Die schwarz-gelbe Regierung hat bekanntlich die Laufzeiten für die Atomkraftwerke verlängert. Die Oppositionsfraktionen der SPD und der Grünen sowie fünf Bundesländer haben hiergegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Dieser rechtlich wie politisch äußerst brisante Konflikt soll im Folgenden näher beleuchtet werden. Am heftigsten umstritten ist vor allem die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit der Laufzeitverlängerung durch den Bundesrat. Die Regierung hatte die Reform am Bundesrat „vorbei“ verabschiedet, denn dort hätte sie sicherlich keine Mehrheit gefunden.
Zustimmung durch Bundesrat erforderlich?
Ob die Laufzeitverlängerung die Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundesrat auslöst, ist aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht eindeutig. Ein Gutachten seitens Professor Degenhart sprach sich nun jüngst dagegen aus. Insofern ist allerdings zu beachten, dass dieses von der baden-württembergischen Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) in Auftrag gegeben wurde. Ein Gutachten seitens des ehemaligen BVerfG-Präsidenten Papier etwa kommt zum gegenteiligen Schluss (s. hierzu etwa Artikel im Spiegel).
Auch in der Literatur gab es erste Stellungnahmen (s. etwa Geulen/Klinger, NVwZ 2010, 1118 m.w.N.; Kendzia, DÖV 2010, 713; vgl. auch Moench/Ruttloff, DVBl 2010, 865 und noch einmal Papier, NVwZ 2010, 1113).
Ausgangspunkt der Überlegungen müssen natürlich die entsprechenden Regeln des GG sein. Relevant ist zunächst Art. 73 Abs.1 Nr. 14 GG, wonach der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz hat (für „die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe“). Nach Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus. Die Verwaltungskompetenz liegt also grundsätzlich bei den Ländern, auch wenn die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegt. Dieser Grundsatz steht unter dem Vorbehalt, dass das GG etwas anderes bestimmt. Dies ist vorliegend der Fall: Nach Art. 87c GG können Gesetze, die auf Grund des Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 ergehen, „mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß sie von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt werden“ [Hervorhebung durch Verfasser].
Auf Grundlage von Art. 87c GG kann also statt der grundsätzlich geltenden Länderverwaltung eine Bundesauftragsverwaltung eingerichtet werden. Hiervon hat der Bund Gebrauch gemacht, s. § 24 AtomG. Das AtomG konnte daher nur mit Zustimmung des BR erlassen werden.
Vorliegend soll aber nicht die Bundesauftragsverwaltung i.S.v. Art. 87c GG neu eingeführt werden, sondern es soll eben nur das bereits bestehende Gesetz reformiert werden. Es ist also fraglich, wann eine Änderung des bereits mit Zustimmung des BR erlassenen Gesetzes wiederum die Zustimmungsbedürftigkeit auslöst. Eine wichtige Leitentscheidung zur Zustimmungsbedürftigkeit von Änderungsgesetzen ist der Beschluss des BVerfG vom 25. 6. 1974 – 2 BvF 2 u. 3/73, BVerfGE 37, 414; s. hierzu im Kontext der Laufzeitverlängerung Papier, NVwZ 2010, 1113. Die Leitsätze dieser (allerdings nur zum alten Art. 84 GG ergangenen) Entscheidung lauten:
a) Nicht jedes Gesetz, das ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz ändert, ist allein aus diesem Grund zustimmungsbedürftig.b) Wenn ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz durch ein Gesetz geändert wird, das selbst neue Vorschriften enthält, die ihrerseits die Zustimmungsbedürftigkeit auslösen, so ist das Änderungsgesetz zustimmungsbedürftig.c) Ändert das Änderungsgesetz Regelungen, die die Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst haben, so bedarf es ebenfalls der Zustimmung des Bundesrates.d) Enthält ein Zustimmungsgesetz sowohl materiellrechtliche Regelungen als auch Vorschriften für das Verwaltungsverfahren der Landesverwaltung gemäß Art. 84 Abs. 1 GG, so ist ein dieses Gesetz änderndes Gesetz zustimmungsbedürftig, wenn durch die Änderung materiellrechtlicher Normen die nicht ausdrücklich geänderten Vorschriften über das Verwaltungsverfahren bei sinnorientierter Auslegung ihrerseits eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erfahren.
Diese Maßstäbe kann man wohl mehr oder weniger auf den Fall der Bundesauftragsverwaltung übertragen (gegen eine schematische Übertragung: Papier, NVwZ 2010, 1113, 1115). So kann man hier vor allem im Hinblick auf den letzten Leitsatz argumentieren, dass die Laufzeitverlängerung lediglich eine materiellrechtliche Frage darstellt, die nicht die Vorschriften des AtomG zum Verwaltungsverfahren tangiert. Andererseits sind diese natürlich, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch auch implizit betroffen.
Nach Papier, aaO würde sogar eine nicht unwesentliche Änderung der Sachregelungen genügen, um die Zustimmungsbedürftigkeit auszulösen, denn dadurch würde das Kräftegefüge zwischen Bund und Ländern derart verschoben, dass die ursprüngliche Zustimmung nicht mehr ausreichen würde, um die „Unterwerfung“ der Länder unter die Sachkompetenz des Bundes im Rahmen der Bundesauftragverwaltung zu rechtfertigen.
Bewertung
Die Problematik der Laufzeitverlängerung ist sicherlich ein schwieriger Grenzfall. Eine ausführliche Darstellung soll hier daher nicht erfolgen und den zahlreichen Beiträgen in Fachzeitschriften und Gutachten überlassen bleiben. Falls man mit dieser Frage im Rahmen einer Klausur oder bei der mündlichen Prüfung konfrontiert wird, ist es sicherlich ausreichend, wenn man die Thematik richtig im GG verorten kann und dann gute Argumente findet, warum nun die Laufzeitverlängerung wesentlich genug ist oder eben nicht, um die Zustimmungsbedürftigkeit im Hinblick auf das Änderungsgesetz auszulösen.