Ein Urteil, das von der Juristenwelt lange herbeigesehnt wurde: Durch das erste Urteil des BGH im Abgasskandal (Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19) ist nun höchstgerichtlich geklärt, dass die betroffenen Käufer einen Anspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gegen den Hersteller haben. Ebenso ist nun höchstgerichtlich geklärt, dass sich die Geschädigten dabei jedoch die gezogenen Nutzungen aufgrund der gefahrenen Kilometer anrechnen lassen müssen. Die Examensrelevanz eines derart praxisrelevanten Urteils dürfte auf der Hand liegen. Die Entscheidung sollte daher jeder Examenskandidat eingehend studieren.
I. Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf
Der Kläger erwarb am 10. Januar 2014 zu einem Preis von 31.490,- € brutto von einem Autohändler einen Gebrauchtwagen VW Sharan 2.0 TDl match, der mit einem 2,0-Liter Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen die Zahlung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises in Höhe von 31.490 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Denn er habe geglaubt, umweltbewusst zu handeln und hätte den Kauf nicht getätigt, hätte er Kenntnis von den wahren Abgaswerten gehabt.
Nachdem in erster Instanz das Landgericht Bad Kreuznach – Urteil vom 5. Oktober 2018 – 2 O 250/17 die Klage noch abwies, bejahte das OLG Koblenz mit Urteil vom 12.6.2019 – 5 U 1318/18 einen Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgabe des Wagens – jedoch unter Anrechnung des Nutzungsvorteils des Klägers anhand der gefahrenen Kilometer. Die Beklagte begehrte mit der Revision die vor dem BGH die Klageabweisung während sich die Revision des Klägers gegen die Anrechnung der gefahrenen Kilometer richtet.
II. Auch BGH bejaht Anspruch aus § 826 BGB
Der BGH schließt sich der Ansicht des OLG Koblenz an. Der Hersteller haftet nach §§ 826, 31 BGB.
1. Systematisches Verschleiern der tatsächlichen Abgaswerte ist sittenwidrig
Das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger sei objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Dieser hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrbundesamts systematisch, langjährig und in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten sei im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, so der BGH.
2. Zurechnung über § 31 BGB analog
Der BGH beanstandete auch nicht, dass das OLG Koblenz aufgrund des nicht ausreichenden Vortrags der Beklagten annahm, dass die systematische Abgasmanipulation jedenfalls mit Kenntnis und Billigung der im Hause der Beklagten für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen, namentlich dem vormaligen Leiter der Entwicklungsabteilung und den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorständen, geschah. Das Verhalten dieser Repräsentanten der Beklagten wird über § 31 BGB, der analog auch für sämtliche sonstige Gesellschaftsformen außer dem Verein Anwendung findet, zugerechnet.
3. Ungewollte Verbindlichkeit als Schaden
Ebenso wie das Berufungsgericht sah der BGH den Schaden bereits in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit. Der Kläger, dem es gerade darauf ankam ein umweltfreundliches Fahrzeug zu erwerben und zu fahren, ist durch die sittenwidrige Täuschung der Beklagten über die Abgaswerte des Wagens dazu veranlasst worden, eine ungewollte Verbindlichkeit einzugehen. Denn ein Wagen mit den tatsächlich deutlich höheren Abgaswerten eignet sich nicht für die von ihm mit dem Vertrag bezweckte Verwendung. Auf die objektive Eignung des Wagens für den Fahrgebrauch oder eine Wertminderung kommt es nicht an.
4. Abzug der Nutzungsvorteile – schadensrechtliches Bereicherungsverbot
Grundsätzlich sind nach § 249 Abs. 1 BGB die Folgen der ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit vom beklagten Hersteller rückgängig zu machen. Der Hersteller hat somit den vom Kläger gezahlten Kaufpreis zu erstatten, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wagens. Wie die Vorinstanz schon gewährt auch der BGH dem Kläger jedoch nicht die volle Rückerstattung des Kaufpreises. Er muss sich die Vorteile anrechnen lassen, die ihm aus der bisherigen Nutzung des Wagens zugeflossen sind. Bemessungsgrundlage hierfür sind die vom Kläger gefahrenen Kilometer. Dies ist Ausdruck des Bereicherungsverbots als allgemeinen Grundsatz des deutschen Schadensrechts. Der BGH sah sich auch nicht veranlasst, von diesem allgemeinen Grundsatz aufgrund des sittenwidrigen und insoweit nicht schützenswerten Verhaltens des Schädigers eine Ausnahme zu machen, wie es der Kläger forderte. Denn das deutsche Schadensrecht dient gerade nicht der Bestrafung des Schädigers oder einer Schadensbemessung anhand von Billigkeitserwägungen. Dem Geschädigten soll nur sein entstandener Schaden ausgeglichen werden, er soll jedoch nicht am Ende besser dastehen, als er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde. Dies wäre jedoch der Fall, wenn er den vollen Kaufpreis zurückerstattet bekommen würde, ihm jedoch der geldwerte Vorteil einer jahrelangen Pkw-Nutzung erhalten bliebe.
III. Fazit und Ausblick
Der Hersteller eines mit unzulässiger Abschaltvorrichtung ausgestatteten Wagens haftet den Käufern nach §§ 826, 13 BGB.
Die systematische Täuschung über die tatsächlichen Abgaswerte stuft auch der BGH als sittenwidrig ein. Dieses Verhalten der verantwortlichen Mitarbeiter wird über § 31 BGB analog zugerechnet.
Das Eingehen einer ungewollten Verbindlichkeit ist als Schaden im Sinne des § 826 BGB anzusehen. Daher sind die Folgen dieses Vertrags in Form der Erstattung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wagens, rückgängig zu machen.
Der Anspruchsteller hat sich jedoch seine Nutzungsvorteile in Form der von ihm gefahrenen Kilometer anspruchsmindernd anrechnen zu lassen. Auch im Rahmen des § 826 BGB gilt das schadensrechtliche Bereicherungsverbot.
Die Entscheidung wird aufgrund ihrer Tragweite und medialen Aufmerksamkeit mit Sicherheit Eingang in juristische Prüfungen finden. Zur weiteren Vertiefung der Problematik empfehlen wir unsere Beiträge zur Vorinstanz OLG Koblenz (hier) sowie zur Entscheidung des OLG Hamm (hier).
Da sich der Abgasskandal gut dazu eignet, um neben den Ansprüchen gegen der Hersteller zunächst die Ansprüche gegen den Händler aus Mängelgewährleistung abzuprüfen, sind Examenskandidaten gut damit beraten, sich auch mit der Einordnung der Abgasmanipulationssoftware als Mangel zu beschäftigen. Auch mit dieser Frage war der BGH schon befasst, aufgrund eines Vergleichs erging jedoch kein Urteil. Zu den hierzu dennoch bedeutsamen Aussagen des BGH siehe unser Artikel (hier).
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