Im Verlaufe der letzten Jahre entfachte eine Diskussion darüber, wie arbeitsrechtlich mit neuartigen Beschäftigungsformen wie etwa der Vermittlung oder dem Abschluss von Einzelaufträgen über Online-Plattformen (sog. Crowdworking) umgegangen werden soll. Kernpunkt war die Frage, ob Crowdworker Arbeitnehmer sind. Dementsprechend gespannt wurde die erste Entscheidung des BAG zu dieser Frage erwartet. Und nun der Paukenschlag aus Erfurt: Der neunte Senat des BAG qualifiziert entgegen vieler Erwartungen in seiner gestrigen Entscheidung (BAG, Urteil vom 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20) den klagenden Crowdworker als Arbeitnehmer. Doch der Reihe nach:
I. Sachverhalt (aus der Pressemitteilung des BAG entnommen):
Die Beklagte kontrolliert im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Kontrolltätigkeiten selbst lässt sie durch Crowdworker ausführen. Deren Aufgabe besteht insbesondere darin, Fotos von der Warenpräsentation anzufertigen und Fragen zur Werbung von Produkten zu beantworten. Auf der Grundlage einer „Basis-Vereinbarung“ und allgemeiner Geschäftsbedingungen bietet die Beklagte die „Mikrojobs“ über eine Online-Plattform an. Über einen persönlich eingerichteten Account kann jeder Nutzer der Online-Plattform auf bestimmte Verkaufsstellen bezogene Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Übernimmt der Crowdworker einen Auftrag, muss er diesen regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben des Crowdsourcers erledigen. Für erledigte Aufträge werden ihm auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Level und gestattet die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge.
Der Kläger führte für die Beklagte zuletzt in einem Zeitraum von elf Monaten 2978 Aufträge aus, bevor sie im Februar 2018 mitteilte, ihm zur Vermeidung künftiger Unstimmigkeiten keine weiteren Aufträge mehr anzubieten. Mit seiner Klage hat er zunächst beantragt festzustellen, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Im Verlauf des Rechtsstreits kündigte die Beklagte am 24. Juni 2019 ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis vorsorglich. Daraufhin hat der Kläger seine Klage, mit der er außerdem ua. Vergütungsansprüche verfolgt, um einen Kündigungsschutzantrag erweitert.
Die Vorinstanzen ArbG München, Urteil vom 20. Februar 2019 – 19 Ca 6915/18 und LAG München, Urteil vom 04. Dezember 2019 – 8 Sa 146/19 wiesen die Klage noch mit deutlichen Worten ab. Zur Begründung verwiesen sie insbesondere auf die fehlende Verpflichtung des Crowdworkers, Einzelaufträge anzunehmen und enthielten hierfür überwiegend Zustimmung aus der Literatur (so etwa Fischer, jurisPR-ArbR 12/2020 Anm. 2.; Spitz, jurisPR-ITR 6/2020 Anm. 3) Anders nun das BAG:
II. BAG bejaht Arbeitsverhältnis des Crowdworkers
Der Arbeitsvertrag ist seit 2017 ausdrücklich gesetzlich normiert in § 611a BGB, der zur Klarstellung die bisherigen Grundsätze des BAG festschreibt. Demnach hängt die Arbeitgebereigenschaft in erster Linie davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet, § 611a Abs. 1 S. 1 BGB. Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an, § 611a Abs. 1 S. 6 BGB. Maßgeblich ist stets eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls, vgl. § 611a Abs. 1 S. 5 BGB.
Diese vom Gesetz verlangte Gesamtabwägung aller Umstände kann ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind, so das BAG in seiner Pressemitteilung. Für ein Arbeitsverhältnis spreche es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. Dies sei im entschiedenen Verfahren der Fall gewesen. Das BAG berücksichtigt zwar, dass der klagende Crowdworker vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet gewesen ist. Dennoch habe er in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet. In der Pressemitteilung stützt das BAG seine Begründung vor allem auf ein Anreizsystem der Plattform, dass den Kläger veranlasste, einen Großteil seiner Arbeitszeit für diese aufzuwenden:
„Die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform war aber darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.“
Obwohl das BAG die Arbeitnehmereigenschaft bejahte, wies es die Revision dennoch überwiegend zurück. Denn die vorsorglich erklärte Kündigung des Plattformbetreibers beendete das zuvor bestehende Arbeitsverhältnis. Zudem verwies das BAG die Sache zurück an das LAG, das die vom Kläger begehrten Vergütungsansprüche neu berechnen muss. Der Kläger könne nicht ohne weiteres Vergütungszahlung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, könne in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet. Geschuldet sei die übliche Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das Landesarbeitsgericht aufzuklären habe.
III. Ausblick
Doch was bedeutet diese Entscheidung für andere Fälle von Crowdworking?
Zunächst einmal ist die Einordnung des Vertragsverhältnisses als Arbeitsverhältnis eine Einzelfallentscheidung. Um die Entscheidung und ihre Übertragbarkeit letztendlich beurteilen zu können, sind die derzeit noch nicht veröffentlichten Entscheidungsgründe abzuwarten. Dies gilt auch deshalb, da die Bejahung eines Arbeitsverhältnisses ohne Verpflichtung zur Annahme von Aufträgen auf den ersten Blick einen Widerspruch darstellt, dessen Überwindung enormen Begründungsaufwand bedarf. Eine solche vertiefte Begründung kann eine Pressemitteilung naturgemäß nicht liefern.
Durch das BAG geklärt ist immerhin, dass auch Crowdworker – jedenfalls im Einzelfall – Arbeitnehmer sein können.
Hinsichtlich einer Verallgemeinerung ist jedoch Vorsicht geboten. Denn es gibt nicht den einen Crowdworker. Gerade das Crowdworking ist durch eine Vielzahl unterschiedlicher Ausgestaltungen gekennzeichnet. So betraf der hiesige Fall eine Zweier-Konstellation, in der der Crowdworker Tätigkeiten direkt für den Plattformbetreiber ausführte. Oftmals generiert sich die Plattform aber als Vermittler für diverse Aufträge zu unterschiedlichen Drittkunden. Auch verfügt nicht jede Plattform über ein entsprechendes Anreizsystem.
Es ist demnach nicht ausgeschlossen, dass das BAG in künftigen Entscheidungen aufgrund der Besonderheiten des dann gegenständlichen Einzelfalls ein Arbeitsverhältnis eines Crowdworkers verneint – ohne sich dabei in Widerspruch zu seiner aktuellen Entscheidung stellen zu müssen. Es bleibt also spannend.
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Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Amir Nassar veröffentlichen zu können. Der Autor ist derzeit Student an der Humboldt Universität zu Berlin und studentischer Mitarbeiter der Wirtschaftskanzlei Raue.
Wer das Thema Urlaub heutzutage noch rechtssicher verstehen und anwenden möchte, ist darauf angewiesen nicht nur einen Blick in das nationale Recht zu werfen, sondern muss darüber hinaus auch die an Bedeutung gewinnende Rechtsprechung des EuGH kennen. Mit seinem Urteil vom 06.11.2018 – C-619/16 (NZA 2018, 1612) hat der Europäische Gerichtshof – neben der Vererblichkeit von Urlaubsansprüchen – einen weiteren Grundstein im deutschen Urlaubsrecht zur Seite geschoben.
I. Sachverhalt und Problematik
Der Rechtsreferendar Kreuziger absolvierte vom 13. Mai 2009 bis 28. Mai 2010 seinen juristischen Vorbereitungsdienst bei dem Land Berlin. In der Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum Ende seiner (öffentlich-rechtlichen) Ausbildung beantragte er keinen bezahlten Jahresurlaub. Vielmehr forderte er am 18. Dezember 2010 finanzielle Abgeltung für diesen nicht genommenen Jahresurlaub.
Dieser Antrag und die später erhobene Klage bei dem VG Berlin wurden mit der Begründung abgelehnt, dass die EUrlVO (Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamten und Richter) einen solchen Abgeltungsanspruch nicht vorsehe. Zudem leite sich ein Abgeltungsanspruch aus Art. 7 Abs. 2 der RL 2003/88 nur dann ab, wenn der Urlaub aus vom Arbeitnehmer nicht zu vertretenen Gründen nicht in Anspruch genommen werden könne.
Hier hätte Kreuziger den Urlaubsanspruch geltend machen können, hat jedoch freiwillig davon abgesehen, obwohl für ihn absehbar war, dass sein Arbeitsverhältnis zum 28. Mai 2010 endet. Und überhaupt könne sich Kreuziger auch nicht auf die RL 2003/88 berufen, da diese nur für Arbeitnehmer gelte.
Das Verfahren wurde vor dem OVG Berlin-Brandenburg fortgeführt, welches die RL im Fall des Rechtsreferendars für anwendbar hielt und sich mit der Frage auseinandersetzte, ob neben den beiden Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 der RL, nämlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der Geltendmachung und der fehlenden Inanspruchnahme des zustehenden Urlaubsanspruchs bis zur Beendigung, auch erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer unabhängig von seinem eigenen Willen nicht in der Lage gewesen ist, den Urlaubsanspruch vor Ende des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen. Diese Frage wurde dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
„Steht das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegen, die den Verlust des nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs und den Verlust der finanziellen Vergütung für diesen Urlaub vorsieht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantragt hat?“
II. Bisherige nationale Rechtslage
Nach § 7 Abs. 3 des deutschen Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verfällt der Urlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub bis zum Ende des Kalenderjahres nicht nimmt bzw. keinen Antrag stellt.
Ausnahmsweise ist eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr nur möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten (bis zum 31. März) des folgenden Kalenderjahrs genommen werden.
III. Entscheidung des EuGH
Der EuGH entschied am 06. November 2018, dass Arbeitnehmer ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht allein dadurch verlieren, dass der Urlaub nicht beantragt wurde.
Vielmehr kann der gesetzlich garantierte Urlaubsanspruch bzw. die Urlaubsabgeltung nur verfallen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen. Die Beweislast liegt insoweit beim Arbeitgeber.
Der Arbeitgeber versetzt den Arbeitnehmer in die Lage, den bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er seinen Hinweispflichten nachgeht. Er hat den Arbeitnehmer dazu aufzufordern, seinen Urlaub bis zum Ende des Kalenderjahres zu nehmen und darüber zu informieren, dass der Urlaub anderenfalls am Ende des Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeitraums oder am Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn dies in einen solchen Zeitraum fällt, verfallen wird.
Begründet wird dies damit, dass der Arbeitnehmer allgemein die schwächere Partei im Arbeitsverhältnis darstellt. Infolge der Unterlegenheit besteht die Gefahr, dass sich der Arbeitnehmer möglicherweise zurückgehalten fühlt seine Rechte gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen, weil er nachteilige Folgen für das Arbeitsverhältnis befürchtet.
Zudem soll hierdurch die praktische Wirksamkeit von Art. 7 der RL 2003/88, Art. 31 Abs. 2 GRCh und somit auch der bezahlte Urlaub als besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union gewährleistet werden.
Wenn der Arbeitgeber jedoch nachweisen kann, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Folgen darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, obwohl er in der Lage gewesen wäre, dann verfällt der Anspruch nach den gesetzlichen Vorschriften. Denn es soll dem Arbeitnehmer nicht ermöglicht werden, bewusst keinen Urlaub zu nehmen, um am Ende durch die Abgeltung eine Vergütung zu erhalten. Dies stünde dem Sinn und Zweck des Urlaubs, nämlich der ausreichenden Erholung und dem Schutz der Gesundheit, entgegen.
IV. Folgen der Entscheidung
Die Entscheidung des EuGH hat spürbare Auswirkungen und bestärkt das Recht auf Urlaub für Arbeitnehmer, Beamten und Personen, die sich in einem öffentlich rechtlichen Ausbildungsverhältnis befinden. Künftig erlischt der Urlaubsanspruch nicht mehr nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Bezugs- oder Übertragungszeitraum, sondern erst, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, den Urlaub zu nehmen. Unterlässt der Arbeitgeber seine Hinweispflichten, wird der Urlaubsanspruch nicht bis zum 31. März verfallen, sondern weiter übertragen. Abzuwarten bleibt, ob der Übertragungszeitraum auf 15 Monate begrenzt wird (EuGH Urt. v. 22. 11. 2011 − C-214/10 KHS), was jedoch zu erwarten ist, da eine unbegrenzte Übertragbarkeit ausufern würde. Im Übrigen verjähren Urlaubsansprüche, wenn sie nicht verfallen sind, nach drei Jahren (§ 195 BGB).
Somit ist § 7 Abs. 3 BUrlG zwar noch im Gesetz zu finden, wird jedoch im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung anders interpretiert.
Grundsätzlich kann neben dem gesetzlich garantierten Mindesturlaub von vier Wochen darüber hinaus auch ein vertraglicher Mehrurlaubsanspruch vereinbart werden. Dieser unterliegt der Privatautonomie und kann auch strengere Verfallsregelungen vorsehen.
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich diese Rechtsprechung nur auf den gesetzlichen vierwöchigen Mindesturlaub bezieht. Somit kann der vertragliche Mehrurlaub bei entsprechender Vereinbarung am Ende des Kalenderjahres verfallen.
Zum einen bleibt abzuwarten, ob die Befürchtungen der Arbeitnehmer bezüglich der Geltendmachung der Urlaubsansprüche dadurch behoben werden, dass der Arbeitgeber sie nun in einem Schreiben zur Beantragung des Urlaubsanspruches auffordern muss.
Zum anderen stellt sich die Frage, ob bzw. wie der Gesetzgeber das BUrlG an die EuGH Rechtsprechung anpassen wird.
Wir freuen uns nachfolgend einen Gastbeitrag von Maria Dimartino veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Rechtsanwältin mit den Interessenschwerpunkten Individual- und Kollektivarbeitsrecht. Sie hat Rechtswissenschaften in Heidelberg und Frankfurt a.M. studiert. Ihr Referendariat hat Sie am Landgericht Wiesbaden absolviert. Sie ist als selbstständige Rechtsanwältin und Lehrbeauftrage/Tutorin tätig. Mehr Informationen über die Autorin finden Sie hier.
Dem Beitrag liegt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu Grunde. Das BAG hat sich in seinem Urteil vom 19. Dezember 2013, 6 AZR 190/12 mit der Frage beschäftigt, ob eine symptomlose HIV-Infektion den Anwendungsbereich des § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eröffnet und folglich wegen einer Diskriminierung aufgrund diesen Merkmals eine Schadensersatz bzw. eine Entschädigungszahlung gem. § 15 Abs. 1, 2 AGG begründet.
I. Sachverhalt
Der Kläger ist aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 1. Dezember 2010 als chemisch- technischer Assistent bei der Beklagten angestellt. Die Beklagte produziert Arzneimittel zur Behandlung von Krebserkrankungen, die intravenös verabreicht werden. Das Arbeitsverhältnis war bis zum 5. Dezember 2011 befristet, wobei die ersten sechs Monate als Probezeit vereinbart waren, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte. Bei einer Einstellungsuntersuchung am 8. Dezember 2010 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, dass er HIV-infiziert ist. Der Kläger ist symptomfrei und hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 10. Der Kläger sollte seine Tätigkeit im Reinraum der Beklagten ausführen. Dagegen äußerte der Betriebsarzt Bedenken in dem von ihm auszufüllenden Formular „Standard Operating Procedure“ (SOP). Dieses Formular der Beklagten dient der Umsetzung des sogenannten „Leitfaden der guten Herstellungspraxis“ (Dabei handelt es sich um Leitlinien der EU-Kommission). In Ziffer 2.15 des Leitfaden heißt es:
„Es sollen Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.“
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 04. Januar 2011 zum 24. Januar 2011. Möglichkeiten zur Beschäftigung des Klägers außerhalb des Reinraums bestanden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichtes nicht. Der Kläger greift diese Kündigung an und macht geltend, dass diese Kündigung diskriminierend sei, weil diese allein wegen seiner symptomlosen HIV-Infektion erfolgt sei. Dies stelle eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung im Sinne des § 1 AGG dar. Aus diesem Grunde stünde ihm auch eine Entschädigung im Sinne des § 15 AGG zu.
II. Ansprüche gem. § 15 Abs. 1, 2 AGG
1. Persönlicher Abwendungsbereich, § 6 Abs. 1 AGG
Der Kläger ist aufgrund eines Arbeitsvertrages beschäftigt und damit Arbeitnehmer im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG.
2. Sachlicher Anwendungsbereich
a) Bereichsausnahme, § 2 Abs. 4 AGG
Gem. § 2 Abs. 4 AGG soll das AGG nicht für Sachverhalte anwendbar sein, die das KSchG betreffen. Bei solchen Kündigungen wird die Wirkung des AGG jedoch im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln geprüft. Ob diese Bereichsausnahme Richtlinienkonform ist kann an dieser Stelle dahinstehen, da in diesem Fall das Kündigungsschutzgesetz gar nicht anzuwenden war, da die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 KSchG nicht erfüllt war. In solchen Fällen, bei dem das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet kann es auch nicht zu einer Konkurrenz zwischen AGG und KSchG kommen. Daher sind Kündigungen, für die nicht der Maßstab der sozialen Rechtfertigung des § 1 Abs. 1, 2 KSchG eröffnet ist unmittelbar am Maßstab des AGG zu messen.
„§ 2 Abs. 4 AGG regelt für Kündigung nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geht insoweit diesen Klauseln vor und verdrängt diese. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind deshalb unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz messen. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Zweck des § 2 Abs. 4 AGG […].“
b) Benachteiligungsmerkmal i.S.v. § 1 AGG ?
Das AGG untersagt Diskriminierungen aufgrund der in § 1 AGG genannten Merkmale. Benachteiligungsmerkmale gem. § 1 AGG sind Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, ethnischen Herkunft, Geschlechts, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alters oder sexuellen Identität. Das BAG hat sich sehr ausführlich mit dem Begriff der Behinderung i.S.d. AGG beschäftigt und sich für eine weite Definition unter Berücksichtigung der Teilhabe am Berufsleben und an der Gesellschaft ausgesprochen. Darunter können auch chronische Erkrankungen fallen, soweit eine Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt. Auf einen bestimmten Grad der Behinderung (GdB) kommt es nicht an. Das BAG hat festgestellt, dass eine symptomlose HIV-Infektion eine Behinderung im Sinne des § 1 AGG darstellt.
„Eine Behinderung liegt vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder will die Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch – in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) – seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann […].“
Weiter führt das BAG aus:
„Der Kläger ist aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt. Diese Beeinträchtigungen wirkt sich auf seine Teilhabe sowohl im Leben in der Gemeinschaft als auch in deinem Berufsfeld aus. Er ist deshalb behindert i.S.d. § 1 AGG. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhende Stigmatisierungen andauern […].“
3. Benachteiligungsverbot i.S.d. § 7 Abs. 1 AGG
Die Begriffe der unmittelbare bzw. mittelbare Benachteiligung sind in. § 3 AGG legal definiert. Eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 S. 1 AGG liegt demnach vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstigen Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die Kündigung benachteilige hier den Kläger unmittelbar i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG, weil sie im untrennbaren Zusammenhang mit seiner symptomlosen HIV-Infektion (Behinderung, i.S.d. § 1 AGG) steht.
4. Vorliegen von Rechtfertigungsgründen
Eine Benachteiligung aufgrund eines in § 1 AGG genannten Merkmale kann ggf. gerechtfertigt sein:
- § 5 AGG (Positive Maßnahmen)
- § 8 AGG (berufliche Anforderungen)
- § 9 AGG (Religion oder Weltanschauung)
- § 10 AGG (Alter)
In dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, da dieses noch aufklären muss, ob der Arbeitgeber ausreichend angemessene Vorkehrungen getroffen hat um sich überhaupt auf § 8 Abs. 1 AGG berufen zu dürfen. Denn bei einer Behinderung sind angemessene Vorkehrungen zur Nachteilsausgleichung zu Treffen (vgl. § 81 Abs. 1, 2 SGB IX). Wenn der Arbeitgeber dies unterlässt und der Arbeitnehmer deshalb nicht eingesetzt werden kann, ist dieser Umstand nicht der Behinderung sondern der Untätigkeit des Arbeitgebers geschuldet. Eine Kündigung ist dann nicht gerechtfertigt.
III. Rechtfolgen bei rechtswidriger Benachteiligung
- Unwirksamkeit der Vereinbarung, § 7 Abs. 2 AGG
- Leistungsverweigerungsrecht, § 14 AGG
- Schadensersatzanspruch, § 15 Abs. 1 AGG
- Entschädigungsanspruch, § 15 Abs. 2 AGG
- Unterlassungs-s/Beseitigungsanspruch
- Kein Anspruch auf Beschäftigung, 15 Abs. 6 AGG
1. Schadensersatz, § 15 Abs. 1 AGG
a) Ein Verschulden wird vermutet.
b) Materieller Schaden Ein Bewerber müsste darlegen und beweisen, dass er als der am besten geeignete Bewerber bei diskriminierungsfreier Auswahl die Stelle erhalten hätte. Hieran ändert auch § 22 AGG nichts. Diese Hürde wird in der Regel nicht zu nehmen sein, da der Bewerber auch keinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber hat. In diesem Fall ist der K jedoch bereits eingestellt worden und explizit wegen seiner HIV-Infektion gekündigt worden. Wenn nach den Feststellungen des Landgerichtes eine Beschäftigung des K möglich gewesen wäre ohne, dass ein höheres Risiko von ihm ausgegangen wäre, ihm ein Schadensersatzanspruch zustünde (unabhängig von der Frage, ob die Kündigung unwirksam ist). Der Schaden ist zu bemessen nach den allgemeinen Grundsätzen des § 249 BGB. Eine Obergrenze ist hier anders als bei § 15 Abs. 2 S. 2 AGG nicht festgelegt. Hier würde sich der Schaden wohl in der Höhe des Arbeitsentgeltes bis zum nächsten (hypothetischen) Kündigungstermins belaufen. Schwieriger wäre eine materielle Schadensermittlung im Falle der Feststellung, dass die Kündigung nun gar nicht mehr wirksam ist.
2. Immaterieller Schadensersatz, § 15 Abs. 2 AGG
a) Verschuldensunabhängig b) Entschädigung für den Schaden der „nicht Vermögensschaden“ ist
Die Höhe der Entschädigung steht im Ermessen des Gerichts (vgl. § 253 BGB). Sie richtet sich nach der Schwere der Benachteiligung, dem Grad eines eventuellen Verschuldens des Arbeitgebers und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers. Sie sollte zumindest so hoch sein, dass sie geeignet ist, den Arbeitgeber von weiteren Diskriminierungen abzuhalten. Für den Fall einer Einstellungsdiskriminierung bzgl. einer Person, welche auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, setzt § 15 Abs. 2 S. 2 AGG eine Obergrenze von drei Monatsgehältern fest.
3. Beweislastverteilung, § 22 AGG
Hiernach muss der Anspruchssteller die Anwendbarkeit des AGG, sowie das Vorliegen einer objektiven Benachteiligung beweisen. Es reichen hierbei Indizien aus (z.B. Stellenausschreibung nicht geschlechtsneutral). Sodann muss der Arbeitgeber beweisen, dass kein Verstoß gegen das AGG vorliegt. D.h. der Arbeitgeber muss nachweisen, dass die ungleiche Behandlung auf einem zulässigen Auswahlgrund beruht.
4. Form- und Fristgemäße Geltendmachung, § 15 Abs. 4 AGG
Ansprüche aus § 15 Abs. 1, 2 AGG müssen innerhalb von zwei Monaten schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden. Bei Ablehnung der Ansprüche durch den Arbeitgeber muss gem. § 61 b Abs. 1 ArbGG eine klageweise Durchsetzung dieser Ansprüche innerhalb von drei Monaten vor dem zuständigen Arbeitsgericht erfolgen.
5. Weitere Ansprüche
Weitere Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeldansprüche können daneben geltend gemacht werden (§§ 280, 253, 823 BGB).
6. Ein Anspruch auf Einstellung besteht nicht, § 15 Abs. 6 AGG
IV.Fazit Ansprüche aus §§ 15 Abs. 1, 2 AGG eignen sich gut, um eine arbeitsrechtliche Klausur mit Grundlagen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes anzureichern und können daher als Zusatzfrage neben der Frage der Wirksamkeit einer Kündigung auftauchen. Der Begriff der Behinderung im Sinne des AGG ist weiter zu verstehen, als der in § 2 SGB IX. Denn zu berücksichtigen ist auch, ob aufgrund eines Merkmals i.S.d. § 1 AGG eine derartige Stigmatisierung erfolgt, dass sich diese benachteiligend auf das Beschäftigungsverhältnis auswirkt. Dem Arbeitgeber obliegt grundsätzlich die Pflicht zu prüfen, ob ein Arbeitnehmer trotz Behinderung bei angemessen Vorkehrungen zu beschäftigen ist.
In einer neueren Entscheidung des BAG vom 28.10.2010 (8 AZR 647/09 – lesenswert!) geht es um die Haftungsmodalitäten bei sog. „betrieblich veranlassten Tätigkeiten“ und den Aufwendungsersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nach § 670 BGB analog. Zu letzterem stellt sich die Frage, inwiefern sich der Arbeitnehmer ein Mitverschulden nach § 254 BGB anrechnen lassen muss und wer die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt. Die Grundsätze zur betrieblich veranlassten Tätigkeit gehören zum examensrelevanten Arbeitsrecht und sollten zumindest in Grundzügen beherrscht werden.
Sachverhalt (vereinfacht)
A ist Verkäufer bei der Firma B für Schiffs- und Industriebedarf. Üblicherweise werden Transportfahrten der Waren durch Lagermitarbeiter der B mittels dafür vorgesehener, firmeneigener Transportfahrzeugen durchgeführt. In der Vergangenheit kam es jedoch häufiger vor, dass kleinere Transportfahrten, die auf dem Weg zwischen Arbeitsplatz und Wohnort der Verkäufer lagen, von diesen übernommen und als Arbeitszeit vergütet wurden. Hierbei kam jeweils der private PKW des jeweiligen Verkäufers zum Einsatz.
Dementsprechend soll A am 9. Mai 2007 einige Kleinteile bei einem Kunden abholen. A fährt mit seinem privaten PKW los. An einer Ampel kommt es zu einem Auffahrunfall, bei dem das Fahrzeug des A einen Totalschaden erleidet. Ein Versicherung besteht nicht. Der genaue Unfallhergang kann nicht mehr festgestellt werden. Insbesondere bleibt unklar, wer für den Unfall verantwortlich war. Eine Begutachtung der Unfallstelle durch einen Sachverständigen erfolgte nicht, da A und der Unfallgegner sogleich Namen und Adressen austauschen und schließlich nach Hause fahren. Die Polizei wird nicht eingeschaltet. A gibt lediglich an, er habe „nicht mehr rechtzeitig bremsen können“, als das vorausfahrende Fahrzeug (aufgrund eines Dritten, unbekannt bleibenden Verkehrsteilnehmers) „abrupt“ vor ihm angehalten habe. Er und der Unfallgegner seien „im dichten Feierabendverkehr“ gefahren und hätten Geschwindigkeiten von „40 bis 45 km/h“ jeweils nicht überschritten. Weitere Angaben kann A nicht machen. Das beschädigte Fahrzeug verkauft er an einen Autohändler.
A verlangt nunmehr von B den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts des Fahrzeugs, sowie eine Nutzungsausfallentschädigung. Immerhin habe es sich um eine Dienstfahrt gehandelt, die – was zutrifft – mit seinem Vorgesetzten abgesprochen war. Anhaltspunkte, die auf eine besonders schweres Fehlverhalten des A bezüglich des Unfalls hinwiesen, seien wegen des von ihm geschilderten Unfallherganges nicht naheliegend. B weist lediglich daraufhin, dass schon der Totalschaden für ein erhebliches Fehlverhalten des A spreche. A sei „selbst schuld“, B müsse nichts zahlen. Kann A von B Ersatz verlangen?
Entsprechende Anwendung des § 670 BGB bei Arbeitsverhältnissen
Der BGH geht zunächst auf die Frage ein, wann ein Anspruch nach § 670 BGB analog in Betracht kommt.
Nach § 670 BGB kann der Beauftragte vom Auftraggeber Ersatz von Aufwendungen verlangen, die er zum Zwecke der Ausführung des Auftrages gemacht hat und die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte. Ein Arbeitnehmer hat in entsprechender Anwendung des § 670 BGB Anspruch auf Ersatz von Schäden, die ihm bei Erbringung der Arbeitsleistung ohne Verschulden des Arbeitgebers entstehen. Voraussetzung der Ersatzfähigkeit des Eigenschadens ist, dass dieser nicht dem Lebensbereich des Arbeitnehmers, sondern dem Betätigungsbereich des Arbeitgebers zuzurechnen ist und der Arbeitnehmer ihn nicht selbst tragen muss, weil er dafür eine besondere Vergütung erhält […].
Sachschäden des Arbeitnehmers, mit denen nach Art und Natur des Betriebs oder der Arbeit nicht zu rechnen ist, insbesondere Schäden, die notwendig oder regelmäßig entstehen, sind arbeitsadäquat und im Arbeitsverhältnis keine Aufwendungen iSd. § 670 BGB. Handelt es sich dagegen um außergewöhnliche Sachschäden, mit denen der Arbeitnehmer nach der Art des Betriebs oder der Arbeit nicht ohne weiteres zu rechnen hat, so liegt eine Aufwendung nach § 670 BGB vor. Ein Verkehrsunfall bei der Auslieferung oder Abholung von Waren für den Arbeitgeber beruht zwar auf der dem Fahrer übertragenen und damit betrieblich veranlassten Tätigkeit, gehört aber nicht zu den üblichen Begleiterscheinungen dieser Tätigkeit und ist mithin nicht arbeitsadäquat.
In entsprechender Anwendung des § 670 BGB muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer an dessen Fahrzeug entstandene Unfallschäden ersetzen, wenn das Fahrzeug mit Billigung des Arbeitgebers in dessen Betätigungsbereich eingesetzt wurde. Um einen Einsatz im Betätigungsbereich des Arbeitgebers handelt es sich, wenn ohne den Einsatz des Arbeitnehmerfahrzeugs der Arbeitgeber ein eigenes Fahrzeug einsetzen und damit dessen Unfallgefahr tragen müsste. Das Landesarbeitsgericht hat die Frage, ob eine Veranlassung für die Fahrt am 9. Mai 2007 seitens der Beklagten vorgelegen hat, dahinstehen lassen. Die betriebliche Veranlassung ergibt sich allerdings bereits aus dem unstreitigen Parteivorbringen. Der Kläger hat seinen Pkw im Betätigungsbereich der Beklagten eingesetzt, weil diese ohne diesen Einsatz ein eigenes Fahrzeug benötigt hätte und damit das Unfallrisiko hätte tragen müssen. […] Da die Beklagte den Kläger beauftragt hatte, die Teile mit einem Kraftfahrzeug bei dem Kunden bzw. Auftragnehmer abzuholen und der Kläger hierfür seinen eigenen Pkw benutzt hat, hat er diesen im Betätigungsbereich der Beklagten eingesetzt. Ob dies neben dem Interesse der Beklagten auch seinem eigenen Interesse gedient hat, ist unbeachtlich. Die Benutzung seines eigenen Fahrzeugs erfolgte mit Billigung der Beklagten. Im Betrieb der Beklagten war es – wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat – üblich, dass Mitarbeiter mit ihren Privatfahrzeugen Gegenstände zu Kunden bringen und/oder dort abholen. […]Auch der Umstand, dass die Beklagte Fahrtzeiten für Auslieferungs- oder Abholfahrten mit Privat-Pkws als Arbeitszeiten vergütet hat, lässt auf die grundsätzliche Billigung der Nutzung von Privatwagen schließen. Deshalb hätte die Beklagte eine konkrete gegenteilige Weisung behaupten müssen, wenn sie eine Billigung der vom Kläger durchgeführten Fahrt mit seinem Fahrzeug zu dem Kunden am 9. Mai 2007 in Abrede stellen will.
Mithaftung des Arbeitnehmers bei betrieblich veranlasster Tätigkeit
Die von der Rechtssprechung entwickelte Abstufung der Haftung des Arbeitnehmers im Rahmen einer betrieblich veranlassten Tätigkeit gilt auch bei der Frage des Mitverschuldens des Arbeitnehmers bei § 670 BGB in analoger Anwendung.
Ein Anspruch des Arbeitnehmers aus dem Rechtsgedanken des § 670 BGB auf Aufwendungsersatz scheidet dann aus, wenn der Arbeitnehmer infolge einer schuldhaften Handlungsweise sein Vorgehen den Umständen nach nicht für erforderlich halten durfte. Bei der Bewertung, wann und ggf. in welchem Umfange Verschulden des Arbeitnehmers den Ersatzanspruch ausschließt oder mindert, kommen die Grundsätze über den innerbetrieblichen Schadensausgleich zur Anwendung. In Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB bedeutet dies, dass im Falle leichtester Fahrlässigkeit eine Mithaftung des Arbeitnehmers entfällt.Bei normaler Schuld des Arbeitnehmers (mittlere Fahrlässigkeit) ist der Schaden grundsätzlich anteilig unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu verteilen und bei grob fahrlässiger Schadensverursachung ist der Ersatzanspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich ganz ausgeschlossen.
Darlegungs- und Beweislast für Grad des Verschuldens regelmäßig beim Arbeitnehmer
Der BGH befasst sich mit den Voraussetzungen eines Aufwendungsersatzanspruchs und stellt fest, dass dieser nicht verlangt werden kann, wenn der Arbeitnehmer bei der Geschäftsbesorgung grob fahrlässig gehandelt hat. Im Rahmen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs reicht es folglich aus, wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass ggf. lediglich leichte Fahrlässigkeit gegeben war, um einen unbeschränkten Ersatzanspruch geltend machen zu können.
Auch im Schrifttum ist es annähernd einhellige Auffassung, dass der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Umstände trägt, die eine grob fahrlässige Schadensverursachung ausschließen, wenn er die volle Erstattung eines erlittenen Schadens verlangt. Begründet wird dies damit, dass eine erforderliche Aufwendung iSv. § 670 BGB nur unter Ausschluss eines bestimmte Verschuldens vorliegen könne. Da mithin für einen unbeschränkten Aufwendungsersatzanspruch Voraussetzung sei, dass der Arbeitnehmer den Schaden nicht grob fahrlässig herbeigeführt habe, treffe diesen auch die Darlegungslast für Umstände, die eine grob fahrlässige Schadensverursachung ausschließen. Die Darlegungslast folge der Regel, dass derjenige die Umstände darzulegen hat, der sich auf deren Vorliegen oder Nichtvorliegen beruft.
In Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Literatur hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest.Zu [den Tatbestandsvoraussetzungen von § 670 BGB] zählt, wenn der Arbeitnehmer vollen Ersatz seiner Aufwendungen verlangt, unter Berücksichtigung der Haftungsregeln für den innerbetrieblichen Schadensausgleich, dass seine Aufwendungen nur dann als in vollem Umfange erforderlich zu betrachten sind, wenn sich der Arbeitnehmer nicht schuldhaft (vgl. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB), sondern allenfalls leicht fahrlässig verhalten hat. Damit muss nach den allgemeinen prozessualen Darlegungs- und Beweislastregeln, die verlangen, dass der Anspruchssteller alle Tatbestandsvoraussetzungen für seinen geltend gemachten Anspruch darlegt und ggf. beweist, der Arbeitnehmer, der vollen Aufwendungsersatz entsprechend § 670 BGB verlangt, zunächst darlegen, dass er den Schaden nicht schuldhaft, dh. vorsätzlich oder normal fahrlässig, sondern allenfalls leicht fahrlässig verursacht hat.
Dies hat A hier vorliegend nicht getan. Die Vorinstanz hatte dazu schon ausgeführt:
Er trägt vor, der Autofahrer könne im innerstädtischen Verkehr die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nur sporadisch durch einen Blick auf den Tacho überprüfen. Es habe sich um ‚gefühlte Geschwindigkeitʼ gehandelt.Der Kläger hat jedoch keine Tatsachen dazu vorgetragen, wie er an den Wert zwischen 10 und 15 km/h Aufprallgeschwindigkeit gelangt ist. Messungen haben nicht stattgefunden. Der Unfall wurde nicht polizeilich aufgenommen. Die behauptete Ausgangsgeschwindigkeit, die der Kläger pauschal und ohne Beweisantritt mit 40 bis 45 km/h angibt, die Länge des Bremsweges, aus der sich Rückschlüsse auf die Auffahrgeschwindigkeit hätten ziehen lassen, wären aber von erheblicher Bedeutung gewesen, um den Verschuldensgrad bewerten zu können. Da der Kläger den Sicherheitsabstand zu seinem Vordermann nicht einhielt, hätte es entsprechender Darlegung bedurft, wie groß denn der Abstand gewesen sein soll. Dazu hat der Kläger aber keinerlei Umstände vorgetragen.
Kein Wertungswiederspruch zu Fällen, in denen ein Arbeitnehmer einen Firmenwagen beschädigt
Fraglich könnte sein, ob die Beschädigung eines Firmenwagens durch einen Arbeitnehmer hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast für diesen günstiger ist, sodass derjenige, der seinen privaten PKW zum Einsatz bringe, benachteiligt wäre. Dies wird vom BGH hier verneint.
Der Einwand des Klägers, es stelle einen Wertungswiderspruch dar, dem Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für eine nicht grob fahrlässige Verursachung eines Schadens im Falle der betrieblich veranlassten Beschädigung des eigenen Pkws aufzuerlegen, während der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für den Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers trägt, wenn dieser bei der gleichen Tätigkeit einen Firmenwagen beschädigt, greift zumindest vorliegend nicht durch. Auch im Rahmen eines arbeitgeberseitigen Schadensersatzanspruchs wegen der Beschädigung eines Firmenwagens ist eine abgestufte Darlegungslast hinsichtlich der Umstände, die zur Beschädigung geführt haben, zu beachten. Das heißt, auch dann hätte sich der Kläger zunächst zu den konkreten Umständen des Schadensfalles erklären müssen, da an die Darlegungslast des Arbeitgebers keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, wenn das schädigende Ereignis näher am Arbeitnehmer als am Arbeitgeber gelegen hat. Auch nach diesen Grundsätzen hätte der Kläger darlegen müssen, wie es zu dem Auffahrunfall gekommen ist, damit für die Beklagte die Möglichkeit bestanden hätte, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass Fahrlässigkeit der Kläger den Unfall verschuldet hat.
Fazit
A hat keinen Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 670 BGB analog. Die Entscheidung könnte den Anstoß dazu geben, die Grundsätze zur betrieblich veranlassten Tätigkeit bzw. dem innerbetrieblichen Schadensausgleich abzuprüfen. Die analoge Anwendung des § 670 BGB auf Arbeitsverhältnisse sollte man sich merken.
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 28.10.2010 (2 AZR 293/09) entschieden, dass ein Angestellter im Öffentlichen Dienst, der sich einen Nebenverdienst als Zuhälter verschafft und deswegen verurteilt wird, mit einer fristlosen Kündigung seines Arbeitgebers rechnen muss. Eine Kündigung sei zumindest dann gerechtfertigt, wenn als Grund für die Zuhälterei das geringe Gehalt im Hauptberuf angegeben wird.
Sachverhalt
K ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war nach Abschluss seiner Ausbildung seit dem 21. Juli 2001 als Straßenbauarbeiter bei der beklagten Stadt beschäftigt. Vom 1. bis zum 25. Februar 2008 befand sich der Kläger wegen des Vorwurfs der Zuhälterei und des Menschenhandels in Untersuchungshaft. Nach Erhebung der Anklage wegen Zuhälterei, vorsätzlicher Körperverletzung, erpresserischen Menschenraubs, Erpressung, schweren Menschenhandels und sexueller Nötigung hörte die beklagte Stadt den K am 8. April 2008 zu diesen Vorwürfen an. Er bestritt deren Berechtigung. Mit rechtskräftigem Urteil vom 21. April 2008 verurteilte das Landgericht den K wegen gemeinschaftlicher Zuhälterei und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung. Diese Verurteilung basierte ua. auf der Feststellung, dass der K „mit seinem Gehalt, das er bei der [Beklagten] erzielte, nicht zufrieden (war) und einen zusätzlichen Verdienst (benötigte), um seine Familie zu ernähren“, und deshalb zusammen mit einem weiteren Täter den Entschluss gefasst hatte, „im Wege der Zuhälterei Geld zu verdienen“. Dazu hatten die Täter im März 2007 eine 18 Jahre alte tschechische Staatsbürgerin mit deren Einverständnis in Chemnitz abgeholt und nach B gebracht. Die junge Frau ging sodann in Essen und Dortmund der Prostitution nach. Im Januar 2008 beschloss K, sie nach Tschechien zurückzubringen. Als sie sich weigerte, schlug er sie mit einem Gürtel gegen ihre Unterschenkel.
Im April 2008 waren an mehreren Tagen Presseberichte über den Prozess und die Verurteilung des K erschienen, in denen auch über das Tatmotiv des K berichtet worden war. Mit Schreiben vom 24. April 2008 hörte die beklagte Stadt den bei ihr gebildeten Personalrat zur beabsichtigten Kündigung des K an. Der Personalrat erhob keine Bedenken. Mit Schreiben vom 2. Mai 2008 kündigte die beklagte Stadt das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2008. K hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, er habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Sein außerdienstliches Fehlverhalten habe keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Als Straßenbauer habe er keine dienstlichen Kontakte zu den Bürgern der Stadt.
Ist die ordentliche Kündigung mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam?
Lösung
Die ordentliche Kündigung wäre unwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist, § 1 Abs. 1 KSchG. Gem. § 1 Abs. 2 KSchG ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.
I. Die Kündigung erfolgte im vorliegenden Fall verhaltensbedingt.
1. Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine Vertragspflichten erheblich verletzt hat, das Arbeitsverhältnis dadurch auch künftig konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen, eine weitere Störung zuverlässig ausschließenden Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint.
2. Es müsste eine Pflichtverletzung des K vorliegen.
a) K hat keine vertragliche Hauptpflicht verletzt.
b) Ebenso wenig hat er eine arbeits- oder tarifvertragliche Nebenpflicht verletzt. Nach der Neuregelung des Tarifrechts besteht für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht mehr die besondere Pflicht, ihr gesamtes privates Verhalten so einzurichten, dass das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wird.
c) K könnte jedoch gegen die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen haben. Auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sozial rechtfertigen. § 241 Abs. 2 BGB gilt auch für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes.
Das BAG dazu:
Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Er ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat, wenn etwa der Arbeitnehmer die Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begeht. Ein solcher Bezug kann auch dadurch entstehen, dass sich der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer staatlichen Ermittlungen ausgesetzt sehen oder in der Öffentlichkeit mit der Straftat in Verbindung gebracht werden. Fehlt hingegen ein solcher Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, scheidet eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers regelmäßig aus.
Ungeachtet des Charakters der von ihm begangenen Straftat besteht in diesem Fall der erforderliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Der Kläger hat die Beklagte mit seiner Tat in Beziehung gebracht. Durch seine – auch in der Presse wiedergegebenen – Äußerungen im Strafverfahren hat er eine Verbindung zwischen seiner angeblich zu geringen Vergütung durch die Beklagte und seinem Tatmotiv hergestellt. Auf diese Weise hat er die Beklagte für sein strafbares Tun „mitverantwortlich“ gemacht. Er hat damit deren Integritätsinteresse erheblich verletzt. Ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, der in besonderem Maße an Recht und Gesetz gebunden ist und in dieser Hinsicht einer besonders kritischen Beobachtung durch die Öffentlichkeit unterliegt, hat ein berechtigtes und gesteigertes Interesse daran, in keinerlei – und sei es auch abwegigen – Zusammenhang mit Straftaten seiner Bediensteten in Verbindung gebracht zu werden.
Mithin hat K durch sein außerdienstliches strafbares Verhalten seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten verletzt.
3. Des Weiteren müsste die Stadt den K vorher abgemahnt haben. Im vorliegenden Fall durfte K angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzung nicht damit rechnen, die Beklagte werde diese hinnehmen. Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es mithin nicht.
Mithin war die Kündigung sozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG.
In einem Urteil vom 20. August 2009 (Az.: 2 AZR 499/08) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass sich das Bekundungsverbot auch auf Mützen erstreckt, mit denen Haare, Haaransatz und Ohren einer Frau vollständig bedeckt und die erkennbar als Ersatz für ein islamisches Kopftuch getragen werden.
Sachverhalt
Bei der Klägerin handelt es sich um eine Lehrerin, die seit 1997 an einer Gesamtschule in NRW tätig ist. Während der Arbeitszeit trug sie ein islamisches Kopftuch als Zeichen ihrer religiösen Zugehörigkeit. Im Jahr 2006 trat jedoch ein neues Schulgesetz in Kraft. Nach dem Landesschulgesetz von Nordrhein-Westfalen (NRW) dürfen Lehrer und pädagogische Mitarbeiter unter anderem keine Kopftücher tragen, wenn sie damit ihre Zugehörigkeit zum Islam bekunden wollen. Auf diese neue Rechtslage wurde sie von ihrem Arbeitgeber, dem Land NRW, nachdrücklich hingewiesen. Seitdem trägt sie eine Mütze mit Strickbund, durch die Haare, Haaransatz und Ohren vollständig bedeckt sind. Mit der Begründung, bei dieser Mütze handele es sich lediglich um einen Ersatz für das verbotene Kopftuch, wurde die Klägerin erneut zur Unterlassung aufgefordert. Schließlich wurde die Klägerin abgemahnt, weil sie sich dieser Aufforderung widersetzte. Mit ihrer Klage verlangte sie die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte.
Entscheidung
Die Klage hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Nach Auffassung der Richter hat die Klägerin die Mütze als religiöse Bekundung und nicht lediglich als modisches Accessoire getragen und damit gegen das Schulgesetz verstoßen. Das Bekundungsverbot verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen das AGG oder europäische Diskriminierungsverbote.
Examensrelevanz
Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts – Beschluss vom 16.12.2008 (Aktenzeichen: 2 B 46.08) Ende letzten Jahres haben wir nun also auch im Arbeitsrecht eine aktuelle Kopftuch-Entscheidung, sodass es durchaus demnächst Gegenstand in der mündlichen als auch in den schriftlichen Prüfung sein könnte.