Gestern hat sich das BVerwG mit einem medienwirksamen und sowohl zivil- also auch öffentlich-rechtlich interessanten Fall beschäftigt. Als Teil der Show „TV Total“ wurden Beiträge mit so genanntem „Bimmelbingo“ ausgestrahlt. Das Gericht beschrieb das (in der Pressemitteilung, die auch den übrigen Ausführungen zu Grunde liegt) „Spiel“ so:
„Ein Kamerateam [klingelte] unangekündigt nachts an Wohnungstüren, um deren Bewohner zu wecken und sie dadurch zur Mitwirkung an der Sendung zu bewegen, dass ihnen für drastisch ihre Verärgerung ausdrückende „Begrüßungssätze“ ein Geldgewinn in Aussicht gestellt wurde. Hierbei wurden regelmäßig zunächst das Klingelschild mit dem Familiennamen und später die mit Namen angesprochenen Bewohner in Schlafbekleidung gezeigt. In zwei Sendebeiträgen war durch sofortiges Zuschlagen der Haustür, Herunterlassen von Jalousien oder Drohung mit der Polizei deutlich erkennbar, dass kein Einverständnis mit dem Wecken und den Filmaufnahmen bestand.“
Dieser Sachverhalt lässt sich sowohl öffentlich-rechtlich als auch zivilrechtlich werten.
I. Öffentlich-rechtlich: Medienaufsicht
Zunächst wird hier der öffentlich-rechtliche Aspekt, mit dem sich das BVerwG zu befassen hatte, beleuchtet.
1. Beanstandung nach § 58 Medienstaatsvertrag
Die Landesmedienanstalt war der Ansicht, die Ausstrahlung, jedenfalls der Beiträge, in denen klar erkennbar war, dass die Gefilmten mit den Aufnahmen nicht einverstanden waren, sei rechtswidrig gewesen. Sie hätten das „allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen und ihr Recht am eigenen Bild verletzt [..] sowie das Wachklingeln und die Störung der Nachtruhe [seien] geeignet gewesen, die körperliche Unversehrtheit sowie das Wohlbefinden der Betroffenen bis hin zur Zufügung erheblicher Schäden zu beeinträchtigen“.
Jedenfalls der erste Aspekt – die Verletzung des Persönlichkeitsrechts bzw. des Rechts am eigenen Bild als Spezialfall desselben – ist M.E. evident zutreffend. Das Recht am eigenen Bild umfasst insbesondere die Befugnis zu bestimmen, ob man überhaupt abgebildet wird. Begibt man sich nicht selbst in die Öffentlichkeit oder hat sonst keinen Anlass gesetzt, so kann die Ausstrahlung des Bildes ohne Einwilligung des Betroffenden nicht rechtmäßig sein.
Ob freilich die Störung der Nachtruhe die körperliche Unversehrheit verletzt, mag dahinstehen. Ich halte das wiederum bei einer einmaligen Aktion für eher fernliegend. Der BGH nimmt jedenfalls für § 823 Abs. 1 BGB – dazu noch später – eine Bagatellschwelle an (vgl. BGH NJW 1953, 1440; vgl. BVerwGE 46, 1). Man muss insofern zwischen der ärgerlichen Störung und einer gesundheitlichen Beeinträchtigung klar unterscheiden. Die Störung der Nachruhe stellt M.E. eher einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, da so die selbstbestimmte Lebensführung – wann man schläft oder wacht – gestört ist, als dass gesundheitliche Konsequenzen drohen. Im Ergebnis reicht freilich jedenfalls die Verletzung des Rechts am eigenen Bild aus, um das Handeln des TV-Senders rechtswidrig zu machen.
Damit war die Beanstandung nach § 58 Abs. 1 des Medienstaatsvertrages Berlin Brandenburg (MStV) rechtmäßig. Dieser erlaubt die Beanstandung – d.h. die Anordnung den Rechtsverstoß zu beheben und künftig zu unterlassen – von Sendungen, die gegen die Pflichten des Senders aus dem MStV verstoßen. Er verweist damit insbesondere auf § 46 des MStV, der wiederum auf § 41 des Rundfunkstaatsvertrages verweist, in dessen Abs. 1 die Bindung der Sendeanstalten bei der Programmgestaltung an die „verfassungsmäßige Ordnung“ festgeschrieben wird.
Das alles war vor dem BVerwG nicht streitig. Die Betreiberin von ProSieben hatte nicht gegen die Beanstandung als solche geklagt, sondern nur gegen die infolge der Beanstandung ausgesprochene Abschöpfung der damit verbundenen Einnahmen.
2. Rechtsfolge: Abschöpfung des Gewinns
Nach § 58 Abs. 3 MStV können im Fall der Beanstandung einer Sendung die „erzielten Entgelte“ abgeschöpft werden:
(3) Dem Veranstalter kann aufgegeben werden, die durch Werbung im Zusammenhang mit der beanstandeten Sendung erzielten Entgelte an die Medienanstalt abzuführen. Der Veranstalter hat der Medienanstalt die hierfür erforderlichen Angaben zu machen.
Diese Norm wurde mit dem Argument angegriffen, sie enthalte eine Strafvorschrift, für welche die Länder Berlin und Brandenburg keine Gesetzgebungskompetenz hätten, weil der Bund seine konkurrierende Zuständigkeit erschöpfend genutzt hätte (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG).
Soweit daneben ein Verfall nach strafrechtlichen Grundsätzen in Betracht komme, könne die Anstalt darauf achten, dass keine doppelte Inanspruchnahme drohe. Deshalb sei die Regelung auch verhältnismäßig. Dass sie für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten nicht gelte, stelle keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar, da für diese gänzlich andere Regeln und Aufsichtsmechanismen existierten.
II. Zivilrechtlich: Entschädigung und Gewinnabschöpfung ?
Gänzlich unbeleuchtet gelassen hat das BVerwG naturgemäß die – vielleicht noch interessantere – zivilrechtliche Perspektive.
1. Entschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG
Zivilrechtlich erfüllt die Verletzung des Rechts am eigenen Bild den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB. Diese Norm schützt auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, darunter das Recht am eigenen Bild als besondere Ausprägung, wobei die Verletzung dieses Rechts jedenfalls fahrlässig erfolgte.
Damit sind Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB dem Grunde nach gegeben. Weil es sich um die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt, kann dafür eine Entschädigung in Geld gefordert werden – wohl nicht gem. § 253 Abs. 2 BGB analog als Schmerzensgeld, sondern „direkt“ auf Grundlage der Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG als „Entschädigungsanspruch“ (vgl. BGHZ 128, 1, 15 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco I; BGH NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco II; NJW 1996, 985, 987; NJW 2005, 58, 59; ausführlicher bei Stiebert, Zivilrechtliche Analyse des Gäfgen Urteils (LG Frankfurt v. 4.8.2011 – 2-04 O 521/05)).
Die Entschädigung, die hierfür gefordert werden kann, muss nach der Rspr. des BGH „fühlbar“ sein. Sie muss nicht nur den Gewinn, der aus der Persönlichkeitsverletzung erlangt wurde, schmälern, sondern auch der Höhe nach ein Gegenstück dazu bilden, dass hier das Persönlichkeitsrecht zum Zwecke der Gewinnerzielung verletzt worden ist. Nur so kann eine ausreichende Präventionswirkung erreicht werden. Es geht insofern zwar nicht um Gewinnabschöpfung, wohl ist aber die Höhe des Gewinns als Bemessungsfaktor in die Entschädigungshöhe einzubeziehen (BGH NJW 1996, 984 – Caroline von Monaco I).
2. Gewinnabschöpfung nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB
Noch interessanter ist aber eine mögliche Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB, weil sie eine echte Gewinnabschöpfung zulässt. Die Ausstrahlung von Bildern der unfreiwillig Gefilmten lässt sich durchaus als Eingriff in den Zuweisungsgehalt des Rechts am eigenen Bild begreifen. Wie dessen Name schon sagt, geht dieses dahin zu bestimmen wie das eigene Bild verwendet wird (vgl. MüKo/Schwab, § 812 Rn. 271) und ist auch einfachrechtlich geschützt in §§ 22 ff KUG.
Deshalb gilt grundsätzlich: Wenn Abbildungen einer Person von anderen unbefugt kommerziell verwertet werden, ist der Abgebildete unter dem Gesichtspunkt der Eingriffskondiktion berechtigt, den Wert der unbefugten Nutzung (§ 818 Abs. 2) herauszuverlangen (MüKo/Schwab, § 812 Rn. 273 unter Verweis auf BGHZ 20, 345, 354f.; BGHZ 81, 75, 80 ff; BGHZ 169, 340, 344 und andere). Dabei ist unerheblich, ob er das Recht selbst vermarkten wollte oder nicht.
Damit wäre hier „das Erlangte“ herauszugeben. Die Ausnahme, dass es am Zuweisungsgehalt nach Ansicht mancher fehlen soll, wenn ein Bild (etwa mangels Seltenheit) nicht kommerziell verwertbar ist (so etwa MüKo/Schwab, § 812 Rn. 273), ist vorliegend nicht gegeben. Denn offensichtlich sind die Aufnahmen, weil man damit eine populäre Sendung füllen kann, von Wert. Sie sind auch nicht ohne Weiteres durch Bilder, die man legal machen dürfte, zu ersetzen. Denn es kommt dem Filmenden ja gerade darauf an, dass die Betroffenen nicht gefilmt werden wollen und entsprechend unwirsch reagieren.
Es liegt nahe, dass die Werbeeinahmen des Senders jedenfalls anteilig aus der Nutzung der Rechte der Gefilmten „erlangt“ wurden. Sie bestimmen damit den Wert der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gezogenen „Nutzungen“. Danach bemisst sich auch der Wertersatz der Nutzungen nach § 818 Abs. 2 BGB. M.E. können die Betroffenen damit dem Grunde nach einen Anteil der Werbeeinahmen bzw. deren Wertersatz herausverlangen, gem. § 818 Abs. 2 BGB. Schon wegen der Rspr. des BGH zu dem Entschädigungsanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB wird man hier zu einem eher höheren Wert kommen müssen, da § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ja gerade die Gewinnabschöpfung erlaubt und so in den Fällen medialer Vermarktung eher weiter geht als § 823 Abs. 1 BGB. Andererseits ist freilich der Beitrag, den Bilder von verschlafenen Unbekannten an dem Erfolg einer Sendung wie TV Total haben, geringer als Bilder einer Prominenten wie Caroline von Monaco in peinlicher Situation. Im Endeffekt bleibt die Bemessung Tatfrage.
3. Anrechnung der Abschöpfung nach § 58 Abs. 3 MStV?
Eine Anrechnung der möglicherweise bereits gezahlten Entgeltabschöpfung nach § 58 Abs. 3 MStV kommt M.E. jedenfalls im Ergebnis nicht in Betracht. Rechte der Bürger sollen durch diese Norm nicht beeinträchtigt werden. Andererseits soll die Norm auch nicht – wie das BVerwG für die Kollision mit strafrechtlichen Sanktionen andeutet – zu einer Doppelbelastung der Sendeanstalt führen.
Daher wäre wohl ein möglicher privatrechtlicher Anspruch von der Medienaufsicht bei der Bemessung des nach § 58 Abs. 3 MStV geltend gemachten Betrages zu berücksichtigen gewesen. Wird der privatrechtliche Anspruch erst im Nachhinein geltend gemacht, so kommt M.E. nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts ein Widerruf bzw. eine Rücknahme nach §§ 48, 49 VwVfG in Betracht. Da der MStV eine Doppelbelastung wohl nicht möchte, wäre insofern das Ermessen auf Null reduziert.
III. Zusatzfrage: Was sind Staatsverträge und wie wirken sie?
Für die mündliche Prüfung vielleicht noch interessant: Es könnte danach gefragt werden
- was überhaupt Staatsverträge (Rundfunkstaatsvertrag, MStV) sind und
- wie es kommt, dass sie unmittelbare Wirkung im nationalen Recht haben. Immerhin handelt es sich ja um Staatsverträge, nicht um Gesetze.
Staatsverträge sind vertragliche Vereinbarungen zwischen Ländern oder Ländern und dem Bund, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen. Sonstige vertragliche Vereinbarungen zwischen Ländern oder Bund und Ländern, die sich auf den Bereich exekutiven Handelns beziehen, werden als sogenannte Verwaltungsabkommen bezeichnet (vgl. etwa Rudolf, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 57).
Derartige vertragliche Regelungen sind – wenn schon nicht nach Völkerrecht, so doch zumindest in Anlehnung an dieses – zulässig, weil die Länder auch im Bund eigene Staatlichkeit besitzen und daher auch Verträge mit anderen Staaten schließen können. Das ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich angesprochen, die Art. 32 und 59 GG betreffen nur die auswärtigen Beziehungen zu anderen Staaten (d.h. zu Staaten außerhalb des Bundes). Historisch war die Befugnis der Länder zum Abschluss von Verträgen jedoch stets anerkannt und an zahlreichen Stellen im Grundgesetz ist vorausgesetzt, dass die Länder Verträge untereinander oder mit dem Bund schließen können, vgl. etwa Art. 29 Abs. 7; Art. 130 Abs. 3 GG. Es ist übrigens auch anerkannt, dass auch Verträge von Ländern mit anderen Staaten zulässig sind, vgl. Art. 32 Abs. 3 GG. Gleichzeitig enthalten zahlreiche Landesverfassungen Regelungen zum Abschluss derartiger Verträge, vgl. Art. 50 S. 1 BadWürttVerf; Art. 72 Ab. 2 BayVerf; Art. 43 Abs. 1 S. 1 BerlinVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 1 HessVerf; Art. 47 Abs. 1 MecklenbVorpVerf; Art. 26 Abs. 1 NiedersachsVerf; Art. 101 S. 1 RheinlPfalzVerf; Art. 95 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 65 Abs. 1 SachsVerf; Art. 69 Abs. 1 S. 1 SachsAnhVerf; Art. 30 Abs. 1 S. 1 SchlHolVerf; Art. 77 Abs. 1 S. 1 ThürVerf (aus Rudolf, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 61).
Die rechtlichen Regeln, die für diese Verträge gelten, sind grundsätzlich die allgemeinen des Völkerrechts, die innerhalb des Bundesstaates jedoch durch das GG, insbesondere dessen Kompetenzverteilung, überlagert werden (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Herzog/Grzeszick, GG, 64. Erg.-Lfg. 2012, Art. 20 Rn. 155 m.w.N.).
Die Wirkung derartiger Staatsverträge richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Selbst wenn sie unmittelbar anwendbar, also self-executing sind, binden sie grundsätzlich nur die Vertragsparteien, nicht aber den Bürger. Dessen Bindung wird erst durch das Zustimmungsgesetz herbeigeführt, in dessen Rang dann die vertraglichen Regelungen gelten (Rudolf, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 62). Auch insofern gilt nichts anderes als bei völkerrechtlichen Verträgen des Bundes.