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Schlagwortarchiv für: Kuttenverbot

Dr. Maike Flink

BVerfG: „Kuttenverbot“ für Rocker verfassungsgemäß

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 9.7.2020 (Az. 1 BvR 2067/17, 1 BvR 424/19, 1 BvR 4423/18) die Verfassungsbeschwerden mehrerer lokaler Teilgruppierungen sowie einzelner Mitglieder verschiedener Motorradclubs (MC Gremium, Hells Angels und Bandidos) gegen das aus § 9 Abs. 3 VereinsG folgende „Kuttenverbot“ und die damit verbundene Strafnorm in § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG abgewiesen (vgl. unseren Bericht zur Erhebung der Verfassungsbeschwerden: Vereinsrecht: Verschärfung des Kennzeichenverbotes).
 
I. Sachverhalt
Der Gesetzgeber hatte mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes (VereinsG) vom 10.3.2017 den § 9 Abs. 3 VereinsG ins das Vereinsgesetz eingefügt und die damit verbundene Strafnorm in § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG verändert. § 9 Abs. 1 VereinsG regelte schon bislang ein Verbot öffentlich, in einer Versammlung oder medial die Kennzeichen eines verbotenen Vereins zu verwenden. Der neu gefasste § 9 Abs. 3 VereinsG erstreckt dieses in § 9 Abs. 1 VereinsG enthaltene Verbot nunmehr auch auf Kennzeichen, die in „im Wesentlichen gleicher Form“ von nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbstständigen Vereinen verwendet werden. Die Norm lautet:

„Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.“

Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot stellt § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG unter Strafe: Möglich sind eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe.
Die Beschwerdeführer richteten sich gegen die geänderten Normen: Ihre Mitglieder tragen typische Symbole wie den „Death Head“ der Hells Angels oder den „Fat Mexican“ der Bandidos als einheitlich genutztes Vereinslogo auf ihren „Kutten“ und haben dieses Logo nicht selten auch auf dem Körper tätowiert. Allerdings seien die Teilorganisationen, denen sie angehören – was insbesondere einzelne Ortsverbände betrifft –, nicht verboten, sodass das Kennzeichenverbot sich für sie als nachträglich ausgesprochene „Sippenhaft“ darstelle. Durch die Neuregelung sei das Kennzeichenverbot eben nicht mehr – wie bislang – streng akzessorisch zum Vereinsverbot, sondern erstrecke sich auch auf von dem Verbot nicht Betroffene. Dadurch sehen sich die Beschwerdeführer unter anderem in ihrem Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), in ihrer Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG) und ihrer Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) verletzt.
 
II. Die Entscheidung des Gerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Grundrechtsverletzung der Beschwerdeführer jedoch abgelehnt. Dabei hat das Gericht bewusst offen gelassen, ob die vereinsrechtlichen Kennzeichenverbote vorrangig an der Versammlungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG oder an der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG zu messen sind, da die Eingriffe in diese Grundrechte ohnehin gerechtfertigt seien. Dennoch ließ das Gericht eine Tendenz erkennen, vorrangig Art. 9 Abs. 1 GG heranzuziehen, wozu es ausführt:

„Es spricht viel dafür, die Kennzeichenverbote in erster Linie an Art. 9 GG zu messen (vgl. BVerfGE 28, 295 <310>; 149, 160 <192 Rn. 98; 200 f. Rn. 113 f.>). Das gilt jedenfalls für die Rechte von Vereinigungen selbst und von deren Mitgliedern. Daneben kann die Verwendung von Kennzeichen durch nicht organisierte Einzelpersonen – wie bei § 86a StGB – auch als Ausdruck einer Meinung an Art. 5 Abs. 1 GG zu messen sein (vgl. BVerfGE 93, 266 <289>), doch knüpft die Verbotsnorm weiter an das Verbot einer Vereinigung an, deren Symbole aus der Öffentlichkeit verbannt werden sollen (vgl. BTDrucks 14/7386 [neu], S. 49; BTDrucks 18/9758, S. 7).“

 
1.Verletzung von Art. 9 Abs. 1 GG
 Auf dieser Grundlage hat sich das Gericht zunächst mit einer möglichen Verletzung der Vereinigungsfreiheit auseinander gesetzt.
 
a) Eingriff in den Schutzbereich
Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Eine Vereinigung ist dabei ein freiwilliger Zusammenschluss mehrerer Personen, der auf eine gewisse Dauer angelegt ist und über eine gewisse organisatorische Festigkeit sowie eine gemeinsame Willensbildung verfügt und zu einem gemeinsamen Zweck erfolgt. Geschützt ist sowohl für die Mitglieder als auch für die Vereinigung selbst das Recht auf Entstehen und Bestehen in der gemeinsamen Form, aber auch die Mitgliederwerbung und die Selbstdarstellung sowie das Namensrecht. Die öffentliche Verwendung der Vereinskennzeichen stellt in diesem Zusammenhang einen Beitrag zur Erhaltung der Vereinigung dar, dient aber auch der Mitgliederwerbung und der Selbstdarstellung.

„Für die Identität der hier beteiligten Motorrad-Vereinigungen ist das öffentliche Verwenden der Kennzeichen auf ihren „Kutten“ sogar von grundlegender Bedeutung. Die für die jeweilige Dachorganisation stehenden „Top-Rocker“ und „Central Patches“ sind aus ihrer Sicht wie der Name der Vereinigung (vgl. BVerfGE 30, 227 <241 f.>) Ausdruck des Zusammenhalts und der gemeinsamen Identität; sie werden seit Jahrzehnten weitgehend unverändert genutzt, haben einen hohen Wiedererkennungseffekt und dienen auch der Anwerbung neuer sowie der Anbindung aktueller Mitglieder (dazu u.a. Bock, JZ 2016, S. 158 ff.).“

Durch die Neuregelung des § 9 Abs. 3 VereinsG sowie des § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG wird die Verwendung des Vereinskennzeichens verboten bzw. die Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot unter Strafe gestellt, sodass sie als zwangsläufige Folge eines Vereinsverbots zu einer gezielten Verkürzung der Vereinigungsfreiheit führt. Sie stellt mithin einen Eingriff dar.
 
b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Dieser Eingriff ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts allerdings gerechtfertigt, da er insgesamt keine unverhältnismäßige Einschränkung der Vereinigungsfreiheit bedeutet:
Zunächst verfolgt der Gesetzgeber mit dem Kennzeichnungsverbot ein legitimes Ziel: Er möchte abstrakte Gefahren abwehren, die mit dem Kennzeichen verbunden sind und das Vereinsverbot tatsächlich durchsetzen. Daher ist auch nur die Verwendung solcher Kennzeichen verboten, die „in im Wesentlichen gleicher Form“ verwendet werden, bei denen also erkennbar ist, dass sich die Träger des Kennzeichens eindeutig mit der verbotenen Vereinigung identifizieren, die dieses Kennzeichen in ähnlicher Form ebenfalls verwendet. Entscheidend ist ein ähnliches äußeres Gesamterscheinungsbild. Davon ist – wie § 9 Abs. 3 S. 2 VereinsG klarstellt ­– beispielsweise auszugehen, wenn die nicht verbotene Vereinigung das Kennzeichen der verbotenen Vereinigung lediglich mit einer abweichenden Ortsbezeichnung weiter verwendet.
Darüber hinaus ist das Kennzeichenverbot zur Erreichung dieser Ziele auch geeignet, wie das Gericht ausführt:

„Wären die Kennzeichen der im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 GG verbotenen Vereinigung mit einer abweichenden Ortsbezeichnung weiter präsent, liefe der Versuch, organisierte Aktivitäten zu unterbinden, die der Rechtsordnung fundamental zuwiderlaufen, weitgehend leer. Der Gesetzgeber darf insoweit davon ausgehen, dass eine Schwestervereinigung, die sich wie der verbotene Verein nach außen präsentiert, gleichermaßen für die strafbaren Aktivitäten oder verfassungswidrigen Bestrebungen des verbotenen Vereins steht (BTDrucks 18/9758, S. 8). Die hier angegriffenen Regelungen fördern jedenfalls den Zweck, die Kennzeichen verbotener Vereine effektiv aus der Öffentlichkeit zu verbannen.“

Das Kennzeichenverbot ist auch erforderlich, um die verfolgten Ziele zu erreichen. Insofern steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, wobei nicht erkennbar ist, dass er diese mit seiner Einschätzung, dass weniger einschneidende, ebenso effektive Mittel nicht ersichtlich sind, überschritten hat. 
Das Kennzeichenverbot ist auch angemessen, die eintretenden Nachteile stehen nicht außer Verhältnis zu den erstrebten Vorteilen. Zwar stellt das Verbot für die Beschwerdeführer einen schweren Eingriff in ihre Vereinigungsfreiheit dar. Denn gerade das öffentliche Tragen der Vereinskennzeichen als Teil ihrer Selbstdarstellung ist für sie besonders wichtig, um ihre Zugehörigkeit zur Vereinigung zu verdeutlichen. Die besondere Bedeutung des Vereinskennzeichens zeigt sich bereits dadurch, dass die betroffenen Vereinigungen regelmäßig detailliert regeln, wer unter welchen Voraussetzungen ihre Kennzeichen in der Öffentlichkeit verwenden darf. Verschärft wird die Schwere des Verbots zudem dadurch, dass die Verwendung der Kennzeichen in der Öffentlichkeit, in einer Versammlung sowie ihre mediale Verbreitung nunmehr nach § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG strafbewehrt ist. Demgegenüber muss jedoch ebenfalls berücksichtigt werden, dass eben nicht jedwede Verwendung des Kennzeichens untersagt ist, sondern die private Verwendung weiterhin zulässig bleibt. Außerdem wird nur die Verwendung „in wesentlich gleicher Form“ verboten, sodass das Kennzeichenverbot nur dann eingreift, wenn das äußere Gesamterscheinungsbild dem Kennzeichen der verbotenen Vereinigung insgesamt erkennbar ähnelt. Zwar wirkt die Strafbewehrung des Verbots eingriffserhöhend, allerdings handelt es sich allein um ein Vergehen, das mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe belegt wird, wobei das Gericht nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 VereinsG unter Umständen sogar ganz von einer Bestrafung absehen kann. Demgegenüber verfolgt der Gesetzgeber gewichtige Interessen:

„Insbesondere ist das Kennzeichenverbot untrennbar mit einem Vereinsverbot verknüpft, das als Instrument präventiven Verfassungsschutzes auf den Schutz von Rechtsgütern hervorgehobener Bedeutung zielt (vgl. BVerfGE 149, 160 <196 Rn. 104>). Nur in Art. 9 Abs. 2 GG ausdrücklich genannte Gründe – der eine Vereinigung prägende, also organisierte Verstoß gegen Strafgesetze (a.a.O., Rn. 106), die kämpferisch-aggressive Ausrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung (a.a.O., Rn. 108) und die Ausrichtung auf Gewalt in den internationalen Beziehungen oder vergleichbare völkerrechtswidrige Handlungen und damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung (a.a.O., Rn. 112) – rechtfertigen ein Verbot. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Verwendung von Kennzeichen verboten werden, da dieses Verbot dem Vereinsverbot materiell folgt. Damit tragen die Rechtsgüter, zu deren Schutz eine Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 GG ausdrücklich verboten werden kann, auch das Verbot ihre Kennzeichen, öffentlich, in einer Versammlung oder medial verbreitet zu verwenden.“

Vor diesem Hintergrund ist der Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG gerechtfertigt.
 
2. Verletzung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG
 Diese Erwägungen überträgt das Gericht auch auf die Prüfung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var 1 GG: Auch ein Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist gerechtfertigt: Die angegriffenen Normen sind allgemeine Gesetze i.S.v. Art. 5 Abs. 2 S. 1 GG, da sie die in Art. 9 Abs. 2 GG benannten Rechtsgüter schützen und nicht an den konkreten Inhalt des Kennzeichens, sondern allein an das formale Verbot der Vereinigung anknüpfen. Zudem kann dem Bedeutungsgehalt des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG bei der Auslegung und Anwendung von § 9 Abs. 3 VereinsG sowie § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG ohne Weiteres Rechnung getragen werden, sodass auch kein Verstoß gegen die Wechselwirkungslehre vorliegt.
 
3. Verletzung von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG
Letztlich lehnt das Gericht auch eine Verletzung der Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ab. Zwar erkennt das Bundesverfassungsgericht an, dass die Kennzeichen, die auf den „Kutten“ der Vereinsmitglieder angebracht sind, ebenso wir die „Kutten“ selbst in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG fallen und sie damit durch das Verbot, diese in der Öffentlichkeit zu verwenden, in der Nutzung ihrer Eigentumsposition eingeschränkt werden. Diese Beeinträchtigungen seien jedoch gerechtfertigt, wie das Gericht knapp ausführt:

„Die angegriffenen Normen bewirken keine Enteignung (vgl. BVerfGE 20, 351 <359>), sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Verwendungsverbote sind insofern Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums und aus den für die Einschränkungen der Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG geltenden Gründen verhältnismäßig.“

Damit scheidet auch eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG aus.
 
III. Ausblick
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt nicht nur Anlass, sich erneut mit der in Klausuren immer wieder beliebten Meinungsfreiheit sowie der Eigentumsfreiheit auseinanderzusetzen, sondern sollte auch als Anknüpfungspunkt genutzt werden, um sich vertieft mit dem in der Prüfungsvorbereitung häufig stiefmütterlich behandelten Art. 9 Abs. 1 GG zu beschäftigen. Denn wie die Entscheidung zeigt, kann das Grundrecht nicht allein im Hinblick auf ein vollständiges Vereinsverbot, sondern auch für damit zusammenhängende Maßnahmen erhebliche Bedeutung gewinnen. Die dargestellte Entscheidung hat der Thematik erneut Aktualität verliehen, wodurch auch in Prüfungen jederzeit erwartet werden muss, dass sie aufgegriffen wird.
 
 

24.08.2020/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2020-08-24 08:40:122020-08-24 08:40:12BVerfG: „Kuttenverbot“ für Rocker verfassungsgemäß
Dr. Maximilian Schmidt

Cranger Kirmes, Rocker und ihre Kutten – nicht strafbar, dennoch ordnungsrechtlich verboten

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

Alle Jahre wieder Cranger Kirmes – alle Jahre wieder Kuttenverbot für Rocker. Die Examensrelevanz braucht nicht betont zu werden, lief der Sachverhalt doch schon im Dezember 2014 im 1. Staatsexamen in NRW. Wie im letzten Jahr bestätigte das VG Gelsenkirchen das ordnungsbehördliche Kuttenverbot der Stadt Herne (s. unseren ausführlichen Artikel). Im diesjährigen Urteil des VG Gelsenkirchen vom 3.8.2015 – 16 L 1495/15 werden die Unterschiede zwischen Strafrecht und Ordnungsrecht am Beispiel der Kutten tragenden Rocker schulbuchmäßig aufgezeigt. Weniger die Entscheidung selbst, als deren juristische Grundlagen sollten gerade in einer mündlichen Prüfung bekannt sein.

Die Stadt Herne verbot durch Ordnungsverfügung vom 07.07.2015, wie auch schon im vergangenen Jahr, allgemein das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen und Schriftzügen von bestimmten Motorradgruppierungen (u.a. „Bandidos MC“, „Hells Angels MC“, „Satudarah MC“, „Gremium MC“, „Freeway Riders MC“) sowie mit bestimmten allgemeinen Schriftzügen und Parolen, sog. „Kutten“, in der Öffentlichkeit im Bereich der Cranger Kirmes. Der Antragsteller ist Mitglied des Clubs „Freeway Riders MC“ und macht zur Begründung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz geltend, die Verbotsverfügung verletze ihn in seinem Freiheitsrecht und seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (aus beck-aktuell entnommen).

In einem Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz entschied das VG Gelsenkirchen nun, dass diese Verbotsverfügung nicht offensichtlich rechtswidrig ist. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung nahm das VG zugunsten der Rocker an, dass kein generelles Verbot des Tragens der Kutten bestehe. Allerdings drohe im Zusammenhang mit der Cranger Kirmes, auf der unterschiedliche Rockergruppen aufeinandertreffen könnten, durch das Tragen der Kutten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Form der zu erwartenden tätlichen Auseinandersetzungen (ausführlicher unser letztjähriger Artikel mit verschiedenen Argumentationswegen).
Spannend ist nun die Auseinandersetzung mit dem Urteil des BGH v. 09.07.2015 – 3 StR 33/15. Der BGH hatte entschieden:

Aus dem jeweiligen Ortszusatz ergebe sich eindeutig, dass die Angeklagten den „Bandidos“-Schriftzug und den „Fat Mexican“ nicht als Kennzeichen des verbotenen „Chapters“, sondern als solche ihrer jeweiligen, nicht mit einer Verbotsverfügung belegten Ortsgruppen getragen hätten und damit gerade nicht gegen den Schutzzweck des – auf die jeweiligen Ortsgruppen beschränkten – Vereinsverbots verstießen. (Pressemitteilung des BGH Nr. 113/2015 v. 09.07.2015)

Kurz gesagt: Das Tragen eines Symbols eines erlaubten Chapters ist nicht deswegen strafbar, weil ein anderes Chapter mit ähnlicher Symbolik verboten ist und das Tragen dieser Symbolik folglich strafbar wäre.
Hier handelte es sich um erlaubte Chapter, sodass das Tragen der vereinseigenen Symbole nicht strafrechtlich verboten ist. Allerdings ändert dies nichts daran, dass hiervon eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen kann. Dies hatte auch bereits der BGH in seiner Entscheidung vom 9.7.2015 angesprochen:

Dies bedeute, dass das Tragen einer Kutte mit den von allen „Chaptern“ der „Bandidos“ benutzten Kennzeichen („Bandidos“-Schriftzug und „Fat Mexican“) zusammen mit dem Ortszusatz eines nicht verbotenen „Chapters“ unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 VereinsG nach derzeitiger Rechtslage zwar polizeirechtlich verboten sein könne, nicht aber strafbar sei.

Deutlich wird: Aus der fehlenden Strafbarkeit eines Handelns folgt nicht zwangsläufig dessen ordnungsrechtliche Zulässigkeit. Vielmehr ist je nach Rechtsgebiet eine eigenständige Auslegung bzw. Abwägung vorzunehmen.

06.08.2015/1 Kommentar/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-08-06 09:00:462015-08-06 09:00:46Cranger Kirmes, Rocker und ihre Kutten – nicht strafbar, dennoch ordnungsrechtlich verboten
Lukas Knappe

VG Gelsenkirchen: Verbot von Rockerkutten auf Volksfest

Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite

Rockerclubs wie die Hells Angels oder die Bandidos bestimmen zurzeit immer wieder die Schlagzeilen der Tagespresse in Deutschland. So werden die verstärkte Präsenz derartiger Clubs, deren Verbindung zu Gewalttaten oder organisierter Kriminalität oder die drohende Eskalation von Konflikten verfeindeter Rockerclubs thematisiert. Eine besondere Bedeutung erhält dabei die sogenannte Rockerkutte, mit der als besonders wichtigem Statussymbol die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub ausgedrückt werden soll, da diese eine zunehmende Präsenz im Bewusstsein der Öffentlichkeit erfährt. Besonders bekannt sind dabei die Embleme der Hells Angels (Totenschädel mit Flügeln), sowie der Bandidos („Fat Mexican“), doch zunehmend tauchen auch verstärkt die Symbole anderer Rockervereinigungen auf. Diese Rockerkutten sind jedoch auch mittlerweile Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden: So verwarf das BVerfG in einem Beschluss vom 14.03.2012 (Az. 2 BvR 2405/11 – vgl. dazu auch unseren Artikel hierzu) eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein Kuttenverbot während einer Gerichtsverhandlung richtete. Andere Urteile (OVG Schleswig, Urteil vim 18.01.2012 – 4 KN 1/11; OVG Bremen, Beschluss vom 21.10.2011 – 1 B 162/11) haben das Verbot von Rockerkutten auf Volksfesten oder der Bahnhofsvorstadt zum Gegenstand. Das VG Gelsenkirchen hatte sich nun mit Beschluss vom 07.08.2014 (Az. 16 L 1180/14) ebenfalls mit derartigen Rockerkutten zu befassen und bestätigte im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ein ordnungsbehördlich verhängtes Kuttenverbot auf der Cranger Kirmes.

Zum Sachverhalt

Die Stadt Herne verbot durch eine ordnungsbehördliche Allgemeinverfügung vom 16. Juli 2014 das öffentliche Tragen von Bekleidungsstücken und Rockerkutten mit Abzeichen und Schriftzügen von bestimmten Motorradgruppierungen im Bereich der Cranger Kirmes. Dabei verwies die Ordnungsbehörde darauf, dass das Tragen derartiger Rockerkutten und Symbole einerseits als Ausdruck einer gemeinsamen Gesinnung und andererseits auch als Erkennungsmerkmal dienen würde. Die verwendeten Abzeichen, Embleme und Schriftzüge würden insbesondere anderen Rockern eine prompte und sichere Zuordnung zur jeweiligen Gruppierung ermöglichen. In einem längeren Teil der Begründung zur Allgemeinverfügung wurden dann zahlreiche polizeilich festgehaltene Ereignisse aufgezählt, die im Zusammenhang mit Rockerclubs stehen. Nach Ansicht der Stadt Herne ließen gerade diese festgehaltenen Ereignisse in Verbindung mit einer allgemeinen polizeilichen Gefährdungsbewertung von Rockerclubs in NRW und für die Stadt Herne erkennen, dass die Mitgliedschaft in verschiedenen, gegebenenfalls verfeindeten Motorradclubs zu Auseinandersetzungen führen könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit bei der Cranger Kirmes und anderen Volksfesten mehrfach Anhänger von Rockerclubs gemeinsam Präsenz gezeigt hätten („Schaulaufen“), um konkurrierenden Motorradclubs die eigene Stärke zu demonstrieren. Gerade dieses öffentliche Zurschautragen der Mitgliedschaft könne auf der Gegenseite schwerwiegende Reaktionen bis hin zu Gewaltanwendungen provozieren, so dass davon auszugehen sei, dass das Fehlen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen und Emblemen der Motorradclubs die Identifizierung eines Kirmesbesuchers als Rocker deutlich erschwere und die Gefahr von Auseinandersetzungen dadurch eingeschränkt werde.

Ein Mitglied eines Rockerclubs wandte sich jedoch im Rahmen eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutzes gegen diese Verbotsverfügung und machte dabei geltend, dass ihn das Kuttenverbot in seinen Freiheitsrechten verletze.

I. Rechtliche Würdigung

Das VG Gelsenkirchen lehnte den Eilantrag des Antragsstellers gegen die ordnungsbehördliche Verbotsverfügung ab, da diese jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig sei.

 1. Prozessuale Einkleidung

Bei dem vom Antragssteller eingelegte Rechtsbehelf handelt es sich bei der Frage nach der Statthaftigkeit des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes um einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S.1 VwGO.

Im Rahmen der nach § 123 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abgrenzung des § 123 I VwGO von den Fällen der §§ 80, 80a VwGO, regeln diese ein Aussetzungsverfahren, mit dem Ziel, die aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Anfechtungsklage anzuordnen bzw. wiederherzustellen. Entscheidend für die Anwendbarkeit des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ist mithin, dass ein belastender VA vorliegt, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage zulässig wäre(vgl. zur Abgrenzung der Verfahren Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 500f.).

Die Stadt Herne hat das Kuttenverbot explizit als Allgemeinverfügung erlassen, bei der es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S.1 VwVfG handelt, wobei jedoch die Besonderheit besteht, dass das Merkmal des Einzelfalls durch § 35 S.2 VwVfG modifiziert wird, so dass bei einem generellen Adressatenkreis nur unter diesen Voraussetzungen eine Einzelfallregelung vorliegt. Infolge dessen, dass sich das Verbot des Tragens und Zurschaustellens vom Symbolen und Emblemen von Rockervereinigungen auf der Cranger Kirmes an einen im Wesentlichen bestimmbaren Personenkreis richtet, der nicht völlig offen ist, sind hier die Voraussetzungen einer personenbezogenen Allgemeinverfügung nach § 35 S.2 Fall 1 VwVfG erfüllt. Der bestimmbare Personenkreis ergibt sich gerade dadurch, dass das Verbot auf Cranger Kirmes bezogen, also eine konkrete, räumlich und zeitlich fixierte Veranstaltung zum Gegenstand hat. Gegen die Verfügung wäre in einem Hauptsacheverfahren mithin eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt.1 VwGO zu erheben.

Darüber hinaus hat die Stadt Herne vor dem Hintergrund der bereits am 01.08.2014 beginnenden Kirmes auch nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung angeordnet, so dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage statthaft ist.

Im Rahmen der Begründetheit des Antrags ist zu berücksichtigen, dass im Fall des § 80 Abs. 2 S.1 Nr. 4 VwGO zunächst die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu prüfen ist (vgl. dazu Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 32 Rn.14f.). Bei der materiellen Begründetheitsprüfung nehmen die Gerichte dann eine eigene Interessensabwägung vor, wobei geprüft wird, ob das Aussetzungsinteresse das Interesse an der sofortigen Vollziehung des VA überwiegt. Bei dieser Abwägungsentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren eine wichtige Rolle. Angesichts der Tatsache, dass es sich um ein Begehren nach gerichtlichem Eilrechtsschutz handelt, erfolgt dabei durch die Gerichte jedoch lediglich eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten (Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn.532f.).

II. Materielle Probleme

Als Ermächtigungsgrundlage für das durch die Stadt Herne erteilte Kuttenverbot auf der Cranger Kirmes kommt § 14 OBG NRW in Betracht, der die Ordnungsbehörde zur Durchführung der notwendigen Maßnahmen ermächtigt, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren

1. Betroffenheit eines Schutzgutes

Zunächst müsste ein Schutzgut der ordnungsbehördlichen Generalklausel betroffen sein. In Betracht kommt hier die öffentliche Sicherheit. Darunter ist nach allgemeiner Ansicht die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestands der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und der sonstigen Träger von Hoheitsgewalt zu verstehen (vgl. Wolffgang/Hendricks/Merz, Polizei-und Ordnungsrecht in NRW, Rn.54). Das Tragen der Bekleidungsstücke durch Rockerclubs in der Öffentlichkeit hat in der Vergangenheit unter Berücksichtigung der polizeilich festgehaltenen Ereignisse zu Provokationen und zur Anwendung massiver Gewalt zwischen den verfeindeten Vereinigungen geführt. Zudem legt die Ordnungsbehörde in der Begründung auch unter anderem Folgendes dar:

Aufgrund der zunehmenden Ansiedlung von Motorradclubs in Herne und Umgebung, kommt es durch die Mitglieder der vorgenannten Vereinigungen immer wieder zu Auftritten, die eine massiv einschüchternde Wirkung auf die allgemeine Bevölkerung haben.

Angesichts der verübten und zu befürchtenden Gewalttaten ist somit eine Betroffenheit des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit zu bejahen.

2. Vorliegen einer konkreten Gefahr

Die Frage nach der Rechtmäßigkeit des ordnungsbehördlichen Verbots hängt jedoch insbesondere vom Vorliegen einer konkreten Gefahr ab. Diese ist dann anzunehmen, wenn der Sachverhalt bei ungehindertem Verlauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den geschützten Gütern führen wird (vgl. Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in NRW, § 3 Rn.61; Schoch, Jura 2003, 472).

a) Beurteilung durch das VG Gelsenkirchen

Das VG Gelsenkirchen hat in der veröffentlichen Pressemitteilung erklärt, dass

die Kammer (es) vom Grundsatz her nachzuvollziehen (vermag), dass das Tragen solcher Bekleidungsstücke in der Öffentlichkeit im Bereich der (Kirmes) zu massiven Gewaltausbrüchen führen könnte. Dass auch Abzeichen der Gruppierung, der der Antragsteller angehört, von der Allgemeinverfügung erfasst sind, erscheint ebenfalls nicht offensichtlich verfehlt. Immerhin hat die Antragsgegnerin in der Begründung der Allgemeinverfügung explizit auch zwei Vorfälle aus der jüngeren Vergangenheit aufgeführt, die als Gewaltandrohung aufgefasst werden konnten bzw. bei denen tatsächlich Gewalt ausgeübt wurde und in die offenbar Mitglieder des (Rockerclubs) involviert waren.

 Jedoch bleibt zu berücksichtigen, dass das VG im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes aufgrund der lediglich summarischen Prüfung auch nicht die offensichtliche Rechtmäßigkeit feststellen konnte. Vielmehr hat es im Rahmen der Abwägungsentscheidung darauf abgestellt, dass es sich lediglich um ein Kuttenverbot für eine kurze Dauer handelt und der Zugang zur Kirmes als solcher nicht beschränkt wird, und dann angesichts der seiner Ansicht nach geringen Beeinträchtigung die Interessensabwägung zugunsten der Ordnungsbehörde vorgenommen. In einer Klausur müsste man sich hier jedoch intensiv mit der Frage nach dem Vorliegen einer konkreten Gefahr beschäftigen. Im Folgenden sollen dazu instruktiv einige Anregungen gegeben werden:

 b) Allgemeine Erwägungen zum Gefahrenbegriff

Bei der Beurteilung einer konkreten Gefahr geht es im Kern um eine Gefahrenprognose, bei der die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und das zu erwartende Schadensausmaß zueinander in Bezug gesetzt werden müssen (vgl. Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 61). Dabei gilt als Faustregel, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit desto geringer sind, je größer das Ausmaß des drohenden Schadens ist, und umgekehrt strengere Anforderungen an die Schadenswahrscheinlichkeit gestellt werden müssen, wenn es sich lediglich um geringere Schäden handelt (Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei-und Ordnungsrecht, § 4 Rn.2; Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 61).

Zu berücksichtigen ist dabei, dass eine gefahrenabwehrrechtliche Allgemeinverfügung nur zur Bekämpfung einer konkreten Gefahr erlassen werden darf. Sollen abstrakte Gefahren bekämpft werden, ist dies nicht durch eine Allgemeinverfügung, sondern lediglich durch eine ordnungsbehördliche Gefahrenabwehrverordnung möglich, die auf § 27 Abs.1 OBG NRW zu stützen ist (vgl. dazu auch OVG Bremen, 1 B 162/11).

Abzugrenzen ist die konkrete Gefahr im Sinne der ordnungsbehördlichen Generalklausel somit von der abstrakten Gefahr. Bei dieser handelt es sich um einen nach allgemeiner Erfahrung möglichen Sachverhalt, der bei ungehindertem Verlauf generell dazu geeignet ist, eine Gefahr zu verwirklichen (Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn, 73). Die abstrakte Gefahr ist mithin durch eine typisierende Betrachtungsweise geprägt, ist also nicht auf einen konkreten Sachverhalt bezogen.

 Im Rahmen der Definition des Gefahrenbegriffs ist als besondere Gefahrenlage jedoch auch noch unter anderem der Gefahrenverdacht auszumachen. Ein solcher liegt nach der allgemeinen Definition dann vor, wenn die Gefahrenabwehrbehörde über Anhaltspunkte verfügt, die auf das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr hindeuten, sich aber bewusst ist, dass ihre Erkenntnisse unvollständig sind und eine Gefahr möglicherweise doch nicht vorliegt (siehe dazu Wolffgang/Hendricks/Merz, Rn. 247). Beim Gefahrenverdacht wird das Vorliegen einer Gefahr somit lediglich für möglich, jedoch angesichts der bestehenden Unwägbarkeiten nicht für wahrscheinlich gehalten.

 c) Gründe für eine konkrete Gefahr

Die Stadt Herne ist in ihrer Begründung bezüglich der erlassenen Ordnungsverfügung vom Vorliegen einer konkreten Gefahr ausgegangen. Dies hat sie zum einen damit begründet, dass es in der Vergangenheit immer wieder zu Auftritten von Rockerclubs gekommen sei, die eine massiv einschüchternde Wirkung gehabt hätten oder sogar mit Gewalttaten verbunden gewesen seien. Als Beleg für diese Behauptung werden dann mehrere polizeilich festgestellte Ereignisse im Zusammenhang mit den Rockerclubs aufgezählt. Darüber hinaus verweist die Ordnungsbehörde auch auf eine allgemeine polizeiliche Gefährdungsbewertung, nach der die Rockerlage in NRW von Expansionsbestrebungen geprägt sei und sich vor allem durch Konfliktlagen um Einflussbereiche und Gebietsansprüche kennzeichne. Auch nach einer Lage- und Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamtes NRW Düsseldorf stellten die aufgeführten aktuellen Geschehensabläufe im Bereich Oberhausen, Herne und Essen eine andauerndes Konfliktpotential dar. Die Behörde führt insbesondere aus:

Nach plausibler polizeilicher Lageeinschätzung ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit von aggressiven Auseinandersetzungen verfeindeter Gruppierungen auf der Cranger Kirmes auszugehen, sofern diese auf dem Veranstaltungsgelände aufeinandertreffen sollten und dabei die genannten Bekleidungsgegenstände tragen. Diese Auseinandersetzungen können zu massiven Rechtsgut- und Gesetzesverletzungen führen….

Das Zurschaustellen des Namens, des Symbols oder sonstiger Kennzeichnungen einer Zugehörigkeit oder der Unterstützung einer solchen Gruppierung auf der Cranger Kirmes gewinnt damit eine Gefahrenqualität, die es zuverlässig abzuwehren gilt.

 d) Gegenargumente

Trotz der genannten örtlichen Besonderheiten in Herne können auch Argumente in der Diskussion angeführt werden, die eher für das Vorliegen eines Gefahrenverdachts (so das OVG Schleswig, 4 KN 1/11) oder einer abstrakten Gefahr (dazu tendiert das OVG Bremen, 1 B 162/11) sprechen:

So könnte man zunächst das Vorliegen einer hinreichend abgesicherten Prognose für das Verüben von Gewalttaten auf der Kirmes durch die Rocker anzweifeln. Die Annahme einer konkreten Gefahr setzt voraus, dass sich ein Sachverhalt aktuell in der Realität nachweisen lässt, während die abstrakte Gefahr lediglich eine „hypothetische“ Gefahr darstellt (Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 73). Zwar stützt sich die Behörde hier nicht nur auf eine allgemeine polizeiliche Gefahrenbewertung und die Bewertung des Landeskriminalamtes, sondern auch auf konkrete polizeilich bekannte Ereignisse im Zusammenhang mit Rockerclubs in Herne, jedoch ist es in der Vergangenheit gerade bei Volksfesten wie der Cranger Kirmes oder dem Festival Bochum Total lediglich zu „Schaulaufen“ bzw. Machtdemonstrationen einiger bestimmter Rockervereinigungen und nicht zu Gewalttaten gekommen. Diese Taten wurden vielmehr in anderen Zusammenhängen verübt. Darüber hinaus erscheint die Gesamtsituation auch weniger zugespitzt als im Fall des OVG Bremen, der dadurch geprägt war, dass es innerhalb weniger Tage mehrfach zu gewaltsamen Übergriffen rivalisierender Rockerclubs gekommen war. Eine mit der Situation in Bremen vergleichbare Gewalteskalation lässt sich der Begründung der Stadt Herne nicht ohne Weiteres entnehmen.

Ein weiteres Argument gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr, welches gerade auf die Gefahrenprognose bezogen ist, kann aus dem Urteil des OVG Schleswig zum allgemeinen Kuttenverbot auf der Kieler Woche abgeleitet werden. So sieht das OVG eine allgemeine polizeilich Gefahreneinschätzung hinsichtlich der mit Rockerclubs in Kiel verbunden Gefahren und Risiken nicht als ausreichende Beurteilungsgrundlage der tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer abstrakten Gefahr an. Vielmehr bedürfe es einer konkreten Prognose und Darlegung der gefahrbegründenden Umstände für jeden vom Kuttenverbot betroffenen Rockerclub. Es müsse im Einzelfall konkret tatsächliche Anhaltspunkte dafür geben, dass die Mitglieder des betroffenen Clubs das betreffende Volksfest als „Laufsteg“ nutzen und es dabei zu Gewalttaten kommen werde.

Zweifelhaft erscheint auch die Begründung des Kuttenverbots mit der durch das Zurschaustellen der Kutten verbundenen Provokations- und Einschüchterungswirkung. So könnte angeführt werden, dass das bloße Mitführen der Kutte selbst keine Gefahr darstellt, sondern vielmehr noch ein weiterer Willensakt für die Verübung von späteren Gewalttaten notwendig ist. Mit einer vergleichbaren Argumentation wurde beispielsweise versucht, bei der rechtlichen Beurteilung des Glasverbotes mittels Allgemeinverfügung im Kölner Straßenkarneval (dazu hier) lediglich eine abstrakte Gefahr anzunehmen, wobei das OVG Münster angesichts der besonderen Verhältnisse des Karnevals in der Kölner Altstadt dem nicht gefolgt ist. Besonders interessant vor diesem Hintergrund ist auch eine Passage des Beschlusses des OVG Bremen, das nun hinsichtlich des Kuttenverbotes ähnliche Erwägungen anstellte:

Soweit die Allgemeinverfügung darüber hinaus damit begründet worden ist, die von dem Verbot erfassten Embleme und Abzeichen verliehen der Kleidung einen uniformähnlichen Charakter, was mit einem Einschüchterungseffekt für die Bevölkerung des Stadtteils verbunden sei, vermag das die Allgemeinverfügung nicht zu rechtfertigen. Sofern diese Gefahrenprognose der Antragsgegnerin zutreffen sollte, was an dieser Stelle ausdrücklich offen gelassen wird, handelte es sich hierbei nicht um eine konkrete, sondern um eine abstrakte Gefahr.

Gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr spricht somit auch der Umstand, dass die Situation durch die Vielgestaltigkeit der Sachverhalte und Kausalzusammenhänge geprägt ist, so dass wohl das Tragen der Rockerkutte selbst nur schwer als gefahrbegründendes Verhalten eingeordnet werden kann.

Unter Berücksichtigung der allgemeinen Erwägungen zum polizei- und ordnungsrechtlichen Gefahrenbegriff erscheint es somit auch vertretbar, die Situation eher als Gefahrenverdacht, oder unter Umständen nur als abstrakte Gefahr einzuordnen.

III. Schlussbewertung

Angesichts der gerade in der jüngeren Vergangenheit bereits stattgefunden vorangegangenen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppierungen und der Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamtes für den Bereich Herne, die von einer andauernden Konfliktbereitschaft vor dem Hintergrund von Gebietsansprüchen und Einflussbereichen ausgeht, könnte das Zurschaustellen von Rockersymbolen durch die damit verbundene Provokationswirkung für andere Gruppierungen bereits eine Gefahrenqualität erreichen. Andererseits lassen sich auch Argumente gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr finden, da es wohl noch nicht zur einer mit dem Bremer Fall vergleichbaren Gewalteskalation gekommen ist und die Behörde auch nicht konkret dargelegt hat, inwieweit von den jeweiligen vom Verbot betroffenen Gruppierungen ein konkret gefahrbegründendes Verhalten zu erwarten ist. Die Einordnung des Kuttenverbots erweist sich somit als juristisch äußerst schwierig, da es entscheidend auf die Umstände im konkreten Einzelfall ankommt, die der Pressemitteilung nur schwer zu entnehmen sind. Vielmehr sollen die dargestellten Argumente daher ein erstes Gespür für eine argumentative Auseinandersetzung vermitteln.

Im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme muss somit besonders intensiv das Problem des Gefahrenbegriffs beleuchtet werden. Der Fall eignet sich somit zu einer Wiederholung der polizeilichen Gefahrenlagen, deren Vorliegen im Einzelfall nicht immer ganz unproblematisch abgegrenzt werden kann, da auch die verschiedenen Gerichte immer wieder zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die hier aufgeworfene Thematik unter dem Blickwinkel des Öffentlichen Rechts interessante Rechtsfragen beinhaltet, die Gegenstand von Klausuren sein können.

 
 
 
 

21.08.2014/2 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2014-08-21 08:34:172014-08-21 08:34:17VG Gelsenkirchen: Verbot von Rockerkutten auf Volksfest

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