Mehrpersonenverhältnisse im Bereicherungsrecht
Der nachfolgende Gastbeitrag stammt von Marc Alberding. Der Autor fasst den äußerst examensrelevanten Themenkomplex der Mehrpersonenverhältnisse im Bereicherungsrecht zusammen.
I. Einleitung
Dieser Beitrag soll eine examensrelevante Materie behandeln, die vielen Studenten große Schwierigkeiten bereitet und (zu Unrecht) ein Schreckgespenst ist: die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung innerhalb von Mehrpersonenverhältnissen. Hier geht es nicht um die Rückabwicklung fehlgeschlagener Verträge zwischen nur zwei Parteien, sondern es handelt sich zumeist um ein Dreiecksverhältnis. Auf den ersten Blick mag es sich um einen nebulösen Themenkomplex handeln, doch wenn ein solides Verständnis für die Grundfälle und die maßgeblichen Wertungen innerhalb bereicherungsrechtlicher Mehrpersonenverhältnisse geschaffen wird, so lassen sich diese Klausuren sehr gut meistern. Es ist nicht Ziel dieses Beitrags, möglichst viele problematische Mehrpersonenverhältnisse aufzuzeigen und einer Lösung zuzuführen. Dies wäre auch überhaupt nicht zielführend, denn wer nur Ergebnisse lernt, nicht aber die dahinterstehenden Wertungen, der wird sich in Grenzfällen schnell „aus der Klausur schreiben“. Ziel ist es deshalb vielmehr, Examenskandidaten die grundlegenden Werkzeuge und ein grundlegendes Verständnis an die Hand zu geben, um Grundfälle und insbesondere die problematischen Mehrpersonenverhältnisse sicher lösen zu können, ohne eine unüberschaubare Vielzahl verschiedenster Fälle auswendig zu lernen.
Grundkenntnisse im Bereicherungsrecht, insbesondere des Aufbaus der condictio indebiti (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB) und der Nichtleistungskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 2 BGB) werden im Folgenden vorausgesetzt.
II. Das sog. „Subsidiaritätsdogma“ und der moderne Leistungsbegriff
Geht es nun um die Rückabwicklung innerhalb von Mehrpersonenverhältnissen, so fällt zumeist sofort der Begriff des sog. „Subsidiaritätsdogmas“ bzw. der „Vorrang der Leistungsbeziehungen“. Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass es sich hierbei nicht um einen stur anzuwendenden, allgemeingültigen und apodiktischen Lehrsatz handelt, sondern vielmehr um eine bloße Grundformel, welche die maßgeblichen Wertungen zusammenfasst und den meisten Fällen einer interessengerechten Lösung zuführt.
Was aber besagt nun dieses ominöse „Subsidiaritätsdogma“? Ganz einfach: eine Nichtleistungskondiktion aus § 812 I 1 Alt. 2 scheidet grundsätzlich aus, wenn bezüglich ein und desselben Bereicherungsgegenstandes eine Leistung vorliegt. Dieser Satz ist den meisten Studenten bekannt. Aber warum ist das überhaupt so? Den Grund dafür werdet ihr später erfahren.
Zuvor kommen wir noch zu dem zweiten wichtigen Zugangsschlüssel zur Lösung von Mehrpersonenverhältnissen: der moderne Leistungsbegriff.
Eine Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens (sog. doppelte Finalität); nicht notwendigerweise die Minderung des eigenen Vermögens.
Anknüpfungspunkt des modernen Leistungsbegriffs ist dabei das verfolgte Erfüllungsziel: Zweck der Leistung ist regelmäßig die Tilgung einer Verbindlichkeit im Valutaverhältnis, z.B. einer Kaufpreisschuld. Die Zweckbestimmung, welche Tilgungsbestimmung ist, ist also entscheidendes Merkmal für das Leistungsverhältnis: sie ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung (§ 130), welche aus der Sicht eines verständigen Empfängers (§§ 133, 157) auszulegen ist. Stellt sich die Zuwendung also aus Sicht des Empfängers als Erfüllung der Verbindlichkeit im Valutaverhältnis dar, so liegt grundsätzlich eine Leistung vor; die Nichtleistungskondiktion ist dann grundsätzlich gesperrt, d.h. es muss nach § 812 I 1 Alt. 1 im jeweiligen Leistungsverhältnis abgewickelt werden.
III. Grundfälle
Vanuschka (V) veräußert eine bewegliche Sache an Kashaja (K). K veräußert die Sache an Dieter-Detlef (D).
1. Der Kaufvertrag zwischen V und K ist ex tunc nichtig. Welche Ansprüche stehen V zu?
Ein Anspruch gegen D aus § 985 scheidet aus, da K bereits durch Übereignung an K gem. § 929 S. 1 das Eigentum verloren hat. Ein Anspruch gegen D aus Leistungskondiktion gem. § 812 I 1 Alt. 1 scheidet ebenfalls aus. Grund: D hat Sache nicht durch Leistung der V, sondern der K erhalten. In Betracht kommt also nur noch ein Anspruch gegen D aus Nichtleistungskondiktion gem. § 812 I 1 Alt. 2. Aber auch dieser Anspruch scheidet aus, da D nichts „auf Kosten“ der V erlangt hat: denn Erwerb „auf Kosten“ des Anspruchstellers setzt voraus, dass unmittelbar aus seinem Vermögen erworben wurde. Hier hat D aber Eigentum und Besitz unmittelbar aus dem Vermögen der K erworben.
In Frage kommt also nur ein Anspruch gegen K aus § 812 I 1 Alt. 1. Dieser ist auch unproblematisch zu bejahen: K hat Eigentum und Besitz durch Leistung der V erlangt und dies sine causa, da der Kaufvertrag ex tunc nichtig war. Somit schuldet K grundsätzlich Herausgabe des Wertersatzes gem. § 818 II, da die Herausgabe in natura unmöglich ist.
Dieser Fall ist also ganz einfach anhand strikter Gesetzeslektüre zu lösen, eines Rückgriffs auf das „Subsidiaritätsdogma“ bedarf es hier gar nicht.
2. Wie oben, nur ist hier das erste dingliche Geschäft ebenfalls unwirksam; D hat davon aber keine Kenntnis.
Der Unterschied ist hier nun, dass K nicht Eigentümer geworden ist und damit ggü. D als Nichtberechtigte aufgetreten ist. Auch hier scheiden zwar wieder Ansprüche der V gegen D aus §§ 985, 812 I 1 Alt. 1 (und auch § 816) aus, interessant wird es aber bei der Prüfung von § 812 I 1 Alt. 2: D hat Etwas erlangt, und zwar Besitz und Eigentum. Dies auch in anderer Weise als durch Leistung der V. Zumindest das Eigentum hat D unmittelbar aus dem Vermögen der V erlangt, weil V das Eigentum erst durch die Übereignung von K an D verloren hat (vgl. § 932 I). Dies geschah auch ohne rechtlichen Grund.
Es sieht nun also so aus, als könnte V direkt von D die Sache gem. § 812 I 1 Alt. 2 kondizieren. Aber Moment mal: das „Subsidiaritätsdogma“ besagt doch, dass eine Nichtleistungskondiktion ausscheidet, wenn bezüglich ein und desselben Bereicherungsgegenstandes eine Leistung vorliegt. Und dies ist auch der Fall: K hat das Vermögen der D durch die Zuwendung der Sache bewusst und zweckgerichtet gemehrt. Darauf, dass er sein eigenes Vermögen mangels Eigentümerstellung nicht gemindert hat, kommt es nicht an. Damit liegt also eine Leistung im Verhältnis K – D vor; nach dem „Subsidiaritätsdogma“ scheidet eine Direktkondiktion im Verhältnis V – D mithin aus, es ist im Verhältnis V – K abzuwickeln, zack, fertig. Das könnt ihr so schreiben. Solltet ihr aber nicht. Denn genau hier liegt der Fehler, den leider viele Studenten machen. Bei dem „Dogma“ handelt es sich gerade nicht um eine allgemeingültige Regel, sondern vielmehr nur um eine Grundformel. Daher solltet ihr euch nicht hinter leeren Phrasen verstecken, sondern das Ergebnis auch wertungsmäßig begründen: die Tatsache, dass eine Nichtleistungskondiktion wegen des Vorrangs der Leistungskondiktion ausscheidet, ist nicht besonders überzeugend und wird auch vom Korrektor sicher nicht honoriert. Interessant und vor allem punktebringend ist doch vielmehr die Frage, warum in diesem Fall die Leistungskondiktion den Vorrang verdient, d.h. warum sich V ausschließlich an K zu halten hat.
Und diese Begründung lässt sich in diesen Fällen ganz einfach direkt aus den gesetzlichen Wertungen entnehmen:
- Wertung des § 932 I BGB:
932 I ersetzt die fehlende Veräußerungsbefugnis durch die Gutgläubigkeit auf Erwerberseite. Dies dient vor allem der Rechtssicherheit, denn derjenige, der durch Übergabe und Übereignung eine bewegliche Sache erwirbt und keinen Grund hat, am Eigentum des Veräußerers zu zweifeln (vgl. § 1006 I), soll sich auch darauf verlassen können, dass er Eigentümer wird (in den Grenzen des § 935). Mit dieser Sicherheit wäre es allerdings nicht weit her, wenn er dennoch fürchten müsste, einem Kondiktionsanspruch ausgesetzt zu sein, der gerade dort ansetzt, was § 932 I eigentlich überwinden möchte: die fehlende Veräußerungsbefugnis. Kurzum: der gutgläubige Erwerb darf durch eine Durchgriffskondiktion nicht „aus den Angeln gehoben werden“. Deshalb muss eine Nichtleistungskondiktion subsidiär bleiben. - Wertung des § 816 I 2 BGB
816 I 2 ist ein spezieller Durchgriffsanspruch im Falle einer Verfügung eines Nichtberechtigten. Er stellt eine Art „Vindikationsersatzanspruch“ dar. Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass in diesem Fall der Durchgriff auf den gutgläubigen Erwerber aber nur in einem besonderen Fall zugelassen wird: im Falle der Unentgeltlichkeit der Verfügung. Im Umkehrschluss lässt sich also darauf schließen, dass dies in allen anderen Fällen nicht möglich sein soll. Denn griffe man in allen anderen Fällen einfach auf die Nichtleistungskondiktion zurück, wäre diese Regelung schlicht überflüssig.
Deutlicher wird dies insbesondere in folgenden Fällen:
3. K hat die Sache an den gutgläubigen D nun nicht entgeltlich veräußert, sondern verschenkt. Sowohl das schuldrechtliche, als auch das dingliche Geschäft zwischen V und K sind unwirksam. Ansprüche des V?
Auch hier scheiden wieder Ansprüche V – D aus §§ 985, 812 I 1 Alt. 1 aus. Aber hier lässt das Gesetz den Durchgriff von V auf D ausdrücklich zu: Gem. § 816 I 2 kann V die Sache direkt von D herausverlangen.
4. Wie 3., aber hier ist nur der schuldrechtliche Vertrag zwischen V und K unwirksam.
Hier scheitert § 816 I 2 daran, dass K aufgrund des wirksamen Veräußerungsgeschäftes Eigentümer geworden ist und damit gegenüber D auch als Berechtigte verfügt hat. Es scheint also so, als wäre ein Durchgriff von V auf D nun aufgrund des „Vorrangs der Leistungsbeziehungen“ ausgeschlossen, denn D hat die Sache ja durch Leistung der K (!) erlangt. Doch wenn man glaubt es geht nichts mehr, dann kommt von irgendwo der § 822 her: Die Empfängerin K hat das Erlangte unentgeltlich einem Dritten (dem D) zugewendet, wobei infolge dieser Zuwendung die Verpflichtung der K zur Herausgabe der Bereicherung gem. § 818 III ausgeschlossen ist, da ihr aufgrund der unentgeltlichen Weitergabe kein vermögenswertes Äquivalent für die Sache zugeflossen ist, sie also entreichert ist. Gem. § 822 ist der Dritte zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn er die Zuwendung von dem Gläubiger (der V) ohne rechtlichen Grund erhalten hätte.
Damit lassen sich an dieser Stelle bereits folgende Wertungen feststellen: Nur in bestimmten Ausnahmefällen (und nur dort!) lässt das BGB eine Durchgriffskondiktion ausdrücklich zu: nämlich im Falle der Unentgeltlichkeit des Erwerbs, §§ 816 I 2, 822. E contrario ist die Direktkondiktion in allen anderen Fällen grundsätzlich versperrt und das BGB möchte innerhalb der jeweiligen Leistungsbeziehungen abwickeln. Nach der gesetzlichen Wertung ist also der unentgeltliche Erwerb schwächer und der Empfänger nur in sehr eingeschränktem Maße schutzwürdig. Deshalb ist in diesen Fällen die Leistungsbeziehung vorrangig.
IV. Problemfälle
1. Anweisungs- bzw. Durchlieferungsfälle
Zum besseren Verständnis sollte man sich in den Anweisungs- bzw. Durchlieferungsfällen zunächst die Rechtsbeziehungen klar machen. Kennzeichnend für solcherlei Dreieckskonstellationen ist, dass der Zweck der Leistung nicht das Verhältnis der Parteien betrifft, unter denen die Zuwendung unmittelbar erfolgt. Um die jeweiligen Rechtsbeziehungen plastischer zu gestalten und besser verstehen zu können, ist ein Vergleich mit dem Vertrag zugunsten Dritter (§ 328) hilfreich. Denn dort wie hier bestehen dreierlei Rechtsbeziehungen:
a) Das Deckungsverhältnis, welches in einem Anweisungsverhältnis besteht. Bei Banküberweisungen ist dies regelmäßig ein Girovertrag gem. § 675f.
b) Das Valutaverhältnis: Aus diesem Verhältnis zwischen Anweisendem und Leistungsempfänger ergibt sich der wirtschaftliche Gegenwert („Valuta“) der jeweiligen Transaktion, z.B. eine Kaufpreisverbindlichkeit aus § 433 II.
c) Das Zuwendungs- bzw. Vollzugsverhältnis: Hier erfolgt regelmäßig eine Aufwendung eigener Vermögenswerte durch den Angewiesenen an den Leistungsempfänger.
Nun folgender erster Fall:
Volkhilde (V) verkauft ein Grundstück an Kunigunde (K). K verkauft das Grundstück weiter an Dietbrand (D). Auf Anweisung der K lässt die V das Grundstück unmittelbar an D auf und überträgt ihm den Besitz. D wird als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Der Kaufvertrag zwischen V und K ist nichtig. Welche Ansprüche hat V?
Ein Anspruch der V gegen D nach § 985 scheidet aus, da V dem D wirksam Eigentum am Grundstück übertragen hat, §§ 873 I, 925 I. Fraglich ist aber, ob V von D gem. § 812 I 1 Alt. 1 (condictio indebiti) Besitz und Eigentum am Grundstück kondizieren kann.
D hat etwas erlangt, nämlich Besitz und Eigentum am Grundstück. Die große Frage ist nun, ob dies auch durch Leistung der V geschah. Viele würden das jetzt vorschnell bejahen, da V ja direkt an D übereignet hat – aber Vorsicht! Zunächst sollten wir uns noch einmal die Definition der Leistung entsprechend dem modernen Leistungsbegriff ins Gedächtnis rufen:
Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens; nicht notwendigerweise die Minderung des eigenen Vermögens.
Wie bereits oben dargestellt, ist die Zweckbestimmung entscheidendes Merkmal für das Leistungsverhältnis. Und dieser Leistungszweck ist gem. §§ 133, 157 aus der objektivierten Sicht des Empfängers zu bestimmen. Aus Sicht des D stellte sich die Übereignung jedoch nicht als eine Leistung der V dar, da er zu ihr keinerlei kausale Rechtsbeziehungen hatte. Vielmehr handelte es sich für D um eine Zuwendung der K, welche ihre Pflicht zur Übereignung des Grundstücks aus dem Kaufvertrag mit D gem. § 433 I 1 erfüllen wollte. Die Auslegung ergibt also, dass sich die Zuwendung durch V für D als eine Leistung der K darstellt, nicht aber der V. V hat deswegen keinen Anspruch gegen D auf Rückübereignung und Rückübertragung des Besitzes gem. § 812 I 1 Alt. 1.
Das wirkt nun auf den ersten Blick etwas verwirrend, da die bereicherungsrechtlichen Leistungen nicht zwingendermaßen auch den Güterbewegungen entsprechen müssen. Vielmehr orientiert sich der moderne Leistungsbegriff gerade an den mit der Zuwendung verfolgten Erfüllungszielen, die sich nicht mit den Güterbewegungen decken müssen. Insofern ist eben nicht immer entsprechend den Güterbewegungen rückabzuwickeln. Warum das so ist und wieso das sinnvoll ist, werdet ihr sogleich erfahren.
Nun prüfen wir weiter mit dem Anspruch aus Nichtleistungskondiktion gem. § 812 I 1 Alt. 2 der V gegen D. Hier lägen auch alle Voraussetzungen vor: D hat Eigentum und Besitz am Grundstück erlangt, dies geschah auch ohne Rechtsgrund in anderer Weise als durch Leistung der V (nämlich durch Leistung des K) und auf Kosten der V, da D Eigentum und Besitz unmittelbar aus dem Vermögen der V erwarb. Allerdings könnte der Anspruch mal wieder am „Subsidiaritätsdogma“ scheitern – und jetzt bitte nicht wieder einfach mit einem Verweis auf den „Vorrang der Leistungsbeziehungen“ aufhören. Stellt euch hier wieder einmal die Frage, wozu es führen würde, wenn V dennoch direkt von D kondizieren könnte:
- Verlust von Einreden und Einwendungen
Würde D nun trotzdem das Grundstück an V herausgeben müssen, so sähe er sich einem Gläubiger ausgesetzt, den er sich privatautonom überhaupt nicht ausgesucht hat und zu welchem er keinerlei schuldrechtliche Verbindung hat. D hat zwar immer noch einen wirksamen Kaufvertrag zu dem Partner, welchen er sich schuldrechtlich ausgesucht hat (nämlich K), allerdings wird dieses Verhältnis nun durch eine Intervention „von außen“ gestört. Das führt schließlich dazu, dass D dem Herausgabeverlangen der V mangels Vertragsbeziehung auch keine Einwendungen und Einreden entgegensetzen kann, insbesondere hat er kein Zurückbehaltungsrecht am Grundstück (§ 273 I)! Damit müsste D das Grundstück an V herausgeben und trüge dann mangels Zurückbehaltungsrecht die Unsicherheit, von K den Kaufpreis zurückzuerhalten.
- Unsachgerechte Verteilung von Insolvenzrisiken
Eine Direktkondiktion würde auch zu einer unsachgemäßen Verteilung von Insolvenzrisiken führen, die ebenfalls dem Grundsatz der Privatautonomie widersprechen würde. Denn auf der einen Seite trägt V nun das Insolvenzrisiko des D, welchen sie sich schuldrechtlich nicht als Vertragspartner ausgesucht hat. Auf der anderen Seite trägt D ein erhöhtes Insolvenzrisiko gegenüber der K, weil er aufgrund der Herausgabe des Grundstücks an V dieses nicht mehr als Sicherheit für den Rückzahlungsanspruch des Kaufpreises hat. Ihr seht also, eine Direktkondiktion führt auch zu einer völlig unsachgemäßen Verteilung der Insolvenzrisiken. Grundsätzlich soll aber jede Partei nur die Insolvenzrisiken ihres jeweiligen Vertragspartners tragen und nicht fremde Insolvenzrisiken auf das „Auge gedrückt bekommen“.
- Unsachgerechte Verteilung von Prozessrollen
Auch prozessrechtlich gesehen würde dies zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Da die Vertragsstörung nur zwischen V und K eingetreten ist, sollte D möglichst aus einem Prozess zwischen diesen beiden herausgehalten werden. Denn V kann gegenüber D alles Mögliche behaupten und aufgrund eines angeblich nichtigen Kaufvertrages zwischen ihr und K das Grundstück herausverlangen, doch woher soll D die Rechtsverhältnisse zwischen V und K kennen? In einem solchen Fall wäre sie im Prozess auf deren Informationen angewiesen, wobei sie allerdings keine objektiven Erkenntnisse erwarten kann, da wohl weder V noch K ein großes Interesse am Schicksal von D haben, sondern einfach ihren nichtigen Vertrag rückabwickeln wollen. Auch aus diesem Grund sollte D aus der Rückabwicklung herausgehalten werden; ein Prozess sollte ausschließlich zwischen den Parteien geführt werden, zwischen denen die Vertragsstörung eingetreten ist: und das sind nur V und K.
2. Fälle des Doppelmangels
Wie oben 1., allerdings sind sowohl der Kaufvertrag zwischen V und K, als auch der Kaufvertrag zwischen K und D nichtig. Ansprüche der V?
Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob eine Direktkondiktion der V gegen D möglich ist. Dies ist jedoch aus den gleichen Gründen wie oben zu verneinen: Verlust von Einreden und Einwendungen, unsachgemäße Verteilung von Insolvenzrisiken und Prozessrollen. Aus diesem Grund ist auch in diesem Fall wieder entlang der Leistungsketten zu kondizieren. Das bedeutet, dass K der V grundsätzlich das Eigentum am Grundstück gem. § 812 I 1 Alt. 1 herausgeben muss. Dies kann er aber nicht, da die Übereignung an D wirksam ist, daher hat sie gem. § 818 II Wertersatz zu leisten, wobei sie aber bis auf den verbleibenden Bereicherungsanspruch gegen D entreichert ist. Damit kann V von K nur Abtretung seines Kondiktionsanspruches gegen D verlangen (sog. „Kondiktion der Kondiktion“ oder „Doppelkondiktion“). Unproblematisch ist diese Lösung freilich keineswegs, denn sie führt bei V nun zu einer Kumulation von Einwendungen und Insolvenzrisiken: sie hat nun nicht nur das Insolvenzrisiko ihrer Vertragspartnerin K zu tragen, sondern auch das des D; insbesondere kann D auch der V die Einwendungen entgegensetzen, die er gegen den Bereicherungsanspruch der K hatte, § 404! Allerdings ist das nun einmal die unangenehme Folge der Entreicherung: der Bereicherungsgläubiger muss eben das nehmen, was beim Bereicherungsschuldner noch vorhanden ist.
3. Banküberweisungsfälle
Vyacheslav (V) verkauft dem kecken Kinulph (K) eine Sammlung wertvoller Pokémon-Karten der 1. Auflage zu einem Spottpreis von 750.000 EUR. K weist seine Bank Betrüger & Bart (B) dazu an, V den genannten Betrag zu überweisen. Welche Ansprüche hat B, wenn der Kaufvertrag zwischen K und V unwirksam ist?
Eine Leistungskondiktion der B gegen K gem. § 812 I 1 Alt. 1 scheidet auch hier wieder aus folgendem Grund aus: aus der objektivierten Sicht des Zahlungsempfängers V stellt sich die Zuwendung nicht als eine eigene Leistung der B dar, sondern des K, der seine Kaufpreisverbindlichkeit gegenüber V tilgen möchte (die Tilgungsbestimmung ergibt sich regelmäßig aus dem Verwendungszweck auf dem Überweisungsträger!).
Daher ist wieder eine Nichtleistungskondiktion der B gegen K gem. § 812 I 1 Alt. 2 zu prüfen. Diese ist auch grundsätzlich wieder zu bejahen: V hat einen Auszahlungsanspruch gem. §§ 780, 781 gegen seine Bank erlangt, diesen ohne Rechtsgrund auf andere Weise als durch Leistung der B. Da die Bank eigene Vermögenswerte aufgewendet hat, geschah dies auch unmittelbar aus ihren Vermögen, d.h. auf ihre Kosten. Und richtig geraten, auch hier scheitert die Direktkondiktion der Bank wieder aus oben genannten Gründen: V kann der Bank mangels Rechtsbeziehungen keine Einwendungen und Einreden entgegenhalten, die Bank hat das Insolvenzrisiko von V zu tragen etc. pp.
4. Ausnahmen
Schließlich gibt es auch Fälle, in denen trotz des (scheinbaren) Vorliegens einer Leistung der Subsidiaritätsgrundsatz nicht anwendbar ist. Auch hier müsst ihr wieder die gesetzlichen Wertungen im Auge behalten, insbesondere die Wertungen der Normen zum Zwecke des Schutzes Geschäftsunfähiger bzw. beschränkt Geschäftsfähiger. Zur Illustration:
Wie oben 3a). Der Kaufvertrag mit V ist wirksam, doch K wird nach dem Abschluss unerwartet geisteskrank. Dennoch erteilt er seiner Bank die Weisung, V den Kaufpreis zu überweisen.
Aus der Sicht des V stellt sich die Zuwendung der B zwar durchaus als Leistung des K dar, allerdings fehlt es in diesem Fall nun auf Seiten des K wegen der fehlerhaften Anweisung im Deckungsverhältnis an einer auf seinen Willen (bewussten!) zurückgehenden Zuwendung mit Zwecksetzung. Zwar übermittelt B eine „Erklärung“ des K, die aus der Sicht des V auch wie eine Tilgungsbestimmung aussieht, allerdings sind diese Erklärung und ihre rechtsgeschäftlichen Folgen dem K wegen § 105 I nicht zurechenbar. Würde man nun streng genommen das „Subsidiaritätsdogma“ anwenden, so müsste sich B trotz des nichtigen Deckungsverhältnisses an den geisteskranken K halten, da aus Sicht des V eine Leistung vorliegt. Das würde jedoch dazu führen, dass K faktisch an eine Anweisung gebunden wird, die aber zu seinem Schutz gem. § 105 I eigentlich nichtig sein soll. Derjenige, der rechtsgeschäftlich nichts zurechenbar veranlasst hat, soll also auch nicht von den Folgen des Rechtsgeschäfts betroffen werden und ist mithin aus der Rückabwicklung herauszuhalten (sog. Veranlassungsargument). Das gleiche gilt freilich für Minderjährige (§§ 106, 108). In diesen Fällen geht der Schutz von Geschäftsunfähigen bzw. beschränkt Geschäftsfähigen dem Schutz des gutgläubigen Empfängers vor.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Fall, in welchem die Anweisung vom Zahler widerrufen worden ist. Dieser Fall ist nach der jüngsten Entscheidung des BGH (BGH, NJW 2015, 3093 ff.) wie der eben dargestellte zu behandeln, wo ein Geschäftsunfähiger eine Anweisung erteilt. Denn auch hier hat die Bank einen Anspruch gegen den Zahlungsempfänger aus Direktkondiktion. Der BGH begründet dies aufgrund der Wertungen des § 675u S. 1. Ausgangspunkt sei § 675j: im Vordergrund steht hier die Autorisierung durch den Zahler, welche insoweit die Empfängerperspektive überlagere. Der Gesetzgeber bringe hier zum Ausdruck, dass die Sichtweise des Zahlungsempfängers nicht maßgeblich für die Lösung entsprechender Fallkonstellationen sein kann (insbesondere nicht die Abhängigkeit davon, ob er gut- oder bösgläubig ist). Ein Zahlungsvorgang im Anwendungsbereich der §§ 675c ff. könne also ohne Autorisierung bereits überhaupt nicht als Leistung zugerechnet werden, unabhängig davon, ob der Zahlungsempfänger Kenntnis von der fehlenden Autorisierung hatte oder nicht. Mangels Tilgungsbestimmung im Valutaverhältnis (deren Botin die Bank ist) hat der Zahlungsvorgang keine Erfüllungswirkung und kann auch im Deckungsverhältnis nicht als Leistung der Bank an den Zahler angesehen werden.
V. Schlussbemerkungen
Zum Abschluss sollen noch einmal die maßgeblichen Wertungen, die hinter dem „Subsidiaritätsdogma“ stecken, zusammengefasst werden:
- 932 I: Kondiktionsfestigkeit des gutgläubig erworbenen Eigentums
- § 816 I 2, 822: Durchgriff nach der gesetzlichen Wertung nur im Falle der Unentgeltlichkeit des Erwerbs, da schwächere Rechtsposition. Im Umkehrschluss soll in allen anderen Fällen ein Durchgriff unterbleiben.
- Eine Direktkondiktion darf nicht zu einem Verlust von Einreden und Einwendungen auf Seiten des Kondiktionsschuldners führen.
- Eine Direktkondiktion darf nicht zu einer unsachgemäßen Verteilung der Insolvenzrisiken führen, insbesondere soll jeder nur mit den Insolvenzrisiken desjenigen Vertragspartners belastet werden, welchen er sich privatautonom ausgesucht hat.
- Eine Direktkondiktion darf nicht zu einer unsachgemäßen Verteilung der Prozessrollen führen. Ein Prozess soll grundsätzlich nur zwischen den Parteien geführt werden, zwischen denen die Vertragsstörung aufgetreten ist; Dritte sind herauszuhalten.
Noch ein Hinweis zum Prüfungsaufbau: ihr könnt zunächst eine Direktkondiktion aus § 812 I 1 Alt. 1 durchprüfen und nachdem ihr das grundsätzliche Vorliegen aller Voraussetzungen bejaht habt danach fragen, ob diese im vorliegenden Fall nicht doch ausscheidet. Und dies, wie ihr gesehen habt, bitte nicht mit einem einfachen Hinweis auf den Vorrang der Leistungsbeziehungen, sondern begründet bitte, warum in diesem Fall eine Direktkondiktion ausscheiden muss bzw. warum in diesem Fall innerhalb der Leistungsbeziehungen rückabzuwickeln ist.
Und schließlich: Der Grundsatz des Vorrangs der Leistungsbeziehungen ist nur ein Grundsatz. Er ist bitte nicht blind anzuwenden, sondern das Ergebnis sollte immer wertungsmäßig überprüft werden. In manchen Fällen führt die sture Anwendung dieses Subsidiaritätsgrundsatzes nicht zu befriedigenden Ergebnissen, weshalb in diesen Fällen, trotz des Vorliegens einer Leistung, ein Durchgriff ausnahmsweise möglich sein muss (Geschäftsunfähigkeit etc.). Ob der Bereicherungsgegner den Gegenstand durch die Leistung eines anderen erhalten hat oder nicht, kann alleine nicht ausschlaggebend sein.
Mit dem nun erworbenen Verständnis solltet ihr nun in der Lage sein, komplexere bereicherungsrechtliche Mehrpersonenverhältnisse sauber und vertretbar zu lösen, ohne in der Klausursituation in Panik zu geraten.
„Vanuschka (V) veräußert eine bewegliche Sache an Kashaja (K). K veräußert die Sache an Dieter-Detlef (D).
1. Der Kaufvertrag zwischen V und K ist ex tunc nichtig. Welche Ansprüche stehen V zu?
Ein Anspruch gegen D aus § 985 scheidet aus, da K bereits durch Übereignung an K gem. § 929 S. 1 das Eigentum verloren hat. Ein Anspruch gegen D aus Leistungskondiktion gem. § 812 I 1 Alt. 1 scheidet ebenfalls aus. Grund: D hat Sache nicht durch Leistung der V, sondern der K erhalten. In Betracht kommt also nur noch ein Anspruch gegen D aus Nichtleistungskondiktion gem. § 812 I 1 Alt. 2. Aber auch dieser Anspruch scheidet aus, da D nichts „auf Kosten“ der V erlangt hat: denn Erwerb „auf Kosten“ des Anspruchstellers setzt voraus, dass unmittelbar aus seinem Vermögen erworben wurde. Hier hat D aber Eigentum und Besitz unmittelbar aus dem Vermögen der K erworben.“
Angesichts benannter ex tunc Wirkung kann man das so nicht stehen lassen. V bleibt Eigentümer, D erwirbt dann – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – nach §§ 929 S.1, 932 I 1. Die Nichtleistungskondiktion würde in diesem Fall nicht nicht am Merkmal „auf Kosten“ des V scheitern, sonder am Subsidaritätsdogma scheitern….Jetzt kommen die im weiteren Verlauf gefragten zivilrechtlichen Wertungen ins Spiel…
bitte löschen 😀
Beispielsfall: V veräußert an K, K an D. Der Kaufvertrag zwishen V und K it ex tunc nichtig. Zudem die Übereignung. D hat keine Kenntnis.
Mit weiter erwägenswürdig kann dabei noch sein: wenn K kein Eigentum erlangt, kann ihm bei Weiterveräußerung ein Irrtums-Anfechtungsrecht gemäß § 119 BGB gegenüber einem Dritterwerber (D) erwachsen. Dies Anfechtungsrecht kann er an den ursprünglichen Eigentümer (V) bereicherungsrechtlich mit herauszugeben haben. Eigentum beim Dritterwerber kann damit noch indirekt (durch den urspünglichn Eigentümer V) angreifbar erscheinen. Ein Direktherausgabeanspruch von V etwa aus § 985 BGB gegen einen Dritterwerber D kann daher u.U. nur bedingt ausschließbar sein.
zu III. Grundfälle:
da K bereits durch Übereignung an K gem. § 929 S. 1 das Eigentum verloren hat.
–> hier müsste es heißen: “ da V bereits …. an K … verloren hat“. (hier wird es sich wohl nur um einen Tippfehler handeln)
zu IV. Problemfälle / 3. Banküberweisungsfälle
bei dem o.g. Beispielsfall gehen in der Lösung sämtliche Personen (bzw. Buchstaben) durcheinander.
Leistungskondiktion der B gegen K??? Falls eine solche wirklich gemeint sein sollte, so läge eben doch eine Leistung im Deckungsverhältnis vor. Denn der Anweisende wird durch die Ausführung des Zahlungsvorgangs durch die Bank von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Zahlungsempfänger befreit, § 362. Eine Leistung B an K läge somit vor. Die Kondiktion würde jedoch daran scheitern, dass wegen der Autorisierung ein Rechtsgrund für B bestand.
Sinnvoll wäre in diesem Beispiel eine Kondiktion der B gegen V bzw. des K gegen V. Da sich der Beitrag schwerpunktmäßig mit dem „Vorrang der Leistungskondiktion“ beschäftigt, gehe ich davon aus, dass eine Kondiktion der B gegen V gemeint sein wird (Leistung (-) –> Nichtleistungskondiktion i.E. auch (-)).
Ferner stellt sich mir noch folgende Frage:
„Noch ein Hinweis zum Prüfungsaufbau: ihr könnt zunächst eine Direktkondiktion aus § 812 I 1 Alt. 1 durchprüfen“
Müsste es hier nicht heißen „Direktkondiktion aus 812 I 1 Alt 2“ ?? Denn wenn doch gerade eine Leistung vorliegt (Alt. 1), so würde doch auch gerade in den Leistungsbeziehungen rückabgewickelt werden.
Die Kondiktion der Kondiktion wird nach hM nur bejaht, wenn der Schuldner des Bereicherungsschuldners nicht schutzwürdig ist (zB, wenn er die Unwirksamkeit des Valutaverhältnisses kannte). Andernfalls würden die Wertungen der Abwicklung in der jeweiligen Leistungsbeziehung über diese Konstruktion ausgehöhlt.
Ansonsten ein super Zusammenfassung!!
3. Banküberweisungsfälle
Vyacheslav (V) verkauft dem kecken Kinulph (K) eine Sammlung wertvoller Pokémon-Karten der 1. Auflage zu einem Spottpreis von 750.000 EUR. K weist seine Bank Betrüger & Bart (B) dazu an, V den genannten Betrag zu überweisen.
Welche Ansprüche hat B, wenn der Kaufvertrag zwischen K und V unwirksam ist?
Verstehe ich nicht!
Warum sollte B irgendwelche Ansprüche gegen K oder V haben, wenn das Valutaverhältnis unwirksam ist (Relativität!)? B leistet an K ordnungsgemäß aus dem Girovertrag (§ 675 f II) , indem er die Überweisung tätigt. Rechtsgrund ist die (Über-)Weisung i.R. des Zahlugnsdiensterahmenvertrags. Das Valutaverhältnis hat B doch überhaupt nicht zu interessieren. Durch die Überweisung leistet K and V (ohne Rechtsgrund, da Vertrags unwirksam). Der einzige, der hier einen Anspruch hat ist K gegen V aus § 812 I 1 Alt. 1, da er durch die Überweisung ohne Rechtsgrund bewusst und zweckgerichtet das Vermögen des V gemehrt hat (Leistung).
Oder habe ich hier den Sachverhalt nicht richtig verstanden? Wo liegt der fehler?