Vom endgültigen Tod der alternativen Klagehäufung
Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Dr. Timo Rosenkranz veröffentlichen zu können. Der Autor ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im gewerblichen Rechtsschutz im Hamburger Büro der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Er ist zudem als Autor für den „Blog CMS“ tätig. Bei dem hier veröffentlichten Gastbeitrag handelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Version eines Beitrags aus dem CMS-Blog.
Die alternative Klagehäufung
Referendare wissen es besser. Wer strikt nach gesundem Menschenverstand und der klaren Linie der einschlägigen Ausbildungsliteratur (etwa Anders/Gehle, 9. Aufl., J 13, K 17) vorgeht, wäre nie auf die Idee gekommen, dass die sog. „alternative Klagehäufung“ zulässig sein könnte. Würde sie es doch dem Gericht ermöglichen, eine Entscheidung zu treffen, bei der die Parteien über die Reichweite der Rechtskraftwirkung im Unklaren blieben. Dennoch sah der 1. Zivilsenat des BGH es im Gewerblichen Rechtsschutz (Markenrecht, Wettbewerbsrecht u.a.) jahrzehntelang anders.
Die Entscheidung des BGH
Aber plötzlich hatte man nun ein Einsehen. Der 1. Zivilsenat des BGH hat unter dem 24. März 2011 nunmehr einen Hinweisbeschluss („TÜV“) verkündet, der zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen ist und sich instruktiv auch für die Examensvorbereitung (und eine Assessorexamensklausur?) eignet: Weil er die Geltung allgemeiner zivilprozessualer Grundsätze feststellt und diese dazu plastisch erläutert.
Worum geht es? Der BGH hat in casu festgestellt, dass die alternative Klagehäufung gegen § 253 II Nr. 2 ZPO verstößt. Bei der alternativen Klagehäufung leitet der Kläger ein einheitliches Klagebegehren aus mehreren prozessualen Ansprüchen (Streitgegenständen) her und überlässt dem Gericht die Auswahl, auf welchen Klagegrund es die Verurteilung stützt. Lehrbuchbeispiel ist der Klagantrag auf Zahlung von Euro 10.000,00, der alternativ auf Darlehen und Kaufvertrag gestützt wird. Im kennzeichenrechtlichen Streitfall ging die Klägerin aus drei verschiedenen Klagmarken und ihrem Unternehmenskennzeichen gegen eine Werbung der Beklagten vor. Dabei begründete sie ihre Ansprüche jeweils alternativ auf diese Schutzrechte, wobei sie die Auswahl des Schutzrechts, aus dem ein etwaiger Verbotstenor herzuleiten sei, in das Ermessen des Gerichts stellte.
Unter Bezugnahme auf zivilprozessuale Gerechtigkeitsüberlegungen hat der BGH nunmehr auch für den gewerblichen Rechtsschutz festgestellt, dass bei einer Klagehäufung ausschließlich eine kumulative oder eine gestaffelte (d.h. haupt- und hilfsweise) Geltendmachung verschiedener Streitgegenstände möglich ist. Nichts Anderes gilt im allgemeinen Zivilprozessrecht. Deswegen ist die Entscheidung äußerst instruktiv.
Praktische Konsequenzen
Man mag die Begründung des BGH im Allgemeinen für überzeugend halten oder nicht, jedenfalls in einstweiligen Rechtsschutzverfahren dürfte die neue Linie tatsächlich der Waffengleichheit der Parteien zuträglich sein: Hier wurden die Antragsgegner bisher häufig ohne Begründung und damit ohne Wissen darüber, auf welchen der alternativen Antragsbegründungen das Gericht denn die einstweilige Verfügung gestützt habe, zurückgelassen.
Die Rechtsprechung hat erhebliche Konsequenzen bei den Kosten und bei der Begründung des Gerichts, das spätestens im Rahmen der Kostenentscheidung Farbe bekennen muss. Auch die marken- und wettbewerbsrechtlichen Kläger beziehungsweise Antragssteller werden sich in allen neuen Verfahren – wenn nicht klar und eindeutig ein einziger Streitgegenstand vorliegt – mit der neuen Rechtsprechung befassen und im Zweifelsfall entweder kumulieren oder abstufen müssen. Stützt der Kläger seinen Antrag sodann gestaffelt und unter Angabe der Reihenfolge auf 5 Streitgegenstände, und greift nach Auffassung des Gerichts erst Streitgegenstand Nr. 5, so trägt der Kläger trotz Obsiegens unter Umständen 80 % der Kosten. Das Gericht kann in seiner Begründung nicht einen der fünf Streitgegenstände herausgreifen, sondern muss tatsächlich über Streitgegenstände Nr. 1, 2, 3 und 4 entscheiden, wenn es erst Nr. 5 für überzeugend hält. Insbesondere in EV-Verfahren, für die diese Grundsätze gleichfalls gelten, dürfte dies gravierende Auswirkungen haben.
Darüber hinaus wird die Abgrenzung mehrerer Streitgegenstände in Wettbewerbssachen nicht immer einfach sein. Obwohl hierzu eigentlich erst einmal in Ruhe klare Maßstäbe entwickelt werden müssten, wirkt sich die Änderung der Senatsrechtsprechung bereits auf zahlreiche bereits laufende Verfahren aus und führt zu einer Hinweispflicht der Gerichte im Hinblick auf die Fassung der Anträge und des Vortrags (vgl. Leitsätze b) und c) des Hinweisbeschlusses).
Wie sieht dies aber nun praktisch aus, wenn bisher alles anders gewesen sein soll? Der Verfasser durfte dies am 26.05. in einer Verhandlung vor dem 3. Zivilsenat des Hanseatischen OLG erleben. Der gegnerische Anwalt schien darauf zu setzen, dass der Senat den Fall noch nach „altem Recht“ abwickeln würde. Stattdessen nahm sich das Gericht knapp 2 Stunden Zeit, um mit den Parteivertretern die Antragsreihenfolge und den Streitgegenstandsbegriff zu erörtern und nötigte dem Antragstellervertreter schließlich auch eine diesbezügliche Entscheidung ab.
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