Nachdem Gegenstand des ersten Teils unserer Reihe zum verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war (hier), beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit den Besonderheiten des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO.
§ 80 a Abs. 3 VwGO betrifft den vorläufigen Rechtsschutz bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung (zur Erinnerung: Unter einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung versteht man einen Verwaltungsakt, der einen Bürger begünstigt, zugleich aber auch einen anderen in seinen Rechten belastet). § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO ordnet an, dass Widerspruch und Anfechtungsklage auch insoweit aufschiebende Wirkung haben und verweist dabei auf § 80 a VwGO.
Zum Hintergrund: Die Regelung des § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO entstammt genau wie § 80 a VwGO dem vierten Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 01.01.1991. Viele Autoren sahen (und sehen) darin nur eine Klarstellung, da die betroffenen Fälle bereits von § 80 VwGO erfasst gewesen sein sollen (allen voran Schoch, etwa in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 a, Rn. 2). Einige Gerichte gingen davon aus, dass Eilrechtsschutz gegen Verwaltungsakte mit Drittwirkung zuvor nur über § 123 Abs. 1 VwGO zu erlangen war (so etwa ausdrücklich der 4. Senat des VGH Kassel in einem Beschluss vom 09.06.1992 – 4 TH 2512/91 Rz. 7 – juris).
Überragende Bedeutung in der Ausbildung hat § 80 a Abs. 3 VwGO im Baurecht. Im Schulfall setzt sich der Antragsteller gegen den Vollzug der seinem Nachbarn erteilten Baugenehmigung zur Wehr.
Achtung: In der Praxis führt allerdings eine Ausweitung der Genehmigungsfreiheit im Baurecht (vgl. etwa § 65 BauO NRW und § 55 iVm Anlage 2 der hessischen BauO) indessen gerade hier zu einer Zurückdrängung der Bedeutung des Eilantrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO. Denn ohne den Verwaltungsakt (der Baugenehmigung) fehlt die wichtigste Voraussetzung für die Statthaftigkeit des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO. Eilrechtsschutz kommt dann nur über § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht.
1.) Vorbemerkung zur Prüfung eines Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO
Die Prüfung des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO orientiert sich weitgehend an der des § 80 Abs. 5 VwGO.
2.) Andere Interessenlage
Dem Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO liegt jedoch eine andere Interessenlage zugrunde als dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Während es dort um das Über-/Unterordnungsverhältnis Staat/Bürger geht und die aufschiebende Wirkung gewissermaßen das Gegengewicht zu der hoheitlichen Verwaltungsmacht darstellt, betrifft § 80 a Abs. 3 VwGo ein Gleichordnungsverhältnis. Dementsprechend ist auch der Anordnung des § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO (aufschiebende Wirkung grundsätzlich auch bei Rechtsbehelfen gegen Verwaltungsakte mit Drittwirkung) keine gesetzgeberische Grundentscheidung für ein Überwiegen des Suspensivinteresses des Bürgers zu entnehmen. Als bloß verfahrensrechtliche Regelung weist die Norm dem Begünstigten des Verwaltungsaktes vielmehr eine Art „Initiativlast“ zu, die aufschiebende Wirkung durch einen Antrag bei der Behörde oder bei Gericht zu überwinden.
Kommt schon im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO der Herausarbeitung des Begehrens des Antragstellers eine besondere Bedeutung zu, so gilt dies erst Recht für das Verfahren nach § 80 a Abs. 3 VwGO (dazu sogleich). Nahezu alle Schwierigkeiten der Prüfung eines Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO ergeben sich aus der unübersichtlichen Verweisungstechnik des § 80 a VwGO.
3.) Das behördliche Verfahren der Abs. 1 und 2
Ausgangspunkt für das Verständnis der Normstruktur ist das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 a Abs. 1 und Abs. 2 VwGO. Der gerichtliche Eilrechtsschutz knüpft nämlich gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO hieran an:
Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen.
Die Kenntnis der Handlungsmöglichkeiten der Behörde ist deshalb für die Beherrschung des gerichtlichen Eilrechtsschutzes von besonderer Bedeutung. Dieser sieht für bestimmte Verfahrenssituationen unterschiedliche Anträge vor. Einer Klausur zum gerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 80 a Abs. 3 VwGO liegt regelmäßig eine der folgenden Verfahrenskonstellationen zugrunde:
§ 80 a Abs 1 VwGO betrifft die Verfahrenssituation, in der ein Dritter mittels Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen den einen anderen begünstigenden Verwaltungsakt vorgeht.
Nach § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO kann der Begünstigte (z.B. einer Gaststättenerlaubnis oder einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windkraftanlage) den Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs (Regelfall des § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO) dadurch verhindern, dass er bei der Behörde einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung stellt (die Anordnung der sofortigen Vollziehung ergeht dann auf Grundlage des bereits bekannten § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) – diese Konstellation lag etwa der Entscheidung des VG Darmstadt vom 27.06.2011 (6 L 425/11.DA) zugrunde.
Instrumentell stellt § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO im Gleichordnungsverhältnis zwischen dem privaten Begünstigten und dem privaten Dritten das notwendige Gegengewicht zu § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar. Nach richtiger (wenn auch umstrittener) Ansicht, kann die Behörde die sofortige Vollziehung (genau wie bei § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) auch von sich aus anordnen (diese Befugnis wird in § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO vorausgesetzt, dazu sogleich).
Den für Klausuren vermutlich bedeutsameren Fall regelt § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Danach kann nämlich der Dritte (also vor allem der Nachbar) in Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelf gegen den Verwaltungsakt (also insbesondere die Baugenehmigung) entfällt, bei der Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (nach § 80 Abs. 4 VwGO) stellen.
Die Vorschrift ist deshalb von so herausragender Bedeutung, weil sie § 212 a BauGB ins Spiel bringt. Die aufschiebende Wirkung des Nachbarrechtsbehelfs kann nämlich genau wie im Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO nach einer der Varianten des § 80 Abs. 2 VwGO entfallen sein. Hier ist § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 von Bedeutung. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung in (anderen) durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Bundesgesetzlich vorgesehen ist dies in § 212 a Abs. 1 BauGB für Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens (wozu insbesondere die Baugenehmigung zählt). Die Vorschrift bezweckt schlicht die Ermöglichung eines schnellen Baubeginns.
Lesenswert zu §§ 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO, 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212 a Abs. 1 BauGB ist etwa der Beschluss des VG Augsburg vom 29.02.2012 (Au 4 S 12.224).
Natürlich kommt im Rahmen des § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO auch die vorausgegangene Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zum Tragen.
§ 80 a Abs. 2 VwGO betrifft die (für die Ausbildung wohl weniger relevante) Rechtsschutzkonstellation, in der der Adressat sich mit Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakts währt, der zugleich einen Dritten begünstigt. Hier kann der Dritte die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs (Regelfall des § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO) überwinden, indem er bei der Behörde einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) stellt. Beispielhaft für den Anwendungsbereich der Vorschrift lässt sich folgende Passage aus einem Beschluss des VG Würzburg vom 25.08.2011 (W 5 E 11.576 Rz. 46 – juris) heranziehen:
§ 80 a Abs. 2 VwGO greift insbesondere für die Situation, dass die Bauaufsichtsbehörde eine Nutzungsuntersagung (Anm.: im Hinblick auf die Nutzung eines Grundstücks als Parkplatz) erlassen, der Pflichtige hiergegen aber Anfechtungsklage erhoben hat. Hat die Bauaufsichtsbehörde nicht den Sofortvollzug dieser Maßnahme angeordnet, kommt der Klage nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu; die Anordnung ist suspendiert und muss (vorerst) nicht befolgt werden. Der Nachbar (Anm.: der von der Nutzungsuntersagung begünstigt wird) kann in einem solchen Fall jedoch den Sofortvollzug erreichen (…).
I. Die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO.
Da sich die Zulässigkeitsprüfung grds. an der des § 80 Abs. 5 VwGO (auf den ja auch § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO verweist) orientiert, wird im Folgenden nur auf die Besonderheiten des Verfahrens nach § 80 a Abs. 3 VwGO eingegangen.
1.) Statthaftigkeit
- Herausarbeitung des Rechtsschutzziels
In der Statthaftigkeit ist herauszuarbeiten, welche der oben genannten Verfahrenssituationen dem gerichtlichen Eilantrag zugrunde liegt. Auch hier ist wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht die konkrete Formulierung, sondern das in der Sache verfolgte Rechtsschutzziel maßgebend. Notfalls ist dieses durch Auslegung zu ermitteln. §§ 88, 122 VwGO können herangezogen werden. Auch ist eine „Umdeutung“ (nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB) eines Antrags nach §123 Abs. 1 VwGO in einen Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO möglich (das gilt natürlich auch für § 80 Abs. 5 VwGO).
Bei dieser Gelegenheit sei auch noch einmal darauf hingewiesen, dass auch von anwaltlich beratenen Antragstellern gestellte Eilanträge ausgelegt und umgedeutet werden können (lesenswert hierzu BVerwG, NVwZ 2012, 375 f.). Eine Ausnahme soll in diesem Fall aber dann gelten, wenn der Antragsteller ausdrücklich auf seinem geäußerten Begehren beharrt (siehe etwa Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier § 80 VwGO Rn. 458).
- Bestimmung der einschlägigen Norm
Wie sich aus der alternativen Aufzählung des § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO ergibt, kann das Gericht Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern, aufheben oder selbst treffen.
Sofern das Gericht selbst eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 2 trifft, gewährt es denjenigen vorläufigen Rechtsschutz, der an sich der Verwaltung obliegt (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier § 80 a VwGO Rn. 46). Für die Statthaftigkeit gilt das oben zum behördlichen Verfahren Gesagte entsprechend. Ob der Antragsteller sich zuvor an die Behörde wenden muss, ist eine Frage, die nach herkömmlicher Sichtweise im Rahmen des Rechtsschutzinteresses zu beantworten ist.
Eine immer wieder erörterte Frage (Standardproblem) ergibt sich vor allem im Anwendungsbereich des § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 3, Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Hat der Rechtsbehelf des Dritten gegen die Baugenehmigung des Begünstigten wegen § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung (oder hat die Behörde von sich aus die sofortige Vollziehung, etwa einer Gaststättenerlaubnis, angeordnet), ist umstritten, ob sich sein gerichtlicher Eilrechtsschutz nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 VwGO (entsprechend dem Wortlaut: gerichtet auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung) oder nach §§ 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO (gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung) richtet. Bedeutung hat die Entscheidung dieser Streitfrage wohl ohnehin nur im zweiten Examen (weil sie in der Anwaltsklausur für die Stellung des Antrags und im Übrigen für die Formulierung des Tenors maßgebend ist). Dogmatisch lässt sich für § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 3, Abs. 1 Nr. 2 VwGO das Argument der Spezialität heranziehen (wer sich für eine methodisch anschauliche Argumentation interessiert, dem sei der Beitrag von Budroweit/Wuttke, JuS 2006, 876, 878 empfohlen). Häufig wird empfohlen, sich in der Klausur einfach an die Rechtsprechung des für einen selbst maßgebenden OVG bzw. VGH zu halten (das OVG Münster etwa wendet § 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO an, zuletzt in einem Beschluss vom 23.05.2012 – 7 B 548/12).
Sofern dem Antrag eine Maßnahmen der Behörde vorausgegangen sein sollte, geht es regelmäßig um § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO, nämlich die Aufhebung der behördlichen Maßnahme (die Änderung nach Alt. 1 zielt auf eine Modifikation der behördlichen Maßnahme ab, etwa durch Auflagen, soll aber hier nicht weiter verfolgt werden, da die Relevanz, jedenfalls für das erste Examen, eher gering sein dürfte).
Exemplarisch soll hier zum einen der Antrag auf Aufhebung der behördlichen Vollziehbarkeitsanordnung nach § 80 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 (siehe oben) durch das Gericht genannt werden (auch hier ist es natürlich wieder denkbar, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung statt über § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO über § 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO zu erreichen). Jedenfalls kann der belastete Dritte auf diesem Weg den sog. status quo ante erreichen (die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs).
Hat die Behörde auf Antrag des Dritten die Vollziehung (z.B. der Baugenehmigung) ausgesetzt (§ 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO), kann zum anderen der Begünstigte seinerseits beim Verwaltungsgericht einen Antrag nach § 80 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO auf Aufhebung der Aussetzung der Vollziehung stellen und so den status quo ante (keine aufschiebende Wirkung wegen z.B. § 212 a Abs. 1 BauGB) wiederherstellen.
2.) Antragsbefugnis
Die nächste Eigenart des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO liegt naturgemäß in der Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Besonderheiten gegenüber dem Hauptsacheverfahren in Drittanfechtungsfällen ergeben sich freilich nicht. Die Antragsbefugnis kann nur auf eine mögliche Beeinträchtigung drittschützender Normen gestützt werden. Als Hauptanwendungsfall ist natürlich auch hier wieder das Baunachbarrecht zu nennen. Zur Wiederholung sei auf den hier veröffentlichten Beitrag zum Nachbarschutz im Baurecht verwiesen.
3.) Rechtsschutzbedürfnis
Im Rahmen der Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses gilt es einige Besonderheiten des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO zu beachten.
- Rechtsbehelf des Antragstellers
Genau wie beim Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO aber zunächst grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller bereits Widerspruch gegen den Verwaltungsakt eingelegt hat (nicht schon Anfechtungsklage, dies ergibt sich aus § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO, auf den § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO verweist). Das gilt wegen der eindeutigen Anordnung in § 80 a Abs. 1 VwGO („Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf (…) ein“) auch für die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 VwGO (an sich sieht § 80 Abs. 4 VwGO, auf den in § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO verwiesen wird, diese Voraussetzung nämlich gerade nicht vor).
- Rechtsbehelf nicht offensichtlich unzulässig
Zudem darf der zugrunde liegende Verwaltungsakt noch nicht bestandskräftig (ein Rechtsbehelf hiergegen also nicht offensichtlich unzulässig) sein. Wie bei § 80 Abs. 5 VwGO geht es hier um Fristenprobleme.
Der Klassiker dürfte die fehlende Bekanntgabe des Verwaltungsaktes gegenüber dem Dritten darstellen. In diesem Fall erlangt der Dritte (etwa der Nachbar) von dem Verwaltungsakt regelmäßig lediglich rein tatsächlich Kenntnis von dem Verwaltungsakt (nämlich z.B. infolge des Baubeginns) und stellt dann einen – vermeintlich verspäteten – Eilantrag. Hier konnte indessen mangels amtlicher Bekanntgabe gegenüber dem Nachbarn überhaupt keine Rechtsmittelfrist (auch nicht die des § 58 Abs. 2 VwGO) in Gang gesetzt werden. Der Verwaltungsakt ist folglich für den Dritten nicht durch Ablauf der Rechtsmittelfrist bestandskräftig geworden (zu beachten ist allenfalls noch, dass die Rechtsprechung dem Widerspruchsrecht des Antragstellers nach Treu und Glauben den Einwand der Verwirkung entgegenhält, wenn dieser zuverlässig Kenntnis von dem Verwaltungsakt erlangt hat oder hätte erlangen können und müssen. Das für eine Verwirkung erforderliche schutzwürdige Vertrauen des Antragsgegners soll allerdings in der Regel erst nach Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO eintreten können. Die Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stammt vom 25.01.1974 – IV C 2.72).
- Entfallen des Suspensiveffekts
Der Wegfall der aufschiebenden Wirkung ist wie im Rahmen der Prüfung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO positiv festzustellen. Hier sei insbesondere noch einmal auf §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212 a Abs. 1 BauGB verwiesen.
- Vorheriger Antrag bei der Behörde
Ein weiteres Standardproblem des § 80 a Abs. 3 VwGO betrifft die Frage, ob das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn der Dritte vor Stellung eines gerichtlichen Eilantrags nicht ein behördliches Aussetzungsverfahren betrieben hat. Anders als bei § 80 Abs. 5 VwGO lässt sich das Erfordernis eines vorherigen Antrags bei der Behörde nicht mit einem Verweis auf die eindeutige Regelung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO (Umkehrschluss) ablehnen. § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO verweist nämlich auf § 80 Abs. 5 bis 8 VwGO (also insbesondere auch Abs. 6). Sieht man in diesem Verweis eine bloße Rechtsfolgenverweisung, kann man ein behördliches Aussetzungsverfahren stets als Zugangsvoraussetzung für einen Antrag nach § 80 a Abs. 3 VwGO verstehen. Für diese Ansicht lässt sich anführen, dass andernfalls der Verweis auf Abs. 6 leer liefe, da Verwaltungsakte mit Drittwirkung wohl so gut wie nie Kosten und Abgaben zum Gegenstand haben. Dies ist aber eigentlich sogleich schon das Hauptargument für die Gegenansicht, die in dem Verweis eine Rechtsgrundverweisung (und in der Einbeziehung des Abs. 6 ein Redaktionsversehen) erblickt. Denn das gesetzgeberische Konzept der §§ 80, 80 a VwGO verträgt sich, sofern es um die Herstellung der aufschiebenden Wirkung geht, nicht mit dem Erfordernis eines vorherigen behördlichen Verfahrens (für eine methodisch anschauliche Argumentation sei auf Schoch, in Schoch/Schneider/Bier § 80 a VwGO Rn. 74 ff. verwiesen).
In der Klausur ist es allerdings überaus ratsam, wenn möglich, von einer Streitentscheidung abzusehen. Dies dürfte meist über §§ 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO gelingen. Danach ist ein vorheriger Antrag bei der Behörde jedenfalls nicht erforderlich, wenn die Vollstreckung droht. Dies ist mit Baubeginn der Fall (und typischerweise erfährt der Nachbar ja durch den Baubeginn überhaupt erst von der Existenz der Baugenehmigung, siehe oben).
- Erlangung eines rechtlichen Vorteils noch möglich
Für gerichtliche Eilanträge eines Nachbarn, die auf Aussetzung der Vollziehung (der Baugenehmigung) gerichtet sind, besteht schließlich auch dann kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn das Bauvorhaben bereits weitgehend fertig gestellt ist und die Aussetzung der Vollziehung dem Nachbarn keinen rechtlichen Vorteil mehr verschaffen würde (es geht hier freilich nicht um vollständig fertiggestellte Wohnhäuser – dass die Aussetzung der Vollziehung insoweit nicht zielführend ist, dürfte jedem einleuchten; vielmehr betrifft diese Fallgruppe Grenzfälle, in denen zum Beispiel ein Rohbau bereits errichtet ist und nur noch der Innenausbau verhindert werden soll – siehe dazu etwa den Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 23.03.2006 – OVG 10 S 21.05).
II. Die Begründetheit eines Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO.
Mangels gesetzlich normierter Kriterien für die Entscheidung des Gerichts, kann auch die Begründetheit des Antrags nach § 80 a Abs. 3 VwGO nur das Ergebnis einer Interessenabwägung sein. Dabei sind, je nach Verfahrenssituation, kleinere Besonderheiten zu beachten.
1.) Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§§ 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) bzw. Aussetzung der Vollziehung (§ 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 VwGO)
Unabhängig von dem (oben) eingeschlagenen Weg, hat man hier den Rechtsgedanken des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zu beachten. Die Norm wird nämlich von § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO ausdrücklich in Bezug genommen und ist damit wegen des Verweises in § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO auch von dem Gericht zu beachten. Der Eilantrag des Dritten gegen die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts ist danach dann begründet, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen.
Maßgebend sind also zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Man hat das bekannte Prüfungsschema (Ermächtigungsgrundlage, formelle Rechtmäßigkeit, materielle Rechtmäßigkeit) abzuarbeiten. Zu beachten ist dabei freilich, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit – etwa einer Baugenehmigung – allein nicht den Erfolg des Antrags begründen können. Vielmehr müssen sich diese Zweifel gerade aus einem Verstoß gegen drittschützende Normen ergeben.
Für die Klausur bedeutet das Folgendes: Ist der Verwaltungsakt wegen Verstoßes gegen drittschützende Normen rechtswidrig, ist der Antrag begründet (es reicht – wegen der Terminologie „ernstliche Zweifel“ theoretisch schon die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit aus). Ist der Verwaltungsakt dagegen rechtmäßig, bleibt es bei seiner Vollziehbarkeit. Einer besonderen Dringlichkeit der Vollziehung bedarf es nicht.
Sollte einmal der Fall eintreten, dass die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache offen sind, bedarf es einer Einzelfallentscheidung. Im Baurecht sollte man aber nicht voreilig auf die Interessen des Dritten an der Vermeidung vollendeter Tatsachen (durch den Baubeginn) abstellen. Instruktiv dazu etwa folgende Passage aus einem Beschluss des OVG Lüneburg (vom 9. 9. 2004 – 1 ME 194/04):
Nicht nur auf Seiten des Nachbarn drohen vollendete, weil unumkehrbare Tatsachen einzutreten, wenn das Vorhaben verwirklicht wird. Auch auf der Seite des Bauherrn können solche nicht mehr wieder gut zu machende Folgen eintreten. Diese bestehen im Falle einer Antragsstattgabe darin, dass die durch den Aufschub verlorene Zeit nicht nachgeholt werden kann und die in dieser Zeit erzielbaren Gewinne nicht mehr realisiert werden können.
Teilweise wird auch vertreten, der Gesetzgeber habe im Baurecht mit der Regelung des § 212 a Abs. 1 BauGB eine Grundentscheidung getroffen, die (bei offenem Ausgang der Hauptsache) für das Überwiegen des Vollzugsineresses des Begünstigten spreche. Diese Auffassung widerspricht indessen der oben beschriebenen Ausgangslage, die dem Verfahren nach § 80 a VwGO zugrunde liegt, nämlich ein Gleichordnungsverhältnis zwischen Privaten. Danach kommt § 212 a Abs. 1 BauGB, genau wie § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO lediglich die Funktion der Zuordnung einer Verfahrenslast zu.
Anhand der genannten Parameter muss man sich dann unter gründlicher Auswertung der angebotenen Fakten entscheiden. Wahrscheinlich wird letztlich doch die Schutzposition des Dritten, die etwa durch den Baubeginn beeinträchtigt würde, schwerer wiegen.
2.) Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung
Einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung kann entweder der Adressat eines begünstigenden Verwaltungsaktes, wie zum Beispiel einer Gaststättenerlaubnis (gegen den ein Dritter einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung eingelegt hat), selbst gestellt haben (dann nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Es kann aber auch ein Dritter, der durch den Verwaltungsakt begünstigt ist, den Antrag stellen, um die in Folge eines Rechtsbehelfs des Adressaten (zum Beispiel einer Beseitigungsverfügung) eingetretene aufschiebende Wirkung zu überwinden (dann nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 VwGO – zum behördlichen Verfahren siehe oben).
Das Gericht kann hier selbst über die Anordnung der sofortigen Vollziehung entscheiden.
Maßgebend sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs des Dritten, der die aufschiebende Wirkung ausgelöst hat.
Ist die Gaststättenerlaubnis rechtmäßig, ordnet das Gericht die sofortige Vollziehung an. Ist sie dagegen rechtswidrig, wird der Antrag abgelehnt, wenn die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung drittschützender Normen beruht. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen, bedarf es wieder einer Interessenabwägung im Einzelfall anhand aller angebotenen Tatsachen.
Auch hier ist Ausgangspunkt die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs, der die aufschiebende Wirkung ausgelöst hat. Ist die Beseitigungsverfügung rechtswidrig, lehnt das Gericht den Antrag des Dritten ab.
Ist die Beseitigungsverfügung rechtmäßig, ist Voraussetzung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das Gericht, dass der Dritte einen Anspruch auf das behördliche Einschreiten, also den Erlass der Beseitigungsverfügung hat. Zudem muss der Dritte darlegen, dass der Sofortvollzug in seinem überwiegenden Interesse, das über jenes Interesse hinausgeht, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt, geboten ist.
Dass diese Voraussetzung sicher selten vorliegen werden, kommt etwa in folgender Passage aus einem Beschluss des OVG Münster (vom 10.02.2010 – 7 B 1368/09) zum Ausdruck:
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend herausgestellt hat, rechtfertigt sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer bauordnungsrechtlichen Verfügung, welche wie hier die Beseitigung von Bausubstanz fordert, nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen. In Anknüpfung an die gewichtigen Auswirkungen eines solchen Eingriffs ist es regelmäßig schon Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes geschuldet, dem Interesse des Ordnungspflichtigen an dem Erhalt der aufschiebenden Wirkung seiner Klage den Vorrang einzuräumen.