Der BGH konnte sich im Urteil vom 21.10.2011 (Az. V ZR 265/10) mit einem examensrelevanten Sachverhalt beschäftigen. In der Sache ging es um den Bewohner einer Reihenhaussiedlung, der seine Gartenanlage mittels mehrerer Videokameras überwachte. Die infrage stehenden Kameras waren dabei nicht auf die Nachbargrundstücke gerichtet. Die anliegenden Nachbarn fühlten sich gleichwohl belästigt, da ihrem Erachten nach zumindest die Gefahr bestand, dass auch eine Überwachung ihrer Nachbargärten erfolgt. Diese Angst begründete sich dadurch, dass zwischen den Garteninhabern zuvor bereits andere Nachbarrechtsstreitigkeiten geführt wurden. Angesichts des angespannten Verhältnisses zwischen den Parteien sei es demnach wahrscheinlich, dass der Inhaber des überwachten Gartens die Einstellung der Kameras heimlich ändere und dann nicht nur seine Gartenfläche, sondern auch die der anliegenden Grundstücke überwache.
Als zusätzlicher Kniff handelt es sich bei den Inhabern der streitgegenständlichen Reihenhäuser nicht bloß um Mieter bzw. Eigentümer, sondern um Miteigentümer dreier Grundstücke, wobei jeweils für jedes Reihenhaus Wohnungseigentum nach dem Wohnungseigentümergesetz (WEG) besteht. Der für den Fall einschlägige Rechtsrahmen findet sich demnach zumindest teilweise auch im WEG. Examenskandidaten brauchen sich allerdings nicht vor der Anwendung des weitgehend unbekannten Gesetzes zu fürchten. Im Ergebnis lässt sich der Fall nämlich nach allgemeinen Prinzipien lösen – es muss eben nur der korrekte Einstieg gefunden werden.
I. Vorab – Wohnungseigentum nach dem WEG
Bevor in die Grundsätze der Entscheidung des BGH eingegangen wird, sollen an dieser Stelle kurz die Grundsätze des Wohnungseigentums nach dem WEG erläutert werden (einen netten Überblick zum WEG findet man i.ü. hier).
1. Modifikation des Immobiliarsachenrechts durch Sonderrecht
Das Eigentumsrecht bezieht sich bei Immobilien nur auf eine geographisch abgrenzbare Fläche. Man kann Eigentum nach den allgemeinen Grundsätzen demnach nur an einem Grundstück und nicht an einzelnen Gebäudeteilen haben (anders etwa beim Erbbaurecht). Ein auf einem Grundstück errichtetes Gebäude wird als wesentlicher Bestandteil des Grundstücks dem Eigentümer des Grundstücks zufallen, vgl. § 94 BGB. Um diese Schwäche bzw. Inflexibilität des gemeinschaftlichen Eigentums an Immobilien zu begegnen wurde u.a. das WEG erlassen. Nach diesem Gesetz kann beispielsweise Eigentum an einer Wohnungseinheit eines Mehrfamilienhauses erworben werden, indem ein bestimmter Miteigentumsanteil als Wohnungseigentum nach dem WEG deklariert wird. Gleichermaßen kann bei mehreren Reihenhäusern, die sich auf einem Grundstück befinden, jeweils Wohnungseigentum an den Wohneinheiten nach dem WEG begründet werden, ohne dass es einer Aufteilung in mehrere Grundstücke bedürfte. Es handelt sich bei den nach dem WEG eingeräumten Positionen somit um ein Sonderrecht eines bestimmten Gegenstandes auf einem Grundstück.
2. Begründung des Sonderrechts
Begründet wird eine Gemeinschaft i.S.d. WEG durch die vertragliche Einräumung von Sondereigentum nach § 3 WEG oder durch eine Teilung nach § 8 WEG, vgl. auch § 2 WEG. Die Einräumung des Sondereigentums oder die Teilungsvereinbarung können im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer zudem besondere Vereinbarungen enthalten. Findet sich für eine bestimmte Fallkonstellation keine Vereinbarung, sind die WEG-Eigentümer grundsätzlich so zu behandeln, als seien sie Eigentümer real geteilter Grundstücke.
3. Die Wohnungseigentümergemeinschaft
Die jeweiligen Wohnungseigentümer sind qua Gesetz in einer Gemeinschaft, der sog. Wohnungseigentümergemeinschaft, organisiert. Die Wohnungseigentümergemeinschaft wurde bereits 2005 vom BGH als teilrechtsfähig eingestuft (BGH, Beschluss v. 02.06.2005, Az. V ZB 32/05). Sie kann also auch im eigenen Namen im Rechtsverkehr auftreten und Verträge schließen. Dies ergibt sich seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2007 explizit aus § 10 Abs. 6 WEG. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist – obwohl dies zumindest nicht fernliegt – hingegen nicht grundsätzlich als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zu qualifizieren. Sie ist vielmehr ein Verband eigener Art.
Die Verwaltung, Beschlussfassung und Organisation sind im Detail im WEG geregelt und müssen für das Examen nicht vertieft beherrscht werden. Eine klausurrelevante Besonderheit besteht aber etwa darin, dass bauliche Maßnahmen und Veränderungen am Gemeinschafts- oder Sondereigentum (zur Abgrenzung siehe § 5 WEG), die über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinausgehen, nach § 22 Abs. 1 S. 2 WEG der Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer bedürfen. Im Umkehrschluss kann man daraus folgern, dass Maßnahmen, die nicht über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinausgehen ohne weiteres vorgenommen werden können. Gleichermaßen kann gegen solche unerheblichen Maßnahmen folglich auch kein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB begründet sein.
II. Die Entscheidung des BGH
Der BGH hatte zu prüfen, ob den Inhabern der zu Eingangs benannten anliegenden Nachbarreihenhäuser ein Anspruch auf Entfernung der Überwachungskameras gemäß § 1004 Abs. 1 BGB zusteht. Fraglich ist hierbei insbesondere, ob eine Beeinträchtigung der Grundstücke der Nachbarn vorliegt. Bei der Feststellung, ob eine solche Beeinträchtigung vorliegt, ist zunächst auf den Rechtsrahmen des WEG abzustellen. Maßgeblich ist hierbei, ob der Einbau der Kameras am Gebäude über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinausgeht.
Zur Konkretisierung des § 14 Nr. 1 WEG führte der BGH folgendes aus:
Nach § 14 Nr. 1 WEG ist jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, von dem Sondereigentum und dem gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Unter einem Nachteil in diesem Sinne ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung zu verstehen. Nur konkrete und objektive Beeinträchtigungen gelten als ein solcher Nachteil; entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann.
Die Bewertung dieser Frage kann insoweit ohne besonderes Spezialwissen beantwortet werden. Sofern eine allgemeine Teilungserklärung (ohne Spezialvereinbarungen) die Wohnungseigentümergemeinschaft begründet, sind die Wohnungseigentümer in allen Zweifelsfragen bei der Anwendung des WEG so zu behandeln, als seien sie unbeschränkte Alleineigentümer eines selbständigen parzellierten Grundstücks mit den darauf errichteten Gebäuden. Zu fragen ist also, ob eine Eigentumsbeeinträchtigung vorläge, wenn es sich nicht um Wohnungseigentümer nach dem WEG, sondern um gewöhnliche Eigentümer handelt.
1. Überwachungskameras grundsätzlich zulässig
Nach dem BGH beeinträchtigen die Kameras in diesem Fall die anderen Eigentümer nicht über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus. Einem Grundstückseigentümer sei es grundsätzlich gestattet, zum Schutz vor unberechtigten Übergriffen auf sein Eigentum seinen Grundbesitz mit Videokameras zu überwachen (so bereits BGH, Urt. v. 25.04.1995, Az. VI ZR 272/94). Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die Kameras nicht den angrenzenden öffentlichen Bereich oder benachbarte Privatgrundstücke erfassen, sondern allein das Grundstück des Eigentümers.
2. Ausnahme im Einzelfall
Allerdings könne im Einzelfall auch bei der Ausrichtung von Überwachungskameras allein auf das eigene Grundstück das Persönlichkeitsrecht Dritter beeinträchtigt sein. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn Dritte objektiv und ernsthaft befürchten müssen, mit den Kameras überwacht zu werden. Diese Befürchtung ist nach dem BGH gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, z. B. wegen eines eskalierenden Nachbarstreits oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch eine Videokamera beeinträchtigt das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, hingegen nicht. Maßgeblich sind also jeweils die Umstände des Einzelfalls (so auch schon BGH, Urt. v. 16.03.2010, Az. VI ZR 176/09).
Der BGH stellte sodann für den zu entscheidenden Fall fest, dass allein der Fakt, dass die Parteien bereits mehrere Rechtsstreite gegeneinander geführt haben, für sich gesehen nicht die o.g. Befürchtung tragen könne. Es fehle deshalb an einer Beeinträchtigung des Eigentum i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB.
Die Frage, ob die Installation der Kameras u.U. gerechtfertigt wäre, was sich anhand einer umfassenden Rechtsgüterabwägung im Einzelfall zu bemessen hätte, musste somit nicht als Folgefrage diskutiert werden.
III. Examensrelevanz
Der Fall eignet sich hervorragend, um allgemeine Grundsätze im Bezug zu Abwägungen mit Grundrechtsbezug in das Zivilrecht zu transponieren. Der Einstieg über das WEG ist ungewöhnlich, lässt sich jedoch nach einmaliger Lektüre des Gesetzeswortlauts in den Griff bekommen. Des Weiteren gilt, dass auch für andere Klausurgestaltungen zumindest die Grundzüge des WEG im Examen abgeprüft werden können.
Interessant, wenngleich ein Stück weit weniger examensrelevant ist in einem ähnlichen Kontext eine aktuelle BGH-Entscheidung (Urt. v. 08.04.2011, Az. V ZR 210/10) zur Frage, ob ein Wohnungseigentümer im Rahmen einer Wohnungseigentümergemeinschaft die Installation eines Videoauges an einer Hauseingangstür verlangen kann. Der BGH gab hier dem klagenden Wohnungseigentümer Recht, da die infrage stehende Kamera nicht dauernd – sondern nur, wenn jemand klingelt – den Eingang überwachte. Der Einbau einer solchen Kamera war insofern ebenfalls eine Maßnahme, die nicht über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinausging und war somit von den Miteigentümern zu dulden.