichtig?
a) Der Beschluss des BGH präzisiert zunächst die Erfordernisse, die an einen tauglichen Beihilfevorsatz zu stellen sind, was grundsätzlich begrüßenswert ist. Im Allgemeinen wird ja angenommen, dass die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand des Gehilfen geringer anzusetzen sind als diejenigen, die für den Anstifter gelten. Begründet wird dies damit, dass letzterer eine zu konkretisierende Tat erst vorgibt, während der Gehilfe eine bereits konkretisierte Tat begleitet (prägnant Satzger, Jura 2008, 514 [520]). Der BGH stellt nun klar, dass diese Herabsetzung der Anforderungen an die Beihilfe nicht so weit reichen kann, dass bereits der Gedanke an „irgendein Vermögensdelikt“, welches der Haupttäter verwirklicht, ausreichend wäre, um die Strafbarkeit des Gehilfen zu begründen. Dies erscheint insoweit stimmig, als dass die Unrechtsdiskrepanz zwischen unterschiedlichen Vermögensdelikten beträchtlich sein kann (vgl. z.B. den Strafrahmen des Diebstahls mit demjenigen des Raubes), so dass eine automatische Haftung des Gehilfen, der keine präziseren Vorstellungen hegt, für einen durch den Haupttäter erfüllten Tatbestand mit hohem Strafrahmen evident ungerecht erscheint. Freilich kann diese Linie zu einer Begünstigung von Gehilfen führen, die bewusst davor die Augen verschließen, welche Delikte der Haupttäter realisiert – man denke etwa an die Ehefrau des Mafiabosses, die ihren Mann in dessen illegalem Tun durch Verstecken von Geld o.ä. mittelbar unterstützt, ohne dass sie so genau weiß, noch wissen möchte, womit der werte Gatte so den gemeinsamen Lebensstil erwirtschaftet.
b) Bei dem Hinweis des Gerichts, dass zusätzlich zu der von der Vorinstanz angenommenen Beihilfe nach § 27 StGB auch eine Begünstigung gem. § 257 StGB in Betracht komme, ist insbesondere der auch in den Entscheidungsgründen zu findende Verweis auf Abs. 3 der letztgenannten Norm wichtig. Danach wird nämlich wegen Begünstigung nicht bestraft, wer wegen Beteiligung an der Vortat strafbar ist (S. 1), wobei eine Ausnahme für denjenigen Vortatbeteiligten gilt, der sich an der anschließenden Begünstigung durch Anstiftung des Helfenden beteiligt (S. 2). Legt man danach die Feststellungen der Vorinstanz zugrunde, wie sie aus dem Beschluss des BGH hervorgehen, dürfte eine (zusätzliche) Strafbarkeit der Angeklagten wegen Begünstigung im Ergebnis zu verneinen sein: Denn soweit beide Angeklagten bereits durch das „Bereitstellen von Bankkonten“ (erstmalig) den Zufluss von Geldern aus der Begehung von Taten des Computerbetrugs an den Haupttäter ermöglicht haben, liegt darin noch eine Förderung der Vortat, die erst mit der Realisierung der subjektiven Innentendenz, also dem tatsächlichen Erlangen des mit Bereicherungsabsicht erstrebten Vermögensvorteils, beendet ist. Die weitergehenden Unterstützungshandlungen, die durch das Abheben bzw. die Weiterleitung des Geldes eingeleitet wurden, wären dann straflos.
c) Zuletzt noch einige ergänzende Worte im Hinblick auf die vom BGH ebenfalls erörterte Behandlung der Konkurrenzen bei der Beihilfe: Dass es bei der Frage des Vorliegens von Tateinheit oder Tatmehrheit bei der Teilnahme auf das Verhalten des Teilnehmers und nicht etwa auf die Anzahl der Taten des Haupttäters ankommt, erscheint unmittelbar einsichtig, da der Teilnehmer schließlich für seine eigenen Verhaltensweisen und nicht für diejenigen des Haupttäters bestraft wird. Zu ergänzen bleibt allerdings, dass nach der Rspr. wegen der Akzessorietät der Teilnahme zur Haupttat ebenfalls nur Tateinheit gegeben ist, wenn zwar mehrere Teilnahmehandlungen, aber nur eine Haupttat vorliegt (vgl. BGH, Urteil v. 14.04.1999 – 1 StR 678/98 [= NStZ 1999, 513 f.]) – die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat wirkt sich i.E. also stets zu Gunsten, nie zu Lasten des Teilnehmers aus. Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass das eigentlich als selbstverständlich erscheinende Abstellen auf die bereits verwirklichten Tathandlungen des jeweiligen Beteiligten im Rahmen der versuchten Beteiligung nach § 30 Abs. 2 StGB zwischen den Senaten des BGH lebhaft umstritten ist: Während auch hier teilweise (zu Recht) die bereits vollzogenen Beteiligungshandlungen als Maßstab genommen werden (BGH, Urteil v. 17.02.2011 d – 3 StR 419/10 [= BGHSt 56, 170 ff.]), stellt eine andere Entscheidung zur Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses auf die erst zukünftig geplanten Taten ab (BGH, Urteil v. 13.01.2010 – 2 StR 439/09 [= NJW 2010, 623 f.]).

05.09.2012/1 Kommentar/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-09-05 10:00:332012-09-05 10:00:33BGH: Zur Konkretisierung des Vorsatzerfordernisses bei der Beihilfe

Über Juraexamen.info

Deine Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat. Als gemeinnütziges Projekt aus Bonn sind wir auf eure Untersützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch eure Gastbeiträge. Über Zusendungen und eure Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“
  • Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“
  • Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Gastautor

Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Simon Mantsch veröffentlichen zu können. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg tätig. Ein nach §§ 823 […]

Weiterlesen
16.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-16 15:42:082023-01-25 11:42:19Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“
Gastautor

Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“

Alle Interviews, Für die ersten Semester, Interviewreihe, Lerntipps, Rezensionen, Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Maximilian Drews veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und berichtet über sein absolviertes Pflichtpraktikum in einer Bonner Großkanzlei. […]

Weiterlesen
03.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-03 07:26:222023-01-04 10:57:01Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“
Gastautor

Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Tagesgeschehen, Uncategorized

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Theo Peter Rust veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften im siebten Semester an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Mit dem vorliegenden […]

Weiterlesen
23.12.2022/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-12-23 07:42:522022-12-23 08:49:11Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Support

Unterstütze uns und spende mit PayPal

Jetzt spenden
  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© 2022 juraexamen.info

Nach oben scrollen