Eine Einführung in § 15 HGB und seine Probleme
Neben der formellen Publizität des Handelsregisters besitzt selbiges auch eine materielle Publizitätswirkung. Diese ist in § 15 HGB geregelt. Zwischen den einzelnen Absätzen des § 15 ist hinsichtlich Wirkung und Begünstigung unterschiedlicher Rechtssubjekte strikt zu differenzieren. Die verschiedenen Regelungsgegenstände der einzelnen Absätze sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.
I. § 15 Abs. 1 HGB
In Abs. 1 des § 15 HGB ist zunächst die negative Publizität des Handelsregisters normiert. Danach gilt, dass „dem Schweigen des Handelsregisters zu trauen ist“. Das bedeutet, dass eintragungspflichtige Tatsachen, die im Handelsregister nicht eingetragen und bekannt gemacht sind, dem redlichen Dritten gegenüber nicht gelten können. Die Regelung stellt eine reine Rechtsscheinsnorm dar. Das bedeutet, dass es für die fehlende Berufungsmöglichkeit auf die nicht eingetragene Tatsache nicht darauf ankommen kann, auf wen die fehlende Eintragung und Bekanntmachung zurückgeht. Es muss daher nicht ein Verschulden des Eintragungspflichtigen an der fehlenden Eintragung bestehen.
Dieser Grundsatz findet selbst dann Anwendung, wenn der Anmeldepflichtige minderjährig ist. Das bedeutet, dass der Verkehrsschutz sich bei § 15 Abs. 1 HGB sogar gegenüber dem Minderjährigenschutz durchsetzt!
1. Für die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 HGB muss es sich um eine Tatsache handeln, die eintragungspflichtig ist. Bloß eintragungsfähige Tatsachen reichen insofern nicht aus. Problematisch ist hier die Konstellation, dass eine Tatsache nicht eingetragen wird, deren korrespondierende Voreintragung ebenfalls fehlt. Zum Beispiel wird das Erlöschen einer Prokura als eintragungspflichtige Tatsache nicht eingetragen, während bereits die Erteilung der Prokura als Voreintragung nicht vorgenommen wurde. Hiermit ist das gängige Problem der sekundären Unrichtigkeit des Handelsregisters skizziert. Fraglich ist dabei, ob in einem solchem Fall, in dem ja durch die fehlende zweite Eintragung letztlich das Handelsregister die wahre Rechtslage wiedergibt, eine negative Publizitätswirkung hinsichtlich des Widerrufs der Prokura in Betracht kommt. Dies ist umstritten. In der Literatur wird zum Teil die Anwendbarkeit des Abs. 1 abgelehnt, da mangels Voreintragung das Handelsregister keinen Scheintatbestand ausweise, auf den sich der Vertrauensschutz stützen ließe. Rechtsprechung und hL hingegen bejahen auch hier die Anwendung des § 15 Abs. 1 HGB, denn er bezwecke einen abstrakten Vertrauensschutz. Der Wortlaut setze sodann auch lediglich die Nichteintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache voraus, knüpfe die Rechtsfolge insofern deutlich nicht an eine erfolgte Voreintragung. Auch der Sinn und Zweck des § 15 Abs. 1 HGB begründe dieses Vorgehen, denn es sei auch durchaus möglich, dass ein Dritter, dem der Schutz des § 15 Abs. 1 HGB zustehen soll, auf anderem Wege Kenntnis von der vorherigen Rechtslage erlange als durch Blick in das Handelsregister. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz soll nur dort gemacht werden, wo die voreintragungspflichtige Tatsache gar nicht erst nach außen gelangen konnte, denn hier wären Verkehrsschutzgesichtspunkte nicht betroffen. Hiermit können jedoch nur Extremfälle gemeint sein, in denen zum Beispiel die erteilte Prokura am Tag der Erteilung bereits wieder zurück genommen wird.
2. Voraussetzung des § 15 Abs. 1 HGB ist weiter, dass die eintragungspflichtige Tatsache nicht eingetragen oder eingetragen und nicht bekannt gemacht wurde.
Zudem ist eine Anwendbarkeit nur zu Lasten desjenigen möglich, in dessen Angelegenheiten die Tatsache einzutragen war.
3. Es bedarf weiter des guten Glaubens des Dritten, der sich auf die negative Publizität des Handelsregisters berufen will. Schädlich ist in diesem Rahmen allein die positive Kenntnis von der nicht eingetragenen Tatsache selbst. Anders als in § 932 BGB ist grob fahrlässige Unkenntnis nicht ausreichend. Da hier das abstrakte Vertrauen des Dritten geschützt wird, ist es nicht erheblich, ob er tatsächlich Einsicht in das Handelsregister genommen hat. Nach Darstellung der hM zum Problemkreis der sekundären Unrichtigkeit ist dies auch die einzig akzeptable Auslegung.
Die Anwendbarkeit der Norm hängt weiter davon ab, dass es um ein Handeln im Geschäftsverkehr geht. Diese Voraussetzung ist zwar nicht dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 HGB unmittelbar zu entnehmen, ergibt sich jedoch aus dem Telos der Regelung und lässt sich auch § 15 Abs. 4 HGB entnehmen.
Rechtsfolge des § 15 Abs. 1 HGB ist ein Wahlrecht des Dritten: Er kann sich entweder auf den Schutz des Rechtsscheintatbestandes und auf die tatsächlich bestehende Rechtslage berufen oder eben wegen § 15 Abs. 1 HGB auf die fehlende Eintragung der Tatsache, und damit die Rechtslage für sich in Anspruch nehmen, die sich aus dem Handelsregister ergibt. Er ist also nicht gezwungen, den Schutz des § 15 Abs. 1 HGB in Anspruch zu nehmen. Das kann nach der sog. „Rosinentheorie“ des BGH (Urteil vom 01.12.1975 – II ZR 62/75) im Extremfall dazu führen, dass der Dritte sich innerhalb eines einheitlichen Sachverhalts bezüglich einer Anspruchsvoraussetzung auf das Schweigen des Handelsregisters beruft, hinsichtlich einer anderen hingegen auf die tatsächliche Rechtslage. Diese Ansicht des BGH ist verschiedentlich in der Literatur auf Kritik gestoßen, da der Dritte auf diese Weise besser gestellt werde, als wenn die Rechtslage nach dem Handelsregister der tatsächlichen entspräche. Ein Wahlrecht sei dem Dritten zwar grundsätzlich zuzubilligen. Jedoch könne dies nicht verschiedentlich ausgeübt werden hinsichtlich ein und desselben Anspruchs.
II. § 15 Abs. 2 HGB
Bei Abs. 2 handelt es sich um den registerrechtlichen Normalfall, dass der Dritte die Tatsache gegen sich gelten lassen muss, die im Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht ist. Die Norm bezieht sich ebenfalls nur auf eintragungspflichtige Tatsachen und kann dem Dritten nur von demjenigen, in dessen Angelegenheiten die Eintragung erfolgt ist, entgegen gehalten werden.
In § 15 Abs. 2 S. 2 HGB ist jedoch eine Schonfrist von 15 Tagen seit Bekanntmachung iSd § 10 Abs. 2 HGB geregelt: Sofern der Dritte innerhalb dieser Zeit beweisen kann, dass er die eingetragene Tatsache weder kannte noch kennen musste, kann ihm die Tatsache nicht entgegen gehalten werden. Insofern regelt Abs. 2 S. 2 einen weiteren Rechtsscheinstatbestand. Fraglich ist damit, ob außerhalb dieser 15-tägigen Schonfrist allgemeine Rechtsscheinstatbestände neben § 15 Abs. 2 zur Anwendung kommen können. Das ist nach allgemeiner Ansicht im Einzelfall dann anzunehmen, wenn es nicht um den konkret registerrechtlichen Vertrauensschutz geht, sondern um außerhalb des Registers liegende Vertrauenstatbestände.
III. § 15 Abs. 3 HGB
Der Abs. 3 des § 15 HGB regelt im Gegensatz zu Abs. 1 die positive Publizität des Handelsregisters. Danach kann sich ein Dritter auf eine unrichtig bekannt gemachte Tatsache berufen.
Gegenstand der Bekanntmachung kann auch hier nur eine eintragungspflichtige Tatsache sein. Im Unterschied zu § 15 Abs. 1 HGB macht der Wortlaut des Abs. 3 deutlich, dass es hier nur um die unrichtige Bekanntmachung einer Tatsache geht, nicht auch um deren fälschliche Eintragung. Eine unrichtige Bekanntmachung liegt dabei nach hM immer vor, wenn eine Abweichung zwischen tatsächlicher Rechtslage und Bekanntmachung gegeben ist. Denkbar sind daher vier verschiedene Fallkonstellationen, die dem § 15 Abs. 3 HGB unterfallen:
Die Eintragung ist korrekt, die Bekanntmachung weicht davon jedoch ab.
Eine Eintragung fehlt gänzlich und es wird eine Tatsache bekannt gegeben, die gar nicht eingetragen ist.
Eintragung und Bekanntmachung stimmen überein und sind gleichermaßen unrichtig.
Eintragung und Bekanntmachung stimmen nicht überein, sind aber beide unrichtig.
Der Dritte muss auch hier gutgläubig hinsichtlich der unrichtig bekannt gemachten Tatsache sein. Wie in § 15 Abs. 1 HGB reicht dazu nur positive Kenntnis, nicht hingegen fahrlässige Unkenntnis aus. Ebenso wie im Rahmen des § 15 Abs. 1 HGB erfordert Abs. 3 nicht, dass der Dritte tatsächlich von dem Inhalt der Bekanntmachung erfahren haben muss.
Streitig ist im Rahmen des § 15 Abs. 3 HGB, ob derjenige, in dessen Angelegenheiten die Tatsache einzutragen war, die unrichtige Bekanntmachung veranlasst haben muss. Hiermit ist das Problem des Veranlassungsprinzips angesprochen. Nach einer in Teilen der Literatur vertretenen Auffassung ist diese Voraussetzung nicht erforderlich, da der Wortlaut des § 15 Abs. 3 HGB dafür keine Anhaltspunkte bietet. Nach hM ist es hingegen erforderlich, dass eine Veranlassung durch denjenigen, dessen Angelegenheiten die Eintragung betrifft, gegeben ist. Dem ist insofern auch beizupflichten, als die konträre Ansicht zur Konsequenz hätte, dass jeder unbeteiligte Dritte theoretisch haftbar gemacht werden könnte, der zufällig von einer solchen unrichtigen Bekanntmachung betroffen wäre. Das erscheint unbillig. Die hM stellt jedoch auch geringe Anforderungen an die Veranlassung: Es soll bereits ausreichen, dass der Betroffene einen richtigen Eintragungsantrag gestellt hat, der die unrichtige Bekanntmachung zur Folge hat. Dem Antragsteller obliegt damit eine Pflicht zur Überwachung des korrekten Vollzugs seines Eintragungsantrages.
Rechtsfolge des § 15 Abs. 3 HGB ist ein Wahlrecht des Dritten wie bei § 15 Abs. 1 HGB. Der Dritte kann sich also auch hier entweder auf die tatsächliche Rechtslage oder auf diejenige Rechtslage berufen, deren Bestehen durch die unrichtige Eintragung suggeriert wurde. Anders als § 15 Abs. 1 HGB kann Abs. 3 hingegen nicht dem Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen entgegen gehalten werden. Hier ist also der Minderjährigenschutz wieder vorrangig. Dies ist die logische Konsequenz aus dem oben skizzierten Veranlassungsprinzip, denn dem Minderjährigen ist ein gestellter Antrag nach den allgemeinen Vorschriften des BGB nicht zurechenbar.
Schöner Beitrag, aber im letzten Absatz hat sich im zweiten Satz ein Fehler eingeschlichen, da dort von der unrichtigen Eintragung die Rede ist, maßgeblich ist jedoch die unrichtige Bekanntmachung. § 15 III HGB findet nämlich auch Anwendung, wenn die Eintragung richtig, aber die Bekanntmachtung falsch ist.
MfG