Strafrecht Klassiker – „Sirius Fall“ – BGHSt 32, 38
„[…]Was Frau T. nicht ahnte und wollte, erstrebte der Angeklagte: Der – von beiden als sicher erwartete – Stromstoß sollte dem Leben der Getäuschten ein Ende setzen…[…]“
Sachverhalt: Der Angeklage lernte das spätere Opfer in einer Discothek kennen. Die junge Frau wird als „unselbstständig und komplexbeladen“ bezeichnet, was im Laufe des Geschehens durchaus an Bedeutung gewinnt. Im Folgenden entwickelte sich zwischen den beiden eine enge emotionale Beziehung, innerhalb derer es dem Angeklagten gelang, das völlige Vertrauen der jungen Frau zu gewinnen und ihr im Rahmen philosophischer und psychologischer Diskussionen vorzuspiegeln, er sei ein Bewohner des Sternes Sirius. Der Angeklagte beschloss im Folgenden, sich auf Kosten seiner „Schülerin“ zu bereichern, indem er unter anderem Geld für eine angeblich erforderliche „Heilbehandlung zur geistigen Fortentwicklung“ und für ein späteres Leben am Genfer See als Künstlerin in einem neuen Körper, entgegennahm. Zum Höhepunkt dieses skurilen Geschehens kam es am 1. Januar 1980: Der Angeklagte trug der Zeugin, im Bewusstsein seiner stark beeinflussenden Wirkung auf selbige, auf, sich in der Badewanne, mit Hilfe eines Haartrockerns, das „Leben zu nehmen“. Ziel war die Auszahlung der Summe einer Lebensversicherung, die die Zeugin im Vorfeld abgeschlossen hatte. Die Zeugen handlte im vollkommen Vertrauen auf die Angaben des Angeklagten, sie werde sofort in einem neuen Körper am „Genfer See in einem roten Raum“ erwachen. Eine Selbsttötung, die sie persönlich auch ablehnte, hatte sie dabei allerdings nie vor Augen. Aus technischen Gründen scheiterte der angebliche Selbstmord der Zeugin.
Kernfragen: Es stellt dich die Frage, ob der Angeklagte für das Verhalten des Opfers strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist. Dies vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass dieser das Opfer in einen Irrtum über den möglicheweise tödlichen Ausgang ihres Handelns versetzt hat. Wie ist die (straflose) Teilnahme an einer Selbsttötung von einer strafbaren Tötung in mittelbarer Täterschaft abzugrenzen, insbesondere in dem Fall, in dem der „Täter“ das Opfer lediglich in einen Irrtum versetzt?
BGH: Der BGH nimmt Stellung zur Abgrenzung von (strafloser) Teilnahme (vorliegen käme eine Anstiftung in Betracht) an einer Selbsttötung und eines (strafbaren) Mordes/Totschlages in mittelbarer Täterschaft, insbesondere für den Fall, in dem das Opfer (lediglich) durch eine Täuschung zu der Selbsttötung bewogen wird, wie dies vorliegen der Fall war. Letzlich könne hier keine allgemeingültige Abgrenzung vorgenommen werden, da eine Beurteilung immer nur an Hand des Einzelfalls zu treffen sei.
Die Frage der Abgrenzung »strafbarer Tötungstäterschaft von strafloser Selbsttötungsteilnahme[…]kann in Fällen, in denen derjenige, der unter dem Einfluß[…]eines anderen Hand an sich legt[…]durch Täuschung zur Vornahme der Tötungshandlung bewogen wird, nicht abstrakt beantwortet werden.
Indikatoren seien dabei die Art unf Weite des Irrtums und das sich daraus ergebende überlegende Wissen des „Hintermannes“.
Verschleiert er dem sich selbst ans Leben Gehenden die Tatsache, dass dieser eine Ursache für den eigenen Tod setzt, ist derjenige, der den Irrtum hervorgerufen[…] bewusst und gewollt ausgelöst hat, Täter eines[…]Tötungsdelikts kraft überlegenen Wissens, durch das er den Irrenden lenkt, zum Werkzeug gegen sich selbst macht.
Der BGH wendet die entwickelten Kriterien auf den Fall an und sieht sie als erfüllt an. Der Angeklagte habe dem Opfer gerade suggeriert, dass ihre irdische Existenz, wenn auch unter anderen Voraussetzungen weiter bestehen würde. Auch können die verwunderliche Leichtgläubigkeit des Opfers den Angeklagte nicht entlasten.
[…] spiegelte der Angeklagte seinem Opfer nicht vor, es werde durch das Tor des Todes in eine transzendente Existenz eingehen, sondern versetzte es in den Irrtum, es werde – obgleich es scheinbar als Leichnam in der Wanne liege – zunächst als Mensch seinen irdischen Lebensweg fortsetzen, wenn auch körperlich und geistig so gewandelt[…]Was Frau T. nicht ahnte und wollte, erstrebte der Angeklagte: Der – von beiden als sicher erwartete – Stromstoß sollte dem Leben der Getäuschten ein Ende setzen und dem Angeklagten die Versicherungssumme verschaffen, von der sein Opfer annahm, sie sei die wirtschaftliche Grundlage des neuen Lebensabschnitts. Der Angeklagte, der auch das eigentliche Tatgeschehen durch stundenlang erteilte Anweisungen maßgeblich steuerte, beging infolgedessen ein Verbrechen der versuchten mittelbaren Fremdtötung. Diese rechtliche Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass Frau T. völlig unglaubhaften Suggestionen erlag, obwohl sie keine psychischen Störungen aufwies. […]Das Erstaunliche dieses Vorgangs entlastet ihn nicht.
Auch führt der BGH aus, dass ein Irrtum des Opfers dahingehend, dass der eigene Tod als „Zwischenstufe“ für ein neues, zukünftiges Dasein erforderlich sei, zu keinem anderen Ergebnis führen kann.
Auch wenn Frau T. angenommen hätte, daß dem »Erwachen« […] ihr Tod vorausgehen müsse, dass sie in ein Leben nach dem Tode eintreten werde, das sie nicht in Fortsetzung ihrer […]Individualität, sondern als ein anderes (höheres) Wesen zu führen habe, bestünde die Verurteilung des Angeklagten zu Recht. Auch im Falle eines so beschaffenen Irrtums ginge es nicht darum, ob der Angeklagte das Opfer nur über den »konkreten Handlungssinn« getäuscht oder einen »bloßen Motivirrtum« hervorgerufen habe und ob ein solcher Irrtum ausreicht, um seine Tatherrschaft zu begründen Der Täuschung über den »konkreten Handlungssinn« wäre die Vorspiegelung immanent, dass der Tod nichts anderes als der Beginn neuen Lebens sei. Der darauf beruhende Irrtum hätte das Gewicht des Irrtums über den Nichteintritt des Todes.[…]
Das Mordmerkmal der Habgier sieht der BGH als erfüllt an.
Fazit: Ein Fall, der insbesondere auf Grund seines skurillen Sachverhalts berühmt ist. Zu den rechtlichen Problemen nimmt der BGH im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung Stellung. Eine Abgrenzung in der Klausur hat also unter Verwendung aller Sachverhaltsangaben und einer Abwägung an Hand der entwickelten Kriterien und Gewichtungen des BGH zu erfolgen.
Der Täter muss sich für Versuch Umstände vorstellen, welche Tatherrschaft begründen. Mit entscheidend für die Tat war hier die besondere, wohl gegenüber sich selbst wohl objektiv fahrlässige Labilität und Leichtgläubigkeit des Opfers. Diese für sich hat der Täter aber nicht beherrschen können, sondern nur mittels Täuschung deren Auswirkungen. Insofern könnte hier Tatherrschaft nach den vorgestellten Umständen.auf Seiten des Täters auch noch eher bezweifelbar sein.
Eventuell könnte noch versuchter Betrug o.ä. im Hinblick auf die Lebensversicherung erwägbar sein?
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