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Schlagwortarchiv für: öffentliche Sicherheit

Lukas Knappe

VG Gelsenkirchen: Verbot von Rockerkutten auf Volksfest

Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite

Rockerclubs wie die Hells Angels oder die Bandidos bestimmen zurzeit immer wieder die Schlagzeilen der Tagespresse in Deutschland. So werden die verstärkte Präsenz derartiger Clubs, deren Verbindung zu Gewalttaten oder organisierter Kriminalität oder die drohende Eskalation von Konflikten verfeindeter Rockerclubs thematisiert. Eine besondere Bedeutung erhält dabei die sogenannte Rockerkutte, mit der als besonders wichtigem Statussymbol die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub ausgedrückt werden soll, da diese eine zunehmende Präsenz im Bewusstsein der Öffentlichkeit erfährt. Besonders bekannt sind dabei die Embleme der Hells Angels (Totenschädel mit Flügeln), sowie der Bandidos („Fat Mexican“), doch zunehmend tauchen auch verstärkt die Symbole anderer Rockervereinigungen auf. Diese Rockerkutten sind jedoch auch mittlerweile Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden: So verwarf das BVerfG in einem Beschluss vom 14.03.2012 (Az. 2 BvR 2405/11 – vgl. dazu auch unseren Artikel hierzu) eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein Kuttenverbot während einer Gerichtsverhandlung richtete. Andere Urteile (OVG Schleswig, Urteil vim 18.01.2012 – 4 KN 1/11; OVG Bremen, Beschluss vom 21.10.2011 – 1 B 162/11) haben das Verbot von Rockerkutten auf Volksfesten oder der Bahnhofsvorstadt zum Gegenstand. Das VG Gelsenkirchen hatte sich nun mit Beschluss vom 07.08.2014 (Az. 16 L 1180/14) ebenfalls mit derartigen Rockerkutten zu befassen und bestätigte im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ein ordnungsbehördlich verhängtes Kuttenverbot auf der Cranger Kirmes.

Zum Sachverhalt

Die Stadt Herne verbot durch eine ordnungsbehördliche Allgemeinverfügung vom 16. Juli 2014 das öffentliche Tragen von Bekleidungsstücken und Rockerkutten mit Abzeichen und Schriftzügen von bestimmten Motorradgruppierungen im Bereich der Cranger Kirmes. Dabei verwies die Ordnungsbehörde darauf, dass das Tragen derartiger Rockerkutten und Symbole einerseits als Ausdruck einer gemeinsamen Gesinnung und andererseits auch als Erkennungsmerkmal dienen würde. Die verwendeten Abzeichen, Embleme und Schriftzüge würden insbesondere anderen Rockern eine prompte und sichere Zuordnung zur jeweiligen Gruppierung ermöglichen. In einem längeren Teil der Begründung zur Allgemeinverfügung wurden dann zahlreiche polizeilich festgehaltene Ereignisse aufgezählt, die im Zusammenhang mit Rockerclubs stehen. Nach Ansicht der Stadt Herne ließen gerade diese festgehaltenen Ereignisse in Verbindung mit einer allgemeinen polizeilichen Gefährdungsbewertung von Rockerclubs in NRW und für die Stadt Herne erkennen, dass die Mitgliedschaft in verschiedenen, gegebenenfalls verfeindeten Motorradclubs zu Auseinandersetzungen führen könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit bei der Cranger Kirmes und anderen Volksfesten mehrfach Anhänger von Rockerclubs gemeinsam Präsenz gezeigt hätten („Schaulaufen“), um konkurrierenden Motorradclubs die eigene Stärke zu demonstrieren. Gerade dieses öffentliche Zurschautragen der Mitgliedschaft könne auf der Gegenseite schwerwiegende Reaktionen bis hin zu Gewaltanwendungen provozieren, so dass davon auszugehen sei, dass das Fehlen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen und Emblemen der Motorradclubs die Identifizierung eines Kirmesbesuchers als Rocker deutlich erschwere und die Gefahr von Auseinandersetzungen dadurch eingeschränkt werde.

Ein Mitglied eines Rockerclubs wandte sich jedoch im Rahmen eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutzes gegen diese Verbotsverfügung und machte dabei geltend, dass ihn das Kuttenverbot in seinen Freiheitsrechten verletze.

I. Rechtliche Würdigung

Das VG Gelsenkirchen lehnte den Eilantrag des Antragsstellers gegen die ordnungsbehördliche Verbotsverfügung ab, da diese jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig sei.

 1. Prozessuale Einkleidung

Bei dem vom Antragssteller eingelegte Rechtsbehelf handelt es sich bei der Frage nach der Statthaftigkeit des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes um einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S.1 VwGO.

Im Rahmen der nach § 123 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abgrenzung des § 123 I VwGO von den Fällen der §§ 80, 80a VwGO, regeln diese ein Aussetzungsverfahren, mit dem Ziel, die aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Anfechtungsklage anzuordnen bzw. wiederherzustellen. Entscheidend für die Anwendbarkeit des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ist mithin, dass ein belastender VA vorliegt, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage zulässig wäre(vgl. zur Abgrenzung der Verfahren Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 500f.).

Die Stadt Herne hat das Kuttenverbot explizit als Allgemeinverfügung erlassen, bei der es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S.1 VwVfG handelt, wobei jedoch die Besonderheit besteht, dass das Merkmal des Einzelfalls durch § 35 S.2 VwVfG modifiziert wird, so dass bei einem generellen Adressatenkreis nur unter diesen Voraussetzungen eine Einzelfallregelung vorliegt. Infolge dessen, dass sich das Verbot des Tragens und Zurschaustellens vom Symbolen und Emblemen von Rockervereinigungen auf der Cranger Kirmes an einen im Wesentlichen bestimmbaren Personenkreis richtet, der nicht völlig offen ist, sind hier die Voraussetzungen einer personenbezogenen Allgemeinverfügung nach § 35 S.2 Fall 1 VwVfG erfüllt. Der bestimmbare Personenkreis ergibt sich gerade dadurch, dass das Verbot auf Cranger Kirmes bezogen, also eine konkrete, räumlich und zeitlich fixierte Veranstaltung zum Gegenstand hat. Gegen die Verfügung wäre in einem Hauptsacheverfahren mithin eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt.1 VwGO zu erheben.

Darüber hinaus hat die Stadt Herne vor dem Hintergrund der bereits am 01.08.2014 beginnenden Kirmes auch nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung angeordnet, so dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage statthaft ist.

Im Rahmen der Begründetheit des Antrags ist zu berücksichtigen, dass im Fall des § 80 Abs. 2 S.1 Nr. 4 VwGO zunächst die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu prüfen ist (vgl. dazu Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 32 Rn.14f.). Bei der materiellen Begründetheitsprüfung nehmen die Gerichte dann eine eigene Interessensabwägung vor, wobei geprüft wird, ob das Aussetzungsinteresse das Interesse an der sofortigen Vollziehung des VA überwiegt. Bei dieser Abwägungsentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren eine wichtige Rolle. Angesichts der Tatsache, dass es sich um ein Begehren nach gerichtlichem Eilrechtsschutz handelt, erfolgt dabei durch die Gerichte jedoch lediglich eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten (Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn.532f.).

II. Materielle Probleme

Als Ermächtigungsgrundlage für das durch die Stadt Herne erteilte Kuttenverbot auf der Cranger Kirmes kommt § 14 OBG NRW in Betracht, der die Ordnungsbehörde zur Durchführung der notwendigen Maßnahmen ermächtigt, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren

1. Betroffenheit eines Schutzgutes

Zunächst müsste ein Schutzgut der ordnungsbehördlichen Generalklausel betroffen sein. In Betracht kommt hier die öffentliche Sicherheit. Darunter ist nach allgemeiner Ansicht die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestands der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und der sonstigen Träger von Hoheitsgewalt zu verstehen (vgl. Wolffgang/Hendricks/Merz, Polizei-und Ordnungsrecht in NRW, Rn.54). Das Tragen der Bekleidungsstücke durch Rockerclubs in der Öffentlichkeit hat in der Vergangenheit unter Berücksichtigung der polizeilich festgehaltenen Ereignisse zu Provokationen und zur Anwendung massiver Gewalt zwischen den verfeindeten Vereinigungen geführt. Zudem legt die Ordnungsbehörde in der Begründung auch unter anderem Folgendes dar:

Aufgrund der zunehmenden Ansiedlung von Motorradclubs in Herne und Umgebung, kommt es durch die Mitglieder der vorgenannten Vereinigungen immer wieder zu Auftritten, die eine massiv einschüchternde Wirkung auf die allgemeine Bevölkerung haben.

Angesichts der verübten und zu befürchtenden Gewalttaten ist somit eine Betroffenheit des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit zu bejahen.

2. Vorliegen einer konkreten Gefahr

Die Frage nach der Rechtmäßigkeit des ordnungsbehördlichen Verbots hängt jedoch insbesondere vom Vorliegen einer konkreten Gefahr ab. Diese ist dann anzunehmen, wenn der Sachverhalt bei ungehindertem Verlauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den geschützten Gütern führen wird (vgl. Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in NRW, § 3 Rn.61; Schoch, Jura 2003, 472).

a) Beurteilung durch das VG Gelsenkirchen

Das VG Gelsenkirchen hat in der veröffentlichen Pressemitteilung erklärt, dass

die Kammer (es) vom Grundsatz her nachzuvollziehen (vermag), dass das Tragen solcher Bekleidungsstücke in der Öffentlichkeit im Bereich der (Kirmes) zu massiven Gewaltausbrüchen führen könnte. Dass auch Abzeichen der Gruppierung, der der Antragsteller angehört, von der Allgemeinverfügung erfasst sind, erscheint ebenfalls nicht offensichtlich verfehlt. Immerhin hat die Antragsgegnerin in der Begründung der Allgemeinverfügung explizit auch zwei Vorfälle aus der jüngeren Vergangenheit aufgeführt, die als Gewaltandrohung aufgefasst werden konnten bzw. bei denen tatsächlich Gewalt ausgeübt wurde und in die offenbar Mitglieder des (Rockerclubs) involviert waren.

 Jedoch bleibt zu berücksichtigen, dass das VG im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes aufgrund der lediglich summarischen Prüfung auch nicht die offensichtliche Rechtmäßigkeit feststellen konnte. Vielmehr hat es im Rahmen der Abwägungsentscheidung darauf abgestellt, dass es sich lediglich um ein Kuttenverbot für eine kurze Dauer handelt und der Zugang zur Kirmes als solcher nicht beschränkt wird, und dann angesichts der seiner Ansicht nach geringen Beeinträchtigung die Interessensabwägung zugunsten der Ordnungsbehörde vorgenommen. In einer Klausur müsste man sich hier jedoch intensiv mit der Frage nach dem Vorliegen einer konkreten Gefahr beschäftigen. Im Folgenden sollen dazu instruktiv einige Anregungen gegeben werden:

 b) Allgemeine Erwägungen zum Gefahrenbegriff

Bei der Beurteilung einer konkreten Gefahr geht es im Kern um eine Gefahrenprognose, bei der die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und das zu erwartende Schadensausmaß zueinander in Bezug gesetzt werden müssen (vgl. Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 61). Dabei gilt als Faustregel, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit desto geringer sind, je größer das Ausmaß des drohenden Schadens ist, und umgekehrt strengere Anforderungen an die Schadenswahrscheinlichkeit gestellt werden müssen, wenn es sich lediglich um geringere Schäden handelt (Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei-und Ordnungsrecht, § 4 Rn.2; Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 61).

Zu berücksichtigen ist dabei, dass eine gefahrenabwehrrechtliche Allgemeinverfügung nur zur Bekämpfung einer konkreten Gefahr erlassen werden darf. Sollen abstrakte Gefahren bekämpft werden, ist dies nicht durch eine Allgemeinverfügung, sondern lediglich durch eine ordnungsbehördliche Gefahrenabwehrverordnung möglich, die auf § 27 Abs.1 OBG NRW zu stützen ist (vgl. dazu auch OVG Bremen, 1 B 162/11).

Abzugrenzen ist die konkrete Gefahr im Sinne der ordnungsbehördlichen Generalklausel somit von der abstrakten Gefahr. Bei dieser handelt es sich um einen nach allgemeiner Erfahrung möglichen Sachverhalt, der bei ungehindertem Verlauf generell dazu geeignet ist, eine Gefahr zu verwirklichen (Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn, 73). Die abstrakte Gefahr ist mithin durch eine typisierende Betrachtungsweise geprägt, ist also nicht auf einen konkreten Sachverhalt bezogen.

 Im Rahmen der Definition des Gefahrenbegriffs ist als besondere Gefahrenlage jedoch auch noch unter anderem der Gefahrenverdacht auszumachen. Ein solcher liegt nach der allgemeinen Definition dann vor, wenn die Gefahrenabwehrbehörde über Anhaltspunkte verfügt, die auf das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr hindeuten, sich aber bewusst ist, dass ihre Erkenntnisse unvollständig sind und eine Gefahr möglicherweise doch nicht vorliegt (siehe dazu Wolffgang/Hendricks/Merz, Rn. 247). Beim Gefahrenverdacht wird das Vorliegen einer Gefahr somit lediglich für möglich, jedoch angesichts der bestehenden Unwägbarkeiten nicht für wahrscheinlich gehalten.

 c) Gründe für eine konkrete Gefahr

Die Stadt Herne ist in ihrer Begründung bezüglich der erlassenen Ordnungsverfügung vom Vorliegen einer konkreten Gefahr ausgegangen. Dies hat sie zum einen damit begründet, dass es in der Vergangenheit immer wieder zu Auftritten von Rockerclubs gekommen sei, die eine massiv einschüchternde Wirkung gehabt hätten oder sogar mit Gewalttaten verbunden gewesen seien. Als Beleg für diese Behauptung werden dann mehrere polizeilich festgestellte Ereignisse im Zusammenhang mit den Rockerclubs aufgezählt. Darüber hinaus verweist die Ordnungsbehörde auch auf eine allgemeine polizeiliche Gefährdungsbewertung, nach der die Rockerlage in NRW von Expansionsbestrebungen geprägt sei und sich vor allem durch Konfliktlagen um Einflussbereiche und Gebietsansprüche kennzeichne. Auch nach einer Lage- und Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamtes NRW Düsseldorf stellten die aufgeführten aktuellen Geschehensabläufe im Bereich Oberhausen, Herne und Essen eine andauerndes Konfliktpotential dar. Die Behörde führt insbesondere aus:

Nach plausibler polizeilicher Lageeinschätzung ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit von aggressiven Auseinandersetzungen verfeindeter Gruppierungen auf der Cranger Kirmes auszugehen, sofern diese auf dem Veranstaltungsgelände aufeinandertreffen sollten und dabei die genannten Bekleidungsgegenstände tragen. Diese Auseinandersetzungen können zu massiven Rechtsgut- und Gesetzesverletzungen führen….

Das Zurschaustellen des Namens, des Symbols oder sonstiger Kennzeichnungen einer Zugehörigkeit oder der Unterstützung einer solchen Gruppierung auf der Cranger Kirmes gewinnt damit eine Gefahrenqualität, die es zuverlässig abzuwehren gilt.

 d) Gegenargumente

Trotz der genannten örtlichen Besonderheiten in Herne können auch Argumente in der Diskussion angeführt werden, die eher für das Vorliegen eines Gefahrenverdachts (so das OVG Schleswig, 4 KN 1/11) oder einer abstrakten Gefahr (dazu tendiert das OVG Bremen, 1 B 162/11) sprechen:

So könnte man zunächst das Vorliegen einer hinreichend abgesicherten Prognose für das Verüben von Gewalttaten auf der Kirmes durch die Rocker anzweifeln. Die Annahme einer konkreten Gefahr setzt voraus, dass sich ein Sachverhalt aktuell in der Realität nachweisen lässt, während die abstrakte Gefahr lediglich eine „hypothetische“ Gefahr darstellt (Dietlein/Burgi/Hellermann, § 3 Rn. 73). Zwar stützt sich die Behörde hier nicht nur auf eine allgemeine polizeiliche Gefahrenbewertung und die Bewertung des Landeskriminalamtes, sondern auch auf konkrete polizeilich bekannte Ereignisse im Zusammenhang mit Rockerclubs in Herne, jedoch ist es in der Vergangenheit gerade bei Volksfesten wie der Cranger Kirmes oder dem Festival Bochum Total lediglich zu „Schaulaufen“ bzw. Machtdemonstrationen einiger bestimmter Rockervereinigungen und nicht zu Gewalttaten gekommen. Diese Taten wurden vielmehr in anderen Zusammenhängen verübt. Darüber hinaus erscheint die Gesamtsituation auch weniger zugespitzt als im Fall des OVG Bremen, der dadurch geprägt war, dass es innerhalb weniger Tage mehrfach zu gewaltsamen Übergriffen rivalisierender Rockerclubs gekommen war. Eine mit der Situation in Bremen vergleichbare Gewalteskalation lässt sich der Begründung der Stadt Herne nicht ohne Weiteres entnehmen.

Ein weiteres Argument gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr, welches gerade auf die Gefahrenprognose bezogen ist, kann aus dem Urteil des OVG Schleswig zum allgemeinen Kuttenverbot auf der Kieler Woche abgeleitet werden. So sieht das OVG eine allgemeine polizeilich Gefahreneinschätzung hinsichtlich der mit Rockerclubs in Kiel verbunden Gefahren und Risiken nicht als ausreichende Beurteilungsgrundlage der tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer abstrakten Gefahr an. Vielmehr bedürfe es einer konkreten Prognose und Darlegung der gefahrbegründenden Umstände für jeden vom Kuttenverbot betroffenen Rockerclub. Es müsse im Einzelfall konkret tatsächliche Anhaltspunkte dafür geben, dass die Mitglieder des betroffenen Clubs das betreffende Volksfest als „Laufsteg“ nutzen und es dabei zu Gewalttaten kommen werde.

Zweifelhaft erscheint auch die Begründung des Kuttenverbots mit der durch das Zurschaustellen der Kutten verbundenen Provokations- und Einschüchterungswirkung. So könnte angeführt werden, dass das bloße Mitführen der Kutte selbst keine Gefahr darstellt, sondern vielmehr noch ein weiterer Willensakt für die Verübung von späteren Gewalttaten notwendig ist. Mit einer vergleichbaren Argumentation wurde beispielsweise versucht, bei der rechtlichen Beurteilung des Glasverbotes mittels Allgemeinverfügung im Kölner Straßenkarneval (dazu hier) lediglich eine abstrakte Gefahr anzunehmen, wobei das OVG Münster angesichts der besonderen Verhältnisse des Karnevals in der Kölner Altstadt dem nicht gefolgt ist. Besonders interessant vor diesem Hintergrund ist auch eine Passage des Beschlusses des OVG Bremen, das nun hinsichtlich des Kuttenverbotes ähnliche Erwägungen anstellte:

Soweit die Allgemeinverfügung darüber hinaus damit begründet worden ist, die von dem Verbot erfassten Embleme und Abzeichen verliehen der Kleidung einen uniformähnlichen Charakter, was mit einem Einschüchterungseffekt für die Bevölkerung des Stadtteils verbunden sei, vermag das die Allgemeinverfügung nicht zu rechtfertigen. Sofern diese Gefahrenprognose der Antragsgegnerin zutreffen sollte, was an dieser Stelle ausdrücklich offen gelassen wird, handelte es sich hierbei nicht um eine konkrete, sondern um eine abstrakte Gefahr.

Gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr spricht somit auch der Umstand, dass die Situation durch die Vielgestaltigkeit der Sachverhalte und Kausalzusammenhänge geprägt ist, so dass wohl das Tragen der Rockerkutte selbst nur schwer als gefahrbegründendes Verhalten eingeordnet werden kann.

Unter Berücksichtigung der allgemeinen Erwägungen zum polizei- und ordnungsrechtlichen Gefahrenbegriff erscheint es somit auch vertretbar, die Situation eher als Gefahrenverdacht, oder unter Umständen nur als abstrakte Gefahr einzuordnen.

III. Schlussbewertung

Angesichts der gerade in der jüngeren Vergangenheit bereits stattgefunden vorangegangenen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppierungen und der Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamtes für den Bereich Herne, die von einer andauernden Konfliktbereitschaft vor dem Hintergrund von Gebietsansprüchen und Einflussbereichen ausgeht, könnte das Zurschaustellen von Rockersymbolen durch die damit verbundene Provokationswirkung für andere Gruppierungen bereits eine Gefahrenqualität erreichen. Andererseits lassen sich auch Argumente gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr finden, da es wohl noch nicht zur einer mit dem Bremer Fall vergleichbaren Gewalteskalation gekommen ist und die Behörde auch nicht konkret dargelegt hat, inwieweit von den jeweiligen vom Verbot betroffenen Gruppierungen ein konkret gefahrbegründendes Verhalten zu erwarten ist. Die Einordnung des Kuttenverbots erweist sich somit als juristisch äußerst schwierig, da es entscheidend auf die Umstände im konkreten Einzelfall ankommt, die der Pressemitteilung nur schwer zu entnehmen sind. Vielmehr sollen die dargestellten Argumente daher ein erstes Gespür für eine argumentative Auseinandersetzung vermitteln.

Im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme muss somit besonders intensiv das Problem des Gefahrenbegriffs beleuchtet werden. Der Fall eignet sich somit zu einer Wiederholung der polizeilichen Gefahrenlagen, deren Vorliegen im Einzelfall nicht immer ganz unproblematisch abgegrenzt werden kann, da auch die verschiedenen Gerichte immer wieder zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die hier aufgeworfene Thematik unter dem Blickwinkel des Öffentlichen Rechts interessante Rechtsfragen beinhaltet, die Gegenstand von Klausuren sein können.

 
 
 
 

21.08.2014/2 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2014-08-21 08:34:172014-08-21 08:34:17VG Gelsenkirchen: Verbot von Rockerkutten auf Volksfest
Redaktion

Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht” von Prof. Dr. Friedrich Schoch

befasst sich mit der Wahrnehmung von Aufgaben durch die Polizei bzw. Ordnungsbehörden, die an sich dem Zivilrecht und der Zivilgerichtsbarkeit zuzuordnen sind. Im Gefahrenabwehrrecht ist Anknüpfungspunkt insoweit regelmäßig die Beeinträchtigung individueller Rechte und Rechtsgüter als Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit. Der vorliegende Beitrag gibt an Hand von Fallbeispielen einen detaillierten Überblick zu typischen Rechtsfragen aus diesem examensrelevanten Bereich des Verwaltungsrechts.
Ihr findet den Beitrag wie immer hier.

21.06.2014/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2014-06-21 09:00:342014-06-21 09:00:34Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht
Dr. Jan Winzen

VGH Kassel: Entscheidung zur Frankfurter Wohnungsprostitution

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Kürzlich ist das viel beachtete Urteil des hessischen VGH (Kassel)  vom 31.01.2013 (8 A 1245/12) zur Wohnungsprostitution in Frankfurt am Main veröffentlicht worden.
I. Sachverhalt
Der in erster Instanz vor dem VG Frankfurt am Main unterlegene Kläger begehrt die Aufhebung einer Untersagungsverfügung der Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, mit der ihm verboten wurde, die Räumlichkeiten im Hinterhaus seines Grundstücks als bordellartigen Betrieb zur Verfügung zu stellen.
Untersuchungen des Ordnungsamts der Stadt Frankfurt am Main hatten ergeben,

dass in vom Kläger vermieteten, insgesamt 44,52 m² großen Räumen im Hinterhaus auf seinem Hausgrundstück A-Straße ein „XX-Massagestudio“ betrieben wurde, in dem gegen Entgelt sexuelle Handlungen mehrerer spärlich oder gar nicht bekleideter Frauen angeboten werden (sog. Handentspannung, auch den Genitalbereich erfassende Ganzkörpermassagen). Für diese Zwecke standen in dem freistehenden Hinterhaus drei – jeweils mit Bett, Nachttisch und Schrank ausgestattete – Zimmer zur Verfügung, außerdem befanden sich im Haus sanitäre Einrichtungen und eine Kochnische.

Das räumliche Umfeld des Hausgrundstücks ist bauplanungsrechtlich als Mischgebiet ausgewiesen. In der Nähe befinden sich u.a. zwei Kindertagesstätten (etwa 200 Meter Entfernung von dem betreffenden Grundstück), eine Realschule in etwa 100 Meter Entfernung, ein größeres Betriebsgelände der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH, ein Müllheizkraftwerk der Stadt. Äußerlich war die Nutzungsart des Hauses nicht erkennbar. Die Untersuchungen des Ordnungsamtes hatten außerdem ergeben, dass für das Massagestudio in der Frankfurter Innenstadt (für Ortskundige: im Bereich Hauptwache) auf einer Werbetafel (unter Angabe von Lage und Kontaktdaten) und im Internet (unter Angabe intimer Details der dort tätigen Damen) geworben wurde.
Die Untersagungsverfügung stützte die Oberbürgermeisterin auf § 11 HSOG (Generalklausel) und einen Verstoß gegen die Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in Frankfurt am Main (Sperrgebietsverordnung) vom 23.12.1986, in der derzeit gültigen Fassung. Die Berufung des Klägers auf das klageabweisende erstinstanzliche Urteil des VG Frankfurt am Main wurde wegen besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art und grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 3 VwGO) zugelassen. Der VGH hat nunmehr das erstinstanzliche Urteil, die Untersagungsverfügung der damaligen Oberbürgermeisterin und ihren im Verwaltungsverfahren erlassenen Widerspruchsbescheid aufgehoben.
II. Die Entscheidung des VGH
Die (zulässige) Anfechtungsklage ist begründet, soweit der Verwaltungsakt (die Untersagungsverfügung) rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Hinreichende Ermächtigungsgrundlage: § 11 HSOG iVm der Sperrgebietsverordnung von 1986?
Als belastender Verwaltungsakt bedurfte der Erlass der Untersagungsverfügung einer Ermächtigungsgrundlage.
In Betracht kommt insoweit § 11 HSOG wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit.
Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind, neben den Individualrechtsgütern (insbesondere individuelle Grundrechtspositionen), der Schutz der Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung sowie der Schutz des Bestands und der Veranstaltungen des Staates und anderer Hoheitsträger (zu den wichtigsten Begriffen des Polizei- und Ordnungsrechts siehe hier).

  • Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung

Ein Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung – und damit eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit – könnte in einem Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung liegen. § 1 der Sperrgebietsverordnung enthält ein allgemeines Prostitutionsverbot für bestimmte Frankfurter Stadtgebiete. Die §§ 3 und 4 enthalten Ausnahmen von dem allgemeinen Prostitutionsverbot (sog. Toleranzzonen). Im Übrigen, also auch für das Grundstück des Klägers, gilt § 2:

In dem übrigen Stadtgebiet ist es mit Ausnahme der in den Abs. 3 und 4 bezeichneten Gebiete verboten, auf öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen, in öffentlichen Anlagen und an sonstigen Orten, die von dort aus eingesehen werden können, sowie in Prostituiertenwohnheimen, Prostituiertenunterkünften und ähnlichen Einrichtungen (unter anderem in sogenannten Massagesalons und sonstigen überwiegend von Prostituierten genutzten Häusern) der Prostitution nachzugehen.

Dass die als „Massagesalon“ genutzten Räumlichkeiten des Klägers mit dem Wortlaut dieser Frankfurter Sperrgebietsverordnung nicht vereinbar sind, dürfte jedem klar sein. Fraglich ist allerdings, ob eine Sperrgebietsverordnung aus dem Jahre 1986 (die zuletzt 1993 überarbeitet wurde) auch heute noch uneingeschränkt zur Unterbindung der Wohnungsprostitution herangezogen werden kann. Wie vom Kläger schon im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, hat sich die gesellschaftliche Akzeptanz der Prostitution einem Wandel unterzogen. Dieser Wandel hat sich auf Bundesebene in dem Erlass des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002 auch rechtlich manifestiert. Dass Sperrgebietsverordnungen gleichwohl im Grundsatz weiterhin zulässig und zur Gefahrenabwehr auch notwendig sind, zeigt der bundesrechtliche Hintergrund:

  • Bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage Art. 297 Abs. 1 EGStGB

Die bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Sperrgebietsverordnung enthält Art. 297 Abs. 1 EGStGB und lautet (auszugsweise):

Die Landesregierung kann zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes
(…)
durch Rechtsverordnung verbieten, der Prostitution nachzugehen.

  • Bundesrechtskonforme Auslegung

Der VGH ist der Ansicht, dass diese Verordnungsermächtigung vor dem beschriebenen Hintergrund einer Einschränkung bedarf:

Die weitgehende Legalisierung der Prostitution durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz hat allerdings eine Beschränkung der Ermächtigungsreichweite bei der Anwendung dieser Vorschrift zur Folge, die im vorliegenden Fall entscheidungsrelevant ist.

Was bedeutet dieser Befund nun für das rechtliche Schicksal der Sperrgebietsverordnung und den Bestand der Untersagungsverfügung? Der VGH rezitiert dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 2009 – 1 BvR 224/07, die sich mit den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf Art. 297 Abs. 1 EGStGB befasst. Danach ist die

weiterhin gültige Verordnungsermächtigung in Art. 297 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EGStGB nicht obsolet; dieses Gesetz und der darin manifestierte Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz der Prostitution verbieten es jedoch, bei der Anwendung dieser Bestimmung allein ihre Ausübung außerhalb ausgewiesener Toleranzzonen ohne konkrete Bewertung daraus resultierender schädlicher Auswirkungen auf die Nachbarschaft, insbesondere auf dort lebende Jugendliche und Kinder, als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung einzustufen.

Der Schutz des öffentlichen Anstandes, den Art. 297 Abs. 1 EGStGB bezweckt, meint eben nicht den Schutz herrschender sittlicher Moralvorstellungen. Vielmehr dient die Verordnungsermächtigung der Gefahrenabwehr. Sie verfolgt das Ziel, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, soweit ihr Verhalten sozialrelevant ist. Soziale Relevanz hat ein Verhalten, wenn es nach außen in Erscheinung tritt und (deshalb) das Allgemeinwohl beeinträchtigen kann. Bei Handlungen und Zuständen, die eine enge Beziehung zum Geschlechtsleben haben, sind Belange des Allgemeinwohls nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann beeinträchtigt, wenn andere Personen, die von diesen Handlungen und Zuständen unbehelligt bleiben wollten, erheblich belästigt werden. Dies gilt insbesondere für die Begleitumstände der Prostitution.
Für den vorliegenden (wie für jeden vergleichbaren) Fall bedeutet dies,

dass eine öffentlich nicht wahrnehmbare Prostitutionsausübung, wie sie hier vorliegt, nicht mehr durch den Vollzug einer Sperrgebietsverordnung unterbunden werden kann, die keine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution voraussetzt.

In eine auf Art. 297 Abs. 1 EGStGB gestützte Sperrgebietsverordnung ist also das Erfordernis einer konkreten Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution hineinzulesen. Mittel zu diesem Zweck ist eine bundesrechtskonforme Auslegung der Verordnung.
2. Formelle Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung
Zur formellen Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung musste der VGH keine Ausführungen machen. Natürlich ließen sich an dieser Stelle in einer Klausur die üblichen Probleme einbauen (zur unterlassenen Anhörung siehe etwa hier).
3. Materielle Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung
Der VGH legt § 2 Sperrgebietsverordnung bundesrechtskonform unter Berücksichtigung der Kriterien des Bundesverfassungsgerichts aus und prüft, ob die außerhalb der Toleranzzonen liegende Prostitutionsausübung in den Räumlichkeiten des Klägers eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit darstellt.

  • Definition: weitere Konkretisierung durch das Bundesverfassungsgericht

Wann eine solche konkrete Belästigung der Öffentlichkeit anzunehmen ist, hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung weiter veranschaulicht. Danach kann eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliegen, wenn die Eigenart des betroffenen Gebietes durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet ist und wenn eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen Unbeteiligter und milieubedingte Unruhe, wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen, befürchten lässt.

  • Subsumtion des VGH

Der VGH verneint im vorliegenden Fall eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit mit folgenden Argumenten:
Prostitution tritt nach außen nicht in Erscheinung
Die Wohnungsprostitution wird in Räumlichkeiten ausgeübt, die sich in einem der Straße abgewandten Hinterhaus befinden. Wegen der beschränkten Zahl der dort tätigen Prostituierten tritt zudem allenfalls geringer Publikumsverkehrs auf. Vor diesem Hintergrund tritt die Prostitution ohne jeden Hinweis auf die konkrete Nutzung des Gebäudes schon nicht – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert –nach außen in Erscheinung.
Jugendschutz nicht tangiert – nicht jede Möglichkeit der Kenntnisnahme ausgeschlossen
Kindertagesstätten und Realschule sind von dem betreffenden Grundstück so weit entfernt, dass die konkreten, äußerlich wahrnehmbaren Begleiterscheinungen der dortigen Prostitutionsausübung – wie etwa die An- und Abfahrt von Kunden – von den dort betreuten Kindern und Jugendlichen nicht als solche wahrgenommen werden können. Anders wäre es allenfalls dann, wenn sie anders – namentlich durch die Werbetafel in der Innenstadt – von der Prostitutionsausübung erfahren würden. Im Hinblick auf die Kinder der Kindertagesstätte besteht diese Möglichkeit aber schon faktisch nicht. Eine zufällige Kenntnisnahme von der Prostitutionsausübung im Massagestudio kommt für die Realschüler zwar grundsätzlich in Betracht. Die Ermächtigung in Art. 297 EGStGB verfolgt aber nach Ansicht des Gerichts auch nicht den Zweck, Jugendliche vor jeder Kenntnisnahme von dem Phänomen der Prostitution zu bewahren.
Kein seelischer Schaden zu befürchten
Der VGH geht offenbar davon aus, dass öffentliche Belange beeinträchtigt werden, wenn bei Kenntniserlangung von der betriebenen Prostitution die Gefahr eines seelischen Schadens Jugendlicher bestünde. Bezogen auf Jugendliche (jedenfalls solche aus einer Großstadt wie Frankfurt am Main (!)) verneint er dies aber im vorliegenden Fall:
Dass die in erster Linie „gefährdeten“ Schülerinnen und Schüler der nahe gelegenen L.-Realschule bei Kenntnisnahme von der Werbung für das „C.-Massagestudio“ seelischen Schaden nehmen könnten, ist auszuschließen, da Kinder und Jugendliche in dieser Altersgruppe – zumal in einer Großstadt wie Frankfurt – jederzeit durch allgemein zugängliche Quellen und geradezu zwangsläufig mit Prostitution konfrontiert werden und sich im Zuge ihres Reifeprozesses mit diesem mittlerweile gesellschaftlich als unvermeidlich akzeptierten Phänomen auch auseinandersetzen sollten.
III. Fazit
Entscheidungen zum behördlichen Einschreiten gegen Wohnungsprostitution im Lichte der gewandelten gesellschaftlichen Anschauung der Prostitution sind keine Seltenheit. Wir berichteten kürzlich etwa zu einem Fall, in dem es um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines „nichtmedizinischen“ Massagesalons in einem reinen Wohngebiet ging. Da sich die Räumlichkeiten im vorliegenden Fall in einem bauplanungsrechtlich als Mischgebiet (§ 6 BauNVO) ausgewiesenen Bereich befinden, wäre ein bauordnungsrechtliches Einschreiten gemessen an den insoweit entwickelten Kriterien wohl nicht in Betracht gekommen (siehe dazu ebenfalls die bereits zitierte Entscheidung). In einer Klausur ließe sich je nach Konstellation eine solche Prüfung aber gut einbauen. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main musste auf die Generalklausel (in Hessen: § 11 HSOG) zurückgreifen und zur Konkretisierung die Gebote und Verbote der Sperrgebietsverordnung heranziehen. Diese ist allerdings bundesrechtskonform dahin auszulegen, dass die Wohnungsprostitution nur untersagt werden darf, wenn eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution vorliegt. Der VGH verneint zwar im vorliegenden Fall eine solche Beeinträchtigung, seine Argumente zeigen aber, dass ein anders gelagerter Sachverhalt durchaus eine abweichende Entscheidung zugelassen hätte. Es bedarf also in einer Klausur stets einer sorgfältigen Auswertung sämtlicher angebotener Fakten.
Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht auch noch ein Blick auf die wesentlichen Inhalte des viel zitierten Prostitutionsgesetzes: Diese umfassen einen rechtswirksamen Anspruch der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt (§ 1 ProstG), dessen fehlende Abtretbarkeit und den weitgehenden Ausschluss von Einwendungen gegen den Anspruch (§ 2 ProstG) sowie den Zugang zur Sozialversicherung (§ 3 ProstG). Darüber hinaus wurde die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution und der Zuhälterei durch Art. 2 ProstG eingeschränkt. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich zudem, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Vereinbarung über ein Entgelt für sexuelle Leistungen und auch die Tätigkeit selbst nicht gegen die guten Sitten verstoßen, vgl. BT-Drucks. 14/5958, Seite 4, 6.
 

27.03.2013/2 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-03-27 09:00:242013-03-27 09:00:24VGH Kassel: Entscheidung zur Frankfurter Wohnungsprostitution
Dr. Christoph Werkmeister

BVerwG: Bierbike ist kein Gemeingebrauch

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Verwaltungsrecht

Kürzlich entschied das BVerwG mit Urteil vom 28.08.2012 (Az. BVerwG 3 B 8.12) über die hoch examensrelevante Frage, ob der Betrieb von sog. Bierbikes noch dem straßen- und wegerechtlichen Gemeingebrauch unterfällt oder ob dies unter die grundsätzlich erlaubnispflichtige Sondernutzung fällt.
Was war nochmal ein Bierbike?
Das BVerwG führte in seiner Entscheidung noch einmal prägnant für alle Uneingeweihten die Charakteristika eines Bierbikes aus:

Die von der Klägerin vermieteten „BierBikes“ sind vierrädrige Fahrzeuge mit einer Länge von rund 5,30 m, einer Breite von etwa 2,30 m und einer Höhe von ca. 2,70 m. Das Leergewicht beträgt rund 1 000 kg. Ein solches „BierBike“ bietet Platz für bis zu 16 Personen. Jeweils bis zu sechs Personen können auf Hockern an den beiden Längsseiten eines in der Mitte des Fahrzeugs angebrachten Tisches sitzen. Bis zu drei Personen finden Sitzmöglichkeiten auf einer Bank am Heck des Fahrzeugs. Gelenkt und gebremst wird das „BierBike“ von einem von der Klägerin gestellten Fahrer, der mit Blick in Fahrtrichtung im Frontbereich des Fahrzeugs sitzt. Das „BierBike“ ist mit einem Bierfass mit einem Fassungsvermögen von bis zu 50 Litern, einer Zapf- sowie einer Musikanlage ausgestattet. Angetrieben wird das Gefährt durch Pedale mit Freiläufen, die von bis zu zehn der an den Längsseiten sitzenden Benutzern bedient werden; die Fahrtgeschwindigkeit beträgt rund 6 km/h. Die Klägerin bietet ihre „BierBikes“ im Internet für jeden Anlass, z.B. Städtetouren, Firmen- und Abteilungsfeiern oder private Feiern aller Art an.

Die Entscheidung
Der Leitsatz der Entscheidung des BVerwG lautet:

Der Betrieb eines „BierBike“ auf öffentlichen Straßen ist straßenrechtlich dann nicht mehr Gemeingebrauch, sondern eine erlaubnispflichtige Sondernutzung, wenn eine Gesamtschau der äußerlich erkennbaren Merkmale aus der Perspektive eines objektiven Beobachters ergibt, dass es vorwiegend nicht zur Teilnahme am Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt wird.

Hiermit wird die bisher vom OVG Münster und vom VG Düsseldorf vertretene Rechtsauffassung zementiert. Wir berichteten bereits über diese Entscheidungen, so dass an dieser Stelle lediglich auf die älteren Beiträge verwiesen wird (s. instruktiv und ausführlich hier und überblicksartig hier).
Examensrelevanz
Die Bierbike-Entscheidungen liefen bereits 1:1 ohne großartige Abwandlungen im zweiten Staatsexamen in NRW. Aufgrund der neuen Entscheidung des BVerwG, die sicherlich bald auch in den gängigen Fachzeitschriften veröffentlicht wird, erlangt das Thema erneut Relevanz und wird sicherlich dem einen oder anderen Klausurersteller in den Justizprüfungsämtern (im Hinblick auf das erste sowie das zweite Staatsexamen) auffallen. Aus diesem Grunde sei es jedem Examenskandidaten angeraten, sich (noch einmal) ausführlicher mit der – durchaus überzeugenden – Argumentation der Gerichte zu diesem straßenrechtlichen Aspekt auseinander zu setzen.

13.10.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-10-13 07:22:002012-10-13 07:22:00BVerwG: Bierbike ist kein Gemeingebrauch

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