Darf sich ein (ehemaliger) Verfassungsrichter zu öffentlichen Themen äußern?
Der nachfolgende Gastbeitrag stammt von Niklas Denger. Der Autor hat im September 2015 die erste Juristische Staatsprüfung abgelegt, den Schwerpunkt Unternehmen, Kapitalmarkt und Steuern gewählt und befindet sich derzeit in der Übergangsphase zum Referendariat. Die Thematik des Beitrags bietet sich zur Abprüfung in der mündlichen Prüfung an, insbesondere weil das Gutachten von Udo Di Fabio aktuell politisch kontrovers diskutiert wird.
1. Situation:
Anfang Januar 2016 veröffentlichte der ehemalige Bundesverfassungsrichter und Professor Udo di Fabio ein Gutachten, welches er im Auftrag des Freistaates Bayern erstellt hat. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung als verfassungswidrig einzustufen sei. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erwiderte hierauf, dass sich ehemalige Verfassungsrichter mit solchen Wortbeiträgen zurückhalten sollten.[1]
Auf der anderen Seite hat sich aber auch im Januar 2016 der amtierende Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle zu Wort gemeldet. In einem Interview bemerkte dieser, dass eine Obergrenze für Asyl unzulässig sei.[2]
2. Problemstellung und Beurteilung:
Die Problematik liegt in der Frage, inwieweit sich ein (Bundesverfassungs-)Richter öffentlich frei äußern darf, § 39 DRiG. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, ob diese Vorschrift(en) auch auf Richter anwendbar sind, die sich bereits im Ruhezustand befinden.
a. DRiG auch auf Bundesverfassungsrichter anwendbar?
Zwar gelten für Bundesverfassungsrichter die spezielleren Regelungen der BVerfGG und gemäß § 69 DRiG findet das DRiG auf Bundesverfassungsrichter nur beschränkte Anwendung, doch ist im BVerfGG keine speziellere Regelungen zu öffentlichen Äußerungen zu finden, sodass für diese Frage auf das DRiG zurückgegriffen werden muss.
Nach § 39 i.V.m. § 69 DRiG haben sich Bundesverfassungsrichter innerhalb und außerhalb ihres Amtes, auch bei politischer Betätigung so zu verhalten, dass das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.
b. Verfassungskonformität des § 39 DRiG mit Art. 5 I GG
Die Vorschrift des § 39 i.V.m. § 69 DRiG greift damit in den Schutzbereich des Grundrechts der freien Meinungsfreiheit ein, Art. 5 I GG. Dabei können nur „allgemeine Gesetze“ den Schutzbereich des Art. 5 I GG einschränken. Ein „allgemeines Gesetz“ liegt dann vor, wenn es sich nicht gegen die Kommunikationsfreiheiten an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richtet, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgut dient, das bei Abwägung Vorrang gegenüber den in Art. 5 I GG genannten Kommunikationsrechten genießt.[3]
Die Vorschrift soll nach ihrem Sinn und Zweck die richterliche Unabhängigkeit gewährleisten, Art. 97 GG. Dabei soll sichergestellt werden, dass sich ein Richter, der sich in einem politischen Meinungsprozess öffentlich äußert, nicht unter Umständen in einem laufenden oder zukünftigen Verfahren dem Vorwurf einer Befangenheit stellen muss bzw. nicht bereits parteiisch auftritt. Für das Amt des Richters, als neutrale und unabhängige Persönlichkeit ist es von herausragender Bedeutung, dass die Allgemeinheit das Vertrauen hat, dass ein Urteil frei von Wertvorstellungen gefällt wurde. Dieses Vertrauen ist dann nicht mehr gegeben, wenn ein Richter bereits im Vorfeld seine Meinung zu einem aktuellen oder späteren Prozess öffentlich kundtut. Dieses Vertrauen wäre auch dann beschädigt, wenn der Richter rein privat eine öffentliche Äußerung zu einem politischen Thema äußern würde. Die Vorschrift des § 39 DRiG soll aber auch nicht dazu führen, dass der Richter in der Öffentlichkeit einen „Maulkorb“ tragen muss. Dabei ist anerkannt, dass die Meinungsäußerung stets auch in Relation zu deren Bedeutung gesehen werden muss. So ist nach Dieterich[4] bei Existenzfragen ein großzügiger Maßstab angebracht, während bei geringen Anlässen größere Zurückhaltung geboten sei.[5] Andererseits muss auch stets mit Blick auf das Amt des Richters gesehen werden, in welchem Bereich der richterlichen Betätigung er zuständig ist. Die Vorschrift des § 39 DRiG ist demnach mit Art. 5 I GG verfassungskonform.
c. Auf die aktuelle Situation bezogen
aa. Di Fabio
Das Vertrauen ist aber bei politischer Betätigung dann nicht als erschüttert anzusehen, wenn der Richter bereits in den Ruhestand versetzt wurde. Die Gefahr, dass ein Urteil durch diesen Richter nicht mehr frei von Wertvorstellung ist, ist nicht mehr gegeben. Damit durfte sich Di Fabio politisch betätigen und die Politik der Bundesregierung zu Recht in einem Gutachten kritisieren.
bb. Bundesverfassungsgerichtspräsident Voßkuhle
Fraglich ist jedoch, ob ein amtierender Bundesverfassungsgerichtspräsident überhaupt eine Aussage aufgrund aktueller politischer Ereignisse öffentlich kundtun durfte. Es könnte eine Besorgnis der Befangenheit vorliegen, sofern eine Klage zur Flüchtlingspolitik zum BVerfG eingelegt würde, § 19 BVerfGG. Die Aussage von Bundesverfassungsgerichtspräsident Voßkuhle zur Unzulässigkeit der Einführung einer Obergrenze für Asylbewerber bei Art. 16a GG ist jedoch lediglich nur als wissenschaftliche Meinung zu werten, § 18 III Nr. 2 BVerfGG.
Die Äußerung allein stellt noch keinen Ausschlussgrund gemäß § 18 III Nr. 2 BVerfGG dar. Wenn es um eine Besorgnis der Befangenheit bei der Beurteilung einer wissenschaftlichen Äußerung geht, müssen zusätzliche Umstände hinzutreten die diese Besorgnis rechtfertigen könnten. Eine subjektive Bewertung der Flüchtlingspolitik ist durch diese Aussage ebenfalls nicht erfolgt, sodass es sich nur um eine wissenschaftliche Äußerung handelt. Eine politische Betätigung im Sinne des § 39 DRiG liegt ebenfalls nicht vor.
Sollte es zu einem Bund-Länder-Streit mit dem Freistaat Bayern und dem Bund kommen, so hätte ein Befangenheitsantrag gegen Voßkuhle wegen dieser Äußerung keine Aussicht auf Erfolg.
3. Weitere Hinweise:
Im Verlauf der Euro-Klagen in dem Jahr 2011 wurde gegen den damals noch amtierenden Verfassungsrichter Prof. Dr. Dr. di Fabio ein Befangenheitsantrag gestellt. Begründet wurde der Befangenheitsantrag damit, dass di Fabio elf öffentliche Vorträge während des laufenden Verfahrens zur Griechenland-Hilfe und Euro-Rettungsschirm gehalten habe. Zwei Interviews habe er darüber hinaus gehalten und thematisch eindeutig Position eingenommen. [6]
Der Befangenheitsantrag der Beschwerdeführer wurde damals im als unbegründet zurückgewiesen, da eine wissenschaftliche Äußerung zu einer Rechtsfrage in Sinne von § 18 Abs. 3 Nr. 2 BVerfGG noch nicht für die Besorgnis einer Befangenheit ausreicht. Die Regelung des § 18 Abs. 3 Nr. 2 BVerfGG korrespondiere damit, dass gemäß § 3 Abs. 4 BVErfGG die Tätigkeit eines Hochschullehrers anders als jede andere berufliche Tätigkeit mit der richterlichen Tätigkeit vereinbar ist (…).[7]
Fußnoten:
[1] „Schäuble weist Ex-Verfassungsrichter zurecht“, Die Welt Online vom 02.02.2016.
[2] „Voßkuhle: Obergrenze unzulässig“, Frankfurter Rundschau vom 20.01.2016.
[3] BVerfG NJW 2006, 3052.
[4]Dieterich, Freiheit und Bindung des Richters 1986, S. 2 ff.
[5] Festschrift für Wolfang Zeidler, S.77.
[6] Verfassungsrichter soll bei Euro-Klage befangen sein, Die Welt-Online vom 26. August 2011.
[7] 2 BvR 1219/10.
Die Frage der Äußerungskompetenzen von (ehemaligen) Bundesver-fassungsgerichtspräsidenten kann einigen rechtlichen
„Graubereich“ aufweisen.
Grundsätzlich kann hier ein wissenschaftliches Meinungsäußerungsrecht bestehen.
U.U. kann es zu kurz greifen, dessen Einschränkungen allein unter dem Aspekt möglicher Befangenheiten zu erwägen.
Ein solches grundsätzliches Äußerungsrecht kann eventuell etwa ebenso noch durch eine Organtreuepflicht von Verfassungsorganen eingeschränkt sein.
Diese kann ebenso für ehemalige Richter gelten. Danach müssen
Verfassungsorgane untereinander gegenseitig Rücksicht nehmen, sich nicht unzulässig belasten.
Äußerungen, welche einem anderen Verfassungsorgan, wie der Bundesregierung, für ihre Politik Verfassungsbruch bescheinigen, können belasten.
Wenn dies außerhalb ureigentlicher Verfassungskompetenzen erfolgt, wie hier rein wissenschaftlich privat, kann dies damit konfliktreich problematisch scheinen.
Grundsätzlich kann hier daher einige Zurückhaltung geboten sein.Bei
grundsätzlich gebotener Zurückhaltung solcher Äußerungen, können solche
Äußerungen desto eher zulässig sein, je stärker mögliche Gefahr etwa
von Organtreuverletzungen scheinen mögen.
Andererseits mögen sie desto weniger zulässig sein, desto unklarer dies und Die Rechtslage wissenschaftlich zu sein scheint, weil etwa noch gewichtige Gegenmeinungen bestehen.
Dann kann eher noch mehr Zurückhaltung von klaren Positionseinnahmen gegen ein anderes Verfassungsorgan geboten sein.
Entsprechend können vorliegend Äußerungen im Hinblick auf einige Gefahr von Organtreueverletzungen erfolgt sein. Insofern können sie danach grundsätzlich eher zulässig gewesen sein.
Die Rechtslage und somit Gefahr schien wissenschaftlich politisch jedoch nicht gerade klar und sicher.Danach kann ebenso verfassungsrechtlich eher noch mehr Zurückhaltung mit klaren Positionseinnahmen gegenüber der Politik der Bundesregierung geboten gewesen sein.