Seit Monaten wird in Politik und Gesellschaft – nicht zuletzt beflügelt durch den NSU-Terror – wieder verstärkt ein Verbot der NPD diskutiert. Dies ist Anlass genug, sich eine Übersicht über rechtlich relevante Fragestellungen rund um das Parteiverbot zu verschaffen, um bspw. für die mündliche Prüfung einige Grundzüge zu beherrschen.
Historische Vorläufer: SRP- und KPD-Verbotsverfahren
Juristisches Neuland würde mit einem NPD-Verbotsverfahren nicht betreten, denn es hat bereits zwei erfolgreiche Verbote in den Anfangsjahren der BRD gegeben. Maßgebende Vorschrift war natürlich auch damals bereits Art. 21 GG, sodass nur Parteien, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“, als verfassungswidrige Partei verboten werden können. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Das erste Verbot betraf die SRP, die im Wesentlichen von Altnazis betrieben wurde (zur SRP: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistische_Reichspartei). Wichtige Aussagen der Verbotsentscheidung durch das BVerfG (v. 23.9.1952 – 1 BvB V51, BVerfGE 2, 1) sind:
„Die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“
„Art. 21 II GG ist für politische Parteien uneingeschränkt lex specialis gegenüber Art. 9 II GG.“
Etwas später dann hat das BVerfG den Prüfmaßstab im (ebenfalls letztlich erfolgreichen) KPD-Verbotsverfahren präzisiert und verschärft (BVerfG v. 17.8.1956 – 1 BvB 2/51, BVerfGE 5, 85). Wichtig ist vor allem die Einschränkung, dass es für ein Verbot nicht ausreicht, wenn bloß eine verfassungswidrige Einstellung vorliegt, sondern dass vielmehr auch eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung“ hinzukommen muss.
„Es ist eine vom Bundesverfassungsgericht nur unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs nachprüfbare Frage des politischen Ermessens, ob die Bundesregierung nach Abwägung aller Umstände dem Gebot des Verfassungsschutzes folgend einen Antrag nach § 43 BVerfGG stellen oder die hiernach zulässige Maßnahme wegen einer Gefährdung der Wiedervereinigung zurückstellen will.“
„Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfGE 2, 1 [12 f.]) nicht anerkennt; es muß vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen.“
„Eine Partei ist schon dann verfassungswidrig, wenn sie eine andere soziale und politische Ausprägung der freiheitlichen Demokratie als die heutige in der Bundesrepublik deshalb erstrebt, um sie als Durchgangsstadium zur leichteren Beseitigung jeder freiheitlichen demokratischen Grundordnung überhaupt zu benutzen, mag diese Beseitigung auch erst im Zusammenhang mit oder nach der Wiedervereinigung stattfinden sollen.“
Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren
Anders als bei diesen beiden erfolgreichen Verfahren entschied das BVerfG im NPD-Verbotsverfahren, dass dieses aufgrund von Verfahrenshindernissen eingestellt werden müsse (BVerfG, Einstellungsbeschluss v. 18.3.2003 – 2 BvB 1/01, 2 BvB 2/01, 2 BvB 3/01, BVerfGE 107, 339). Die Entscheidung wurde lediglich durch eine Minderheit von drei Richtern getragen, dies ist aber ausreichend gewesen, da es für ein Verbot einer qualifizierten Mehrheit bedarf (s. § 15 Abs. 4 BVerfGG). Wesentliche Begründung der drei Richter für ein Verfahrenshindernis war, dass zu viele V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD tätig waren und so aufgrund der „fehlenden Staatsferne“ der Partei ein rechtstaatliches Verfahren nicht gewährleistet werden könne.
„Die Beobachtung einer politischen Partei durch V-Leute staatlicher Behörden, die als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren, unmittelbar vor und während der Durchführung eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei ist in der Regel unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren, die sich aus Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, ergeben.
[…]
Ob ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Erfordernisse der Verfahrensgestaltung einen nicht behebbaren rechtsstaatlichen Schaden für die Durchführung des Verfahrens bewirkt, so dass die Fortsetzung des Verfahrens auch bei einer Abwägung mit den staatlichen Interessen an wirksamem Schutz gegen die von einer Partei ausgehenden Gefahren rechtsstaatlich ausgeschlossen ist, lässt sich nicht generell abstrakt beantworten. Das Gewicht der Verfassungsverstöße und deren Folgen für das Verfahren können nur auf Grund umfassender Würdigung der konkreten Verfahrenssituation beurteilt werden, und auch die erforderliche Abwägung muss die konkrete Gefahrensituation, auf die eine mögliche Einstellung des Verfahrens trifft, in den Blick nehmen.
Mangelnde Staatsfreiheit der Partei auf der Führungsebene noch nach Einleitung des Verbotsverfahrens ebenso wie mangelnde Staatsfreiheit des zur Antragsbegründung ausgebreiteten Bildes der Partei werden freilich schon aus Gründen legitimen Geheimnis- und Personenschutzes selten reparabel sein.“
Wichtig ist, dass die Verfassungsrichter damit gerade nicht in der Sache entschieden haben und somit nicht davon ausgegangen werden kann, dass die NPD zu dem damaligen Zeitpunkt nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG agitierte. Andererseits mahnt die Entscheidung natürlich auch heute noch zu rechtsstaatlichen Methoden bei der Bekämpfung verfassungswidriger politischer Gruppen. Angesichts der zahlreichen aktuellen Berichte über V-Leute in der NPD können daher auch die Erfolgsaussichten für ein eventuelles zweites Verbotsverfahren kaum eindeutig beurteilt werden. Abgesehen von dem damit verbundenen Verfahrensproblemen ist zudem fraglich, ob der NPD eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung nachgesagt werden kann (vgl. BVerfG v. 17.8.1956 – 1 BvB 2/51, BVerfGE 5, 85). Einerseits gibt es wohl Verbindungen zum NSU-Terror und anderen radikalen Gruppen, andererseits ist die NPD schon seit längerem in politischer Verantwortung (insbesondere auf kommunaler Ebene in den neuen Ländern), ohne dass sie das „System BRD“ bisher gestürzt hätte oder dies eindeutig versuchen würde. Man müsste also nachweisen können, dass nicht nur einige wenige Mitglieder entgegen der wohl offiziellen Linie der Partei aggressiv-kämpferisch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung agitieren. Im Moment dürfte es daher wohl weiterhin der beste Weg sein, die NPD in der politischen Arena statt vor dem BVerfG zu bekämpfen, zumindest muss man sorgsam prüfen, ob weiterhin zu viele V-Leute einem Verfahren entgegenstehen könnten, denn aus einem erneuten Scheitern eines Verbots könnte die NPD sicherlich politisches Kapital schlagen.