Ärztliche Aufklärungspflicht bei Behandlung mit Zitronensaft (Aufbereitung im Klausurschema)
Eine interessante Entscheidung des BGH vom 22.12.2010 (Az. 3 StR 239/10) beschäftigt sich wieder einmal mit der Rechtswidrigkeit ärztlicher Heileingriffe und der damit verbundenen Reichweite der Einwilligung des Patienten in die Behandlung. Darüber hinaus geht es auch um die den Zusammenhang zwischen der Körperverletzung und der Todesfolge im Rahmen von § 227 StGB. Zu beachten ist, das zum jetzigen Zeitpunkt die Entscheidung noch nicht im Volltext vorliegt. Die Pressemitteilung des BGH findet sich hier.
Sachverhalt:
Arzt A nimmt an Patientin P kunstgerecht eine Darmoperation vor. Dabei beabsichtigte A von Anfang an ohne Kenntnis der P eventuell in der Nachbehandlung auftretende Wundinfektionen mit selbsthergestelltem Zitronensaft zu behandeln, von dessen besonderer Wirkung A überzeugt ist. Der Saft stammte aus der Küche des Krankenhauses und war demnach nicht unter sterilen Bedingungen gewonnen worden. Die gegebenenfalls erhöhte, bakterielle Belastung durch den Zitronensaft wird jedoch nur als gering eingestuft.
Nach der OP treten nach einiger Zeit tatsächlich Störungen bei der Wundheilung auf, die A mit Zitronensaft behandelt. Der Zustand der P verschlechterte sich, sodass eine 2. Operation notwendig wird. Dieses Mal wird auch während der OP und im Anschluss Zitronensaft angewendet, ohne dass A die P darüber aufklärt. Daneben werden auch herkömmliche Medikamente (u.a. Antibiotika) gegeben. Zwei Wochen später verstirbt A. Es lässt sich nicht mehr feststellen, ob der Zitronensaft mitursächlich für den Tod des A geworden ist.
Strafbarkeit des A?
Rechtliche Einordnung:
Zum einen ist nach der Einwilligung der Patientin zu der Behandlung gefragt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei jedem ärztlichem Eingriff um eine Körperverletzung, unabhängig davon, ob die Behandlung kunstgerecht („lege artis“), erfolgreich oder misslungen war (anders die h.M.). Auf der Ebene der Rechtfertigung ist dann zu fragen, ob der konkrete Eingriff von der Einwilligung des Patienten gedeckt ist. Der Betroffene soll dabei so gut und verständlich wie möglich über die Art und Weise und die möglichen Risiken der Behandlung informiert werden, um auf dieser Basis entscheiden zu können, ob er sich den eventuellen Gefahren aussetzt. Umgekehrt reicht die Aufklärungspflicht des Arztes nicht so weit, als dass er jeden einzelnen Behandlungsschritt im Detail ausführen muss (vgl. dazu ausführlich BGH 1 StR 238/07 in HRRS <Link: https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/07/1-238-07.php> „Turboentzug“ m.w.N. und 4 StR 549/06 „Fettabsaugung“).
Zum anderen geht es knapp um den Ursachenzusammenhang im Rahmen von § 227 StGB. Stichworte: „Hochsitz-Fall“ (BGHSt 31, 96), „Hetzjagd in Guben“ (BGH 5 StR 42/02) und die „senegalesische Tänzerin“ (BGH 5 StR 435/07) . Demnach ist zu untersuchen, inwieweit die „Körperverletzung“ im Zusammenhang mit dem Tod des Verletzten steht, wobei hierfür wegen des sehr weiten Wortlauts des § 227 StGB strenge Maßstäbe gelten müssen.
Lösungsvorschlag:
Der Lösungsvorschlag beruht auf den Problemschwerpunkten, wie sie aus der Pressemitteilung des BGH vom 22.12.2010 ersichtlich sind und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
A. § 227 StGB
A könnte sich wegen Körperverletzung mit Todesfolge bezüglich der Erstoperation an P nach § 227 StGB strafbar gemacht haben.
I. Gefährliche rechtswidrige Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 5
1. Objektiver Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung
Jeder Eingriff in die körperliche Substanz des Betroffenen stellt eine Körperverletzung dar, so auch die Darmoperation und die nachfolgende Wundbehandlung bei P. Lediglich bei ärztlichen Eingriffen ist umstritten, ob möglicherweise der Tatbestand einer Körperverletzung schon nicht erfüllt ist („tatbestandsausschließenden Einverständnis“). Die Rechtsprechung orientiert sich an einem engen Begriff der „Verletzung“ und bejaht das Vorliegen einer Körperverletzung ausnahmslos. Die Literatur fragt hingegen nach dem Erfolg der Behandlung (sog. Erfolgstheorie) und lässt nur bei einem gelungenen Eingriff den objektiven Tatbestand der Körperverletzung entfallen (vgl. dazu genauer Maulach/Schroeder/Maiwald BT 1 § 8 Rz. 24). Vorliegend hat sich der Zustand der P soweit verschlechtert, dass von einer erfolgreichen Behandlung nicht auszugehen ist. Da insoweit alle vertretenen Meinungen zu dem gleichen Ergebnis führen, ist ein Streitentscheid nicht notwendig.
Ferner sind komplizierte Operationen an inneren Organen und die notwendige Nachbehandlung immer potentiell lebensgefährdend, sodass auch die Qualifikation nach § 224 I Nr. 5 StGB erfüllt ist.
2. A hat vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale gehandelt.
3. Rechtswidrigkeit
Die Tat müsste rechtswidrig sein. Vorliegend könnte die Rechtswidrigkeit entfallen sein, wenn P in die Behandlung durch A wirksam eingewilligt hat. Die Einwilligung in eine Heilbehandlung ist in aller Regel zulässig und der Patient insoweit auch dispositionsbefugt, was das verletzte Rechtsgut (körperliche Unversehrtheit) betrifft. Jedoch müssen alle ärztlichen Maßnahmen von der Einwilligung gedeckt sein. Die Einwilligung kann aber wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in gebotener Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist (BGH 1 StR 238/7 Rz. 26). Dem gegenüber steht eine entsprechende Aufklärungspflicht des behandelnden Arztes. Die Einwilligung kann sich nur auf solche Sachverhalte beziehen, zu dessen vorheriger Klärung der Arzt verpflichtet ist. Besteht eine solche Pflicht, ist danach zu fragen, ob der Arzt diese Pflicht verletzt hat, indem er den Patienten vor der Behandlung nicht ausreichend informiert hat. Fraglich ist hier, ob A die P vor der ersten Operation darüber hätte aufklären müssen, dass zur Wundbehandlung u.a. selbstgewonnener Zitronensaft zum Einsatz kommen würde.
a) Das LG Mönchengladbach in der Vorinstanz hat sich für eine solche Pflicht ausgesprochen.
„Nach dessen Ansicht hätte der Angeklagte die Patientin aber über den möglichen späteren Einsatz von Zitronensaft schon vor der ersten Operation aufklären müssen. Daher hat es bereits die Einwilligung der Patientin in die Vornahme dieses Eingriffes als unwirksam angesehen.“
Der Einsatz von Zitronensaft hätte nach Ansicht des LG bei P schon erhebliche Zweifel an der Fachkompetenz des A geweckt, da es sich um eine unerprobte Aussenseitermethode gehandelt habe, zu der P letztendlich nicht eingewilligt hätte.
b) Der BGH ist dem entgegengetreten und legt einen hohen Maßstab für Umfang und Grenzen der Aufklärungspflicht an:
„Birgt ein ärztlicher Heileingriff das Risiko, dass sich in seiner Folge eine weitere behandlungsbedürftige Erkrankung oder körperliche Schädigung einstellt, so muss der Arzt den Patienten vor dem ersten Eingriff nur dann über die Art und die Gefahren einer bei Verwirklichung des Risikos notwendigen Nachbehandlung aufklären, wenn dieser ein schwerwiegendes, die Lebensführung eines Patienten besonders belastendes Risiko anhaftet, etwa der Verlust eines Organs.“
Im konkreten Fall des Zitronensaftes bestehe daher keine Aufklärungspflicht, da dieser erst im Rahmen der Nachbehandlung in die Wunde gebracht worden ist.
„So war im Falle des Eintritts einer Wundheilungsstörung das Einbringen von Zitronensaft schon nicht die einzig mögliche Art der Behandlung. Vielmehr stand in Form der Verabreichung von Antibiotika eine Alternative zur Verfügung, auf die hier zunächst auch allein und später neben der Verwendung des Zitronensaftes zurückgegriffen worden war. Außerdem war nach Ausbruch der Wundinfektion grundsätzlich noch genügend Zeit vorhanden, um die Patientin auf den beabsichtigten Einsatz von Zitronensaft hinzuweisen und sie die Wahl zwischen der alleinigen – weiteren – Gabe von Antibiotika oder dem zusätzlichen Einsatz von Zitronensaft treffen zu lassen. Demgemäß war sie trotz ihrer erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen sogar noch in der Lage, eigenverantwortlich ihre Einwilligung in die Reoperation zu erteilen. Hinzu kommt, dass mit dem Einbringen des unsterilen Zitronensaftes in die Wunde als maßgebliches Risiko ausschließlich eine gewisse zusätzliche bakterielle Belastung verbunden war, was nicht mit der Gefahr für die künftige Lebensführung eines Patienten vergleichbar ist, dem durch die Nachbehandlung etwa ein Organverlust droht.“
c) Zwischenergebnis: Eine wirksame Einwilligung der P in die Körperverletzung ist gegeben. Eine entsprechende Aufklärungspflicht des A bezüglich der nachträglichen Wundbehandlung mit Zitronensaft bestand zu diesem Zeitpunkt nicht.
II. Ergebnis: Mangels rechtswidriger Körperverletzung fehlt für die Todesfolge der notwendige Anknüpfungspunkt. § 227 StGB ist nicht erfüllt.
B. § 227 StGB
A könnte sich wegen Körperverletzung mit Todesfolge bezüglich der zweiten Operation an P nach § 227 StGB strafbar gemacht haben.
I. Gefährliche rechtswidrige Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 5
Die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale sind erfüllt (vgl. oben). Fraglich könnte allein sein, ob auch hier der zweite Eingriff von der Einwilligung der P gedeckt war. Dies wäre nur dann der Fall wenn, auch hier keine entsprechende Aufklärungspflicht bezüglich des Zitronensaftes bestanden hätte. Nach dem oben gesagten besteht eine solche Pflicht grundsätzlich nur, wenn schwerwiegende Gefahren für den Patienten, wie der Verlust eines Organes zu befürchten sind. Im Gegensatz zur ersten Operation, wurde bei der zweiten Operation aber der Zitronensaft schon während des Eingriffs angewendet und war also Teil des Operationsvorgangs. Eine Entscheidung für oder gegen den Einsatz von Zitronensaft konnte daher – anders als bei der nachträglichen Wundbehandlung, siehe oben – an dieser Stelle nicht mehr erfolgen. Behandlungsalternativen wurden nicht zur Wahl gestellt. Vielmehr wurde der Zitronensaft Bestandteil des „Gefahrenspektrums“ der Operation und damit ebenfalls Gegenstand der Aufklärungspflicht. A hat es unterlassen, P über die Zugabe von Zitronensaft während der OP zu informieren, sodass er diese Aufklärungspflicht verletzt hat. Folglich war die Einwilligung deeP zu der Operation, was die Verwendung von Zitronensaft anbetrifft, unwirksam.
Zu denken wäre ferner an das Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung des P, wenn dieser bei Kenntnis der Sachlage der Behandlung mit Zitronensaft zugestimmt hätte. Jedoch lässt sich diese Form der Einwilligung nur auf ärztliche Eingriffe anwenden, die „lege artis“ erfolgen, also nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erprobt sind (BGH 4 StR 549/06 Rz. 24). Bei der Verabreichung von Zitronensaft handelt es sich jedoch nur um eine unerprobte Außenseitermethode, deren Wirksamkeit nicht bewiesen ist. Folglich kann hier eine hypothetische Einwilligung nicht angenommen werden, unabhängig von der Frage, ob sich P tatsächlich darauf eingelassen hätte.
Die Körperverletzung durch A war demnach mangels Einwilligung rechtswidrig.
II. Die Körperverletzung müsste ursächlich für den Tod der P gewesen sein. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht es dabei nicht aus, dass eine Kausalität im Sinne der conditio sine qua non-Formel besteht. Deshalb sind nur solche Körperverletzungen und Körperverletzungshandlungen erfasst, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen. Gerade diese Gefahr muss sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben (BGH 5 StR 42/02 Rz. 37). Vorliegend ist aber schon nicht ausreichend geklärt, ob die OP oder die Zugabe des Zitronensaftes wenigstens mitursächlich für den Tod der P geworden sind, sodass es schon an der erforderlichen Kausalität fehlt.
III. Ergebnis: A ist nicht wegen § 227 bezüglich der zweiten Operation strafbar.
C. §§ 223, 224 I Nr. 5 StGB
I. Aus B.I ergibt sich, dass A den Tatbestand der §§ 223, 224 I Nr. 5 StGB in rechtswidriger Weise erfüllt hat. Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich
II. Ergebnis: A hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung bei der zweiten Operation gemäß
§§ 223, 224 I Nr. 5 StGB strafbar gemacht.
Fazit:
Netter Fall, der die Problematik der rechtfertigenden Einwilligung in Heileingriffe, mit der des § 227 StGB verbindet. Gut zur Wiederholung klassischer Urteile. Für die mündliche Prüfung sicherlich auch ein einigermaßen „witziger“ Aufhänger.
Also sehe ich das bei B richtig:
A. 223/224
I. Obj TB 223,224
II. Subj. TB 223,224
III. RW/Schuld TB 223,224
B. Todesfolge
I. Eintritt der Todesfolge
II. Zusammenhang zw. KV/ Todesfolge
?
Ist das nicht ein etwas ungewöhnlicher Aufbau?
Ich hätte geprüft
I. Obj. Tb
a) Körperverletzung
b) Todesfolge (diesbezüglich obj. Vorhersehbar/Vermeidbar)
c) Kausalität
II. Sub Tb bzgl. a)
III. RW
IV. Schuld
Wobei man dann wohl nicht zur Rechtswidrigkeitsprüfung käme, oder?
Hallo Matthias,
danke für den Hinweis. Grundsätzlich hast du Recht. Die Rechtswidrigkeit wird beim Grunddelikt iRv § 227 StGB in der Regel nicht geprüft (jedoch aber der subjektive Tatbestand!).
Allerdings ist es im Bereich der ärztlichen Heileingriffe so, dass der BGH bei Vorliegen einer rechtfertigenden Einwilligung bei der KV bereits eine „Körperverletzungshandlung“ verneint und deswegen § 227 hieran scheitern lässt (vgl. BGH 1 StR 576/07 in NStZ 2008, 278; Weidinger, Praxis der Azthaftung S.101f)
Es findet also ausnahmsweise ein Prüfung der rechtfertigenden Einwilligung beim Grunddelikt statt, da nach der Rspr des BGH die Körperverletzungshandlung (und damit in gewisser Weise die Tatbestandsmäßigkeit) der KV wegfällt.
Das macht auch Sinn: Der BGH sieht bei § 227 in erster Linie die KV-handlung als Anknüpfungspunkt für die Todesfolge. Folgt man dieser Ansicht, muss noch vor dem spez. Gefahrzusammenhang eine Prüfung der KV-Handlung erfolgen.
Ein diesbezüglich deutlicherer Hinweis hat im Text gefehlt.
Gruß
Danke für die Aufklärung!
Also, streng nach Beulke, Klausurenkurs III sollte man unter A lediglich 223, 224 prüfen und verneinen. Dann muss man bei B auch zuerst mit 223, 224 anfangen. Wenn man das geprüft hat, darf man 227 prüfen.
Noch eine Frage:
„Vorliegend ist aber schon nicht ausreichend geklärt, ob die OP oder die Zugabe des Zitronensaftes wenigstens mitursächlich für den Tod der P geworden sind, sodass es schon an der erforderlichen Kausalität fehlt.“
Aber wenn die zweite OP in GÄNZE nicht durch die Einwilligung gerechtfertigt war, dann spielt es doch keine Rolle, ob nur die OP oder der Zitronensatz zum Tode führte, oder? Eines von beidem ist schuld und beides war ja eine tb-mäßige KV.
Es geht allein um den Zusammenhang zwischen der zweiten OP und der Todesfolge. Es war nicht geklärt, ob durch die Reoperation und die Zugabe von Zitronensaft eine der Zustand der P verschlechtert wurde.
Der Tod war jedenfalls eine mögliche Komplikation im Zusammenhang mit der ersten Operation. Da diese aber von der Einwilligung der P gedeckt war, konnt § 227 nicht zum Tragen kommen.
In der aktuellen RÜ 6/2011 wurde der Fall mit einiger Verspätung auch besprochen.
Dort wird übrigens ebenfalls mit der Prüfung von § 227 begonnen. Macht m.E. auch Sinn, da die Todesfolge das schwerere Delikt ist und die tatbestandliche KV mitumfasst.
War bei mir tatsächlich klausurrelevant. Dieser Fall war (auf eine DIN A4-Seite erstreckt) Gegenstand der 1. Klausur in der Anfängerübung im Strafrecht im SS 2011 an der Uni Tübingen.
Hätte ich das hier nur schon früher entdeckt. Hab zwar noch kein Ergebnis aber man rechnet mit einer exorbitant hohen Durchfallquote 🙂