Strafrecht Klassiker – „Hochsitz Fall“ – BGHSt 31, 96
„…Der Angeklagte hatte, indem er den Hochsitz umwarf, um seinen Onkel zu verletzen, eine Handlung begangen, die für das Opfer das Risiko eines tödlichen Ausgangs in sich barg…“
Sachverhalt: Der Angeklagte warf einen Hochsitz um, auf dem sich zu dieser Zeit das spätere Opfer, sein Onkel befand. Dieser zog sich nach dem Sturz aus ca. 3,50m Höhe (lediglich) einen Knöchelverletzung zu. Diese wurde im nahe gelegenen Krankenhaus nach den Regeln der Kunst behandelt. Versäumt wurde allerdings, den Patienten bei und nach der Entlassung mit blutverflüssigenden Mitteln zu versorgen und bezgl. der Nachsorge zu Hause, zu informieren. Kurze Zeit später wurde der Verletzte wiederum, allerdings diesmal auf Grund erheblicher Herz-Kreislaufbeschwerden, ins Krankenhaus eingeliefert, wo er noch am gleichen Tag verstarb. Die Obduktion des Opfers ergab als Todesursache eine Lungenembolie, sowie eine Lungenentzündung, deren beider Ursprung in der langen Bettlägerigkeit des Opfers zu sehen ist. Darüber hinaus wurden altersbedingte Schwächen am Herz-Kreislaufsystem des Opfers diagnostiziert.
Kernfragen: Erforderlichkeit eines Unmittelbarkeitszusammenhangs iRv. § 227 StGB und Reichweite eines solchen? Dies insbesondere im Hinblick auf eine größere zeitliche Karenz und das fahrlässige Hinzutreten eines Dritten.
BGH: Der Wortlaut des § 227 StGB verlangt insoweit, dass der Todeserfolg „durch“ die Körperverletzung verursacht wurde, bezgl. der Tatfolge gilt § 18 StGB. Ein bloßer Kausalitätsnachweis iSd. „condicio sine qua non“ Formal, kann hierfür aber noch nicht ausreichen.
Vielmehr ergibt sich aus Sinn und Zweck des § 227 StGB, dass hier eine engere Beziehung zwischen der Körperverletzung und dem tödlichen Erfolg verlangt wird. Die Vorschrift soll der mit der Körperverletzung verbundenen Gefahr des Eintritts der qualifizierenden Todesfolge entgegenwirken. Sie gilt deshalb nur für solche Körperverletzungen, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen; gerade diese Gefahr muss sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben.
Der BGH stellt im Folgenden iRd. Unmittelbarkeitszusammenhangs ua. auf die Köperverletzungshandlung ab.
Als »Körperverletzung« stellt sich nicht nur die jeweils eingetretene Verletzungsfolge dar; vielmehr umfasst dieser Begriff auch das Handeln des Täters, das zu der Körperverletzungsfolge geführt hat. Demgemäß reicht es für den Tatbestand des § 227 StGB bereits aus, dass der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet und sich dann dieses dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko im Eintritt des Todes verwirklicht.
Auch ein Geschehensablauf, der länger andauert und bei dem mehrere Ereignisse kausal hinzutreten, ist nicht von vorneherein in diesem Rahmen ausgeschlossen.
Liegt der tatsächliche Geschehensablauf, der Körperverletzung und Todesfolge miteinander verknüpft, nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit – wie es etwa bei der außergewöhnlichen Verkettung unglücklicher Zufälle der Fall wäre –, dann kann sich im Tod des Opfers jene Gefahr verwirklicht haben, die bereits der Körperverletzungshandlung anhaftete; dies gilt auch dann, wenn diese Gefahr in der zunächst eingetretenen Verletzungsfolge als solcher noch nicht zum Ausdruck gekommen war.
Diese Kriterien wendet der BGH auf den vorliegenden Fall an und sieht den Tatbestand des § 227 StGB als erfüllt an.
So verhält es sich hier. Der Angeklagte hatte, indem er den Hochsitz umwarf, um seinen Onkel zu verletzen, eine Handlung begangen, die für das Opfer das Risiko eines tödlichen Ausgangs in sich barg. Die Gefahr für das Leben des Verletzten hat sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen. Daran ändert es nichts, dass die zunächst verursachte Verletzung (Knöchelbruch) für sich genommen nicht lebensbedrohlich erschien. Der Tod des Verletzten ist auf Grund eines Geschehensablaufs eingetreten, der nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit lag. Dass eine Sprunggelenkfraktur zu einem längeren Krankenlager des Verletzten führt, stellt sich nicht als ein außergewöhnlicher Verlauf dar. Es widerspricht auch nicht jeder Erfahrung, dass ein längeres, Verletzungsbedingtes Krankenlager die Entwicklung lebensgefährlicher Embolien und Lungenentzündungen begünstigt. Dass die Gefahren einer solchen Entwicklung verkannt werden, wirksame Gegenmaßnahmen unterbleiben und deshalb der Tod des Verletzten eintritt, ist nicht in einem solchen Maße unwahrscheinlich, dass hierdurch der Zusammenhang unterbrochen würde, der – im Sinne des § 227 StGB – den Tod des Opfers mit der dafür ursächlichen Körperverletzung verbindet.
Auch die Vorhersehbarkeit wird vom BGH bejaht, insbesondere auch im Hinblick auf die bereits erwähnte Tatsache, dass sich vorliegender Geschehensablauf als nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung darstellt. Relevant sei außerdem hier der Zeitpunkt des Umwerfens.
Die neu erkennende Schwurgerichtskammer wird die Frage der Vorhersehbarkeit des tödlichen Ausgangs für denjenigen Zeitpunkt zu beantworten haben, in dem der Angeklagte den Hochsitz umwarf, um seinen Onkel zu verletzen. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis veranlasst, dass sich die Vorhersehbarkeit nicht auf alle Einzelheiten des daran anschließenden, zum Tod des Verletzten führenden Geschehensablaufs zu erstrecken braucht. Ein nicht völlig außerhalb jeder Lebenserfahrung liegender Geschehensablauf wird regelmäßig auch vorhersehbar sein, so dass der Fahrlässigkeitsvorwurf nur dann entfällt, wenn der Angeklagte nach seinem individuell-persönlichen Wissens- und Erfahrungsstand nicht in der Lage gewesen ist, sich den Tod des Opfers als mögliche Folge der von ihm begangenen Körperverletzung vorzustellen.
Fazit: Der Hochsitz Fall ist so berühmt, wie umstritten, insbesondere im Hinblick auf den „großzügigen“ Umgang des BGH mit dem zu fordernden Unmittelbarkeitszusammenhang. Es gilt, sich kritisch mit der Entscheidung auseinanderzusetzen, auch im Hinblick auf die weiteren „Klassiker“ in diesem Umfeld, ua. den „Rötzel Fall“ oder die „Hetzjagd von Guben“.