BAG: Kündigung eines Angestellten im öffentlichen Dienst wegen Nebenverdiensten als Zuhälter gerechtfertigt
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 28.10.2010 (2 AZR 293/09) entschieden, dass ein Angestellter im Öffentlichen Dienst, der sich einen Nebenverdienst als Zuhälter verschafft und deswegen verurteilt wird, mit einer fristlosen Kündigung seines Arbeitgebers rechnen muss. Eine Kündigung sei zumindest dann gerechtfertigt, wenn als Grund für die Zuhälterei das geringe Gehalt im Hauptberuf angegeben wird.
Sachverhalt
K ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war nach Abschluss seiner Ausbildung seit dem 21. Juli 2001 als Straßenbauarbeiter bei der beklagten Stadt beschäftigt. Vom 1. bis zum 25. Februar 2008 befand sich der Kläger wegen des Vorwurfs der Zuhälterei und des Menschenhandels in Untersuchungshaft. Nach Erhebung der Anklage wegen Zuhälterei, vorsätzlicher Körperverletzung, erpresserischen Menschenraubs, Erpressung, schweren Menschenhandels und sexueller Nötigung hörte die beklagte Stadt den K am 8. April 2008 zu diesen Vorwürfen an. Er bestritt deren Berechtigung. Mit rechtskräftigem Urteil vom 21. April 2008 verurteilte das Landgericht den K wegen gemeinschaftlicher Zuhälterei und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung. Diese Verurteilung basierte ua. auf der Feststellung, dass der K „mit seinem Gehalt, das er bei der [Beklagten] erzielte, nicht zufrieden (war) und einen zusätzlichen Verdienst (benötigte), um seine Familie zu ernähren“, und deshalb zusammen mit einem weiteren Täter den Entschluss gefasst hatte, „im Wege der Zuhälterei Geld zu verdienen“. Dazu hatten die Täter im März 2007 eine 18 Jahre alte tschechische Staatsbürgerin mit deren Einverständnis in Chemnitz abgeholt und nach B gebracht. Die junge Frau ging sodann in Essen und Dortmund der Prostitution nach. Im Januar 2008 beschloss K, sie nach Tschechien zurückzubringen. Als sie sich weigerte, schlug er sie mit einem Gürtel gegen ihre Unterschenkel.
Im April 2008 waren an mehreren Tagen Presseberichte über den Prozess und die Verurteilung des K erschienen, in denen auch über das Tatmotiv des K berichtet worden war. Mit Schreiben vom 24. April 2008 hörte die beklagte Stadt den bei ihr gebildeten Personalrat zur beabsichtigten Kündigung des K an. Der Personalrat erhob keine Bedenken. Mit Schreiben vom 2. Mai 2008 kündigte die beklagte Stadt das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2008. K hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, er habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Sein außerdienstliches Fehlverhalten habe keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Als Straßenbauer habe er keine dienstlichen Kontakte zu den Bürgern der Stadt.
Ist die ordentliche Kündigung mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam?
Lösung
Die ordentliche Kündigung wäre unwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist, § 1 Abs. 1 KSchG. Gem. § 1 Abs. 2 KSchG ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.
I. Die Kündigung erfolgte im vorliegenden Fall verhaltensbedingt.
1. Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine Vertragspflichten erheblich verletzt hat, das Arbeitsverhältnis dadurch auch künftig konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen, eine weitere Störung zuverlässig ausschließenden Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint.
2. Es müsste eine Pflichtverletzung des K vorliegen.
a) K hat keine vertragliche Hauptpflicht verletzt.
b) Ebenso wenig hat er eine arbeits- oder tarifvertragliche Nebenpflicht verletzt. Nach der Neuregelung des Tarifrechts besteht für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht mehr die besondere Pflicht, ihr gesamtes privates Verhalten so einzurichten, dass das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wird.
c) K könnte jedoch gegen die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen haben. Auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sozial rechtfertigen. § 241 Abs. 2 BGB gilt auch für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes.
Das BAG dazu:
Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Er ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat, wenn etwa der Arbeitnehmer die Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begeht. Ein solcher Bezug kann auch dadurch entstehen, dass sich der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer staatlichen Ermittlungen ausgesetzt sehen oder in der Öffentlichkeit mit der Straftat in Verbindung gebracht werden. Fehlt hingegen ein solcher Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, scheidet eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers regelmäßig aus.
Ungeachtet des Charakters der von ihm begangenen Straftat besteht in diesem Fall der erforderliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Der Kläger hat die Beklagte mit seiner Tat in Beziehung gebracht. Durch seine – auch in der Presse wiedergegebenen – Äußerungen im Strafverfahren hat er eine Verbindung zwischen seiner angeblich zu geringen Vergütung durch die Beklagte und seinem Tatmotiv hergestellt. Auf diese Weise hat er die Beklagte für sein strafbares Tun „mitverantwortlich“ gemacht. Er hat damit deren Integritätsinteresse erheblich verletzt. Ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, der in besonderem Maße an Recht und Gesetz gebunden ist und in dieser Hinsicht einer besonders kritischen Beobachtung durch die Öffentlichkeit unterliegt, hat ein berechtigtes und gesteigertes Interesse daran, in keinerlei – und sei es auch abwegigen – Zusammenhang mit Straftaten seiner Bediensteten in Verbindung gebracht zu werden.
Mithin hat K durch sein außerdienstliches strafbares Verhalten seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten verletzt.
3. Des Weiteren müsste die Stadt den K vorher abgemahnt haben. Im vorliegenden Fall durfte K angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzung nicht damit rechnen, die Beklagte werde diese hinnehmen. Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es mithin nicht.
Mithin war die Kündigung sozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG.
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