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Schlagwortarchiv für: Parteien

Dr. Lena Bleckmann

Wahl-O-Mat verfassungswidrig – Entscheidung des VG Köln

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

Nur wenige Tage vor der Europawahl in Deutschland am 26. Mai 2019 entschied das Verwaltungsgericht Köln, der allseits viel genutzte „Wahl-O-Mat“, der von der Bundeszentrale für politische Bildung zur Verfügung gestellt wird, sei verfassungswidrig und dürfe daher vorerst nicht weiter betrieben werden.

Die Entscheidung gibt Anlass, die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO sowie den speziellen Anspruch politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 GG i.V.m. Art 3 GG zu wiederholen. Auch aufgrund der großen medialen Aufmerksamkeit kann von besonderer Prüfungsrelevanz der Entscheidung ausgegangen werden.
Was ist passiert?
Wie vor jeder größeren Wahl stellte die Bundeszentrale für politische Bildung auch zur Europawahl einen Wahl-O-Mat zur Verfügung. Hierbei kann der Nutzer zu insgesamt 38 Thesen Stellung beziehen und anschließend eine Gewichtung vornehmen, welche der Thesen ihm persönlich besonders wichtig sind. Sodann kann der Nutzer bis zu acht politische Parteien auswählen, mit denen seine Position verglichen werden soll. Das Ergebnis wird auf einer Übersichtsseite mit Zugang zu den detaillierten Antworten der einzelnen Parteien dargestellt.
Gegen dieses Anzeigeformat wendete sich nun die Partei Volt Deutschland. Diese ist seit März 2018 in Deutschland als Partei registriert und Teil der paneuropäischen Partei Volt Europa. Volt Deutschland ist – gerade im direkten Vergleich mit den etablierten Parteien – noch vergleichsweise unbekannt. Die Partei ist der Ansicht, die Auswahlmöglichkeiten und Anzeigepraxis benachteilige neue und kleine Parteien dadurch, dass lediglich acht Parteien in den direkten Vergleich miteinbezogen werden können. Es sei nicht einmal ein Vergleich mit allen zurzeit im Europaparlament vertretenen Parteien – 14 an der Zahl – möglich.
Wer sich mit mehr als acht Parteien vergleichen wolle, müsse den Vorgang mehrmals wiederholen und die jeweiligen Ergebnisse notieren. Hierunter litten in erster Linie kleinere Parteien, da Nutzer für eine schnelle Orientierung häufig nur die bereits bekannten Parteien auswählten, die auf der Anzeigeseite auch zuoberst angezeigt würden. Aufgrund der großen Bedeutung des Wahl-O-Mats für die politische Meinungsbildung begehrt Volt die Änderung dieses Anzeigeverfahrens. Nachdem die Bundeszentrale für politische Bildung selbst eine Änderung ablehnte, beantragte Volt am 15. Mai 2019 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht Köln. (siehe zu den Gründen auch die Pressemitteilung von Volt Deutschland vom 15. Mai 2019).
Die Entscheidung des VG Köln
Das Verwaltungsgericht gab der Antragstellerin Recht: Kleinere Parteien seien durch den Anzeigemechanismus benachteiligt, wofür die Antragsgegnerin keine ausreichenden Rechtfertigungsgründe habe vorbringen können. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es:
„Hierin sieht die Kammer eine faktische Benachteiligung kleinerer bzw. unbekannterer Parteien, zu denen auch die Antragstellerin gehöre. Dieser Anzeigemechanismus verletze jedenfalls mittelbar das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG.“
Die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe seien nicht geeignet gewesen, die Verletzung der Chancengleichheit zu rechtfertigen. Der weitere Einwand der Antragsgegnerin, die Umsetzung der einstweiligen Anordnung sei technisch nicht möglich, sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.“
(Siehe Pressemitteilung des VG Köln vom 20. Mai 2019)
 
Die Entscheidung in einer Klausur
Die Entscheidung bietet eine hervorragende Grundlage für eine Klausur im Verwaltungsrecht. Schwerpunkte dürften die Prüfung der Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO sowie die Auseinandersetzung mit dem Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG sein. Folgend soll ein Überblick über die wichtigsten Punkte gegeben werden. Es ist anzumerken, dass die Argumentation nicht unmittelbar der Pressemitteilung des Gerichts entnommen werden konnte, sodass in erster Linie auf die von den Parteien im Voraus vorgebrachten Argumente abgestellt wird.
Zulässigkeit
Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist beim Prüfungspunkt „Statthafte Antragsart“ stets zu einem Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO abzugrenzen, das nur einschlägig ist, sofern sich der Antrag gegen einen adressat-belastenden Verwaltungsakt richtet. Ein solcher liegt nicht vor, sodass nur § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht kommt. Hier ist wiederum zwischen Sicherungs- und Regelungsanordnung abzugrenzen. Die Partei begehrt hier nicht nur eine bloße Zustandssicherung, sondern eine vorläufige Regelung in der Form, dass der Bundeszentrale für politische Bildung das Betreiben des Wahl-O-Mats in der jetzigen Form untersagt wird.
Im Rahmen der besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen ist die Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog sauber herauszuarbeiten – sie liegt grundsätzlich vor, wenn der Antragsteller auch in der Hauptsache klagebefugt ist, was inzident zu prüfen ist. Hier scheint eine Verletzung von Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG nicht schlechterdings ausgeschlossen, sodass die Antragsbefugnis im Ergebnis zu bejahen ist. Bearbeiter können auch auf die Möglichkeit der Verletzung eines Anspruchs aus § 5 Abs. 1 PartG eingehen, der jedoch im Ergebnis nicht einschlägig sein dürfte, da Volt Deutschland nicht den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung begehrt.
Der richtige Antragsgegner entspricht ebenfalls dem Klagegegner in der Hauptsache. Eine Verpflichtungsklage in der Hauptsache scheidet aus, sodass sich der Klagegegner nicht aus § 78 VwGO analog, sondern aus dem Rechtsträgerprinzip als allgemeinem Prozessgrundsatz ergibt. Rechtsträger der Bundeszentrale für politische Bildung ist der Bund – mithin ist dieser auch im Rahmen des § 123 VwGO richtiger Antragsgegner.
Eine Antragsfrist ist nicht einzuhalten.
Siehe eine für ausführliche Prüfung der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die klausurmäßige Aufbereitung einer früheren Entscheidung des VG Köln zum Wahl-O-Mat: https://red.ab7.dev/vg-koln-eilantrag-der-ddp-gegen-wahl-o-mat-abgelehnt/
 
Begründetheit – Insbesondere: Der Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit
Der Antrag ist begründet, wenn der Antragsteller Tatsachen glaubhaft macht, die einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund begründen und wenn die gewünschte gerichtliche Entscheidung nicht über das hinausgeht, was der Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutzverfahren verlangen kann.
Schwerpunkt der Prüfung ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Dieser kann sich aus einer Verletzung des Rechts der Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ergeben.
Der sachliche Geltungsbereich dieses Rechts beschränkt sich nicht auf die Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen, sondern auf deren Tätigkeit schlechthin (vgl. Maunz/Dürig/Klein GG Art. 21 Rn. 297). Das Recht ergibt sich nach dem BVerfG „aus der Bedeutung, die der Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt“ (vgl. dazu. BVerfGE 85, 264 (297)). In der Klausur bietet es sich an, die Verletzung des Rechts anhand des bekannten Aufbaus für die Prüfung der Verletzung von Gleichheitsrechten zu prüfen.
Ungleichbehandlung
Alle Parteien müssen die gleichen Chancen auf das Gehört- und Gewähltwerden haben, um ihrem Mitwirkungsauftrag an der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG nachzukommen (vgl. Gröpl/Windhorst/von Coelln/von Coelln, Studienkommentar GG, Art. 21 Rn. 28). Der Staat soll keinen Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen.
Gerade im Zusammenhang mit Wahlen erlangt dieser Grundsatz besondere Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu aus:
„Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit hängt eng mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl zusammen, die ihre Prägung durch das Demokratieprinzip erfahren. Deshalb ist in diesem Bereich – ebenso wie bei der durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verbürgten gleichen Behandlung der Wähler – Gleichheit in einem strikten und formalen Sinn zu fordern. Wenn die öffentliche Gewalt in den Parteienwettbewerb in einer Weise eingreift, die die Chancen der politischen Parteien verändern kann, sind ihrem Ermessen daher besonders enge Grenzen gezogen(…).“ (BVerfGE 120, 82 (105)).
Das bedeutet: Die Anforderungen an die Gleichbehandlung der Parteien durch die öffentliche Gewalt sind durch die sich aus Art. 38 Abs. 1 GG ergebenden Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verschärft – der Staat darf nichts tun, um die unterschiedlichen Wettbewerbschancen der Parteien bei Wahlen zu beeinflussen (siehe dazu BVerfGE 85, 264 (297)).
Die Anzeigepraxis des Wahl-O-Mats, bei der nur die Übereinstimmung mit jeweils acht Parteien in einem Durchgang verglichen werden kann, könnte indes eine Beeinflussung der Wettbewerbschancen darstellen. Die meisten Nutzer werden lediglich einen Vergleich vornehmen und dabei ihre Position mit den Parteien vergleichen wollen, die ihm bereits bekannt sind. Die Positionen unbekannterer Parteien bleiben dem Nutzer so unbekannt, sodass diese nicht die gleiche Chance des Gehörtwerdens erlangen. Dies wird dadurch verstärkt, dass die etablierten Parteien auf der Auswahlseite ganz oben angezeigt werden. Diese Einschätzung ändert sich nicht dadurch, dass der Nutzer die Möglichkeit hat, mehrere Vergleichsvorgänge durchzuführen. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Speicherung der Ergebnisse gestaltet sich dieses Vorgehen äußerst umständlich und dürfte nur in Einzelfällen tatsächlich stattfinden.
Mithin liegt eine Ungleichbehandlung kleinerer Parteien vor.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
An dieser Stelle ist besonders zu betonen, dass es sich bei dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit um eine streng formale Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes handelt, sodass die Ungleichbehandlung von Parteien nur aus zwingenden Gründen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann (siehe dazu ausführlich Maunz/Dürig/Klein GG Art. 21 Rn. 306 ff.).
Die Rechtfertigungsgründe, die die Bundeszentrale für politische Bildung hierzu vorgebracht hat, sind im Einzelnen nicht bekannt. Das VG Köln beschränkt sich darauf festzustellen, „die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe seien nicht geeignet gewesen, die Verletzung der Chancengleichheit zu rechtfertigen. Der weitere Einwand der Antragsgegnerin, die Umsetzung der einstweiligen Anordnung sei technisch nicht möglich, sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden“(siehe Pressemitteilung des VG Köln vom 20. Mai 2019).
Volt Deutschland argumentierte insbesondere, dass dem Wahl-O-Mat vergleichbare Dienste gewährleisteten, dass die Positionen aller Parteien gleichermaßen zugänglich seien: „Denkbar wäre, dass den Nutzer*innen einfach alle 41 zur Wahl stehenden Parteien angezeigt werden. Das wäre wohl die fairste und beste Lösung, die auch bereits von anderen vergleichbaren Diensten genutzt wird“ (siehe Pressemitteilung von Volt Deutschland vom 15. Mai 2019).
Diese Argumentation scheint das VG Köln zu folgen. Ein zwingender Grund für die Ungleichbehandlung besteht nicht. Mithin ist das Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 GG verletzt. Ein Anordnungsanspruch besteht.
Anordnungsgrund
Die besondere Eilbedürftigkeit ergibt sich unproblematisch aus der unmittelbar bevorstehenden Europawahl.
Keine Vorwegnahme der Hauptsache
An dieser Stelle des Gutachtens sollte der Bearbeiter stets betonen, dass die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich nicht dazu führen soll, dass der Antragsteller bereits alles Erwünschte erreicht hat, sodass das Verfolgen der Hauptsache überflüssig würde. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dort zu machen, wo dem Antragsteller bei Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbare Nachteile drohen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. So gestaltet es sich hier: Wenngleich die Partei mit der Abschaltung bzw. Änderung des Anzeigeformats des Wahl-O-Mats bereits alles erreicht hat, was sie erreichen wollte, so würden ihr bei einem Verweis auf das Abwarten der Hauptsache unzumutbare Wettbewerbsnachteile bei der anstehenden Europawahl drohen. Insoweit ist die Untersagung des Betreibens des Wahl-O-Mats in der jetzigen Form keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.
Summa und Ausblick
Eine Fallgestaltung wie die vorliegende bietet dem Klausursteller die Möglichkeit, Grundlagen des Verwaltungs- und Verfassungsrechts abzuprüfen und dem Bearbeiter im Rahmen der Prüfung des Anordnungsanspruchs Raum für eigene Überlegungen und Argumentation zu lassen. Fälle der Ungleichbehandlung von Parteien sind stets aktuell und ein beliebtes Prüfungsthema – sie sollten von Examenskandidaten keinesfalls vernachlässigt werden.
Insoweit ist auch auf die kürzlich ergangene Entscheidung des BVerfG zu einem Wahlwerbespot der NPD zu verweisen, siehe dazu: https://red.ab7.dev/bverfg-keine-ausstrahlung-von-npd-wahlwerbespot/
Nachdem die Bundeszentrale für politische Bildung ursprünglich  angekündigt hatte, Beschwerde gegen den Beschluss des VG Köln einzulegen, haben sich die Beteiligten außergerichtlich geeinigt. Der Wahl-O-Mat ist nun wieder online. 

 

24.05.2019/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2019-05-24 08:10:302019-05-24 08:10:30Wahl-O-Mat verfassungswidrig – Entscheidung des VG Köln
Dr. Maike Flink

BVerfG: Keine Ausstrahlung von NPD-Wahlwerbespot

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das Bundesverfassungsgericht hat am 27.4.2019  (Az. 1 BvQ 36/19) einen Antrag der NPD auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Partei hatte unter Berufung auf ihre Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG begehrt, das ZDF zur Ausstrahlung ihres für die Europawahl entworfenen Wahlwerbespots zu verpflichten. Die Entscheidung des Gerichts ist dabei gleich unter mehreren Gesichtspunkten von hoher Examensrelevanz: Wegen ihrer enormen Aktualität bietet sie sich hervorragend als Anknüpfungspunkt verfassungsrechtlicher Fragen in einer mündlichen Prüfung an, zudem gibt sie zugleich Gelegenheit sich noch einmal umfassend mit den Voraussetzungen der – in der Examensvorbereitung häufig zu Unrecht vernachlässigten – einstweiligen Anordnung gem. § 32 BVerfGG und der in Prüfungen beliebten Meinungsfreiheit auseinanderzusetzen.
 
I. Sachverhalt
Die NPD hatte bei der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ZDF einen Wahlwerbespot für die Europawahl eingereicht, deren Ausstrahlung das ZDF jedoch ablehnte. Der Werbespot zeigt dabei zu Beginn einen dunklen Hintergrund, auf dem Blutspritzer herunterlaufen. Zu hören ist das Laden einer Waffe und schließlich ein Schuss. Im Anschluss werden in zunehmender Geschwindigkeit Tatorte und Namen von Opfern von Gewalt- und Tötungsdelikten eingeblendet. Diese Darstellung ist mit dem gesprochenen Text hinterlegt: „Seit der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung werden Deutsche fast täglich zu Opfern ausländischer Messermänner. Migration tötet!“. Die Aussage „Migration tötet!“ wird nachfolgend in großer roter Schrift eingeblendet, gefolgt von dem gesprochenen Text „Jetzt gilt es zu handeln, um Schutzzonen für unsere Sicherheit zu schaffen“. Im Anschluss wird durch den Parteivorsitzenden der NPD mitgeteilt, dass die Sicherheit in Deutschland in Gefahr sei. Um dem entgegenzuwirken wolle man Schutzzonen, d.h. Orte, an denen Deutsche sich sicher fühlen, schaffen. Dies wird bebildert mit Menschen, die auf Straßen patrouillieren und rote Schutzwesten tragen, auf denen ein „Z“ und der Schriftzug „Wir schaffen Schutzzonen“ zu sehen sind. Gegen die Ablehnung der Ausstrahlung dieses Werbespots durch das ZDF stellte die NPD einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO) vor dem Verwaltungsgericht. Der Antrag wurde indes sowohl durch das Verwaltungsgericht, als auch durch das Oberverwaltungsgericht abgelehnt, da durch den Wahlwerbespot der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllt werde. Daraufhin stellte die NPD beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 32 Abs. 1 BVerfGG, der darauf gerichtet war, das ZDF zur Ausstrahlung des Wahlwerbespots zu verpflichten.
 
II. Entscheidung des Gerichts
Das Bundesverfassungsgericht trifft eine vorläufige Regelung eines Zustandes im Wege der einstweiligen Anordnung „wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist“ (§ 32 Abs. 1 BVerfGG). Maßgebliches Kriterium sind insofern die Erfolgsaussichten des Rechtsstreits in der Hauptsache, d.h. einer durch den Antragsteller erhobenen Verfassungsbeschwerde (BVerfG v. 23.6.2004 – 1 BvQ 19/04, NJW 2004, 2814). Dabei beschränkt sich die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des § 32 Abs. 1 BVerfGG darauf, ob eine solche Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (BVerfG v. 23.6.2004 – 1 BvQ 19/04, NJW 2004, 2814).
 
1. Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG
Erfolg hat eine in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde indes nur, soweit sie zulässig und begründet ist. Anhaltspunkte für eine von vornherein bestehende Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde sah das Bundesverfassungsgericht nicht gegeben, sodass es sich mit der Frage einer offensichtlichen Unbegründetheit beschäftigte. In Betracht kam dabei eine Verletzung der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG durch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts, die den Antrag der NPD auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO abgelehnt hatten. Eine Verletzung der Meinungsfreiheit könnte sich daraus ergeben, dass die Verwaltungsgerichte der in diesem Rahmen zu beachtenden Wechselwirkungslehre nicht ausreichend Rechnung getragen haben. Diese beeinflusst neben der Auslegung und Anwendung des meinungsbeschränkenden Gesetzes (§ 130 Abs. 1 Nr. 2) in einem vorgelagerten Schritt – auch die Erfassung und Würdigung der Äußerung selbst, denn bereits auf der Deutungsebene fallen Vorentscheidungen hinsichtlich der Zulässigkeit von Äußerungen (BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/19 u.a., NJW 1995, 3303, 3305). Ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG liegt demnach nicht nur dann vor, wenn das einschränkende Gesetz nicht im Sinne dieser Vorschrift ausgelegt und angewendet wurde, sondern auch dann, wenn bereits bei der Auslegung der Äußerung selbst die Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht hinreichend beachtet worden ist. Letzteres ist der Fall, wenn die Äußerung den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die für den Beschwerdeführer ungünstigste Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind (BVerfG v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/19 u.a., NJW 1995, 3303, 3305).
 
2. Die Erwägungen des Gerichts im Einzelnen
Eine Verletzung der Meinungsfreiheit sah das Bundesverfassungsgericht indes als offensichtlich ausgeschlossen an. Dies ergebe sich daraus, dass die Verwaltungsgerichte die Wertungen des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG bei ihren Entscheidungen ausreichend berücksichtigt haben, indem sie die Aussage des Wahlwerbespots im Lichte der Meinungsfreiheit ausgelegt und diese vor diesem Hintergrund zutreffend als den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllende Äußerung eingeordnet haben. Wörtlich führt das BVerfG aus:

„Es ist nicht erkennbar, dass die Verwaltungsgerichte in ihren Entscheidungen den Schutzgehalt der Meinungsfreiheit der Antragstellerin aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verkannt hätten. Vielmehr haben sie sich mit dem Aussagegehalt des Wahlwerbespots unter Berücksichtigung der hierfür maßgeblichen verfassungsrechtlichen Anforderungen ausreichend befasst und den Sinn der darin getätigten Äußerungen nachvollziehbar dahingehend eingeordnet, dass er den Tatbestand einer Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt. Das Oberverwaltungsgericht hat sich auch mit den anderen, von der Antragstellerin vorgebrachten Deutungsmöglichkeiten auseinandergesetzt und diese mit nachvollziehbarer Begründung als fernliegend ausgeschlossen. Diese Beurteilung hält sich auch unter Berücksichtigung der insoweit geltenden strengen Anforderungen im fachgerichtlichen Wertungsrahmen.“

So hatte insbesondere das Oberverwaltungsgericht (Beschl. v. 26.4.2019, Az. 2 B 10639/19) sich eingehend mit möglichen Deutungen des Wahlwerbespots beschäftigt. Dabei erwog das Gericht, dass die Botschaft des Wahlwerbespots sich aufgrund der Einblendung einzelner Opfernamen und Tatorte allein auf die jeweiligen Täter des Einzelfalls beschränken und gerade keine pauschale Aussage über alle in Deutschland lebenden Ausländer treffen könnte. Indes lehnte es ein solches Verständnis in Anbetracht der Art der Darstellung ab: Durch die zunehmende Geschwindigkeit der Einblendungen werde der Eindruck vermittelt, dass die Begehung von Gewalt- und Tötungsdelikten durch Ausländer sich gerade nicht auf Einzelfälle beschränke, sondern vielmehr signifikant zugenommen habe. Dieser Eindruck werde zudem durch die an die Einblendung angeschlossene Aussage „Migration tötet!“ untermauert. Diese werde durch einen unvoreingenommenen, verständigen Dritten durch den Zusammenhang mit dem Begriff „Messermänner“ regelmäßig als „Migranten töten“ verstanden. Gerade durch die Zusammenschau von Text, Bilddarstellungen und den dramaturgischen Aufbau werden sämtliche Ausländer als Straftäter und Gefährdung für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung dargestellt. Auch die Aussage, dass es der Einrichtung von Schutzzonen für Deutsche bedürfe, damit diese sich wieder sicher fühlen können, stehe einer Deutung dahingehend, dass allein auf einzelne Gewalt- und Tötungsdelikte durch Migranten verwiesen und diese nicht pauschal als Straftäter dargestellt werden sollen, entgegen. So stellte das OVG ausdrücklich fest:

„Durch diese Aussagen wird auch i.S. des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Menschenwürde der betroffenen Ausländer angegriffen, indem ihnen derart als Bevölkerungsgruppe pauschal sozial unerträgliche Verhaltensweisen und Eigenschaften zugeschrieben werden.“

Vor dem Hintergrund dieser detaillierten Auseinandersetzung des Oberverwaltungsgerichts mit dem Inhalt des Wahlwerbespots und der begründeten Ablehnung anderer Deutungsmöglichkeiten sah das Bundesverfassungsgericht die sich aus der Wechselwirkungslehre ergebenden Anforderungen als gewahrt und damit eine Verletzung der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 BVerfG als offensichtlich ausgeschlossen an. Eine in der Hauptsache erhobene  Verfassungsbeschwerde bliebe damit ohne Erfolg, sodass das Bundesverfassungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 32 Abs. 1 BVerfGG ablehnte.
 
III. Ausblick
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt nicht nur Anlass sich mit den Voraussetzungen des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gem. § 32 BVerfGG auseinander zu setzen, sondern dient auch der Konkretisierung der Anforderungen der Wechselwirkungslehre im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Besonders herausgestellt wird dabei das Erfordernis der Auslegung bereits der in Rede stehenden Äußerung im Lichte der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1. Die Entscheidung enthält indes über § 32 BVerfGG und Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hinaus zahlreiche weitere Anknüpfungsmöglichkeiten für eine Examensprüfung: So stellt sie mit Blick auf die vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen einen Bezug zum vorläufigen Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren und insbesondere den Voraussetzungen des § 123 VwGO her. Zugleich kann die Entscheidung zum Anlass genommen werden, den Anspruch politischer Parteien auf Ausstrahlung eines Wahlwerbespots (§ 5 Abs. 1 PartG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG) zum Gegenstand einer Prüfung zu machen. Sowohl die Meinungsfreiheit, aber auf der vorläufige Rechtsschutz gem. § 123 VwGO und die Gleichbehandlung politischer Parteien sind Prüfungsklassiker und werden nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sicherlich erneut Eingang in künftige Examensprüfungen finden.
 
Hinweis: Die NPD hatte zu einem späteren Zeitpunkt einen veränderten Wahlwerbespot beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) eingereicht. Dieser hatte auch die Ausstrahlung dieses veränderten Werbespots abgelehnt, da auch er den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle. Diese Auffassung bestätigten sowohl das Verwaltungsgericht Berlin als auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit dem Argument, dass der Wahlwerbespot jedenfalls vor dem Hintergrund des politischen Konzepts der NPD nicht anders verstanden werden könne. Die NPD stellte daraufhin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht, das diesem stattgab (Beschl. v. 15.5.2019 , Az. 1 BvQ 43/19), da ein volksverhetzender Inhalt sich jedenfalls nicht unmittelbar aus dem  Wahlwerbespot ergebe. Auch könne das politische Konzept der NPD oder ihr Wahlprogramm nicht zur Auslegung des Wahlwerbespots herangezogen werden, maßgeblich für dessen rechtliche Berurteilung sei vielmehr allein der Werbespot selbst (s. Pressemitteilung Nr. 36/2019 des Bundesverfassungsgerichts vom 15.5.2019).

20.05.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-05-20 10:00:302019-05-20 10:00:30BVerfG: Keine Ausstrahlung von NPD-Wahlwerbespot
Dr. Johannes Traut

Examensschwerpunkt: Nutzung der Stadthalle durch Parteien?

Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Tagesgeschehen, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Es ist ein Dauerbrenner im Examen: Die NPD (oder eine andere radikale Partei) möchte eine Wahlkampfveranstaltung durchführen. Darf sie dazu die Einrichtungen einer Gemeinde nutzen?
Diesmal hatte sich das VG Neustadt mit dieser Frage zu befassen. In seinem Beschluss (es war ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz) v. 17.10.2011 – Az. 3 L 904/11.NW, BeckRS 2011, 55241  hat das Gericht einen Anspruch der NPD auf Nutzung der Bürgerhalle Herschberg verneint. Das ist eine gute Gelegenheit, noch einmal die entsprechenden Rechtsfragen zu rekapitulieren.
 
I. Materiell-rechtliches: Anspruch auf Nutzung der Stadthalle?
Ein Anspruch aus Nutzung der Stadthalle kann sich aus zwei Normen des einfachen Rechts ergeben: § 5 Abs. 1 S. 1 ParteiG oder § 8 Abs. 2 GO NRW sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG (Selbstbindung der Verwaltung) bzw. aus einer förmlichen Widmung.
 
1. § 8 Abs. 2 GO NRW: Anspruch auf Nutzung
Dabei fokussiert sich die Prüfung auf § 8 Abs. 2 GO NRW (oder den entsprechenden Normen anderer Gemeindeordnungen), denn grundsätzlich unterfällt die Stadthalle dem Begriff der gemeindlichen Einrichtung (=jeder tatsächlich benutzbare Gegenstand, den die Gemeinde durch Widmung für den öffentliche Gebrauch durch ihre Einwohner zur Verfügung gestellt hat).
Anderes gilt allerdings, wenn die Einrichtung nicht der lokalen Bevölkerung dienen soll, sondern einen überörtlichen Benutzerkreis anspricht (VG Arnsberg v. 20.8.2007 – 14 K 274/07, juris Rn. 29).
Außerdem bedarf es der Kontrolle der Gemeinde über die Einrichtung. Gegeben ist diese, wenn die Gemeinde selbst die Stadthalle betreibt, die Rspr. bejaht sie aber auch, wenn die Stadthalle von einer GmbH betrieben wird, auf die die Gemeinde einen beherrschenden Einfluß ausüben kann – auch dann kann sie ihren Willen letztlich durchsetzen. Ein Minderheitsanteil reicht daher grds. nicht (VG Arnsberg v. 20.8.2007 – 14 K 274/07, juris Rn. 30ff.). In der weiteren Prüfung stellen sich dann jedoch üblicherweise zwei Probleme:
 
– Ist die Partei Einwohner i.S.d. § 8 Abs. 2 GO NRW? Grds. können auch Personenvereinigungen (wie Parteien bzw. ihre Untergliederungen) „Einwohner“ i.S.d. § 8 Abs. 2 GO NRW sein, vgl. § 8 Abs. 4 GO NRW. Dem Einwohnerbegriff unterfallen sie allerdings nur, soweit sie ihren Sitz im Gemeindegebiet haben (VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241). Auch dann können sie grundsätzlich nur Zulassung für Veranstaltungen mit örtlichem Bezug beanspruchen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Mai 1988 – 1 S 1746/88 -, NVwZ-RR 1988, 43; VG Neustadt,  BeckRS 2011, 55241).
Die Bundes- oder Landespartei kann daher keine Zulassung nach § 8 GO NRW beanspruchen. Ein solcher Anspruch ist verfassungsrechtlich auch im Hinblick auf Art. 21 GG nicht erforderlich (vgl. Sächsisches OVG v. 12.4.2001 – 3 BS 10/01 -, NVwZ 2002, 615). Zu Recht: Durch die staatliche Parteienfinanzierung steht den Parteien die Möglichkeit offen, für überregionale Veranstaltungen eine nicht städtische Halle anzumieten und so ihre Bedürfnisse zu decken.  Außerdem deckt Art. 28 Abs. 2 GG die Freiheit der Gemeinden, ihre Einrichtungen für ihre Einwohner und für die von ihnen definierten Zwecke vorzubehalten.
 
– Ist die Nutzung für parteipolitische Zwecke vom Widmungszweck gedeckt? Die Begrenzung des Zulassungsanspruchs auf die Zwecke, denen die Einrichtung gewidmet ist, ergibt sich schon aus der Definition der „öffentliche Einrichtung“. Zusätzlich verweist die Rspr. (eigentlich überflüssigerweise) noch darauf, dass § 8 Abs. 2 GO NRW die Wendung „im Rahmen des geltenden Rechts“ enthält (vgl. VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241).
Es kommt auf die Auslegung der Widmung im Einzelfall an. Klar ist der Fall, wenn es eine Benutzungsordnung gibt, die andere Zwecke vorgibt. Fehlt es an einem förmlichen Widmungsakt, ergibt sich die Widmung aus der Vergabepraxis der Gemeinde, an welche diese nach Art. 3 Abs. 1 GG fortan gebunden ist.

„Hat sie also eine ihrer öffentlichen Einrichtungen bisher nicht nur zu sportlichen, kulturellen und sozialen Zwecken Dritten zur Verfügung gestellt, sondern auch Parteien zu politischen Veranstaltungen überlassen, so darf sie nicht verbotene politische Parteien nicht wegen deren politischer Ziele von der Nutzung der Einrichtung ausschließen. (VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241)“

Jedoch darf die Gemeinde ihre Vergabepraxis ändern (BayVGH, Beschluss vom 17. Februar 2011 – 4 CE 11.287 -, juris, Rn. 23; VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241). Dies gilt jedoch nur für die Zukunft;  einen bis zur Änderung der Vergabepraxis eingegangen Antrag der NPD darf die Gemeinde daher nicht mit der Begründung ablehnen, sie wolle in Zukunft ihre Praxis ändern (VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241; Anm: Hier kann man auch anderer Ansicht sein, also diskutierten).
 
–  Ist ein Anspruch dem Grunde nach gegeben, kann sich das Folgeproblem begrenzter Kapazitäten stellen. Ein Anspruch kann grundsätzlich nur im Rahmen der Kapazitäten der Einrichtung bestehen. Hier bedarf es dann einer ermessenfehlerfreien Entscheidung nach Art. 3 Abs. 1 GG.
 
2. (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m.) Widmung
Neben bzw. auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 GO NRW kann ein Anspruch aus der Widmung selbst bzw. aus der Widmung i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG folgen. Widmet die Gemeinde eine Einrichtung allgemein für den öffentlichen Gebrauch, auch durch Nicht-Einwohner, ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dieser Widmung ein Anspruch für jedermann, die Einrichtung unter den in der Widmung gesetzten Voraussetzungen zu nutzen.
(Anm: Man kann überlegen, ob die Widmung selbst nicht bereits den Anspruch vermittelt. Das ist der Fall bei der förmlichen Widmung, sie ist nämlich eine Allgemeinverfügung, § 35 S. 2 VwVfG, so dass sie unmittelbar ein Nutzungsrecht begründet. Art. 3 Abs. 1 GG braucht man daher nur, wenn man keine Allgemeinverfügung hat, etwa weil es an einem förmlichen Widmungsakt fehlt.)
Für diesen Anspruch gelten nicht die Grenzen des § 8 GO NRW – der Anspruchssteller muss also nicht Einwohner der Gemeinde sein und der Zweck muss nicht auf die örtliche Gemeinschaft bezogen sein.
 
3. § 5 ParteiG: Anspruch auf Gleichbehandlung
Ebenfalls ein Gleichbehandlungsgebot enthält § 5 Abs. 1 S. 1 ParteiG: Er setzt voraus, dass anderen Parteien die Nutzung entsprechender Einrichtungen bereits gewährt wurde. Es handelt sich also nicht um einen Anspruch auf Nutzung als solche, sondern lediglich um einen Anspruch auf Gleichberechtigung im Vergleich zu anderen Parteien. Ist – wie meist – nicht vorgetragen, dass eine andere Partei die Einrichtung nutzen konnte, scheidet § 5 ParteiG als Anspruchsgrundlage aus.
Im Übrigen sollte man M.E. § 5 Abs. 1 S. 1 ParteiG als lex specialis zu der allgemeine Selbstbindung der Verwaltung nach Art. 3 Abs. 1 GG prüfen. Soweit man den Zulassungsanspruch auf § 8 GO NRW stützt, kann man dort § 5 ParteiG hineinlesen (so das VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241). Letztlich ist hier vieles vertretbar, einfach ansprechen und sinnvolle Lösung finden. Nur beachten, dass aus § 5 ParteiG selbst kein Anspruch auf Zulassung an sich folgt, sondern auf Gleichbehandlung. Ein Anspruch auf Zulassung folgt daraus nur, wenn eine andere Partei zugelassen wurde.
II. Prozessuale Durchsetzung
 
– Rechtsweg: § 40 VwGO: Hier die 2-Stufen-Theorie: Auch wenn das Nutzungsverhältnis privatrechtlich ist, ist die Entscheidung über das „Ob“ öffentlich-rechtlich“, Arg. § 8 Abs. 2 GO NRW Sonderrecht. Wichtig vor allem, wenn die Stadthalle von einer GmbH der Gemeinde betrieben wird.
 
– Statthafte Klage-/Antragsart:
Der Zulassungsakt bzw. die Ablehnung ist ein VA (Subsumtion § 35 S. 1 VwVfG). Daher in der Hauptsache Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 VwGO.
Häufig wird hier im einstweiligen Rechtsschutz vorgegangen. Einschlägig ist dann üblicherweise § 123 Abs. 1 VwGO. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO wird auf keinen Fall helfen, soweit der Antragssteller noch nichts oder einen ablehenden VA hat, daher nach § 123 Abs. 5 VwGO Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO.
Über § 80 Abs. 5 VwGO kann man nur dann nachdenken, wenn dem Antragssteller zunächst Zugang gewährt wurde und dieser VA dann aufgehoben wird. Dann kann man überlegen, ob durch die Suspensivwirkung des § 80 Abs. 5 VwGO nicht der ursprüngliche „gewährende“ VA wieder auflebt, weil der aufhebende VA seinerseits durch § 80 Abs. 5 VwGO „unwirksam“ wird (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG). Das ist jedoch nach der hM nicht der Fall, denn § 80 Abs. 5 VwGO hemmt nur die Vollstreckung des VA, macht ihn aber nicht unwirksam. Der Antragssteller erhält durch § 80 Abs. 5 VwGO deshalb nach hM seine Begünstigung nicht zurück – der begünstigende VA bleibt daher unwirkam.
§ 80 Abs. 5 VwGO gilt daher nur in extremen Ausnahmefällen, nämlich dort, wo der Antragssteller bereits die Halle nutzt. Diese Nutzung bleibt ihm dann durch den Suspensiveffekt nach § 80 Abs. 5 VwGO unbenommen.
 
– Klage-/Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)
Hier auf die Möglichkeit eines Anspruchs hinweisen. Bei einstweiligem Rechtsschutz: Möglichkeit von Anordnungsanspruch und -grund. Hier dann darauf eingehen, ob ein Anspruch gegen die Gemeinde überhaupt in Betracht kommt, wenn die Stadthalle von einer GmbH betrieben wird.
 
– Vorwegnahme der Hauptsache
Noch eine Ergänzung: Häufig stellt sich im einstweiligen Rechtsschutz das Problem der Vorwegnahme der Hauptsache. Wegen des Sinn des einstweiligen Rechtsschutzes, die Hauptsache entscheidungsfähig zu halten, kann dieser problematisch sein. Aber wegen Art. 19 Abs. 4 GG trotzdem zulässig, wenn sonst wichtige Rechte endgültig vereitelt wurden. Hier (+) wegen drohender Grundrechtsverletzung der Parteien (vgl. VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241). Es ist umstritten, ob die Betätigungsfreiheit der Parteien aus Art. 21 GG oder aus anderen Grundrechten (z.B. Art. 9 bzw. Einzelgrundrecht+Art. 19 Abs. 3 GG) folgt, vgl. Beck’scherOK-GG/Kluth, Art. 21 GG Rn. 83ff.

03.11.2011/1 Kommentar/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2011-11-03 16:09:182011-11-03 16:09:18Examensschwerpunkt: Nutzung der Stadthalle durch Parteien?

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