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Schlagwortarchiv für: EU-Recht

Gastautor

Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Aktuelles, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Uncategorized

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Theo Peter Rust veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften im siebten Semester an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Mit dem vorliegenden Aufsatz gewann er eine von ELSA München und ELSA Heidelberg ausgerichtete Essay Competition.

Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die Regelungen des am 01.01.2023 inkrafttretenden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und der derzeit in der Verhandlung befindlichen EU Richtlinie zu einem europaweiten Lieferkettengesetz und setzt sich kritisch mit deren Effektivität bei der Bekämpfung von Moderner Sklaverei auseinander. Der Verfasser begrüßt zwar ausdrücklich die Intention der Vorhaben, jedoch bewertet er insbesondere die Einschränkungen kritisch, die den beiden Vorhaben innewohnen, die eine Prüfung der eigenen Lieferketten nur in Bezug auf unmittelbare Zulieferer bzw. etablierte Geschäftsbeziehungen beschränken. Durch diese Einschränkungen drohen die Regelungen ausgehöhlt zu werden und die Maßnahmen könnten nicht an den Anfang der Lieferketten reichen. Es obliegt nun dem europäischen Gesetzgeber diese Maßnahmen ausreichend zu schärfen.

I. Einführung

Im vergangenen Jahr wurde von der alten Bundesregierung, entsprechend des vereinbarten Koalitionsvertrags, das Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG) verabschiedet, welches am 22.07.2021 verkündet wurde und am 01.01.2023 in Kraft treten soll. Dieses Gesetz zielt darauf ab, „auf eine Verbesserung der weltweiten Menschenrechtslage entlang von Lieferketten hinzuwirken und die Globalisierung mit Blick auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sozial zu gestalten“[1]. Um eine einheitliche Regelung dieser Überprüfung der Lieferketten auf europäischer Eben zu gewährleisten, hat die EU-Kommission einen eigenen Entwurf eines Lieferkettengesetzes erarbeitet, der am 23.02.2022 veröffentlich wurde.

Im Folgenden soll zum einen darauf eingegangen werden, welche Maßnahmen das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz zur Abschaffung moderner Sklaverei vorsehen, wie effektiv diese Regelungen bei der Bekämpfung der modernen Sklaverei sind und anschließend welche konkreten Regelungen notwendig wären für eine effektive Bekämpfung der modernen Sklaverei in den internationalen Lieferketten.

II. Das Deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Das zentrale Vorhaben des deutschen LkSG soll es sein deutsche Unternehmen i.S.d. § 1 Abs. 1 LkSG zur Analyse und zum Management auftretender, menschenrechtlicher Risiken in ihren Lieferketten zu verpflichten. Ein menschenrechtliches Risiko soll nach § 2 Abs. 2 vorliegen bei einem Zustand, bei dem auf Grund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen die in Abs. 2 genannten Rechtspositionen droht. Für die Bekämpfung der modernen Sklaverei relevant nennt §2 Abs. 2 verschiedene Formen der Sklaverei wie bspw. in Nr. 1 die Beschäftigung eines Kindes unter dem zulässigen Mindestalter, die Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit in Nr. 3 oder Leibeigenschaft sowie andere Formen von Herrschaftsausübung oder Unterdrückung in Nr. 4. Die Überwachung dieser menschenrechtlichen Risiken soll die Unternehmen für die gesamte Lieferkette betreffen, wobei der Begriff der Lieferkette weiter zu verstehen ist als ihre wirtschaftswissenschaftliche Definition und sich nach § 2 Abs. 5 auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens bezieht und dabei alle Schritte im In-und Ausland umfasst, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich ist, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu Lieferung an den Endkunden.                                                                                                                              Eine so weitreichende Definition des menschenrechtlichen Risikos und des Begriffs der Lieferkette ist zunächst vielversprechend für eine umfassende Verpflichtung der Unternehmen zur Überprüfung ihrer ganzen Lieferketten und eine Bekämpfung von moderner Sklaverei innerhalb dieser. Diese weitreichende Definition der Lieferkette wirft aber das Problem der Praktikabilität auf, da zwar davon ausgegangen werden kann und von den Unternehmen erwartbar ist, dass eine hinreichende Überprüfung der Gegenstände und Dienstleistungen vorgenommen werden kann, die zentral und elementar für den Geschäftsbereich des Unternehmens sind, aber nicht für alle möglichen handelsüblichen Maschinen und Anlagen.[2]Ein großer deutscher Konzern hat nach dieser Definition bis zu 100.000 unmittelbare Zulieferer, bei denen eine umfassende Überprüfung praktisch nicht möglich ist.[3] Daher wäre eine Fokussierung und Konkretisierung auf die elementaren und die besonders risikoreichen Bereiche eines Unternehmens sinnvoller sowie eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Gesetzes, wodurch eine größere Anzahl an Gegenständen und Dienstleistungen überprüft werden und nicht eine so geringe Zahl an Unternehmen alle Bereiche abdecken müssen. 

Auf der anderen Seite unternahm der Gesetzgeber aber eine sehr starke Einschränkung des Anwendungsbereichs, durch zum einen eine Beschränkung in § 1 Abs. 1 Nr. 2 auf Unternehmen mit 3.000 bzw. ab 2024 mit 1.000 Arbeitnehmern, was lediglich 600 bzw. 2.900 Unternehmen einbeziehen würde, [4] die wiederum ihren Sitz in Deutschland haben müssen. Eine solche Beschränkung auf diese Zahlen wirkt willkürlich und widerspricht den etablierten Größendefinition aus § 267 HGB und führt durch eine Beschränkung auf inländische Unternehmen zu einer leichten Umgehung des Gesetzes, einer eingeschränkten Effektivität sowie der Gefahr eines Abzugs inländischer Unternehmen ins Ausland.[5]                                       Zum anderen werden Präventionsmaßnahmen i.S.d § 6 nach § 6 Abs. 3 nur im eigenen Geschäftsbereich und nach Abs. 4 nur bei unmittelbaren Zulieferer verlangt, wodurch eben nicht, wie es in der Gesetzesbegründung heißt, die ganze Lieferkette in allen ihren Schritten zu überwachen ist, sondern beispielsweise mittelbare Zulieferer lediglich kontrolliert werden müssen, wenn das Unternehmen nach § 9 Abs. 2 substantiierte Kenntnis über eine mögliche Verletzung einer geschützten Rechtsposition erlangt. Durch dieses Erfordernis bereits eingetretener Menschenrechtsverstöße widerspricht sich das Gesetz in seiner eigentlichen Intention und ist mit dem Präventionsgedanken aus den Nr. 17ff. der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte unvereinbar, auf die sich das Gesetz explizit bezieht.[6]

Der Kritik an diesen Einschränkungen könnte man aber entgegenhalten, dass die großen betroffenen Unternehmen die kleinen Unternehmen in ihrer ganzen Lieferkette vertraglich dazu bringen, diese Compliance Vorschriften einzuhalten, um so eine Haftung zu umgehen, mit der Folge, dass eine Gewährleistung für die ganze Lieferkette gegeben wäre, wodurch aber eine unverhältnismäßige Belastung kleinerer Unternehmen drohen würde.[7] Dagegen spricht aber, dass, durch die enge Definition des Erlangens von substantiierter Kenntnis, die Unternehmen kein Interesse daran haben werden, Nachforschungen in ihrer Lieferkette zu betreiben. Der Gesetzesentwurf incentiviert die Unternehmen vielmehr, dass sie sich vor solchen Informationen verschließen, um so keine Kenntnis zu erlangen und damit in keine Haftung zu geraten.[8] Damit sind die geäußerten Bedenken wenig hinreichend und das Gesetz würde bei einem aktiven Verschließen vor Menschenrechtsverstößen bei Zulieferern leer laufen.

Außerdem ist bisher noch umstritten, inwieweit die Definition des „eigenen Geschäftsbereichs“ aus § 2 Abs. 6 auf Tochterunternehmen anwendbar ist. Dies könnte man bei einer engen Auslegung der Definition verneinen, womit ein erhebliches Umgehungsrisiko drohen würde bei der Abwicklung von Lieferungen über Tochterunternehmen, die in dem Fall nur als (unmittelbare) Zulieferer einzuordnen wären.[9]

Zuletzt ist noch anzumerken, dass sich aus den öffentlichen Äußerungen der letzten Bundesregierung ergibt, dass bei Menschenrechtsverstößen keine zivilrechtliche Haftung für schädigende Unternehmen vorgesehen ist, um diese vor Schadensersatzklagen zu schützen, die für eine effektive Bekämpfung von moderner Sklaverei notwendig wäre und echte Anreize zu eine menschenrechtsschützenden Überprüfung schaffen würde.[10] So würden Unternehmen bei Menschenrechtsverstößen sogar privilegiert werden können, indem ihnen im Falle einer deliktsrechtlichen Klage eine Verteidigungsmöglichkeit verschafft wird, durch Verweis auf die einfache Überprüfung der unmittelbaren Zulieferer, die kleineren Unternehmen nicht zukommt.[11]
Damit ist festzustellen, dass das Vorhaben des Lieferkettengesetzes zwar begrüßenswert war und zu einer wirklichen Verbesserung für viele Menschen in Zwangsarbeit hätte führen können, jedoch wurde der Anwendungsbereich so weit ausgehöhlt, durch die Beschränkung auf so wenige Unternehmen, die nur den eigenen Geschäftsbereich überwachen müssen sowie die Beschränkung auf unmittelbare Zulieferer, die meist selber keine Due Dilligence Pflichten treffen und dazu noch durch das Ermöglichen eines bewussten Verschließen vor Risiken, dass schlussendlich am Anfang einer Lieferkette, wo die Risiken mit am Höchsten sind, wohl kaum eine Wirkung des Gesetzes zu spüren sein wird. Es wurde zwar berechtigterweise auf die Praktikabilität der Umsetzung bei kleineren Unternehmen und die Verhältnismäßigkeit verwiesen, jedoch ist eine Interessen- und Güterabwägung, bei der sich erhöhte Betriebskosten und Praktikabilität für Unternehmen auf der einen Seite und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der anderen Seite entgegenstehen, sehr einseitig gewogen. Damit ist die Haltung des damaligen Gesetzgebers, wie sie auch Teile der neuen Bundesregierung vertreten,[12] zu Gunsten der Unternehmen bei dieser Abwägung schwer nachzuvollziehen und letztendlich auch, in Bezug auf den Schutz von Menschenrechten, abzulehnen. 

Das deutsche LkSG kann zwar als Übergangsregelung für ein EU-Lieferkettengesetz gesehen werden, welches die Unternehmen auf starke Regulierungen vorbereiten soll,[13] aber auch dafür geht das Gesetz zu kurz, es bleibt weit hinter den Vorhaben der EU-Kommission zurück und führt so zu keiner richtigen Vorbereitung, sondern kostet eher Zeit bei den Bemühungen gegen moderne Sklaverei. 

III. Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission

Am 23.02.2022 hat die EU-Kommission nun ihren Vorschlag für eine europäische Richtlinie veröffentlicht zur Implementierung von europaweit einheitlichen Sorgfaltspflichten in den Lieferketten der Unternehmen. Dieser Vorschlag der Kommission geht nun zunächst im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat über und wird voraussichtlich 2025 in Kraft treten und anschließend durch eine Überarbeitung des LkSG in deutsches Recht übergehen. 

Der Entwurf der Kommission schlägt als Anwendungsbereich eine Orientierung an der Mitarbeiterzahl und an dem Umsatz der Unternehmen vor. Demnach sind Unternehmen betroffen, wenn sie gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. (a) mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen und einen Umsatz von mehr als EUR 150 Mio. machen oder wenn sie nach lit. (b) mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigen und einen Umsatz von EUR 40 Mio. machen und 50% von diesem Umsatz in einem risikoreichen Sektor, namentlich Textil, Landwirtschaft und Bergbau, erwirtschaftet wird. Außereuropäische Unternehmen sind dabei nach Abs. 2 genauso betroffen, wenn sie die genannten Umsatzschwellen in der Union erwirtschaften. Des Weiteren geht auch der Begriff der „Value Chain“ im Richtlinienentwurf weiter als jener im LkSG, wobei neben der gesamten Wertschöpfungskette auch die Entsorgung der Produkte gemäß Art. 3 Lit. (g) unter diese Definition fällt. Außerdem regelt der Entwurf explizit die Haftung für das Handeln von Tochtergesellschaften[14]sowie die konkrete zivilrechtliche Haftung der Unternehmen bei mangelhafter Umsetzung der Due Dilligence Prozesse[15]. 

Diese weiten Regelungen finden aber auch bei diesem Entwurf lediglich Anwendung auf um die 1% aller europäischen Unternehmen[16] und auch wenn die Schwellen für Unternehmen, die in besonders risikoreichen Sektoren aktiv sind, gesenkt wurden, was insbesondere mit Blick auf das deutsche Gesetz begrüßenswert ist, fehlen bei dieser Aufzählung der Risikobereiche die besonders gefährdeten Sektoren Transport, Bauwesen, Energie und Finanzen.[17] Die Europäische Kommission behält sich aber vor, die geregelten Risikobereiche um weitere zu ergänzen.[18]                                                                                                                                    Eine sehr drastische Einschränkung erfährt dieser Entwurf aber durch das Erfordernis einer etablierten Geschäftsbeziehung, bei der erst eine Pflicht zur Due Dilligence in der Wertschöpfungskette entsteht, wenn zu den unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferern eine Dauerhaftigkeit in der Geschäftsbeziehung besteht.[19] Dies schränkt zum einen den Anwendungsbereich erheblich ein und sorgt dazu auch noch für eine schlechtere Praktikabilität, indem jedes Unternehmen anhand dieser wagen Definition ihre Geschäftsbeziehungen kategorisieren muss und es birgt das Risiko, dass sich Unternehmen durch dauerndes Wechseln der Geschäftsbeziehungen von dieser Verpflichtung befreien könnten. Außerdem soll den Unternehmen bei der zivilrechtlichen Haftung für indirekte Geschäftsbeziehungen ein Exkulpationstatbestand zugutekommen, wenn sie die verminderten Due Dilligence Anforderungen einhalten, wobei diese Exkulpation eine begrüßenswerte Einschränkung findet, wenn es ungerechtfertigt war zu glauben, dass die Maßnahmen zu einer Verbesserung führen würde.[20]Weiterhin ergibt sich das Problem, dass Unternehmen nicht dazu angehalten sind Formen der modernen Sklaverei innerhalb ihrer Wertschöpfungskette zu eliminieren und Geschäftsbeziehungen mit Zulieferern, die durch moderne Sklaverei profitieren, zu beenden sondern lediglich sich verhältnismäßig dafür einzusetzen diese zu minimieren.[21]Dies widerspricht einem Zero-Tolerance-Approach, dem sich die Union verpflichtet hat.[22]

IV. Effektive Handlungsmöglichkeiten

Dieser Richtlinienentwurf wird nun zur Verhandlungen an das europäische Parlament und den Ministerrat weitergeleitet. Somit obliegt es unter anderem der deutschen Bundesregierung, die sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet hat ein europäisches Lieferkettengesetz sowie ein Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit zu unterstützen,[23] die Entscheidung über die Konsequenz und den Umfang eines solchen europäischen Lieferkettengesetzes festzulegen.

Zwingend notwendig für eine effektive Umsetzung wäre dabei eine Änderung der Voraussetzungen von etablierten Geschäftsbeziehungen, um ein Umgehungsrisiko zu verhindern und die Prüfungspflichten auf weitere Teile der Wertschöpfungsketten auszuweiten. Es sollte des Weiteren die Zero-Tolerance Haltung gegenüber moderner Sklaverei mehr in den Entwurf eingearbeitet werden, durch konsequenteres Handeln der Unternehmen in Bezug auf ihre Zulieferer sowie das schnellere Erfordernis des Geschäftsabbruchs bei Kenntnisnahme oder Kennenmüssen von Menschenrechtsverstößen. Außerdem ist ein zentraler Aspekt der konsequenten Durchsetzung der Regelungen die zivilrechtliche Haftung der Unternehmen bei Schädigungen, wobei das Beweisen eines Vertretenmüssens von Seiten der Geschädigten, mangels Kenntnis der internen Geschäftsabläufe der Unternehmen, unmöglich sein wird.[24] Damit wäre es erforderlich eine Beweislastumkehr zu Lasten der Unternehmen einzuführen, womit die Unternehmen von ihrer Seite aus das Einhalten der Due Dilligence Pflichten nachweisen müssten, was anderen Beteiligten nicht möglich wäre. Die Geschädigten müssen dabei weiterhin die Haftungsbegründenden Tatsachen vorlegen und werden nur insoweit entlastet, dass sie nicht selber die interne Ausübung der Sorgfaltspflichten nachweisen müssen. 

Diese Regelungen müssen selbstverständlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit beschlossen werden, jedoch fällt diese Prüfung, wie bereits dargestellt, sehr einseitig aus. Im Jahr 2020 waren 160 Mio. Kinder Opfer von Kinderarbeit, was jedem zehnten Kind auf der Welt entspricht.[25] Außerdem befinden sich ca. 25 Mio. Menschen auf der Welt in Zwangsarbeit und Deutschland hat dabei den dritthöchsten Konsum von Gütern, bei denen ein hohes Risiko besteht, dass diese in Zwangsarbeit produziert wurden.[26]

Damit steht die deutsche Bundesregierung in der Verpflichtung umfassende und konsequente Regelungen in den Gesetzesentwurf der Kommission zu implementieren, um moderne Sklaverei effektiv zu bekämpfen. 


[1] RegE LkSG, S. 1.

[2] Stellungnahme des DAV, S. 11ff. 

[3] Ebd. 

[4] Stellungnahme der ILG, S. 4.

[5] Krajewski, Stellungnahme zum RegE, S. 9.

[6] Stellungnahme ILG, S. 3.

[7] Stellungnahme des BGA, S. 4.

[8] Korte, Der Betrieb 2021, Heft 12 S. M5.

[9] So auch Ehmann, ZVertriebsR 2021, S. 147; Vgl. Robert Grabosch Stellungnahme zum RegE vom 12.05.2021 S. 5ff.

[10] Krajewski, Stellungnahme zum RegE, S. 2.

[11] Krajewski, Stellungnahme zum RegE, S. 9. 

[12] Sigmund/Specht, „Justizminister Buschmann: EU-Lieferkettengesetz muss praktikabel sein“.

[13] So Löning, Stellungnahme zum RegE, S. 8.

[14] RichtlinienE, S. 31. 

[15] Ebd. S. 42.

[16] Ebd. S. 14

[17] ILG, Pressemitteilung vom 02.03.2022.

[18] RichtlinienE, S. 45.

[19] Ebd. S. 40. 

[20] Ebd. S. 21 (DE).

[21] Ebd. S. 17.

[22] EU-Strategy on the Rights of the Children, S. 21. 

[23] Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 34. 

[24] ILG, Anforderungen an ein wirksames Lieferkettengesetz, S. 7.

[25] COM 2022 66, S. 5.

[26] Global Slavery Index 2018, S. 4ff.

23.12.2022/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-12-23 07:42:522022-12-23 08:49:11Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten
Alexandra Ritter

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 3: Der Lieferantenregress

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Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderung im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem dritten Teil der Reihe steht der Regressanspruch des Verkäufers gegen seinen Lieferanten im Fokus.
 
I.       Vorbemerkungen
Auch im Lieferantenregress des BGB hat die Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/711 Änderungen bewirkt: Die Meisten sind redaktioneller Natur, um bspw. die Änderungen von § 439 BGB aufzunehmen. Dennoch werfen sie klärungsbedürftige Rechtsfragen auf. Der Prüfungsaufbau jedoch bleibt unverändert.
Die Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/711 enthält in ihrem Art. 18 die Vorgaben für die Umsetzung des Regresses des Verkäufers auf den Lieferanten. Dort steht:

„Haftet der Verkäufer dem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens einer Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, einschließlich des Unterlassens, Aktualisierungen für Waren mit digitalen Elementen gemäß Artikel 7 Absatz 3 zur Verfügung zu stellen, ist der Verkäufer berechtigt, bei den oder dem innerhalb der Vertragskette Haftenden Rückgriff zu nehmen. Bei welcher Person der Verkäufer Rückgriff nehmen kann, sowie die diesbezüglichen Maßnahmen und Bedingungen für die Geltendmachung der Rückgriffsansprüche bestimmt das nationale Recht.“

Die unionsrechtlichen Vorgaben haben erkennbar einen geringen Umfang und gem. Art. 18 S. 2 RL (EU) 2019/711 werden einige Regelungsaspekte den Mitgliedstaaten überlassen.
Der Lieferantenregress im Kaufrecht wird weiterhin in den §§ 445a, 445b und 478 BGB geregelt.
 
II.    § 445a Abs. 1 BGB
In § 445a BGB beschränken sich die Änderungen auf den ersten Absatz; Die Absätze 2 und 3  bleiben unverändert.
 
1.      Erweiterung der Bezugnahme auf § 439 BGB
Zunächst wird die Bezugnahme von § 445a Abs. 1 BGB auf § 439 BGB erweitert, sodass auch die Rücknahmekosten des Verkäufers gem. § 439 Abs. 6 S. 2 BGB (zu dieser Änderung s. den zweiten Beitrag dieser Reihe) in den Anwendungsbereich des Regressanspruchs fallen.
 
2.      Regressmöglichkeit für Aufwendungen des Verkäufers wegen § 475b Abs. 4 BGB
§ 445a aE BGB gibt dem Verkäufer nunmehr die Möglichkeit Regress beim Lieferanten zu nehmen für Aufwendungen, die ihm im Verhältnis zum Käufer wegen eines Mangels, der auf der Verletzung einer objektiven Aktualisierungspflicht gem. § 475b Abs. 4 BGB beruht, entstehen.
Diese Ergänzung am Ende von § 445a Abs. 1 BGB kann problematisch gesehen werden: Der Regressanspruch des Verkäufers gegen den Lieferanten beruht auf dem Gedanken, dass der Grund für die Inanspruchnahme des Verkäufers durch den Käufer ein Mangel ist, der aus der Sphäre des Lieferanten stammt (Looschelders, Schuldrecht BT, 15. Aufl. 2020, § 9 Rn. 1). Dies geht auch daraus hervor, dass gem. § 445a Abs. 1 BGB der Mangel bereits beim Übergang der Gefahr vom Lieferanten auf den Letztverkäufer vorgelegen haben muss. Der Lieferant haftet also über den Regressanspruch, weil er eine Pflicht, die er bereits gegenüber dem Verkäufer hatte, verletzt hat.
Eine Aktualisierungspflicht gem. § 475b Abs. 4 BGB hat der Lieferant gegenüber dem Verkäufer jedoch nicht (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2067). In den Gesetzesmaterialien heißt es hierzu:

„Da in der Regel nicht der Verkäufer, sondern der Hersteller technisch und rechtlich in der Lage ist, die erforderlichen Aktualisierungen anzubieten, ist eine Aktualisierungsverpflichtung nur dann tatsächlich effektiv, wenn die Pflicht, Aktualisierungen bereitzustellen, durch die Lieferkette bis zum Hersteller weitergereicht wird.“ (BT-Drucks. 19/27424, S. 27)

Man geht also davon aus, dass der Verkäufer die Aktualisierung nicht anbieten kann. Dann allerdings stellt sich ein Folgeproblem: § 445a Abs. 1 BGB i.V.m. § 475b Abs. 4 BGB verpflichtet den Lieferanten nicht unmittelbar zur Vornahme der Aktualisierung, sondern zum Ersatz der Aufwendungen, die der Verkäufer im Rahmen der Nacherfüllung zu tragen hat. Solche Aufwendungen können einem Verkäufer, der die Aktualisierung nicht anbieten kann, jedoch gar nicht erst entstehen. Das vom umsetzenden Gesetzgeber angestrebte Ergebnis, eine Aktualisierungsverpflichtung herbeizuführen, kann mit § 445a Abs. 1 aE BGB nicht erreicht werden (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2068). Insbesondere bei einer längeren Lieferantenkette, müsste eine solche Pflicht über § 445a Abs. 3 BGB, also vermittelt über die gesamte Lieferkette bis zum Hersteller, hergestellt werden.
Der Lösungsvorschlag von Lorenz (NJW 2021, 2065, 2068) begegnet dem Problem mit einer teleologische Reduktion des § 445a Abs. 1 aE BGB, Der Regress des Verkäufers gegen den Lieferanten ist dann zu untersagen, „wenn das unterlassene Zurverfügungstellen von Aktualisierungen beim Verbraucher allein aus der Sphäre des Verkäufers selbst herrührt und nicht auf den Lieferanten oder einen Dritten zurückzuführen ist.“ (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2068). Diese Lösung steht in Einklang mit dem Wortlaut von Art. 18 S. 1 RL (EU) 2019/771. Denn nach Art. 18 S. 1 RL (EU) 2019/771 soll ein Regressanspruch bestehen, wenn ein voriges Glied der Vertragskette es unterlassen hat, „Aktualisierungen für Waren mit digitalen Elementen gemäß Artikel 7 Absatz 3 zur Verfügung zu stellen“, das heißt, es darf nicht allein der Verkäufer selbst für die unterlassene Aktualisierung verantwortlich sein.
 
III. § 445b BGB
§ 445b BGB regelt weiterhin Besonderheiten der Verjährung von Ansprüchen des Verkäufers gegen den Lieferanten nach § 445a BGB. § 445b Abs. 1 BGB wurde nicht geändert. In § 445b Abs. 2 BGB dagegen wurde Satz 2 aF gestrichen. Das bedeutet die Ablaufhemmung für die Ansprüche des Verkäufers gegen den Lieferanten aus gem. § 445a Abs. 1 BGB und gem. § 437 BGB ist nicht mehr auf fünf Jahre begrenzt.
Diese Änderung ist durch die Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 nicht vorgegeben. Hintergrund ist die soeben erläuterte Vorstellung des Gesetzgebers, dass über § 445a Abs. 1 aE BGB eine Verpflichtung des (Hersteller-)Lieferanten zur Aktualisierung bestehe und solche Aktualisierung über eine Dauer von mehr als fünf Jahren notwendig sein können (vgl. BT-Drucks. 19/27424, S. 28).
 
IV. § 478 BGB
Zuletzt sind die Änderungen von § 478 BGB zu betrachten. § 478 BGB modifiziert die Regelungen der §§ 445a und 445b BGB für den Fall, dass der letzte Verkauf in der Kette ein Verbrauchsgüterkauf i.S.v. § 474 Abs. 1 S. 1 BGB ist. Während § 478 Abs. 1 und Abs. 3 BGB unverändert sind, wurde in Absatz 2 ein Verweis auf die §§ 475b und 475c BGB eingefügt.
478 Abs. 2 BGB regelt die Haftungsbeschränkung des Lieferanten, bzw. deren Unwirksamkeit. Der Lieferant kann sich nicht auf eine Vereinbarung berufen, die vor Mitteilung des Mangels getroffen wurde und zum Nachteil des Unternehmers (Verkäufers) von §§ 478 Abs. 1, 433 bis 435, 437, 439 bis 443, 445a Absatz 1 und 2 sowie den §§ 445b, 475b und 475c BGB abweicht, wenn dem Rückgriffsgläubiger kein gleichwertiger Ausgleich eingeräumt wird. Neu ist die Aufnahme der §§ 475b und 475c BGB. Jedoch kommen diese Normen bei dem Regress des Unternehmers gegen den Lieferanten nicht zur Anwendung (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2068). Fraglich ist insoweit, wie zum Nachteil des Unternehmerverkäufers von den §§ 475b und 475c BGB abgewichen werden soll, wenn dem Unternehmerverkäufer die entsprechenden Rechte gar nicht zustehen. In den Gesetzesmaterialien beschränkt man sich auf den Hinweis, dass es sich um „Folgeänderungen“ handele, mit denen „der Einfügung der §§ 475b und 475c BGB-E Rechnung getragen“ werde (BT-Drucks. 2019/27424, S. 44). Die Ergänzung um §§ 475b und 475c BGB ist auch nicht für einen effektiven Verbraucherschutz notwendig, da seine Rechte aus §§ 475b und 475c BGB schon durch § 476 Abs. 1 S. 2 BGB geschützt sind.
 
V.    Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es wie auch bezüglich der Nacherfüllung gem. § 439 BGB keine grundlegenden Änderungen im Lieferantenregress durch die Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (RL) 2019/771 gibt.
Problematisch ist aber die Ergänzung von § 445a Abs. 1 aE BGB um den pauschalen Verweis auf § 475b Abs. 4 BGB. Hier gilt es zu beobachten, wie Rechtsprechung und weitere Stimmen der Literatur dazu Stellung beziehen werden und welche Auswirkungen der Verweis in der Praxis haben wird.
Zudem ist der Verweis in § 478 Abs. 2 BGB auf die §§ 475b und 475c BGB kritisch zu hinterfragen. Für Studierende in der Klausursituation gilt es hier – wie immer in Konstellationen mit mehreren Beteiligten –, die einzelnen Vertrags- und Leistungsbeziehungen klar zu ordnen. Auch wenn es banal erscheinen mag, sollte eine Fallskizze mit den einzelnen Beziehungen der Beteiligten angefertigt und bei der Anfertigung der Lösung im Auge behalten werden.

18.01.2022/1 Kommentar/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-01-18 09:00:522022-01-18 09:00:52Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 3: Der Lieferantenregress
Dr. Lena Bleckmann

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 1: Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB

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Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderung im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem ersten Teil der Reihe steht neben allgemeinen Informationen zur Richtlinie der neue Sachmangelbegriff im Fokus.
I. Warum eine Kaufrechtsreform?
Doch zunächst einige Hintergrundinformationen zum Grund für die doch recht umfangreichen Änderungen im BGB. Man mag sich fragen, was den deutschen Gesetzgeber dazu veranlasst hat, grundlegende Fragen das Kaufrechts neu zu regeln. Wie so oft steckt hierhinter eine Umsetzungsverpflichtung aus dem Europarecht (Art. 288 Abs. 3 AEUV).
Die Richtlinie (EU) 2019/771 hat es sich ausweislich ihres Art. 1 zum Ziel gesetzt, „zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen und gleichzeitig für ein hohes Verbraucherschutzniveau zu sorgen, indem gemeinsame Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Kaufverträge zwischen Verkäufern und Verbrauchern festgelegt werden, insbesondere Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Waren, die Abhilfen im Falle einer Vertragswidrigkeit, die Modalitäten für die Inanspruchnahme dieser Abhilfen sowie über gewerbliche Garantien.“
Die Mitgliedsstaaten wurden zur Umsetzung der Richtlinie bis zum 1. Juli 2021 verpflichtet, ab dem 1. Januar 2022 sollen die neuen Regelungen gelten (Art. 26 Richtlinie (EU) 2019/771). Der deutsche Gesetzgeber hat die Umsetzungsfrist mit dem Erlass des Gesetzes zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags v. 25. Juni 2021 (BGBl. 2021, I, S. 2133) haarscharf eingehalten. Viel Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie blieb ihm nicht – anders als noch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die im Zuge der Schuldrechtsreform 2002 umgesetzt wurde, ist die aktuelle Warenkaufrichtlinie vollharmonisierend. Dies geht aus Art. 4 der Richtlinie hervor: „Sofern in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist, dürfen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichenden Vorschriften aufrechterhalten oder einführen; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Vorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus.“ Die Mitgliedsstaaten dürfen das von der Richtlinie vorgegebene Schutzniveau mithin nicht nur nicht unter- sondern ebenso nicht überschreiten – die Vorgaben sollen im gesamten europäischen Binnenmarkt gleichermaßen gelten.
Die zentralen Begrifflichkeiten werden in Art. 2 der Richtlinie (EU) 2019/771 definiert, ihr Anwendungsbereich ist mit Kaufverträgen zwischen einem Verbraucher und einem Verkäufer (Art. 3 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/771) grundsätzlich weit gefasst, wobei die Einschränkungen der Abs. 3-7 zu berücksichtigen sind.
II. Anforderungen der Richtlinie (EU) 2019/771 an die Vertragsmäßigkeit von Waren
Nun zum Sachmangel. Ein Sachmangel liegt nach allgemeinem Verständnis vor, wenn die Ist-Beschaffenheit der Kaufsache von der Soll-Beschaffenheit abweicht. Ganz maßgeblich ist daher, welche Anforderungen an die Soll-Beschaffenheit der Kaufsache zu stellen sind bzw. wie diese zu bestimmen ist. Hierzu machen die Art. 5 ff. der Richtlinie (EU) 2019/771 nähere Vorgaben. Nach Art. 5 Richtlinie (EU) 2019/771 liefert der Verkäufer dem Verbraucher Waren, die – soweit anwendbar – die Voraussetzungen der Art. 6, 7 und 8 der Richtlinie erfüllen. Ausweislich der Überschrift des Artikels ist dies als Definition dessen zu verstehen, was die Vertragsgemäßheit von Waren voraussetzt. Art. 6 Richtlinie (EU) 2019/771 bezieht sich auf subjektive Anforderungen an die Vertragsgemäßheit von Waren, Art. 7 Richtlinie (EU) 2019/771 demgegenüber auf objektive Anforderungen, sowie schließlich Art. 8 Richtlinie (EU) 2019/771 auf die Vertragswidrigkeit der Waren aufgrund unsachgemäßer Montage oder Installation. Da Art. 5 Richtlinie (EU) 2019/771 die Voraussetzungen der Art. 6, 7 und 8 kumulativ als Anforderungen nennt, ist eine Ware nur dann als vertragsgemäß anzusehen, wenn die Vorgaben aller drei Artikel erfüllt sind, soweit nicht Ausnahmen greifen.
III. Die Umsetzung im deutschen Recht
So hat auch der deutsche Gesetzgeber die Anforderungen der Richtlinie verstanden. Aus diesem Grund nennt § 434 Abs. 1 BGB in der ab dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung drei kumulative Voraussetzungen für die Freiheit der Kaufsache von Sachmängeln: „Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht.“
Zu betonen ist auch hier wieder das Wörtchen „und“ – dass die genannten Anforderungen alternativ erfüllt sind, genügt für die Sachmangelfreiheit nicht, sie müssen vielmehr kumulativ vorliegen. Wohlgemerkt gilt dieser neue Mangelbegriff nicht nur für Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern, sondern für das Kaufrecht im Allgemeinen. In den Absätzen 2, 3 und 4 des § 434 BGB n.F. präzisiert das Gesetz, wann eine Sache den subjektiven, objektiven sowie Montageanforderungen entspricht. Hierauf wird näher einzugehen sein.
Zunächst jedoch ein Vergleich mit dem (noch) geltenden Recht. Bislang geht der strukturiert arbeitende Klausurkandidat auf der Suche nach einem Sachmangel in mehreren Schritten vor: Ausgehend vom subjektiven Fehlerbegriff prüft er, ob eine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt. Ist das der Fall, ist allein diese ausschlaggebend. Die Anforderungen an das Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung sind jedoch nicht zu niedrig anzusetzen: Erforderlich ist mindestens eine konkludente Einigung, wobei nicht bereits die übliche Beschaffenheit als konkludent vereinbart gilt (BeckOK BGB/Faust, § 434 Rn. 41). Die übliche Beschaffenheit als objektives Kriterium ist vielmehr erst später in der Prüfung unter § 434 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB zu berücksichtigen. Vorher noch ist bei Fehlen einer Beschaffenheitsvereinbarung zu fragen, ob sich die Kaufsache gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Man arbeitete sich mithin vom subjektiven Fehlerbegriff, von der spezifischen Parteivereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB, über die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung erst hin zu objektiven Anhaltspunkten nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB. Weiterhin konnte sich die Mangelhaftigkeit aus abweichenden Werbeangaben (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB), aus Montagefehlern (§ 434 Abs. 2 BGB) oder aber aus Aliud- oder Mankolieferungen (§ 434 Abs. 3 BGB) ergeben.
Ist all das bislang Gelernte nun hinfällig, wenn subjektive und objektive sowie Montageanforderungen kumulativ erfüllt sein müssen? Ganz so ist es wohl nicht.
1. Zu den subjektiven Anforderungen
Zum einen findet sich auch im neuen § 434 BGB viel Bekanntes wieder. So entspricht eine Sache nach § 434 Abs. 2 S. 1 BGB n.F. den subjektiven Anforderungen, wenn sie (1) die vereinbarte Beschaffenheit hat, (2) sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und (3) mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen, übergeben wird – vieles ist insoweit bereits aus dem bisherigen § 434 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 sowie Abs. 2 S. 2 BGB geläufig.
Über die vorausgesetzte Verwendung müssen sich die Parteien einigen – Art. 6 lit. b Richtlinie (EU) 2019/771 setzt insoweit die Zustimmung des Verkäufers voraus, die Vollharmonisierung verbietet hier jedenfalls im Anwendungsbereich der Richtlinie eine zugunsten des Verbrauchers günstigere Interpretation, die eine übereinstimmend unterstellte Verwendung genügen lässt (vgl. Wilke, VuR 2021, 283).
Ob die fehlende Montageanleitung bislang unter § 434 Abs. 2 S. 2 BGB fiel, war umstritten (hierfür BeckOK BGB/Faust, § 434 Rn. 102 m.W.N.; für die Anwendung des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Palandt/Weidenkaff, § 434 Rn. 48), in der neuen Fassung der Norm ist die Zuordnung nunmehr eindeutig. Damit das Fehlen von Zubehör und Montageanleitung einen Sachmangel im subjektiven Sinne darstellen kann, ist erforderlich, dass ihr Vorhandensein vereinbart wurde – insoweit ergibt sich keine Änderung in der Rechtslage, auch nach dem bisherigen § 434 BGB hätte ein solches Fehlen vereinbarter Lieferbestandteile einen Sachmangel begründet (Lorenz, NJW 2021, 2065 (2066)).
§ 434 Abs. 2 S. 2 n.F. präzisiert weiter, dass zu der Beschaffenheit nach S. 1 Nr. 1 auch die Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale der Sache, für die die Parteien Anforderungen vereinbart haben, gehört. Die Begriffe der Funktionalität, Kompatibilität und Interoperabilität sind in Art. 2 Nr. 8, 9 und 10 Richtlinie (EU) 2019/771 definiert.
Dass die Art der Sache Merkmal der Beschaffenheit ist, könnte ein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachmangels bei Aliud-Lieferungen sein. Andererseits regelt § 434 Abs. 5 BGB n.F. ausdrücklich, dass die Lieferung einer anderen Sache als die vertraglich geschuldete einem Sachmangel gleichsteht. Anwendungsfälle, in denen die Art der Sache nicht der Vereinbarung entspricht, zugleich aber nicht bereits ein Aliud geliefert wird, sind jedenfalls auf den ersten Blick nicht ersichtlich (ähnlich Wilke, VuR 2021, 283 (285)). Die Rechtsprechung wird hier zeigen müssen, ob sich die Regelungsbereiche des § 434 Abs. 5 n.F. und § 434 Abs. 2 S. 2 Var. 1 BGB n.F. tatsächlich vollständig decken. Sollte dem so sein, wäre § 434 Abs. 5 n.F. überflüssig – dass das Aliud als Sachmangel gilt, ist dann unerheblich, wenn die Abweichung in der Art der Sache bereits ein Sachmangel ist.
Die Aufnahme des Merkmals der Menge in § 434 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BGB n.F. könnte bislang bestehende Fragen hinsichtlich der Zuviel-Lieferung klären – oder aber weitere aufwerfen. Während § 434 Abs. 3 BGB in der aktuellen Fassung dem Wortlaut nach nur die zu geringe Menge umfasst, ist § 434 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB n.F. insoweit offener formuliert. Da das Äquivalenzinteresse durch eine Zuviellieferung allerdings nicht beeinträchtigt wird, kann durchaus bezweifelt werden, ob eine solche trotz der nun möglichen Subsumtion unter den Wortlaut erfasst sein soll (Wilke, VuR 2021, 283 (285)). Gegen eine Einbeziehung auch der Zuviellieferung spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 434 Abs. 5 BGB n.F.: Der deutsche Gesetzgeber bezieht sich hier ausdrücklich nur auf zu geringe Liefermengen (BT-Drucks. 19/27424, S. 25). Ob dies dem Verständnis des europäischen Richtliniengebers entspricht, ist damit natürlich nicht gesagt.
Die Aufzählung der Beschaffenheitsmerkmale ist nicht abschließend, wie der Zusatz „oder sonstige Merkmale“ zeigt. Die Parteien können also weitere Merkmale als Bestandteile der Beschaffenheit vereinbaren.
2. Zu den objektiven Anforderungen
Die objektiven Anforderungen an die Kaufsache stellt § 434 Abs. 3 n.F. auf. Hierzu gehört, dass die Kaufsache (1) sich für die gewöhnliche Verwendung eignet, (2) eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann unter Berücksichtigung a) der Art der Sache und b) der öffentlichen Äußerungen, die von dem
Verkäufer oder einem anderen Glied der Vertragskette oder in deren Auftrag, insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett, abgegeben wurden, sowie (3) der Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters entspricht, die oder das der Verkäufer dem Käufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat, und (4) mit dem Zubehör einschließlich der Verpackung, der Montage- oder Installationsanleitung sowie anderen Anleitungen übergeben wird, deren Erhalt der Käufer erwarten kann.
Die erstgenannten Punkte sind weitgehend aus § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB a.F. bekannt. Dass die Sache einer zur Verfügung gestellten Probe oder einem Muster entsprechen muss, ist als ausdrückliche Regelung neu, inhaltlich dürfte dies indes kaum eine Erweiterung des Mangelbegriffs bedeuten. Bislang ging man insoweit von einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung aus (Wilke, VuR 2021, 283 (284)). Ebenfalls nicht neu ist, dass das Fehlen zu erwartenden Zubehörs oder zu erwartender Verpackung oder Montage- oder Installationsanleitungen oder anderen Anleitungen zu einem Mangel führt (bislang über § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, vgl. Wilke, VuR 2021, 283 (284), zu vereinbarten Bestandteilen der Lieferung siehe bereits oben 1.).
In S. 2 werden wiederum, wie schon für die subjektiven Anforderungen, Merkmale aufgeführt, die zur Beschaffenheit – diesmal der üblichen Beschaffenheit – gehören. Überwiegend kann hier auf die Ausführungen unter 1. verwiesen werden. Zu den objektiven Merkmalen der Beschaffenheit zählt allerdings insbesondere auch die Haltbarkeit der Sache. „Haltbarkeit“ ist dabei die Fähigkeit der Sache, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten, Art. 2 Nr. 13 Richtlinie (EU) 2019/771. In Erwgr. 32 der Richtlinie (EU) 2019/771 heißt es hierzu:

„Damit Waren vertragsgemäß sind, sollten sie eine Haltbarkeit haben, die für Waren derselben Art üblich ist und die der Verbraucher in Anbetracht der Art der spezifischen Waren, einschließlich der möglichen Notwendigkeit einer vernünftigen Wartung der Waren, wie etwa der regelmäßigen Inspektion oder des Austausches von Filtern in einem Auto, und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder einer anderen Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette abgegeben wurden, vernünftigerweise erwarten kann. Bei der Beurteilung sollten auch alle anderen maßgeblichen Umstände berücksichtigt werden, wie beispielsweise der Preis der Ware und die Intensität oder Häufigkeit der Verwendung seitens des Verbrauchers“

Mithin geht es insbesondere darum, welche berechtigten Erwartungen der Käufer an die Haltbarkeit einer Sache haben darf, wobei Preis sowie übliche Nutzung der Sache zu berücksichtigen sind. Hingegen begründet § 434 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. keine Haltbarkeitsgarantie, wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich klarstellt:

„Daraus folgt, dass der Verkäufer dafür einzustehen hat, dass die Sache zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs die Fähigkeit hat, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten. § 434 Absatz 3 BGB-E begründet hingegen keine gesetzliche Haltbarkeitsgarantie. Der Verkäufer haftet nach § 434 Absatz 3 BGB-E nicht dafür, dass die Sache tatsächlich ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung behält.“ (BT-Drucks. 19/27424, S. 24)

Insgesamt sind die nun geregelten, objektiven Anforderungen für sich genommen nicht neu. Die genannten Merkmale waren auch nach bisheriger Rechtslage bereits zu berücksichtigen, soweit es auf die objektive Beschaffenheit der Kaufsache ankam. Neu ist allerdings das Rangverhältnis der objektiven Beschaffenheitsmerkmale zu den subjektiven Anforderungen an die Kaufsache – hierzu sogleich unter 3.
3. Zu den Montageanforderungen
Schnell abgehandelt werden können die Montageanforderungen, die in § 434 Abs. 4 BGB n.F. geregelt sind. Die dortige Umsetzung des Art. 8 Richtlinie (EU) 2019/771 entspricht dem Regelungsgehalt nach dem bisherigen § 434 Abs. 2 BGB (vgl. BT-Drucks. 19/27424, S. 25; Lorenz, NJW 2021, 2065 (2066)).
4. Zur Gleichrangigkeit der objektiven und subjektiven Anforderungen
So steht nun fest, was unter den in § 434 Abs. 1 BGB n.F. genannten Anforderungskategorien zu verstehen ist. Zeit, sich mit der dort angeordneten und für das deutsche Recht neuen Gleichrangigkeit dieser Anforderungen auseinanderzusetzen.
Wenn Mangelfreiheit nur dann vorliegt, wenn die Kaufsache den subjektiven und objektiven Anforderungen entspricht, kann sie dann wegen objektiver Mängel vertragswidrig sein, obwohl die Parteien sich zuvor über diese verständigt hatten? Das ginge zu weit. In einem solchen Fall könnte etwa ein gebrauchtes Auto, das stärkere Abnutzungen aufweist, als es bei Fahrzeugen desselben Alters üblicherweise zu erwarten ist, kaum noch verkauft werden. Das entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Neuregelungen. Einem solchen Ergebnis beugt § 434 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. vor: Dort heißt es „Soweit nicht wirksam etwas anderes vereinbart wurde, entspricht die Sache den objektiven Anforderungen, wenn sie (…)“. Die Parteien können die Bedeutung der objektiven Anforderungen mithin durch eine negative Beschaffenheitsvereinbarung zurücktreten lassen. Soweit es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, kann eine solche auch konkludent abgeschlossen werden, was bei Kenntnis und Billigung der Abweichungen von der objektiven Beschaffenheit durch den Käufer regelmäßig der Fall sein dürfte.
Nicht so allerdings im Verbrauchsgüterkaufrecht. Der negativen Beschaffenheitsvereinbarung sind insoweit durch § 476 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. Grenzen gesetzt. Dort heißt es:

„Von den Anforderungen nach § BGB § 434 Absatz BGB § 434 Absatz 3 oder § BGB § 475b Absatz BGB § 475B Absatz 4 kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer durch Vertrag abgewichen werden, wenn 1.) der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht, und 2.) die Abweichung im Sinne der Nummer 1 im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.“

Soweit die objektiven Anforderungen (siehe oben 2.) nicht eingehalten sind, muss der kaufende Verbraucher eigens, dürfte heißen mittels individueller Information (Lorenz, NJW 2021, 2065 (2073)), und vor Abgabe seiner Vertragserklärung, sei es nun Angebot oder Annahme, hierüber informiert werden. Selbst die Zustimmung zum Abschluss eines Vertrages nach entsprechender Information genügt jedoch nicht für die Annahme einer negativen Beschaffenheitsvereinbarung, vielmehr muss zusätzlich (siehe Wortlaut „und“ in § 476 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB n.F.) ausdrücklich und gesondert vereinbart werden, dass die Abweichung von der objektiven Beschaffenheit keine Mangelhaftigkeit der Kaufsache bedeutet.
Sind diese Anforderungen beim Verbrauchsgüterkauf nicht eingehalten, ist die Abweichung von den objektiven Anforderungen nicht i.S.d. § 434 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. wirksam vereinbart worden und kann daher einen Sachmangel begründen. Nun mag man denken, die praktischen Auswirkungen könnten nicht allzu groß sein – kennt der Käufer den Mangel oder kennt er ihn grob fahrlässig nicht und hat der Verkäufer ihn weder arglistig verschwiegen noch eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen, sind doch seine Rechte wegen des Mangels nach Maßgabe des durch die Reform unberührten § 442 BGB ausgeschlossen. Auf diesem Wege sollen die Grenzen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. jedoch nicht ausgehebelt werden können (vgl. Lorenz, NJW 2021, 2065 (2068)). Die Anwendung des § 442 BGB ist im Verbrauchsgüterkaufrecht nach § 475 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. ausgeschlossen. Soll mithin eine nicht den objektiven Anforderungen nach § 434 Abs. 3 BGB n.F. entsprechende Sache im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs verkauft werden, kann der Ausschluss der Mängelgewährleistung wegen dieser Abweichung von den objektiven Anforderungen nur erreicht werden, indem der Verbraucher eigens und vor Abgabe seiner Vertragserklärung unterrichtet wird und die Abweichung ausdrücklich und gesondert vereinbart wird.
III. Summa
Damit kommt diese erste Betrachtung des „neuen Kaufrechts“ zu einem Ende. Die Änderungen hinsichtlich des Sachmangelbegriffs sind im Wortlaut durchaus umfangreich, wie schon die im Vergleich zur bisherigen Fassung des § 434 BGB erheblich gewachsene Länge der Norm zeigt. Die inhaltlichen Auswirkungen sind letztlich jedoch nicht so gravierend, wie es die erste Lektüre insbesondere des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. befürchten lassen mag. Mit einer sauberen und gewissenhaften Arbeit anhand des Gesetzestextes dürften sich hier schon viele Probleme lösen lassen. Aufmerksamkeit ist indes insbesondere im Verbrauchsgüterkaufrecht geboten. Hier dürfte die Gleichrangigkeit von subjektiven und objektiven Anforderungen für die Mangelfreiheit aufgrund der erschwerten Möglichkeit negativer Beschaffenheitsvereinbarungen größere Bedeutung erlangen.

21.12.2021/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-12-21 08:00:252021-12-21 08:00:25Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 1: Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB

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