In den Ö-Recht Examensklausuren im April kamen in NRW zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom November und Dezember 2009 dran, die wir auch hier auf juraexamen.info vorgestellt hatten. Wer den Schwerpunkt beim Lernen für die Klausuren im Öffentlichen Recht auf das Allgemeine und Besondere Verwaltungsrecht gesetzt hatte, hatte bei diesem Termin kein Glück.
Ö-Recht Klausur I:
BVerfG-Urteil vom 4.11.2009: BVerfG zu § 130 IV StGB (Volksverhetzung) -BVerfG 1 BvR 2150/08
Ö-Recht Klausur II:
BVerfG-Urteil vom 17.12.2009: EGMR vs. BVerfG: Ist die nachträgliche Sicherungsverwahrung zulässig?
Gestern erst hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dieses Urteil vom 17. Dezember 2009 bestätigt, wonach die Bundesrepublik mit der nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung eines Gewaltverbrechers die Artikel 5 und 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt hat, das Recht auf Freiheit und den Grundsatz, dass es keine Strafe ohne Gesetz geben darf.
Die Examenssachverhalte können hier nachgelesen werden.
Schlagwortarchiv für: BVerfG 1 BvR 2150/08
In Ergänzung zu unseren Artikeln zum Tod des Beschwerdeführers und zum NPD Gedenkmarsch befasst sich der folgende Artikel mit dem Beschuss des BVerfG vom 04.11.2009 – 1 BvR 2150/08, insbesondere im Hinblick auf § 130 StGB, dessen Auslegung, Verfassungsmäßigkeit und Bedeutung im Rahmen von Art. 5 GG.
Vorab bleibt noch festzuhalten, dass man den § 130 StGB fürs Examen zumindest kennen und sich die wesentlichen Definitionen zu Gemüte geführt haben sollte, insbesondere da es einem in der Klausur schwer fallen wird, die Tatbestandsmerkmale des § 130 StGB improvisatorisch zu definieren. Die Definitionen finden sich wie immer in jedem Lehrbuch oder Kommentar. Im Rahmen der Prüfung ist insbesondere zu beachten, dass im Rahmen des § 130 Abs. 1 StGB ein reines „Geeignetsein“ ausreicht; § 130 Abs. 3 StGB erfasst die sog. „Auschwitzlüge“.
Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist im vorliegenden Fall als berührt anzusehen. Hier lohnt im Rahmen einer Klausur eine genaue Analyse des Sachverhalts, denn liegen im Zusammenhang mit einer Demonstration oder sonstigen Kundgabe erwiesene oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen vor, endet in diesen Fällen der Schutz von Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG. In einem solchen Fall sollte aber schon eine sorgfältige Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen erfolgen. Auch ist durch § 130 Abs. 4 StGB in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 I GG eingegriffen, da bestimmte Meinungsäußerungen unter Strafe stehen.
Das BVerfG nimmt in der Folge ausführlich Stellung zur Einschränkbarkeit von Art. 5 I GG, hier durch § 130 StGB. Eingriffe sind in diesem Zusammenhang nur denkbar auf Grund eines allgemeinen Gesetzes gem. Art. 5 Abs. 2 Alternative 1 GG. Zu beachten ist, dass unter „Gesetzen“ auch materielle Gesetze, also Verordnungen oder Satzungen zu verstehen sind. Ein Gesetz ist dann als „allgemein“ zu bezeichnen, wenn es sich nicht gegen eine Meinung als solche richtet. Von einem „unzulässigen Sonderrecht“ kann dann ausgegangen werden, wenn das beschränkende Gesetz nicht offen genug gefasst ist und sich von vorneherein nur gegen eine bestimmte Haltung richtet. Bedeutend sind vorliegend die Ausführungen des Senats zu nationalsozialistischem Gedankengut; es wird verdeutlich, dass dieses als “ als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung“ nicht schon von vorneherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 I GG herausfällt, denn das Grundgesetz vertraue auf „die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.
Mit diesen sehr eindringlichen Ausführungen betont das BVerfG den freiheitlichen Geist des Grundgesetzes, um im Folgenden konkret auf § 130 Abs.4 StGB einzugehen. In diesem Zusammenhang stellt das BVerfG (erstmal überraschend) fest, dass § 130 Abs. 4 StGB kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG darstelle, da es explizit auf nationalsozialistische Ideologie abstelle. Dennoch sei die Bestimmung auch als nicht allgemeines Gesetz mit Art. 5 Abs. 1 und 2 vereinbar. Das BVerfG macht vorliegend eine explizite Ausnahme und begründet diese mit dem Schrecken und Terror des nationalsozialistischen Regimes und dem Grundgesetz als „Gegenentwurf“ zu diesem. Hier lohnen sich meiner Meinung nach besonders die Originalausführungen des Senats, sehr eindringlich und gut verständlich.
Darüber stellt der Senat fest, dass § 130 StGB mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist. Zweck sei die Erhaltung des öffentlichen Friedens, zu beachten sei in diesem Zusammenhang auch die nicht zu beanstandende Einschätzung des Gesetzgebers. Ebenso genügt § 130 IV StGB im Ergebnis auch der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, insbesondere, da kein Pauschalverbot bestehe.
Weiterhin genügt § 130 IV StGB dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „Störung des öffentlichen Friedens“. In diesem Zusammenhang ist insbesondere hervorzuheben, dass der Senat das genannte Tatbestandsmerkmal als „Korrektiv“ ansieht, denn der Gesetzgeber hätte auch schon den Tatbestand des Absatzes IV ohne die „Störung“ unter Strafe stellen können.
Insgesamt eine wichtige, interessante und gleichsam examensrelevante Entscheidung, bei der sich die Lektüre der originalentscheidung lohnt. Das Bundesverfassungsgericht man dezidierte Ausführungen zum „allgemeinen Gesetz“, zum „nicht allgemeinen Gesetz“ zum Freiheitsgedanken des Grundgesetzes und dessen Verhältnis zum nationalsozialistischen Gedankengut. Wenn man sich diese Ausführungen grob merken und in der Klausur dann, richtig verortet wiedergeben kann, wird man sicher gut punkten können. Mit den Ausführungen zum „nicht allgemeinen Gesetz“ muss man sich ganz sicher in einer Klausur auseinandersetzen. Die „Ausnahmeregelung“ des BVerfG in diesem Zusammenhang ist sicher diskussionsbedürftig. Interessant, aber aus meiner Sicht problematisch sind die Ausführungen des Senats zum Bestimmtheitsgrundsatz, denn § 130 IV StGB wurde nun mal in der vorliegenden Fassung erlassen, eine hypothetische Betrachtung in diesem Zusammenhang erscheint jedenfalls ebenso diskussionswürdig wie die Ausführungen zum“nicht allgemeinen Gesetz“.