Das BVerwG stellt klar: Das Einsichtsrecht des Prüflings aus § 23 JAG NRW in seine Prüfungsarbeiten verdrängt Art. 15 DSGVO nicht. Prüflingen steht somit der allgemeine datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO auf Zugang zu all ihren personenbezogenen Daten in Kopieform zu, der nach Art. 12 Abs. 5 S. 1 DSGVO kostenlos zu erfüllen ist. Mit diesem Urteil bestätigt das BVerwG (BeckRS 2022, 42146) sowohl die Entscheidung des VG Gelsenkirchen (27.4.2020 – 20 K 6392/18) als auch die Berufungsentscheidung des OVG Münster (8.6.2021 – 16 A 1582/20). Beide Gerichte hatten dem klagenden Prüfling den datenschutzrechtlichen Anspruch ohne Einwände zuerkannt.
I. Was umfasst der Anspruch auf Datenauskunft?
Art. 15 DSGVO berechtigt jeden, der Subjekt einer Datenverarbeitung ist (die betroffene Person) gegenüber demjenigen, der die Verarbeitung vornimmt, also mit den Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DSGVO umgeht (Verantwortlicher), hier das Justizprüfungsamt (BVerwG, BeckRS 2022, 42146 Rn. 29) Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten sowie einige Zusatzinformationen zu verlangen. Auskunft muss dabei gemäß Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO durch Kopie sämtlicher personenbezogenen Daten, die verarbeitet werden, erteilt werden. Im Einzelnen sind Rechtsnatur und Reichweite der Kopieverpflichtung zwar umstritten, für die hiesige Sachlage ist der Streit jedoch nicht entscheidungserheblich, sodass auch hier auf eine Darstellung verzichtet wird. Wer an den dogmatischen Hintergründen und der Reichweite des Anspruchs näher interessiert ist, dem sei eine Lektüre der Guidelines des Europäischen Datenschutzausschusses sowie der Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH Pitruzella ans Herz gelegt.
Wesentlich ist, dass grundsätzlich sämtliche seiner personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO dem Anspruchsteller kopiert werden müssen. Danach sind personenbezogen sämtliche „Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann“. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff des personenbezogenen Datums, auch im Kontext des Auskunftsrechts, weit zu verstehen. Er ist nicht auf private oder sensible Informationen beschränkt, sondern umfasst potentiell alle Arten von Informationen unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über eine Person handelt. Sogar subjektive Beurteilungen einer anderen Person über den Betroffenen sind erfasst und damit auch Auskunftsgegenstand (EuGH NJW 2018, 767 – Nowak – Rn. 34).
Schon 2018 hat der EuGH ausdrücklich entschieden, dass die schriftlichen Antworten eines Prüflings sowie die Anmerkungen des Prüfers selbst personenbezogene Daten des Prüflings sind. Im Einzelnen begründete der EuGH dies wie folgt:
„37 Zunächst spiegelt der Inhalt dieser Antworten nämlich den Kenntnisstand und das Kompetenzniveau des Prüflings in einem bestimmten Bereich sowie gegebenenfalls seine Gedankengänge, sein Urteilsvermögen und sein kritisches Denken wider. Im Fall einer handschriftlich verfassten Prüfung enthalten die Antworten zudem kalligrafische Informationen. 38 Des Weiteren zielt die Sammlung dieser Antworten darauf ab, die beruflichen Fähigkeiten des Prüflings und seine Eignung zur Ausübung des betreffenden Berufs zu beurteilen. 39 Schließlich kann sich die Verwendung dieser Informationen, die insbesondere im Erfolg oder Scheitern des Prüflings der in Rede stehenden Prüfung zum Ausdruck kommt, insoweit auf dessen Rechte und Interessen auswirken, als sie beispielsweise seine Chancen, den gewünschten Beruf zu ergreifen oder die gewünschte Anstellung zu erhalten, bestimmen oder beeinflussen kann. 40 Die Feststellung, dass die schriftlichen Antworten eines Prüflings in einer berufsbezogenen Prüfung Informationen darstellen, die aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks und ihrer Auswirkungen Informationen über diesen Prüfling darstellen, gilt im Übrigen auch dann, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um eine Prüfung handelt, bei der Dokumente benutzt werden dürfen. 41 Wie die Generalanwältin beim EuGH in Nr. 24 ihrer Schlussanträge dargelegt hat (BeckRS 2017, 118086), zielt nämlich jede Prüfung darauf ab, die individuelle Leistung einer konkreten Person, des Prüflings, festzustellen und zu dokumentieren, und – insbesondere im Unterschied zu einer repräsentativen Umfrage – nicht darauf, Informationen zu erlangen, die von dieser Person unabhängig sind. 42Was die Anmerkungen des Prüfers zu den Antworten des Prüflings angeht, ist festzustellen, dass diese – ebenso wie die Antworten des Prüflings in der Prüfung – Informationen über den betreffenden Prüfling darstellen. 43So kommt im Inhalt dieser Anmerkungen die Ansicht oder Beurteilung des Prüfers in Bezug auf die individuelle Leistung des Prüflings in der Prüfung und insbesondere in Bezug auf dessen Kenntnisse und Kompetenzen in dem betreffenden Bereich zum Ausdruck. Diese Anmerkungen zielen im Übrigen gerade darauf ab, die Beurteilung der Leistung des Prüflings durch den Prüfer zu dokumentieren, und können, wie in Rn. 39 des vorliegenden Urteils ausgeführt, Auswirkungen auf den Prüfling haben. 44Die Feststellung, dass die Anmerkungen des Prüfers zu den vom Prüfling in der Prüfung gegebenen Antworten Informationen darstellen, die aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks und ihrer Auswirkungen mit dem betreffenden Prüfling verknüpft sind, wird nicht dadurch entkräftet, dass diese Anmerkungen zugleich Informationen über den Prüfer darstellen.“(EuGH, NJW 2018, 767 Rn. 37 ff.)
Somit sind nicht nur die Klausur selbst, sondern auch die Anmerkungen des Prüfers sowie seine Benotung und der ausgefüllte Erwartungshorizont jeweils ein personenbezogenes Datum des Prüflings und damit Auskunftsgegenstand. Zu diesem Ergebnis kam – wenig überraschend – auch das BVerwG (BVerwG, BeckRS 2022, 42146 Rn. 18). Darüber hinaus könnte selbst der Sachverhalt ein personenbezogenes Datum des Prüflings darstellen, sofern dieser auf dem ausgeteilten Bogen eigene Anmerkungen vornimmt. Auch diese wären dann Kopiegegenstand.
II. Möglichkeit verdrängender nationaler Vorschriften
Art. 15 DSGVO ist als Verordnungsvorschrift nach Art. 288 Abs. 2 AEUV auch in Deutschland unmittelbar und zwingend anwendbar. Die Wirkung der Verordnung kann nur dann durchbrochen werden, wenn dies in der DSGVO selbst vorgesehen ist. Zwar enthält diese in Art. 23 DSGVO eine Öffnungsklausel auch für die Einschränkung der Betroffenenrechte wie etwa dem Recht auf Auskunft, allerdings sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass § 23 JAG NRW das Auskunftsrecht verdrängen soll, so das BVerwG (BeckRS 2022, 42146 Rn. 38 f.). Einsicht ist etwas anderes als eine Kopie. Das Prüflinge bisher die Möglichkeit haben, auf Antrag eine kostenpflichtige Kopie zu beantragen, ist also unschädlich für den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch.
III. Keine Auskunftsverweigerung möglich
Das Auskunftsrecht lässt sich aus verschiedenen Gründen einschränken. Zum einen darf die Auskunft nach Art. 15 Abs. 4 DSGVO die Rechte und Freiheiten anderer nicht beeinträchtigen, zum anderen darf der Auskunftsantrag nicht offenkundig unbegründet oder exzessiv sein. Auch dann ist gemäß Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b) DSGVO die Verweigerung denkbar.
Da der Antrag im vorliegenden Fall zum ersten Mal gestellt wurde, kam das BVerwG richtigerweise zu dem Ergebnis, dass eine exzessive und offenkundig unbegründete Antragstellung nicht vorliegt. Auch werden mit der Kopieerteilung keine Rechte des Prüfers als andere Person beeinträchtigt, da dessen Korrektur von vornherein mit der Maßgabe erstellt wird, „dass diese den Prüflingen auf Antrag hin zugänglich gemacht werden können“ (BVerwG, BeckRS 2022, 42146 Rn. 31). Auch bereitet die Kopieerstellung keinen unverhältnismäßigen Aufwand.
„4 Das gilt zum einen mit Blick auf den Aufwand, der, wie von dem Oberverwaltungsgericht festgestellt, bei dem Landesjustizprüfungsamt durch die Bearbeitung des Antrags des Klägers in Gestalt der Herstellung und Übermittlung von insgesamt 348 Kopien in eng begrenztem Umfang entsteht. Die Berücksichtigung eines durch etwaige vergleichbare Anträge anderer Prüflinge hervorgerufenen Aufwands ist ausgeschlossen, da es nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DSGVO auf die Anträge „einer“ betroffenen Person ankommt. Es liegt auf der Hand, dass die durch den Antrag des Klägers verursachte geringe Mühewaltung des Landesjustizprüfungsamts die Annahme eines exzessiven Antrags auch dann nicht rechtfertigen könnte, wenn man hierfür auf einen nach Maßgabe einer unverhältnismäßigen Aufwand abstellen wollte (in diesem Sinne etwa: Franck, in: Gola/Heckmann [Hrsg.], DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 15 DSGVO Rn. 51; Zikesch/Sörup, ZD 2019, 239 [243 f.]; Korch/Chatard, ZD 2022, 482 [483 f.]).“ (BVerwG, BeckRS 2022, 42146 Rn. 34)
IV. Ein abschließender Blick auf die (Klausur-)Praxis
Die Landesjustizprüfungsämter werden somit nicht darum herum kommen, auf Antrag der Prüflinge Kopien der Examensklausuren unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, so wie es eben unionsrechtlich in Art. 15 DSGVO iVm. Art. 12 Abs. 5 S. 1 DSGVO vorgesehen ist. Dieser Fall eignet sich im Übrigen hervorragend für eine Klausur, auch wenn die Justizprüfungsämter aus Angst vor Kopiebegehren wohl zögern werden, derartige Sachverhalte auszuteilen. Denn Auskunft muss eben nur auf Antrag des Prüflings erteilt werden und nicht ungefragt. Gleichwohl sei die Klausurlösung von Simon Marx, JuS 2022, 143 gemeinsam mit der hier besprochenen Entscheidung des BVerwG ans Herz gelegt. Aber Achtung: Für die Lösung empfehlen sich die vom LJPA zur Berufungs- und Revisionsbegründung vorgetragenen Argumente nicht – Jurastudenten und -studentinnen würden wohl das Nichtbestehen riskieren, wenn sie das Verhältnis von nationalem Recht und Unionsrecht derart evident missachten.