Das LG Konstanz hatte im vorliegenden Fall (Az.: 11 S 112/11 A) darüber zu befinden, ob die 130%-Grenze hinsichtlich der Reparaturkosten eines Kfz im Verhältnis zu dessen Wiederbeschaffung auch dann eingehalten sei, wenn die Reparatur unter Verwendung gebrauchter Ersatzteile vollzogen wird.
Leitsatz (der BeckRS-Redaktion)
Auch die Kosten einer Reparatur, die unter Verwendung gebrauchter Ersatzteile erfolgt, sind bis zu einer Grenze von 130% des Wiederbeschaffungswertes erstattungsfähig, wenn die Reparatur vollständig und fachgerecht erfolgt. Dem steht nicht entgegen, dass der vorgerichtliche Gutachter die Reparaturkosten von vornherein auf der Basis der Verwendung gebrauchter Ersatzteile ermittelt hat, während eine Kalkulation mit Neuteilen zu Reparaturen über der 130%-Grenze geführt hätte.
Sachverhalt
Der Kläger (im Folgenden K) wurde in einen Verkehrsunfall verwickelt, den die S, deren PKW bei der Beklagten (im Folgenden B) haftpflichtversichert war, erwiesenermaßen allein verschuldet hatte. Der dabei beschädigte PKW des K hatte einen Wiederbeschaffungswert von 2375,00 €. Demgegenüber kalkulierte ein vorgerichtlich von K hinzugezogener Gutachter die Reparaturkosten des Wagens mit 2818,75 €. Der Kalkulation lag die Verwendung gebrauchter Ersatzteile zugrunde. Zu diesem Preis ließ K das KfZ reparieren und verlangt nun von der B die Kosten ersetzt.
B hält dem Verlangen des K entgegen, die Reparatur sei unwirtschaftlich gewesen. Kalkuliere man die Kosten einer Reparatur nicht auf der Grundlage einer Verwendung gebrauchter Ersatzteile, sondern auf einer solchen mit Verwendung von neuen Teilen, werde die 130%-Grenze bei weitem überschritten. Sie will daher nur den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs abzüglich des verbleibenden Restwerts, somit 1970,00 € zahlen.
Entscheidung
Der Klage wurde in der Berufungsinstanz vom LG Konstanz vollumfänglich stattgegeben. Ein Anspruch des K ergebe sich aus § 7 I StVG i.V.m. § 115 I VVG, § 18 I StVG i.V.m. § 115 I VVG sowie aus § 823 I BGB i.V.m. § 115 I VVG.
A. § 7 I StVG i.V.m. § 115 I VVG
Es kommt zunächst ein Anspruch des K gegen B auf Erstattung der Reparaturkosten aus Fahrzeughalterhaftung nach § 7 I StVG i.V.m. § 115 I VVG in Betracht. Dann müsste der haftungsbegründende Tatbestand dieser Normen gegeben und der haftungsausfüllende Tatbestand hinsichtlich des konkret geltend gemachten Schadens i.H.v. 2818,75 € erfüllt sein.
1. Haftungsbegründender Tatbestand
a) § 7 I StVG
Es müsste beim Betrieb eines KfZ eine Sache beschädigt worden sein.
Unstreitig wurde hier das Fahrzeug des K durch einen Verkehrsunfall mit der S beschädigt, bei welchem das KfZ der S in Betrieb war. Die S war Halterin des von ihr gefahrenen KfZ, sodass sie nach § 7 I StVG die Haftung trifft.
Die Voraussetzungen einer Haftung der S nach § 7 I StVG sind somit erfüllt.
b) § 115 I VVG
Die Haftung geht auf die B nach § 115 I VVG als Haftpflichtversicherin des Fahrzeugs der S über. Die Haftpflichtversicherung eines PKW ist eine Pflichtversicherung nach § 1 PflVG.
c) Ergebnis
Der haftungsbegründende Tatbestand der § 7 I StVG i.V.m. § 115 I VVG ist somit unproblematisch erfüllt.
2. Haftungsausfüllender Tatbestand
a) Kausaler Schaden
Der dem K entstandene Schaden müsste zudem kausal durch die von S begangene Rechtsgutsverletzung herbeigeführt worden und vollumfänglich erstattungsfähig sein.
Die dem K konkret entstandenen Reparaturkosten i.H.v. 2818,75 € basierten kausal auf der Rechtsgutsverletzung der S. Hätte S das Fahrzeug nicht beschädigt, wären die Kosten dem K nicht entstanden.
b) Erstattungsfähigkeit
Fraglich ist allerdings, ob sie auch vollumfänglich erstattungsfähig sind.
Dazu führt das Gericht zunächst aus, dass nach § 249 I BGB vom Schädiger derjenige Betrag grundsätzlich zu erstatten sei, der zur Wiederherstellung des ohne die Schädigung bestehenden Zustandes erforderlich sei. Eine Erstattung sei jedoch nur bis zur Höhe der bekannten 130% des Wiederbeschaffungswertes eines KfZ geschuldet. Der Wiederschaffungswert betrug im vorliegenden Fall 2375,00 €. Keinesfalls, so stellte das LG fest, sei vom Wiederbeschaffungswert der Restwert des Unfallfahrzeugs in Abzug zu bringen, sodass der zu erstattende Betrag bei der Beschaffung eines gleichwertigen KfZ nur derjenige der Differenz zwischen Wiederbeschaffungs- und Restwert sei. Legt man aber den vollen Wiederbeschaffungswert i.H.v. 2375,00 € zugrunde, so stellten die angefallenen Reparaturkosten i.H.v. 2818,75 € lediglich 119% dieses Wertes dar und befänden sich somit innerhalb des dem Geschädigten zuzubilligenden Integritätszuschlages von 30%.
Die Tatsache, dass der Kalkulation eine Reparatur unter Verwendung gebrauchter Ersatzteile zugrunde gelegt worden sei, ändere an der Erstattungsfähigkeit der vollen 2818,75 € nichts. Entscheidend sei bei der Kalkulation eine fachgerechte Instandsetzung. Dabei ist bei bereits erfolgter Reparatur der tatsächlich aufgewendete Wert entscheidend, nicht hingegen die zuvor gutachterlich errechneten Kosten der Reparatur. Die Vollständigkeit und Fachgerechtigkeit der durchgeführten Reparatur hingen dabei nicht davon ab, ob gebrauchte oder neue Ersatzteile verwendet werden. Dies ergebe sich schon daraus, dass eine Erstattung der Reparaturkosten über den Wiederbeschaffungswert hinaus nur durch das Interesse des Geschädigten gerechtfertigt werden könne, das ihm bekannte Fahrzeug nach der Reparatur in demselben Zustand zu erhalten, in dem es zuvor bestand und es vollumfänglich nutzen zu können. Dem Wirtschaftlichkeitsgebot sei bei einer nicht fachgerechten oder unvollständigen Reparatur nicht Genüge getan.
Die Fachgerechtigkeit einer Reparatur werde aber nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass statt neuen gebrauchte Ersatzteile verwendet worden wären. Im Gegenteil stellte das Gericht fest, dass eine solche Reparatur sogar eher der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes zuträglich sei als die Verwendung von Neuteilen.
Damit steht fest, dass der Schaden i.H.v. 2818,75 € vollumfänglich erstattungsfähig ist.
B. § 18 I StVG i.V.m. § 115 I VVG
Auch könnte K ein inhaltsgleicher Anspruch aus Fahrzeugführerhaftung gemäß § 18 I StVG i.V.m. § 115 I VVG zustehen.
1. Haftungsbegründender Tatbestand
S war Führerin des KfZ, mit dem sie den Unfall schuldhaft herbeiführte. Der haftungsbegründende Tatbestand ist zweifelsfrei erfüllt. Erneut geht die Haftung nach § 115 I VVG auf B über.
2. Haftungsausfüllender Tatbestand
Für den haftungsausfüllenden Tatbestand gilt das i.R.d. § 7 I StVG Gesagte entsprechend. Die dem K entstandenen Kosten i.H.v. 2818,75 € sind auch aus § 18 I StVG i.V.m. § 115 I VVG vollumfänglich erstattungsfähig.
C. § 823 I BGB i.V.m. § 115 I VVG
Des Weiteren könnte ein inhaltsgleicher Anspruch dem K auch wegen einer Eigentumsverletzung nach § 823 I BGB i.V.m. § 115 I VVG zustehen.
1. Haftungsbegründender Tatbestand
Durch den von S verschuldeten Unfall hat K eine Rechtsgutsverletzung hinsichtlich des in seinem Eigentum stehenden PKWs erlitten, die S widerrechtlich herbeiführte. Die Haftung geht wiederum nach § 115 I VVG auf B über.
2. Haftungsausfüllender Tatbestand
Für den haftungsausfüllenden Tatbestand gilt das i.R.d. § 7 I StVG Gesagte entsprechend. K kann auch nach § 823 I BGB i.V.m. § 115 I VVG die vollen Kosten von B ersetzt verlangen.
D. Gesamtergebnis
Dem K steht damit ein Anspruch gegen B aus §§ 7 I, 18 I StVG, § 823 I BGB jeweils i.V.m. § 115 I VVG auf Ersatz der Reparaturkosten i.H.v. 2818,75 € zu.
Stellungnahme
Die Entscheidung des LG Konstanz ist konsequent und zutreffend.
Bei der Definition der Einhaltung der 130%-Grenze von Reparaturkosten kann es nicht darauf ankommen, ob der Berechnung die Verwendung neuer oder gebrauchter Ersatzteile zugrunde gelegt wird. Entscheidend kann allein die Fachgerechtigkeit der vollständigen Reparatur sein. Eine solche kann aber nicht mit der Verwendung neuer Teile stehen und fallen. Vielmehr kommt es auf eine fachgerechte Ausführung durch den Werkunternehmer und die grundsätzliche Tauglichkeit der verwendeten Teile an. Sofern diese sich zum Zeitpunkt der Reparatur in einem einwandfreien Zustand befinden, der eine dauerhafte Einsatzbereitschaft nahelegt, kann nicht allein eine fehlende Neuheit zur Änderung der Bewertung im Vergleich zu Neuteilen führen.
Auch überzeugt dabei das Argument des Gerichts, der durch Verwendung von Gebrauchtteilen erzielte Zustand des KfZ käme dem vor Entstehung des Schadens näher. Legt man den Normalfall zugrunde, in dem das beschädigte Fahrzeug vor Eintritt der Schädigung bereits einige Zeit in Gebrauch war, so entspricht der Einbau von Gebrauchtteilen viel eher dem Standard derjenigen Teile, die ausgetauscht werden mussten.
Insgesamt überzeugt die Entscheidung daher. Eine alternative Lösung erscheint einigermaßen fragwürdig.
Gastautorin: Maria Lohse, Jurastudium an der Universität Hamburg und der Karlsuniversität Prag, 1. Staatsexamen 2012, im Moment als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Hogan Lovells in Hamburg tätig, außerdem AG-Leiterin (Schuldrecht BT II) an der Universität Hamburg, ab Dezember 2012 Referendarin in Hamburg
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