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Schlagwortarchiv für: Tatherrschaft

Yannick Peisker

BGH: Neues zur Sterbehilfe im Rahmen des § 216 StGB

Klassiker des BGHSt und RGSt, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Mit Entscheidung v. 28.6.2022 (Az. 6 StR 68/21) hat der BGH die bereits aus der „Gisela-Entscheidung“ bekannten Grundsätze zur Abgrenzung der straflosen Beihilfe zur strafbaren Tötung nach § 216 StGB weiter präzisiert. Dieses Problem ist ein echter Examensklassiker und immer wieder Gegenstand mündlicher und schriftlicher Prüfungen. Eine genaue Lektüre nicht nur dieses Beitrags, sondern auch der Entscheidungsgründe, die in Teilen wiedergegeben werden, kann sich daher bezahlt machen. Die neue Entscheidung des BGH soll zum Anlass genommen werden, die Problematik der Abgrenzung der straflosen Beihilfe von der strafbaren Tötung auf Verlangen noch einmal aufzubereiten. Auch sollen wertvolle Hinweise auf eine mögliche verfassungskonforme Auslegung infolge der Rechtsprechung des BVerfG zum grundrechtlichen Schutz der Selbsttötung. Eine klausurmäßige Aufbereitung der Probleme ist hier auffindbar.

I. Der Sachverhalt der Entscheidung

Der Sachverhalt, über den der sechste Senat des BGH zu entscheiden hatte, gestaltete sich wie folgt:

O wurde seit 2016 von der seiner Ehefrau T, einer ehemaligen Krankenschwester, betreut. Er hatte seit 1993 ein schweres chronisches Schmerzsyndrom entwickelt und war krankheitsbedingt berufsunfähig und in Rente. Er litt zudem unter zahlreichen Erkrankungen. Seine Schmerzen nahmen 2019 weiter zu und sein Zustand verschlechterte sich stetig, sodass er erwog, die Dienste eines Sterbehilfevereins in Anspruch zu nehmen. Nahezu wöchentlich äußerte er seinen Wunsch, sterben zu wollen. Er bat die T darauf hin, ihn ein paar Tage nicht zu pflegen und wegzufahren, damit er sich mit Tabletten das Leben nehmen wollte. Die T weigerte sich jedoch. Sein Leiden verschlimmerte sich weiter. Während eines gemeinsamen Kaffeetrinkens sagte O „Heute machen wir’s“, der T war klar, dass O sich das Leben nehmen wollte. Gegen 23:00 forderte O die T auf, ihm alle vorrätigen Tabletten zu geben, die O daraufhin selbständig einnahm. Dann forderte er die T auf, ihm alle noch vorhandenen Insulinspritzen zu geben, was sie auch tat. O und T sprachen noch miteinander, bevor er einschlief, gegen 3:30 konnte T seinen Tod feststellen. Er starb an Unterzuckerung infolge des Insulins, die eingenommenen Tabletten waren ebenfalls zur Herbeiführung des Todes geeignet, jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt. Ursächlich war damit die Gabe des Insulins.

II. Die Prüfung der Strafbarkeit der T

Täter des § 216 StGB ist nur, wer die Straftat auch selbst vornimmt. Es gelten die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe. Auf eine erneute Darstellung der Abgrenzung zwischen subjektiver Theorie und Tatherrschaftslehre soll hier verzichtet werden. Denn auch der BGH ist zumindest im Kontext des § 216 StGB von seinem subjektiven Ansatz abgewichen und stellt prinzipiell ausschließlich darauf ab, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht (BGH NJW 1965, 699, 701) Gerade im Falle des einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes, wo grundsätzlich beide Suizidenten einen entsprechenden Willen gebildet haben, sei eine subjektive Abgrenzung fraglich (BGH NJW 1965, 699, 700).

In seiner jüngsten Entscheidung formuliert der BGH wie folgt:

„Täter einer Tötung auf Verlangen ist, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht, auch wenn er sich damit einem fremden Selbsttötungswillen unterordnet. Entscheidend ist, wer den lebensbeendenden Akt eigenhändig ausführt. Gibt sich der Suizident nach dem Gesamtplan in die Hand des anderen, um duldend von ihm den Tod entgegenzunehmen, dann hat dieser die Tatherrschaft. Behält der Sterbewillige dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. Dies gilt nicht nur, wenn die Ursachenreihe von ihm selbst, sondern auch, wenn sie vom andern bewirkt worden war. Solange nach Vollzug des Tatbeitrags des anderen dem Sterbewilligen noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor […]. Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid kann dabei nicht sinnvoll nach Maßgabe einer naturalistischen Unterscheidung von aktivem und passivem Handeln vorgenommen werden. Geboten ist vielmehr eine normative Betrachtung.“

BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21 Rn. 14 f.

Der BGH verordnete die Tatherrschaft bei O selbst. T hingegen habe lediglich unterstützende Akte vorgenommen und sei demnach lediglich Gehilfin einer straflosen Beihilfe zum Suizid.

Dieses Ergebnis mag zunächst erstaunen, denn das Spritzen des Insulins hat ausschließlich T vorgenommen, bei genauer Betrachtung ist dies jedoch folgerichtig und nicht als Täterhandlung einzuordnen.

„[Denn] Eine isolierte Bewertung dieses Verhaltens trägt dem auf die Herbeiführung des Todes gerichteten Gesamtplan nicht hinreichend Rechnung. Danach wollte sich [O] in erster Linie durch die Einnahme sämtlicher im Haus vorrätigen Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel das Leben nehmen, während die zusätzliche Injektion des Insulins vor allem der Sicherstellung des Todeseintritts diente; er wollte keinesfalls „als Zombie zurückkehren“. Bei wertender Betrachtung bildeten die Einnahme der Tabletten und die Injektion des Insulins nach dem Gesamtplan einen einheitlichen lebensbeendenden Akt, über dessen Ausführung allein [O] bestimmte. Die Medikamente nahm er eigenständig ein, während die Angeklagte ihm der jahrelangen Übung entsprechend die Insulinspritzen setzte, weil ihm dies aufgrund seiner krankheitsbedingten Beeinträchtigungen schwerfiel. Nach dem Gesamtplan war es letztlich dem Zufall geschuldet, dass das Insulin seinen Tod verursachte, während die Medikamente ihre tödliche Wirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt entfaltet hätten. In Anbetracht dessen wird die Annahme des Landgerichts, dass [O] sich in die Hand der Angeklagten begeben und den Tod duldend von ihr entgegengenommen habe, den Besonderheiten des Falles nicht gerecht. […].

BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21 Rn. 16.

In anderen Worten: Die Tatsache, dass sowohl der Suizident als auch die betreuende Person aktive Handlungen vornehmen ist unerheblich, sofern es sich um einen Gesamtplan handelt und über diesen Gesamtplan allein der Suizident die Tatherrschaft innehat.

III. Keine Strafbarkeit durch Unterlassen

Wird der Suizident bewusstlos oder schläft ein, kommt es vorliegend zu keinem Tatherrschaftswechsel und damit zu einer Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen, §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB. Denn trotz kraft der hier bestehenden Ehe zu bejahenden Garantenstellung der T für den O, liegt keine Garantenpflicht für das Leben ihres Mannes vor. Ein frei und selbstbestimmt gefasster Sterbewille führt zur Suspendierung der Garantenpflicht. Es gilt dasselbe wie für ärztliche Garantenpflichten, zu denen sich der BGH bereits mit seinen beiden Entscheidungen vom 3.7.2019 – 5 StR 132/18; 5 StR 393/18 geäußert hatte. Die Besprechung durch Juraexamen.info lässt sich hier abrufen.

IV. Exkurs: Verfassungskonforme Auslegung des § 216?

In seiner Entscheidung reißt der BGH zudem die Problematik an, ob durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB auch eine Neubewertung der Verfassungsmäßigkeit des § 216 StGB angezeigt ist. Zur Erinnerung: Das BVerfG hat in seiner Entscheidung (BVerfGE 153, 182) aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch die grundrechtlich geschützte Freiheit abgeleitet, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden und bei der Umsetzung dieser Selbsttötung auch auf die Hilfe Dritter zurückzugreifen. Wenn die betroffene Person zur Wahrnehmung dieses Freiheitsrechts auch auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, schützt das APR auch vor einer Beschränkung gegenüber Dritten, die eine solche Unterstützung anbieten (Rn. 213). Strafrechtliche Normen dürften nach Auffassung des BVerfG nicht dazu führen, dass diese freie Entscheidung letztlich unmöglich gemacht wird, anderenfalls wird der verfassungsrechtliche Schutz dieser Freiheit nicht mehr gewährleistet (Rn. 273).

Eine Vergleichbarkeit der Konstellationen ist nicht von der Hand zu weisen, denn auch hier wird die Möglichkeit des Sterbewilligen, auf die Unterstützung Dritter zurückzugreifen, durch die Strafandrohung des § 216 StGB beschränkt. Dies sieht auch der 6. Senat des BGH so. Nach den Angaben in der o.g. Entscheidung hält er es für naheliegend, dass § 216 Abs. 1 StGB stets einer verfassungskonformen Auslegung bedürfe. Es seien jedenfalls die Fälle vom Anwendungsbereich der Norm auszunehmen, in denen es einer sterbewilligen Person faktisch unmöglich ist, ihre frei von Willensmängeln getroffene Entscheidung selbst umzusetzen. Dies sei der Fall, wenn sie darauf angewiesen ist, dass eine andere Person die unmittelbar zum Tod führende Handlung ausführt.

Wie genau eine solch verfassungskonforme Auslegung auszusehen hat und an welchem Merkmal des § 216 Abs. 1 StGB hier anzuknüpfen sein sollte, lässt der BGH offen. Für Studierende stellt sich daher die schwierige Frage, an welcher Stelle dieses Problem verortet werden sollte. Denkbar ist die Anwendung des § 34 StGB unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen. Der Wunsch des Suizidenten müsste intern gegen sein Rechtsgut „Leben“ abgewogen werden. Sofern der Suizidwunsch selbstbestimmt und frei von Willensmängeln bestand, müsste eine entsprechende Abwägung von „Tod“ gegen „Leben“ ausnahmsweise zulässig sein.

V. Wann liegen die Voraussetzungen für eine solche verfassungskonforme Auslegung vor?

Nicht geklärt ist hingegen, wann es einer Person faktisch unmöglich ist, ihre frei von Willensmängeln getroffene Entscheidung umzusetzen. In der Kommentarliteratur wird teils eine solch faktische Unmöglichkeit ausgeschlossen, sie könne nahezu nie vorliegen. Denn so sei vorstellbar, dass durch eine technische Einrichtung, durch die der Suizident mittels eines Augenzwinkerns eine Maschine in Gang setzen könne, auch ein an Armen und Beinen gelähmter Suizident selbständig töten könne. Sofern eine solche Einrichtung verfügbar sei, werde bis zur Verfügungstellung lediglich die Lebenszeit verlängert, dies sei auch aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen (zu alldem Schneider, MüKoStGB, 4. Auflage 2021, § 216 StGB Rn. 60 mwN). Sofern der Sachverhalt auf eine solche Möglichkeit aber nicht ausdrücklich hinweist und er zugleich die körperliche Unfähigkeit zur Selbsttötung betont, liegt nahe, dass der Klausurersteller auf eine solch verfassungskonforme Einschränkung hinauswollte. Das genaue Lesen des Klausursachverhalts ist hier besonders essentiell. Gleichwohl ist damit natürlich nur Examenskandidaten, nicht aber der Praxis geholfen.

12.08.2022/von Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Yannick Peisker2022-08-12 08:22:172022-08-12 08:27:44BGH: Neues zur Sterbehilfe im Rahmen des § 216 StGB
Christian Muders

Fälle zur Abgrenzung von Suizid und Fremdtötung

Fallbearbeitung und Methodik, Für die ersten Semester, Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Verschiedenes

Der nachfolgende Beitrag befasst sich überblicksartig und anhand eines stetig abgewandelten Falles mit der strafrechtlichen Problematik der Abgrenzung von Fremd- zur Selbsttötung (Suizid). Ausgespart bleibt demgegenüber die Frage einer Strafbarkeit der Sterbehilfe (Euthanasie), die häufiger in diesem Problemkomplex mitbehandelt wird und durch die Entscheidung BGH 2 StR 454/09 neue Relevanz bekommen hat (s. dazu aber bereits unsere Artikel hier und hier). Für fortgeschrittene Semester bietet es sich an, insbesondere auch im Hinblick auf eine nahende mündliche Prüfung, nach Erfassung des jeweiligen Falles zunächst eine eigene Lösung zurechtzulegen, bevor der nachfolgende Erläuterungstext gelesen wird.
1. Fälle der unmittelbaren Fremdtötung

  • Fall 1: A tötet den B durch einen Schuss aus einer Pistole, nachdem dieser den A dazu aufgefordert hat.

Dieser Ausgangsfall ist einfach zu erfassen: Der A macht sich einer Tötung auf Verlangen, § 216 StGB, schuldig. Die Einwilligung in die Einbuße des eigenen Rechtsguts, die regelmäßig zu einer Rechtfertigung (nach a.A. sogar zum Tatbestandsausschluss) führt, ist im Hinblick auf das Rechtsgut „Leben“ irrelevant, wie sich aus der vorgenannten Norm selbst ergibt: Danach wird gerade die Konstellation, dass jemand „durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden“ ist, explizit mit Strafe belegt. Die Einwilligung führt also nicht zu einem Ausschluss der Strafbarkeit, sondern berührt lediglich die Auswahl des einschlägigen Tötungstatbestandes und damit auch den in Betracht kommenden Strafrahmen. § 216 StGB stellt nämlich eine Privilegierung zum ebenfalls verwirklichten Delikt des Totschlags dar und sieht in der Rechtsfolge (lediglich) eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. Der gleichzeitig vorliegende Totschlag, dessen Strafrahmen erst bei fünf Jahren beginnen würde, tritt demgegenüber als lex generalis zurück.

  • Fall 2: B tötet sich selbst mittels eines Schusses aus einer Pistole, nachdem ihn der A dazu aufgefordert hat.

In dieser Abwandlung ist eine Strafbarkeit des A schon schwieriger zu beurteilen: Eine Verwirklichung des § 216 Abs. 1 StGB scheidet deswegen aus, weil dem A keine Tatherrschaft über die Tötung zukommt, die allein von B vorgenommen wird. Da A den B aber zur Tötung aufgefordert hat, wäre an ein Bestimmen zur Tat i.S.d. § 26 StGB, also eine Anstiftung, zu denken. Indes scheidet eine solche Teilnehmerstrafbarkeit hier deswegen aus, da eine Tat, zu der der B als Haupttäter bestimmt worden wäre, nicht vorliegt. Der Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB greift bereits seinem Wortlaut nach nicht ein, da dieser zwingend voraussetzt, dass die sterbewillige Person von einem Anderen zum Tode befördert wird. Aber auch § 212 StGB, der – neutraler – davon spricht, dass der Täter „einen Menschen tötet“, ist nicht einschlägig, da auch dieser Tatbestand nach ganz allgemeiner Meinung die Tötung eines Anderen erfordert, so dass der Suizid nicht hierunter subsumiert werden kann (vgl. MK-Schneider, 1. Aufl. 2003, vor § 211 Rn. 30 m.w.N.). Demgemäß hat sich der A durch seine Aufforderung hier überhaupt nicht strafbar gemacht.

  • Fall 3: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihm der A verschafft hat und zu dem dieser allein Zugang hatte.

Wiederum geht es um eine Strafbarkeit des A nach § 216 Abs. 1 StGB. Eine Tatherrschaft des A ist hier nicht ganz so einfach wie im letzten Fall zu verneinen, da der B sich zwar selbst mit dem Gift getötet hat, welches aber allein der A besorgen konnte. Geht man mit der h.M. in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass auch Mitwirkungen im Vorbereitungsstadium, jedenfalls bei einem erheblichen Gewicht des Beitrags, durchaus eine Tatherrschaft begründen können (man denke nur an den die Tat planenden „Bandenchef“, dazu etwa Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl. 2010, vor § 25 Rn. 36 ff.) wäre eine Strafbarkeit des B nach § 216 Abs. 1 StGB im Hinblick auf seinen Mitwirkungsakt durchaus zu erwägen. Jedoch verengen Rechtsprechung und Schrifttum im Fall einer Beeinträchtigung eigener Güter den relevanten Zeitraum für die Tatherrschaft zu Recht auf den letzten todbringenden Akt. Danach ist allein entscheidend, wer die letzte Handlung, die dann ohne einen weiteren Zwischenschritt zum Tode führte, beherrscht hat. Diese Beschränkung der Tatherrschaft kann mit dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip begründet werden: Ein vorsätzliches, unmittelbar selbstschädigendes Verhalten sperrt danach die Zuständigkeit eines Anderen für den hieraus resultierenden Erfolg. Die Herrschaft über den letzten Akt, also die Einnahme des Giftes, hatte vorliegend aber (wiederum) allein der B, so dass eine diesbezügliche Tatherrschaft des A ausscheidet. Zu denken wäre allenfalls daran, die Tatherrschaft des B dem A zuzurechnen, und zwar über die Figur der Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – was hier nahe liegt – A und B von Anfang an im Hinblick auf einen gemeinsamen Tatplan zusammengewirkt haben. Indes stehen dieser Konstruktion zwei Einwände entgegen: Zum einen setzt auch die mittäterschaftliche Zurechnung voraus, dass der A einen täterschaftlichen, d.h. nach h.L. einen durch Tatherrschaft getragenen Tatbeitrag erbringt, was vorliegend gerade nicht der Fall ist. Zum anderen verwirklicht sein potentieller Mittäter B mit der Selbsttötung überhaupt keinen Tatbestand, so dass er kein Unrecht begründet, welches dem mitwirkenden B über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden könnte. Eine Beihilfe des A an der Selbsttötung (§ 27 Abs. 1 StGB) durch Verschaffen des Giftes schließlich scheidet in entsprechender Argumentation zu der bereits im letzten Fall verneinten Anstiftung aus.
2. Fälle der mittelbaren Fremdtötung

  • Fall 4: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihm der A verschafft hat. Der A hat dem B zuvor vorgespiegelt, dass es sich um eine wohlschmeckende Limonade handelt.

In diesem Fall liegt die objektive Tatherrschaft wiederum bei B, der den letzten todbringenden Akt selbst ausführt. Allerdings kommt hier abweichend zum vorhergehenden Fall durchaus eine Zurechnung des Beitrags an A in Betracht, und zwar im Wege mittelbarer Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Im Gegensatz zur zuvor behandelten Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB verlangt diese Zurechnungsnorm gerade keine Unrechtsverwirklichung durch den Vordermann, sondern lässt auch einen tatbestandslosen Beitrag genügen. Nach welchen Kriterien allerdings in Fällen der Selbsttötung (die konsequenterweise auch auf sonstige Konstellationen der Selbstschädigung zu übertragen sind) nicht mehr von einer eigenverantwortlichen Schädigung des Opfers gesprochen werden kann, welche nach dem zuvor Ausgeführten die Zurechenbarkeit an einen mittelbaren Verursacher sperrt, ist umstritten:
a) Exkulpationstheorie
Nach der sog. Exkulpationslösung wird die Eigenverantwortlichkeit für eine Selbsttötung in Parallele zu der Verantwortlichkeit für eine Fremdtötung gesetzt. Es ist also der hypothetische Fall zu bilden, dass der B das Medikament nicht sich selbst, sondern einem Dritten zugeführt hätte. Sofern nach den vorliegenden Umständen eine Strafbarkeit für diesen hypothetischen Fall nicht gegeben wäre, namentlich weil der Suizident ohne Vorsatz oder Schuld gehandelt hätte, scheidet auch eine Verantwortlichkeit des Opfers für die tatsächlich vorgenommene Selbsttötung aus. Folge wäre, dass das hierauf bezogene Verhalten nicht als eigenverantwortlich eingestuft werden kann, so dass eine Zurechnung an den Hintermann offen stünde, sofern er selbiges veranlasst hat. Nach den vorgenannten Grundsätzen ist für den hier zu behandelnden Fall von einer fehlenden Eigenverantwortlichkeit des B auszugehen: Im Falle der Tötung eines Dritten hätte er nämlich, da er das Medikament für Limonade hielt, in einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB gehandelt, wäre also straflos geblieben. Da dieser Irrtum wiederum in die Zuständigkeit des A fällt, der ihn durch seine unzutreffenden Angaben ausgelöst hat, kann ihm das Verhalten des B über § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB wie ein eigenes Verhalten zugerechnet werden.
b) Einwilligungstheorie
Nach der sog. Einwilligungslösung wird die Eigenverantwortlichkeit für eine Selbsttötung zwar ebenso mit der Verantwortlichkeit für eine Fremdtötung verglichen, allerdings wird der hypothetische Fall in der Weise abweichend gebildet, dass der Suizident Opfer der Tötung bleibt, wobei jedoch nicht er selbst, sondern der Hintermann den unmittelbar todbringenden Akt vollzieht. Sodann wird gefragt, ob in dieser Konstellation – abzüglich der tatsächlichen Sperre des § 216 Abs. 1 StGB – eine wirksame Einwilligung des Opfers bestehen würde. Nach diesen Grundsätzen ist im zuvor formulierten Fall ebenso von einer fehlenden Eigenverantwortlichkeit des B auszugehen: Im Falle der Tötung des B durch die Hand des A wäre eine wirksame Einwilligung in das Verabreichen des todbringenden Medikaments nämlich nicht gegeben gewesen, da B selbiges für Limonade hielt; somit wäre seine Einwilligung mit einem (rechtsgutsbezogenen) Irrtum bemakelt, die ihre Wirksamkeit ausschließt.
Da beide Auffassungen im vorliegenden Fall zu einem identischen Ergebnis kommen, bedarf es folglich keines Streitentscheids.

  • Fall 5: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihm der A verschafft hat. Der A hat dem B zuvor angedroht, dass er andernfalls dessen reiche Frau von den sexuellen Eskapaden des B unterrichten werde, was voraussichtlich zu einer Scheidung geführt hätte, die den B wirtschaftlich und gesellschaftlich ruiniert hätte.

Wiederum ist – ähnlich dem zuvor gegebenem Beispiel – zu fragen, ob die objektiv von B beherrschte Einnahme des Giftes dem A nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zugerechnet werden kann. Die hierzu vertretenen beiden Meinungen kommen indes vorliegend zu unterschiedlichen Ergebnissen:
Stellt man mit der Exkulpationslösung darauf ab, ob das Opfer B im Falle einer Fremdtötung straflos geblieben wäre, ist dies zu verneinen. Um seine Ehe und damit seine gesellschaftliche und finanzielle Situation zu retten, darf B keinen unbeteiligten Menschen töten und ist bei einer solchen Tat folglich weder gerechtfertigt (§ 34 StGB) noch entschuldigt (§ 35 StGB).
Anderes gilt hingegen, wenn man der Einwilligungslösung folgt: Eine Einwilligung, die durch Nötigung – hier die Drohung mit einem empfindlichen Übel – erlangt wird, wäre per se unwirksam, so dass danach auch eine Eigenverantwortlichkeit der Selbsttötung des B abzulehnen ist.
Wie man am vorliegenden Fall sieht, führt die Einwilligungslösung eher zu einer Verschiebung der Verantwortlichkeit für ein selbstschädigendes Verhalten hin zum veranlassenden Hintermann. Demgegenüber wird man mit der Exkulpationslösung häufiger zu einer Straflosigkeit desselben kommen, da die Hürden, die im Falle einer Fremdverletzung entlasten, ungleich höher und damit schwieriger zu überwinden sind als die Voraussetzungen, unter denen die Wirksamkeit einer Einwilligung zu versagen ist. Indes verdient die Einwilligungslösung in den vorgenannten Fallgestaltungen den Vorzug, da Fälle der Selbstschädigung des Opfers eher mit dem hypothetischen Fall einer Einwilligung desselben in die nämliche Verletzung als mit der Fremdverletzung einer anderen Person vergleichbar sind. Da es letztendlich um eine Schädigung des Opfers geht, erscheinen die hierfür entwickelten Kriterien i.F. der Einwilligungsvoraussetzungen passender als solche, die für die Verletzung eines Dritten herangezogen werden, was in dieser Konstellation gerade nicht zur Debatte steht (so auch die wohl h.L., vgl. Kindhäuser, BT I, 5. Aufl. 2012, § 4/15; Rengier, BT II, 11. Aufl. 2010, § 8/4 f.; a.A. etwa MK-Schneider, 1. Aufl. 2003, Vor § 211 Rn. 54 ff.).
3. Fälle der Unterlassungstäterschaft

  • Fall 6: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihr Ehegatte A verschafft hat. Nach der Einnahme fällt B zunächst in Ohnmacht und lebt noch ca. eine Stunde weiter, bevor sie stirbt. A wacht an ihrem Bett, unternimmt aber nichts, da er den Todeswunsch seiner Frau respektiert.

Im vorliegenden Fall kommt neben einer Begehungsverantwortung durch Verschaffen des Giftes, die bereits oben abgelehnt wurde, zusätzlich noch eine Strafbarkeit wegen Unterlassens in Betracht: Dadurch, dass die B erst nach einer längeren Weile stirbt, hätte der A noch die konkrete („physisch-reale“) Möglichkeit gehabt, durch alarmieren eines Arztes seine Frau zu retten. Wie dieser Fall zu behandeln ist, ist wiederum umstritten.
a) Zumutbarkeitslösung der Rspr.
Die Rspr. nimmt an, dass eine Strafbarkeit des Garanten in diesen Fallgestaltungen durchaus in Betracht komme. Sie knüpft dabei an ihre Argumentation zur Tatherrschaft des Opfers beim Begehungsdelikt an, die grundsätzlich eine Strafbarkeit des Helfers sperrt (s. dazu oben). Für die vorliegenden Fallgestaltung nimmt sie aber an, dass im Falle der Bewusstlosigkeit ein „Tatherrschaftswechsel“ eintrete: Da es dann der Suizident nicht mehr in der Hand habe, den eigenen Todeseintritt zu verhindern, wandere diese Möglichkeit zu dem anwesenden Garanten, den aufgrund seiner Sonderstellung auch eine diesbezügliche Pflicht treffe. Allerdings soll im Rahmen des Prüfungspunktes der Schuld im Einzelfall eine Zumutbarkeit des Garanten fehlen beim eigenverantwortlichen Suizid des Opfers einzugreifen, so dass eine Strafbarkeit mangels Verschuldens entfiele.
b) Ausschluss der Garantenstellung nach h.L.
Die h.L. lehnt diese Konstruktion demgegenüber ab und sieht in der grundsätzlichen Strafbarkeit des Garanten einen Wertungswiderspruch begründet, da dieser zwar einerseits aktiv (durch Verschaffen des Todeswerkzeugs) an dem Suizid der Schutzperson mitwirken dürfe, aber anschließend, nämlich im Falle eines Tatherrschaftswechsels, plötzlich andererseits doch alles dafür tun müsse, den Tod zu verhindern (vgl. z.B. Joecks, Studienkommentar StGB, 7. Aufl. 2007, § 216 Rn. 15; Kindhäuser, BT I, 5. Aufl. 2012, § 4/22). Die Literatur nimmt daher überwiegend an, dass den Garanten im Falle der freiwilligen Selbsttötung bereits keine objektive Pflicht zum Eingreifen (mehr) treffe; begründet wird dies etwa damit, dass das Opfer den ursprünglich Pflichtigen spätestens mit Ansetzen zum Suizid aus dessen Garantenstellung entlasse, so dass zum Zeitpunkt des Tatherrschaftswechsels ein Gebot zur Hilfe nicht mehr existiere (so MK-Schneider, 1. Aufl. 2003, Vor § 211 Rn. 77). Diese Konstruktion steht freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis zu § 216 StGB, da die Entlassung aus der Garantenstellung faktisch mit der Einwilligung in eine Fremdtötung durch Unterlassen gleichgesetzt werden kann. Allerdings wird überwiegend angenommen, dass bzgl. dieser Norm, die im Hinblick auf die Einschränkung für eine Lebensbeendigung ohnehin verfassungsrechtlich problematisch erscheint, eine teleologische Reduktion angezeigt ist. Danach kann § 216 Abs. 1 StGB allein auf die aktive Herbeiführung des Todes eines Menschen angewendet werden, während Fälle eines garantenwidrigen Unterlassens ausgeklammert bleiben. Eine solche teleologische Reduktion (als methodologisches Gegenstück zum Analogieschluss) ist hier ohne Weiteres zulässig, da sie die Strafbarkeit des Täters einschränkt, nicht begründet. Sie kann auch mit der Wertung unterfüttert werden, dass ein Heileingriff, der zur Abwendung des Todes nach Abschluss der aktiven Einwirkung regelmäßig vonnöten wäre, von der Rspr. grundsätzlich als strafbare Körperverletzung (§ 223 ff. StGB) eingestuft wird, wenn das Opfer nicht (mutmaßlich) einwilligt – eine solche Einwilligung ist aber in Fällen des freiwilligen Suizids, bei dem der Todeswillige gerade nicht mehr weiterleben will, regelmäßig nicht anzunehmen. Insoweit kann den Garanten aber kein Gebot treffen, mit dessen Erfüllung er gleichzeitig gegen ein Verbot (die Beteiligung an der Körperverletzung) verstoßen würde.

c) Strafbarkeit nach § 323c StGB?
I.Ü. käme im vorgenannten Fall (sowie auch dann, wenn den Anwesenden von vornherein keine Garantenstellung trifft) daneben eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung, § 323c StGB, als „Auffangtatbestand“ in Betracht. Vom Standpunkt der Rspr. wäre auch insoweit allein an eine Einschränkung der Strafbarkeit wegen fehlender Zumutbarkeit des Eingriffs zu denken, wobei dieses Merkmal freilich hier nach überwiegender Auffassung ein echtes Tatbestandsmerkmal (und kein Element der Schuld) bildet. Die h.L. nimmt hingegen an, dass ein freiverantwortlicher Suizid bereits keinen Unglücksfall i.S.d. § 323c StGB darstellt (vgl. nur NK-Wohlers, 3. Aufl. 2010, § 323c Rn. 5 m.w.N.), und kommt so wiederum (ebenso) zur Straflosigkeit des Unterlassenden.

16.08.2012/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-08-16 10:00:562012-08-16 10:00:56Fälle zur Abgrenzung von Suizid und Fremdtötung
Samuel Ju

The Fast and the Furious vor Gericht – Zur Strafbarkeit illegaler Beschleunigungsrennen

Strafrecht

Der folgende aktuelle Fall war in nahezu jeder Ausbildungszeitschrift zu finden. Dort wurde jeweils die besondere Examensrelevanz dieser BGH-Entscheidung mehrfach hervorgehoben – dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Daher eine kurze Zusammenfassung der Entscheidung des BGH (BGHSt v. 20.11.2008 – 4 StR 328/08, s. http://www.bundesgerichtshof.de/):
Sachverhalt:
Vier Jungen vom Bodensee führten mit zwei Autos ein Beschleunigungsrennen auf der B33 (autobahnähnlich ausgebaut) durch. Es trat dabei ein getunter Golf (Höchstgeschwindigkeit von etwa 240 km/h) gegen einen Porsche Carrera (Höchstgeschwindigkeit von etwa 300 km/h) an; jeweils mit einem Beifahrer. Die Beifahrer zählten – durch Handzeichen – von 3 auf 0 und die Fahrer beschleunigten die Pkws von 80 auf über 200 km/h, was von den Beifahrern gefilmt wurde.
Dann wurde ein weiterer Beschleunigungstest durchgeführt. Hierzu gab der Angeklagte S. aus dem Pkw Porsche heraus das Startzeichen und forderte den Angeklagten H. mit den Worten „Gib Gas“ oder „Los“ zum Beschleunigen auf.
Nach Beendigung dieses Rennens wechselten die Fahrzeuge die Fahrstreifen, um einen weiteren Beschleunigungstest durchzuführen; der Angeklagte B. fuhr nunmehr auf dem linken, der Angeklagte H. auf dem rechten Fahrstreifen. Zur Durchführung des Rennens verringerten die Angeklagten B. und H. zunächst die Geschwindigkeit von etwa 120 km/h auf ca. 80 km/h und zumindest J. -P. Sim. (das spätere Opfer) gab durch Handzeichen das Startsignal. Anschließend beschleunigten die Fahrer die Pkws. Das Rennen, das sowohl der Angeklagte S. als auch J. -P. Sim. wiederum filmten, wurde auch nach dem Erreichen einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h fortgeführt. Als das entsprechende Verkehrszeichen passiert wurde, hatte der vom Angeklagten H. gesteuerte Pkw Porsche eine Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h, der vom Angeklagten B. gesteuerte Pkw VW erreichte schließlich eine Spitzengeschwindigkeit von 213 km/h. Beide setzten das Rennen fort, auch als vor ihnen auf dem rechten Fahrstreifen der vom Zeugen G. gesteuerte, mit vier Personen besetzte und knapp 120 km/h schnelle Pkw Opel Astra sichtbar wurde. Als der Zeuge die „von hinten auf ihn zuschießenden“ Fahrzeuge bemerkte, steuerte er sein Fahrzeug innerhalb des Fahrstreifens nach rechts (ein Standstreifen ist im dortigen Bereich der Bundesstraße nicht vorhanden), während der Angeklagte B. den VW auf dem linken Fahrstreifen zur Mittelleitplanke hin lenkte. Zugleich steuerte der Angeklagte H. den Porsche über die mittlere Fahrbahnmarkierung hinaus auf den linken Fahrstreifen, um das Fahrzeug des Zeugen G. ebenfalls überholen zu können. Während des Überholvorgangs befanden sich die drei Fahrzeuge zeitgleich nebeneinander, wobei der Abstand zwischen dem VW und dem Porsche etwa 30 cm betrug. Nach dem Überholvorgang erreichte der Pkw Porsche im Bereich der auf 120 km/h begrenzten Höchstgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit von mehr als 240 km/h. „Die durch das gleichzeitige Überholen realisierte Gefährdung haben sie [die Angeklagten B. und H. ] bewusst verursacht und in Kauf genommen“.
Als sich die drei Fahrzeuge während des Überholvorgangs nebeneinander befanden, geriet das vom Angeklagten B. gesteuerte Fahrzeug mit den linken Reifen auf den Grünstreifen an der Mittelleitplanke. Bei dem Versuch, wieder auf die Fahrbahn zu gelangen, machte der Angeklagte B. eine zu starke Lenkbewegung, das von ihm gesteuerte Fahrzeug geriet ins Schleudern, kam rechts von der Fahrbahn ab, überschlug sich, prallte gegen ein Verkehrszeichen, schleuderte zurück gegen die Mittelleitplanke und kam schließlich nach etwa 300 Meter auf dem rechten Fahrstreifen zum Stehen, wo es in Brand geriet. Bereits vor dem Erreichen des Endstandes wurden die – nicht angeschnallten – Insassen aus dem Fahrzeug geschleudert. An den bei dem Unfall erlittenen Verletzungen verstarb J. -P. Sim. noch am selben Tag, der Angeklagte B. wurde schwer verletzt.
Die Angeklagten H. und S. , die den Unfall beobachtet hatten, fuhren zunächst weiter und kehrten nach dem Ende der vierspurigen Ausbaustrecke auf der Gegenfahrbahn zur Unfallstelle zurück.
Probelm: Strafbarkeit des Angeklagten B nach dem StGB:
I. Zunächst einmal recht eindeutig (+): Strafbarkeit nach § 315c I Nr. 2 b) StGB
1. Der B führte ein Fahrzeug im Straßenverkehr; er hat beim Überholen gegen Vorschriften der StVO verstoßen (§ 5 IV 2 StVO); dies geschah auch grob verkehrswidrig; durch diese Handlung kam es auch zu einer Gefährung von Leib und Leben sowie des PKWs des G (als Sache von bedeutendem Wert);
2. B handelte auch – bedingt – vorsätzlich und rücksichtslos,
3. Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor.
II. Problem des Falles: § 222 StGB?
1. Tatbestand
a. Tod eines Menschen (+)
b. Handlung des B, Kausalität (+)
c. Sorgfalspflichtverletzung (+) wegen zahlreicher Verstöße gegen StVO
d. obj. Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit (+)
e. Objektive Zurechnung
Hier lag ein erster Problemschwerpunkt. Die Lehre von der obj. Zurechnung verlangt, dass der Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich im Erfolg realisiert hat. Dies ist nicht der Fall, wenn das Opfer sich selbst gefährdet und diese Selbstgefährung sich im Erfolg realsiert hat, sodass dies den Beitrag des Täters überlagert.
Zunächst musste daher die eigenverantwortliche Selbstgefährung von der einverständlichen Fremdgefährung abgegrenzt werden. Dies geschieht nach hM mittels dem Kriterium der Tatherrschaft. Nach dem BGH hatte hier nur der B als Fahrer Tatherrschaft. Die Beteiligung des Beifahrers und Opfers (Startzeichen, Filmen, Anfeuern) reichte nicht aus, um dessen Tatherrschaft zu begründen. Mithin ging der BGH von einer Fremdgefährung aus und bejahte die objektive Zurechnung, denn eine Fremdgefährung wird erst auf der Ebene der Rechtfertigung relevant (dazu sogleich).
Die Vorinstanz hatte die objektive Zurechnung noch verneint, da im vorliegenden Fall die Fremdgefährdung einer Selbstgefährdung in allen relevanten Punkten gleichstehe. Diese Ansicht geht auf Roxin zurück. Das Argument der Vorinstanz war, dass es mehr oder weniger vom Zufall abhing, wer Fahrer war, da alle vier Jungs in der Szene aktiv waren und abwechselnd am Steuer saßen. Der BGH lehnte dies ab, da nach seiner Ansicht es allein auf die tatsächliche Tatsituation, die letztlich zum Unfall führte, ankomme. Hier ist die aA aber meines Erachtens gut vertretbar.
2. Problematisch war sodann die Rechtswidrigkeit. Hier war eine Einwilligung des Opfers zu diskutieren. Der BGH verneinte auch dies. Zwar gelte § 216 StGB als Einwilligungssperre bei § 222 StGB nicht direkt (str.), jedoch könne man den §§ 228, 216 StGB den Rechtsgedanken entnehmen, dass in eine Lebensgefahr nicht wirksam eingewilligt werden könne (auch str.). Es bestehe ein allgemeines Interesse an der Erhaltung des Rechtsguts Leben. Eine Einwilligung in eine Todesgefahr sei daher sittenwidrig. Hier war alles vertretbar.
3. Die Schuld war wiederum unproblematisch.
Hier noch einmal aus dem Urteil die wichtige Passage zur Einwilligung:
„2. In seinen Tod oder in das Risiko seines Todes hat J. -P. Sim. auch nicht in rechtserheblicher Weise eingewilligt.“
a) Während Rechtsprechung und herrschende Lehre darin übereinstimmen, dass entsprechend § 216 StGB eine Einwilligung in den von einem anderen vorsätzlich herbeigeführten Tod grundsätzlich nicht strafbefreiend wirkt, die vorsätzliche (oder fahrlässige) Körperverletzung dagegen unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 228 StGB gerechtfertigt sein kann, werden die Zulässigkeit und Bedeutung der Einwilligung in eine Lebensgefahr nicht einheitlich beurteilt.
In der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde eine solche Einwilligung als grundsätzlich unbeachtlich angesehen, weil das Leben eines Menschen auch in § 222 StGB zum Schutz der Allgemeinheit mit Strafe bedroht sei und eine Einwilligung das mit einer fahrlässigen Tötung verbundene Handlungsunrecht nicht zu beseitigen vermöge (BGHSt 4, 88, 93; 7, 112, 114; BGH VRS 17, 277, 279; BGHZ 34, 355, 361; BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 – 4 StR 162/00). In neueren Entscheidungen – insbesondere zu § 227 StGB – hat der Bundesgerichtshof dagegen darauf abgestellt, dass bei einer Einwilligung in die (vorsätzliche) Körperverletzung die Grenze zur Sittenwidrigkeit jedenfalls dann überschritten sei, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht werde. Für diese Eingrenzung spreche sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzten die rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolge (BGHSt 49, 34, 42, 44; 166, 173 f. = JR 2004, 472 m. Anm. Hirsch = JZ 2005, 100 m. Anm. Arzt). Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof auf die Fälle übertragen, in denen das spätere Opfer in das Risiko des eigenen Todes eingewilligt und sich dieses anschließend – im Rahmen des von der Einwilligung „gedeckten“ Geschehensablaufs – verwirklicht hat. Auch in diesen Fällen scheide eine Rechtfertigung der Tat durch die Einwilligung des Opfers bei konkreter Todesgefahr aus (BGHSt 49, 166, 175).
b) Für gefährliches Handeln im Straßenverkehr gilt nichts anderes. Zwar versucht der Gesetzgeber, den Gefahren des Straßenverkehrs durch besondere Verhaltensregeln – insbesondere in der Straßenverkehrsordnung – entgegenzuwirken; auch ist ein gefährliches Verhalten im Straßenverkehr allgemein untersagt (§ 1 Abs. 2 StVO). Dies führt jedoch nicht dazu, dass bei einem Verstoß gegen verkehrsbezogene Sorgfaltspflichten einer Einwilligung des Betroffenen in gefährdendes Verhalten eines anderen keinerlei rechtliche Bedeutung zukommt. Eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung in riskantes Verkehrsverhalten scheidet nur für diejenigen Tatbestände grundsätzlich aus, die zumindest auch dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs im Allgemeinen dienen (§§ 315 b, 315 c StGB). Bezweckt eine Vorschrift dagegen ausschließlich den Schutz von Individualrechtsgütern (wie §§ 222, 229 StGB), so verliert die Einwilligung ihre (insoweit) rechtfertigende Wirkung nur dort, wo die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist, also bei konkreter Todesgefahr, unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Rechtsgutverletzung.
Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu. Ob bereits durch den mit hohen Geschwindigkeiten durchgeführten „Beschleunigungstest“ auf einer öffentlichen Straße mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h die drohende Rechtsgutgefährdung für die Insassen der an dem Rennen beteiligten Fahrzeuge so groß war, dass eine konkrete Lebensgefahr vorlag, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls lag eine solche Gefahr in der Fortsetzung des Rennens noch zu einem Zeitpunkt, als ein gleichzeitiges Überholen eines unbeteiligten dritten Fahrzeugs mit nicht mehr kontrollierbaren höchsten Risiken für sämtliche betroffene Verkehrsteilnehmer verbunden war. In eine derart massive Lebensgefahr konnte J. -P. Sim. bezogen auf seine Person nicht mit rechtfertigender Wirkung einwilligen und zwar weder allgemein zu Beginn der Fahrt in dem Sinne, dass er mit einer Durchführung des Rennens „um jeden Preis“ einverstanden war, noch in der konkreten Situation bei Beginn des Überholmanövers mit den sich deutlich abzeichnenden Gefahren.

14.04.2009/0 Kommentare/von Samuel Ju
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Samuel Ju https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Samuel Ju2009-04-14 17:45:372009-04-14 17:45:37The Fast and the Furious vor Gericht – Zur Strafbarkeit illegaler Beschleunigungsrennen

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