Das Landgericht Berlin hat mit Urteil vom 27.2.2017 erstmalig zwei Raser, die bei einem illegalen Autorennen einen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer getötet hatten, wegen Mordes verurteilt. Bisher wurde in vergleichbaren Fällen in Ermangelung eines Tötungsvorsatzes auf fahrlässige Tötung entschieden. Die Fallkonstellation sollte für eine bald anstehende mündliche Prüfung gründlich durchdacht werden – zeitunglesende Prüfer (wohl eine Tautologie) werden mit großer Wahrscheinlichkeit das heutige Urteil zur Grundlage ihrer Prüfung im Strafrecht machen. Im Folgenden einige einführende Gedanken.
I. Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit
Im Mittelpunkt einer solchen mündlichen Prüfung wird die Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz stehen. Während bewusste Fahrlässigkeit voraussetzt, dass der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt (Wissenselement), sich mit diesem jedoch nicht abfindet und darauf vertraut, es werde schon gutgehen (fehlendes Wollenelement), tritt bei bedingtem Vorsatz neben das Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ein bedingter Vorsatz hinzu: Der Täter nimmt die Tatbestandsverwirklichung in Kauf um sein erstrebtes Ziel zu erreichen. Was gilt nun, wenn ein PKW-Fahrer mit völlig überhöhter Geschwindigkeit unter Missachtung aller Verkehrsregeln durch die Innenstadt rast, um ein illegales Autorennen zu gewinnen?
Hierbei handelt es sich in der Rechtswirklichkeit um eine eine der schwierigsten Abgrenzungsfragen des Strafrechts. Grundproblem ist, dass es sich beim Vorsatz, der verkürzt als Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung beschrieben wird, um eine innere Tatsache handelt. Daher ist eine umfassende Gesamtwürdigung aller Tatumstände vorzunehmen, wie auch der BGH (v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15 ) ausführt:
Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (Fortführung BGH, 18. Oktober 2007, 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93; BGH, 27. Januar 2011, 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699; BGH, 22. März 2012, 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 und BGH, 13. Januar 2015, 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216).
Diese Gesamtschau ist insbesondere dann notwendig, wenn der Tatrichter allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss (Fortführung BGH, 13. Dezember 2005, 1 StR 410/05, NJW 2006, 386).
Das LG Köln konkretisiert dies in einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 (117 KLs 19/15) zu einem illegalen Autorennen mit Todesfolge:
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In Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit, bei der der Täter die Möglichkeit des Eintritts des tatbestandlichen Erfolgs zwar erkennt, jedoch damit nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, es werde schon gutgehen, setzt bedingt vorsätzliches Handeln voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Da diese beiden Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, NStZ-RR 2006, 9).
An dieser Stelle kommt es demnach entscheidend auf den konkreten Sachverhalt, also alle Umstände des illegalen Autorennens an. So dürfte bereits die Uhrzeit und die Umgebung der Tatbegehung einen Unterschied machen: Man wird eher von einem bedingten Vorsatz ausgehen, wenn die Fahrt tagsüber auf einer vielbefahrenen Straße mitten in einer Innenstadt stattfindet, als nachts auf einer abgelegenen Landstraße. Zu berücksichtigen wird auch die in der Rechtsprechung immer wieder betonte außerordentlich hohe Hemmschwelle einer (auch nur bedingt vorsätzlichen) Tötung eines Menschen sein. Ob hingegen – wie vom LG Köln in der zitierten Entscheidung ausgeführt – die Bestürzung nach dem Unfall dafürspricht, dass der Fahrer darauf vertraut hat, er könne sein Fahrzeug auch bei Erreichen hoher Geschwindigkeiten noch beherrschen, ist doch sehr zweifelhaft. Dass bei einer extremen Raserei durch die Innenstadt mit Geschwindigkeiten über 150 km/h und der Missachtung zahlreicher roter Ampeln wirklich jemand ernsthaft auf das Ausbleiben einer Realisierung der Gefahr vertraut, ist doch extrem unwahrscheinlich. Zudem weist der BGH in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass selbst ein unerwünschter Erfolg der billigenden Inkaufnahme nicht entgegensteht (BGH, 14.1.2015 – 5 StR 494/14, NStZ 2015, 460). Die nachträgliche Bestürzung ist damit kein Kriterium der Bestimmung des Vorsatzes zum Tatzeitpunkt. Spannend wird sein, wie der BGH auf die nunmehrige Entscheidung des LG Berlin reagieren wird. Vieles spricht unter Zugrundelegung des bekannten Sachverhalts für die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes.
Ein Schema zur Abgrenzung von vorsätzlichem Begehungsdelikt vs. Fahrlässigkeitsdelikt findet ihr hier.
II. Totschlag oder Mord?
Kommt man zur Annahme eines vorsätzlichen Handelns, stellt sich die Frage nach Mordmerkmalen. Naheliegend ist die Prüfung des gemeingefährlichen Mittels. Ein solches liegt vor, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährdet, wobei der Täter die Gefahr nicht beherrscht (BGHSt 34, 13). Maßgeblich ist nicht allein die abstrakte Gefährlichkeit des Tatmittels, sondern seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (BGH NStZ-RR 2010, 373 (374)). Ein PKW ist grundsätzlich zwar kein gemeingefährliches Mittel, sondern ein Fortbewegungsmittel. Dennoch hat der BGH bereits entschieden, dass durch die konkrete Verwendung auch ein Auto ein gemeingefährliches Mittel sein kann (BGH NStZ 2007, 330). Kommt man also zur Annahme eines bedinten Vorsatzes, wird man kaum an einer Verurteilung wegen Mordes durch Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels vorbeikommen. Auf subjektiver Tatbestandsebene genügt nämlich, dass der Täter die mangelnde Beherrschbarkeit der Wirkung des Tötungsmittels kennt oder jedenfalls ernsthaft für möglich hält und deren Eintritt wünscht oder wenigstens billigend in Kauf nimmt (Eschelbach, in: BeckOKStGB, § 211 Rn. 72).
III. Ausdehnung des Verkehrsstrafrechts auf illegale Autorennen?
Wer rechtspolitisch glänzen möchte, könnte nach der Prüfung des Falles noch die Diskussion um die Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes der „Teilnahme an einem illegalen Autorennen“ anstoßen. Die Länder Hessen und NRW haben einen solchen Vorschlag im Bundesrat bereits eingebracht (BR-Drs. 362/16).
§ 315d Verbotene Kraftfahrzeugrennen
(1) Wer im Straßenverkehr
1.ein nicht genehmigtes Kraftfahrzeugrennen veranstaltet oder
2.als Kraftfahrzeugführer an einem nicht genehmigten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 2 handelt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) Wer in den Fällen des Absatzes 2 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(4) Verursacht der Täter in den Fällen des Absatzes 2 oder 3 durch die Tat den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Im Mittelpunkt steht somit ein abstraktes Gefährdungsdelikt der bloßen Teilnahme an einem illegalen Autorennen (§ 315d Abs. 1). Allein die Durchführung eines solchen illegalen Rennens genügte, eine konkrete Gefährdung von Personen oder Sachen von erheblichem Wert (wie nach § 315c StGB) wäre nicht notwendig. Vergleichbar ist dies den Brandstiftungsdelikten der §§ 306 ff. StGB, die ebenfalls abstrakte Gefährdungsdelikte – und das sogar mit Qualifikationstatbeständen – sind. Daneben soll ein konkretes Gefährdungsdelikt geschaffen werden, wenn bei einem solchen Autorennen Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden (§ 315d Abs. 2). § 315d Abs. 3 ist der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination aus § 315c StGB nachgebildet.
Ob ein solcher Tatbestand notwendig ist, kann mit verschiedenen Argumenten diskutiert werden. Sicherlich wird ein explizites strafbewehrtes Verbot die Illegalität von derartigen Autorennen den Bürgern besser vor Augen führen; auch der Abschreckungseffekt einer eigenständigen Strafandrohung – über deren Höhe ebenfalls diskutiert werden kann – dürfte erwähnenswert sein. Andererseits stellt sich die Frage, ob tatsächlich eine Strafbarkeitslücke besteht. ME ist dies für das abstrakte Gefährdungsdelikt anzunehmen, nicht hingegen für die konkreten Gefährdungsdelikte der § 315d Abs. 2 – 4. Hier dürfte wegen § 315c StGB keine Strafbarkeitslücke bestehen. Zur Vertiefung dieser Diskussion ist die Lektüre des Aufsatzes von Piper, NZV 2017, 70 empfehlenswert!