Wir freuen uns, euch heute den zweiten Beitrag zu unserem Aufsatzwettbewerb veröffentlichen zu können.
Der Beitrag wurde von Nils Zimmermann verfasst.
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Seit Wochen stößt derjenige, der bei Google nach Christian Wulff sucht, vor allem auf Witze, Karikaturen und so manchen fragwürdigen Kommentar. Der Tiefpunkt des „Wulff-Spektakels“ dürfte das Bild eines Facebook-Nutzers sein, der Wulffs Ehefrau Bettina als „Blitzmädel“, also als Wehrmachtshelferin, bezeichnet. Obwohl Wulffs Verhalten manche Frage offen lässt, sind solche Äußerungen ohne Zweifel geschmacklos.
Würde die Internet-Gemeinde so über einen gewöhnlichen Bürger herfallen, wäre der Tatbestand der Beleidigung gem. § 185 S.1 StGB erfüllt. Christian Wulff hat dank seiner Stellung als Bundespräsident ein viel mächtigeres Schwert in der Hand: Die Strafvorschrift des § 90 StGB, die „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“. Wer den höchsten Mann im Staate in seiner Ehre herabsetzt, riskiert eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren- vorausgesetzt der Bundespräsident erteilt die Ermächtigung zur Strafverfolgung gem. § 90 Abs.4. Bei § 185 muss der Täter höchstens mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr rechnen und kommt meistens mit einer Geldstrafe davon.
I. Allgemeines
Diese vergleichsweise hohe Strafandrohung soll als Anlass dienen, um den Tatbestand einmal genauer anzuschauen. Wer aber in der einschlägigen Literatur nach Erläuterungen sucht, wird kaum fündig: „Auch in diesem Buch wird auf die Darstellung der Regelungen (…) verzichtet“ heißt es beispielsweise bei Joecks (Joecks: Studienkommentar StGB, Bemerkungen zum 1.-5. Abschnitt, Rn. 2). Im Nomos-Kommentar beschäftigt sich Paeffgen immerhin mit der Regelung, nicht ohne abschließend darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift „rechtstatsächlich (…) keine Rolle“ spiele (Paeffgen in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, §90 , Rn.3). Bis Dezember 2011 hatte er damit recht. Nur zwei von Wullfs Amtsvorgängern erteilten die Ermächtigung zur Verfolgung der Tat- jeweils wegen eines tätlichen Angriffs. Christian Wulff hat zuerst die Staatsanwaltschaft zur Verfolgung ermächtigt, dies aber später zurück gezogen.
Angesichts der aktuellen Ereignisse ist nicht ausgeschlossen, dass § 90 StGB vom Aufgabensteller einer Examensklausur „entdeckt“ wird. In diesem Aufsatz sollen vor allem ihr Tatbestand und ihre Entstehung geklärt werden und die Frage, ob die Vorschrift heute noch zeitgemäß ist.
II. Tatbestand
Wegen des Schattendaseins, das die Vorschrift bisher führte existiert vergleichsweise wenig Rechtsprechung zum Tatbestand. Als Tathandlung muss jedenfalls eine Verunglimpfung verlangt werden. Darunter ist jede erhebliche Ehrenkränkung zu verstehen, die nach Form und Inhalt den Ehren-Angriffen aus §§ 185 ff. StGB vergleichbar ist. Der Angriff kann sich sowohl gegen das Amt des Bundespräsidenten richten als auch gegen den Amtsinhaber. Wegen des besonderen Symbolcharakters des Amtes lässt sich die Stellung des Bundespräsidenten kaum von der Eigenschaft als Privatperson trennen (Güntge in: Satzer/Schmitt/Widmaier: StGB-Komm., § 90 Rn.1). Diese besondere Verbindung wird noch zu berücksichtigen sein. Erfolgt die Ehrverletzung durch eine Tatsachenbehauptung, hält die h.M. den Wahrheitsbeweis nach § 186 für möglich (Vgl. Fischer, Rn.3). Umstritten ist, ob auch der Vertreter des Bundespräsidenten nach Art. 57 GG durch § 90 geschützt werden kann, wenn er die Befugnisse des Bundespräsidenten wahrnimmt. Dafür spricht, dass neben der Person auch das Amt geschützt werden soll. Dafür sprich sich Fischer aus (Vgl. Fischer, § 90 Rn.3), während die herrschende Literatur dies verneint (vgl. nur: SK-Rudolphi, §90 Rn.2; Liourdi: Herkunft und Zweck der Strafbestimmungen zum Schutz des Staatsoberhauptes, S. 197). Dagegen spricht jedenfalls auch der klare Wortlaut der Vorschrift. Nach dieser Ansicht genügen §§ 185 ff. zum Schutz des Stellvertreters.
Die Handlung kann öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften geschehen. Gem. § 11 Abs.3 StGB sind Ton- und Bildspeicher den Schriften gleich gesetzt. Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muss sich auch der Öffentlichkeit usw. seiner Äußerung bewusst sein (RGSt 63, 429). Falls der Bundespräsident die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt, sind gem. § 74a GVG die Staatsschutzkammern bei den Landgerichten zuständig.
III. Entstehung und Bedeutung
Die Strafbarkeit der Ehrverletzung des Staatsoberhauptes reicht bis ins römische Kaiserreich zurück. Seitdem war in Antike und Mittelalter die Majestätsbeleidigung stets strafbar. Im Absolutismus, besonders in Frankreich, als der Monarch von Gottes Gnaden als Symbol für den Staat selbst galt, stand die Majestätsbeleidigung dem In-Frage-Stellen einer gottgewollten Ordnung gleich. Majestätsbeleidigung war also eine besondere Form der Gotteslästerung. Häufig war die Todesstrafe die Folge.
Auch das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches von 1871 (RStGB) stellte die Majestätsbeleidigung unter Strafe. So hieß es in § 95 Abs. 1 RStGB:
„Wer den Kaiser, seinen Landesherrn oder während seines Aufenthalts in einem Bundesstaate dessen Landesherrn beleidigt, wird mit Gefängniß nicht unter zwei Monaten oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft.“
1871 war der religiöse Bezug nicht mehr gegeben, denn längst verstanden sich nicht mehr alle deutschen Fürsten als Herrscher „von Gottes Gnaden“. Hier wird noch einmal deutlich, dass die (mit dieser Vorschrift geschützte) Staatsgewalt des Kaiserreichs von den Fürsten ausging und das Reich sich vor allem als Bund souveräner Fürsten verstand.
Der Tatbestand bildete einen sog. „Kautschuk-Paragraph“, also etwa was heute als „Gummiparagraph“ bezeichnet wird und wurde zumindest in den frühen Jahren des Kaiserreichs zur Verfolgung politischer Gegner genutzt. Vor allem der „Eiserne Kanzler“ Bismarck setzte durch, dass die Gerichte den Tatbestand vor allem zu Ungunsten der Sozialdemokraten weit auslegen. Die sozialdemokratische Parteizeitung „Vorwärts“ veröffentlichte bis 1908 regelmäßig eine „Chronik der Majestätsbeleidigungsprozesse“ und wies so den staatlichen Machtmissbrauch nach. Darunter finden sich bisweilen auch kuriose Urteile. So wurde etwa ein Mann verurteilt, der während des Singens der Kaiserhymne den Hut nicht abgesetzt hatte.
Die Sonderstellung für das Oberhaupt eines demokratischen Staates hat freilich andere Gründe, die in die Weimarer Republik zurück reichen. §§ 5, 23 des RepSchG (RGBl I S. 585) vom 25.04.1930 enthielten erstmals eine Sonderstellung des Reichspräsidenten, die sowohl Schutz vor verbalen und tätlichen Angriffen bot. In der Notverordnung vom 19.12.1932 (RGBl I S. 548) ist mit § 94 II StGB erstmals ein klarer Vorläufer der heutigen Regelung erkennbar. Der Anlass waren die Anfeindungen, denen die Republik und ihr Staatsoberhaupt ausgesetzt waren (Paeffgen in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, §90 , Rn.1). Die erste deutsche Demokratie wird nicht zu Unrecht als „Demokratie ohne Demokraten“ bezeichnet. Das politische Klima der zwanziger Jahre brachte Überlegungen über besondere Bestimmungen zum Schutz des Staatsoberhauptes wieder auf die Tagesordnung. Verstärkt wurden die Bestrebungen durch die Ermordung des Reichsaußenministers Walter Rathenau am 24.06.1922, der zuvor Opfer einer diffamierenden Hetzkampagne geworden war.
Auch den ersten Reichspräsidenten, den Sozialdemokraten Friedrich Ebert, hatten demokratiefeindliche Kreise von rechts und links besonders ins Visier genommen: „Friedrich der Vorläufige“ nannten ihn Monarchisten, „Sattlergeselle“ die Adeligen, andere „Kommentatoren“ zeigten Ebert im Badeanzug. Kurzum: Der Präsident der ersten deutschen Demokratie war Anfeindungen von fast allen Seiten ausgesetzt. Wer die Demokratie, die „Regierungsform der Sieger“ des ersten Weltkrieges, angreifen und lächerlich machen wollte, konnte dies am besten tun, indem man den Reichspräsidenten in den Schmutz zog. Insgesamt war Ebert in seiner Amtszeit an 143 Verfahren zum Schutz seiner Ehre beteiligt.
Entgegen einer manchmal geäußerten Ansicht besteht keine Kontinuität zwischen der Majestätsbeleidigung und § 90 StGB. Die Strafbarkeit der Majestätsbeleidigung bestand im Absolutismus zum Schutze einer vermeintlich gottgewollten Ordnung und in Deutschland ab 1871 zur gezielten Verfolgung politischer Gegner. § 90 verfolgt keinen dieser Zwecke.
Die heute geltende Vorschrift wurde am 30.08.1951 als § 95 ins StGB aufgenommen (BGBl I S. 379) und wurde später mit Änderungen zu §90. (Das „Aufrufen zur Verunglimpfung“ entfiel als Tathandlung.)
IV. Der Bundespräsident als „normaler Mensch“?
Wie oben dargestellt, stammt der Vorläufer von § 90 StGB aus einer Zeit, in der die junge Demokratie und das Staatsoberhaupt massiven Anfeindungen von rechts und links ausgesetzt waren. Die Bundesrepublik kann dagegen mit Recht als gefestigte Demokratie angesehen werden. Dadurch stellt sich die Frage, ob die Existenz von §90 überhaupt noch notwendig ist. Oder kann nicht auch der Bundespräsident wie ein „normaler Mensch“ behandelt werden? So fragte beispielsweise schon der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, in einem Briefwechsel mit dem damaligen Bundesjustizminister Thomas Dehler, wann „es staatspolitisch notwendig ist, dass ich mich beleidigt fühle“.
Es erscheint jedenfalls zweifelhaft, ob der Ehrenschutz des Staatsoberhauptes tatsächlich unter dem Titel „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats“ im StGB genannt werden muss, in „Nachbarschaft“ zu Tatbeständen wie „Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei“ (§ 84) oder „Agententätigkeit zu Sabotagezwecken“ (§ 87).
Auffällig ist auch, dass andere Verfassungsorgane wie etwa die Bundeskanzlerin keinen vergleichbaren Schutz ihrer Ehre genießen. Dabei macht sich die Regierungschefin durch die Ausübung ihrer Richtlinienkompetenz nach Art. 65 GG oder durch andere Amtsgeschäfte viel angreifbarer als der Bundespräsident, der mit vergleichsweise wenigen Kompetenzen ausgestattet ist.
Lediglich §188 StGB trägt im Rahmen der allgemeinen Beleidigungsdelikte der Bedeutung der Bundeskanzlerin und anderer Personen des politischen Lebens Rechnung (Kindhäuser, § 188 Rn.1). Der Tatbestand ist allerdings enger gefasst als der von §90 StGB. Verlangt wird, dass die Tat geeignet ist, das öffentliche Wirken des Beleidigten erheblich zu erschweren. Außerdem muss die Tat aus Beweggründen begangen werden, „die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen“. Diese engen Voraussetzungen verlangt die Vorschrift zum Schutz des Bundespräsidenten nicht.
Wenn dieser vergleichsweise geringe Schutz für die Bundeskanzlerin und andere politische Mandatsträger ausreicht, dann sollte es erst recht möglich sein, den Bundespräsidenten durch § 188 zu schützen.
In der aktuellen Fassung von § 90 StGB ist die Amtsstellung als Bundespräsident von der Privatperson des Amtsinhabers jedenfalls während der Amtszeit nicht zu trennen. §90 dürfte die einzige Norm sein, die den privaten Ehrenschutz einer Person mit dem Schutz der Bundesrepublik Deutschland als freiheitlichen Rechtsstaat untrennbar verbindet. Die Grundidee ist, dass verfassungsfeindliche Kräfte das Vertrauen in die freiheitlich-demokratische Grundordnung untergraben, indem sie die Organe des Staates- und vor allem den Bundespräsidenten- lächerlich machen. Diese Grundidee erscheint aber bei einer weiteren Betrachtung nicht sonderlich stabil: Solange der demokratische Staat nicht schwächelt, stellt ein Angriff auf den Bundespräsidenten keine Bedrohung für den Bestand des Staates dar. Wenn der demokratische Staat aber in einen Zustand gerät, indem er nicht mehr gefestigt ist, wird die Existenz von § 90 StGB den Staat kaum noch schützen können.
Somit kann § 90 StGB dem Zweck seiner Existenz kaum gerecht werden. Die Vorschrift könnte nur noch ausreichen um zu zeigen, dass „der Staat sich nicht alles bieten lässt“. Dafür reicht § 188 StGB aber aus. Kurzum: Der Bundespräsident ist eben auch nur ein Mensch. Das sollte auch das StGB zur Kenntnis nehmen.
Für den „kreativen“ Facebook-Nutzer wäre dies jedenfalls kein Vorteil: Auch § 188 StGB droht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Monaten an.