BVerfG: Entscheidungen zum Deal im Strafprozess
Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Sarah Mönninghoff zu veröffentlichen. Die Autorin ist Referendarin im OLG-Bezirk Düsseldorf und Teilnehmerin des LL.M.-Studienganges Medizinrecht an der Heinrich-Heine-Universität. Zur Zeit absolviert sie ihre Rechtsanwaltsstation bei CMS Hasche Sigle in Düsseldorf.
BVerfG: Entscheidungen zum Deal im Strafprozess
Das BVerfG hatte über den Umfang von Belehrungspflichten in zwei Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit dem strafprozessualen Deal zu entscheiden. Die Beschlüsse vom 25.08. und 26.08.2014 stärken die Rechte der Angeklagten bezüglich etwaiger Verstöße gegen Belehrungspflichten. Das BVerfG verwies die Verfahren in beiden Fällen an den BGH zurück, denn durch die Urteile seien die Beschwerdeführer in ihren Verfahrensrechten verletzt.
Der Deal im Strafprozess
Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 257 c StPO[1] normiert als zentrale Norm der Verständigung alle Rechte und Pflichten der Verfahrensbeteiligten. Kern des strafprozessualen Deals ist die Angabe einer Strafober- und Untergrenze des Gerichts bei Ablegen eines glaubhaften Geständnisses des Angeklagten.[2]
Nach der Vorstellung des Gesetzgebers erfolgt ein Deal auf die Art und Weise, dass zunächst auf Initiative eines der Verfahrensbeteiligten ein Gespräch über eine Verständigung stattfindet, bei dem eine Strafober- oder Untergrenze erörtert wird.[3] Die Strafkammer kann eine konkrete Strafe vorschlagen für den Fall, dass der Angeklagte ein glaubhaftes Geständnis ablegt. Besteht Einigkeit zwischen den Verfahrensbeteiligten, soll der Angeklagte belehrt werden (§ 257 c V StPO). Im „Idealfall“ trägt der Angeklagte ein glaubhaftes Geständnis vor und die Strafkammer hält sich an die vorgeschlagene Strafobergrenze. Dieser Prozessgang zeigt auf den ersten Blick überwiegend Vorteile für die Verfahrensbeteiligten: Der Angeklagte hat (scheinbar) Einfluss auf den Ausgang des Prozesses und die verhängte Strafe, die Strafkammer erspart sich unter Umständen eine mühevolle Beweisaufnahme – eine sogenannte „Win-Win-Situation“.
Anders zu bewerten ist die Situation entsprechend § 257 c IV StPO. Dieser besagt, dass die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- und schuldangemessen ist. Es kann eine Neubewertung durch das Gericht erfolgen, die unter Umständen den Einflussmöglichkeiten des Angeklagten hinsichtlich der Rechtsfolge entzogen ist.
Beschluss vom 25.08.2014[4]: Belehrungspflicht vor Zustimmung zum Deal
Ein Angeklagter muss vor der Zustimmung zu einem strafprozessualen Deal belehrt werden. Die gesetzlich vorgeschriebene Belehrung in § 257 c V StPO darf nicht erst vor seinem Geständnis, sondern muss bereits vor der Zustimmung zur Verständigung erfolgen, heißt es in den Leitsätzen der Entscheidung.
Das LG Berlin hatte, nachdem eine Verständigung zwischen den Parteien vorausgegangen war, den Beschwerdeführer am 19.12.2012 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Zwischen der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, der Strafkammer und dem Verteidiger des Beschwerdeführers hatte auf dessen Initiative ein Vorgespräch stattgefunden, wobei es um eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren ging. Die Kammer schlug daraufhin dem Beschwerdeführer einen Strafrahmen von sechs Jahren bis zu sechs Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe vor, sollte er ein glaubhaftes Geständnis ablegen, Beweisanträge zurücknehmen und auf weitere verzichten. Dem Vorschlag stimmten alle Prozessbeteiligten zu. Erst im Anschluss wurde der Beschwerdeführer belehrt (§ 257 c V StPO). Anschließend legte der Beschwerdeführer ein glaubhaftes Geständnis ab und wurde zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Der BGH verwarf die vom Beschwerdeführer daraufhin eingelegte Revision mit der Begründung, § 257 c V StPO sei zwar verletzt, das Urteil des LG Berlin beruhe aber nicht auf dem Verstoß.
Nach Auffassung des BVerfG verletzen die Entscheidungen des LG Berlin und des BGH den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren und verstoßen gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 I GG i.V.m. Art. 20 III GG).
Kernaussage des Beschlusses ist, dass eine Verständigung gemäß § 257 c StPO regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren sei, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden sei.
An dieser Stelle verdeutlicht das BVerfG die Stellung des Angeklagten im Strafprozess und seine Verfahrensrechte. Aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art 1 GG) ergebe sich, dass ein Angeklagter niemals lediglich Objekt des Strafprozesses sein dürfe, sondern sichergestellt sein müsse, dass er autonom an der Verständigung mitwirken könne. Dies werde nur hinreichend beachtet, wenn der Angeklagte bereits vor der Zustimmung belehrt wurde. Zweck der Verständigung sei laut BVerfG unter anderem, dass der Angeklagte Einfluss auf die Verurteilung habe. Gäbe man dem Angeklagten nun eine solche Einflussmöglichkeit, so müsse er aber auch darüber belehrt werden, dass die Bindung an die Strafzusage keine absolute sei und unter bestimmten Voraussetzungen entfalle.
Das BVerfG stellt klar, dass die Belehrungspflicht in § 257 c StPO keine reine Ordnungsvorschrift sei, sondern den rechtsstaatlichen Grundsatz des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit sichere. Auch habe der BGH zu Unrecht entschieden, dass das Urteil nicht auf den Verletzungen beruhe. Der BGH habe generalisierend angenommen, dass ein anwaltlich verteidigter Angeklagter auch seine Zustimmung zu der Verständigung erteilt hätte, wenn er ordnungsgemäß belehrt worden wäre. Eine generalisierende Betrachtung verkenne aber die grundlegende Bedeutung der Belehrungspflicht. Das BVerfG befand, dass in jedem Einzelfall konkrete Anhaltspunkte (Informationsstand des Angeklagten und Motivation zur Abgabe eines Geständnisses) geprüft werden müssten, um herauszufinden, ob der Angeklagte das Geständnis wirklich abgelegt hätte. Ansonsten werde man dem Ausnahmecharakter des Beruhensausschlusses nicht gerecht.
Beschluss vom 26.08.2014[5]: Negativmitteilung vor Beginn der Hauptverhandlung
In der weiteren Verfassungsbeschwerde hatte sich das Gericht mit dem Umfang der Mitteilungspflichten gemäß § 243 IV StPO bezüglich etwaiger stattgefundener Gespräche über eine Verständigung zu Beginn der Hauptverhandlung auseinander zu setzen.
Der Beschwerdeführer war wegen mehrerer Straftaten vor dem LG Braunschweig angeklagt. Im Vorfeld der Hauptverhandlung gab es ein Telefonat zwischen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, in dem die zuständige Staatsanwältin eruiert habe, ob sich der Beschwerdeführer nicht doch zu den Vorwürfen einlassen könnte. Nicht mehr sicher ist, ob über etwaige Rechtsfolgen gesprochen wurde; die Staatsanwältin habe aber in Aussicht gestellt „nur“ zwei Jahre zu beantragen, sollte der Beschwerdeführer ein umfassendes Geständnis ablegen.
Im Termin zur Hauptverhandlung hat der Vorsitzende nach Aufruf der Sache und Verlesung der Anklageschrift durch den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und anschließender Belehrung über das Schweigerecht nicht der Öffentlichkeit mitgeteilt, ob Erörterungen nach den §§ 202 a, 212 StPO stattgefunden haben, deren Gegenstand möglicherweise eine Verständigung gewesen war.
Das LG Braunschweig verurteilte den Beschwerdeführer am 23.01.2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten.
Der BGH verwarf die daraufhin eingelegte Revision. Bei dem Telefonat habe es sich lediglich um ein Geschehen vor der Erhebung der Anklage gehandelt, welches nicht vom Anwendungsbereich des § 243 IV StPO erfasst sei.
Kernaussage der Entscheidung ist, dass die Belehrungspflicht in § 243 IV StPO auch die Negativmitteilung vor Beginn der Hauptverhandlung umfasst. 243 IV StPO besagt, dass der Vorsitzende mitteilt, ob Erörterungen nach den §§ 202 a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257 c StPO) gewesen ist, und, wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Das LG Braunschweig und der BGH haben dies verkannt, sodass ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verankerte Willkürverbot aus Art. 3 I GG vorliege.
Das BVerfG legt in der Entscheidung die Norm des § 243 IV StPO präzise ausgehend von dem Willen des Gesetzgebers aus. Die Auslegung der Norm durch den BGH sei unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich haltbar. Sie verstoße in unvertretbarer und damit objektiv willkürlicher Weise gegen den eindeutigen objektivierten Willen des Gesetzgebers.[6] Das BVerfG befand, dass sowohl der Wortlaut, die Systematik und die Gesetzesmaterialien auch für eine sog. „Negativmitteilung“ sprechen.
- Der Wortlaut sei zwar missverständlich (erst „ob“ und dann „wenn“); die nachfolgende Formulierung „wenn ja, deren wesentlichen Inhalt“, zeige aber, dass eine Mitteilungspflicht auch bestehe, wenn keine Gespräche stattgefunden haben. Ansonsten hätte es des Zusatzes „und wenn ja“ nicht bedurft.
- 243 IV 2 StPO spreche ausdrücklich von „Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung“, sodass in jedem Fall – gleichgültig ob positiv oder negativ – eine Mitteilung zu Beginn erfolgen müsse. Demnach spreche auch die Gesetzessystematik für eine Negativmitteilung.
- Die Materialien zum Verständigungsgesetz[7] sprechen ebenfalls für eine Negativmitteilungspflicht: In der Abgrenzung zu § 78 II OWiG und § 243 IV StPO heißt es im Regierungsentwurf „in § 78 II OWiG können die im Strafverfahren aufgestellten prozessualen Anforderungen auch im Bußgeldverfahren greifen […], nicht gerechtfertigt erschiene es aber auch das Unterlassen einer solchen Verständigung protokollieren zu müssen sowie die in § 243 IV StPO enthaltene Pflicht, auch eine Nichterörterung mitzuteilen.“
Der Bundesrat habe sich im Gesetzgebungsverfahren gegen die Negativmitteilungspflicht ausgesprochen und einen alternativen Gesetzesentwurf eingebracht; dieser sei aber gerade nicht Gesetz geworden.
Kern der Entscheidung des BVerfG ist demnach, dass es einzig und allein darauf ankommt, dass dem Angeklagten zu Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt wird, ob Gespräche über eine Verständigung stattgefunden haben. Davon ist sowohl eine Negativmitteilung, als auch eine Positivmitteilung erfasst, welche die Mitteilungspflicht des Gerichts in der Konsequenz erweitert, indem sie ihm die Aufklärung auch über den wesentlichen Inhalt auferlegt.
Das BVerfG stellt zwar klar, dass der BGH richtig erkannt habe, dass lediglich ein Gespräch zwischen der Verteidigung und der Staatsanwältin stattgefunden habe, welches noch nicht dem Anwendungsbereich von § 243 IV StPO unterfällt. Trotzdem beruhe das Urteil auf einem Verstoß, weil die Strafkammer es versäumt habe aufzuklären, ob es weitere Gespräche gegeben habe, deren Inhalt mitteilungspflichtig gewesen wäre.
Fazit
Die Entscheidungen sind konsequent. Sie ordnen sich schlüssig in die bisherige Rechtsprechung ein, welche besonders den Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Angeklagten und den Grundsatz des fairen Verfahrens in den Fokus nimmt.[8]
Wird dem Angeklagten im Strafprozess eine Einflussmöglichkeit per Gesetz eingeräumt, so muss er über die Konsequenzen hinreichend belehrt werden, ansonsten ist die vermeintliche Einflussnahme nur eine Farce.
Die zweite Entscheidung macht den von § 243 IV StPO verfolgten Zweck deutlich[9]: Das Ziel der Norm besteht darin, sämtliche Verfahrensbeteiligte, aber auch die Öffentlichkeit im Vorfeld der Hauptverhandlung zu unterrichten und auf diesem Wege Transparenz zu schaffen.
[1] Eingeführt durch „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“, vom 29.07.2009, BGBl I, S. 2353.
[2] Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, Beck’sche Kurzkommentare, StPO, § 257 c, Rn.18.
[3] Moldenhauer/Wenske in: KK-StPO, § 257c Rn. 21.
[4] BVerfG Beschluss vom 25.08.2014 – 2 BvR 2048/13.
[5] BVerfG, Beschluss vom 26.08.2014 – 2 BvR 2172/13.
[6] So schon: BVerfG Urteil vom 19.03.2013 (BVerfGE 133, 168 ff.).
[7] BTDrucks 16/12310, S. 16.
[8] BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10.
[9] So schon BVerfG NJW 2013, 1058, 1064 f.; BGH NStZ 2012, 347, 348.
Beim Lesen bekommt man Kopfschmerzen.
„Nach der Vorstellung des Gesetzgebers in der Art und Weise, dass zunächst
auf Initiative eines der Verfahrensbeteiligten ein Gespräch über eine
Verständigung stattfindet, bei dem es zu Erörterungen zu einer
Strafober- oder Untergrenze kommt.“??
„Der BGH verwarf die vom Beschwerdeführer daraufhin eingelegte Revision, mit der Begründung,“
etc. etc.
Bei dem Text zu Fn 4 stimmt etwas nicht = – 2 BvR 2048/13 -. Das BVerfG Geht nicht auf die Menschenwürde ein. Vor allem aber folgt die nicht aus Art 3 GG.
Der Beitrag wurde inzwischen teilweise korrigiert. Leider wurde versäumt darauf hinzuweisen.